Vollkasko oder Eigenverantwortung?

Warum die Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Patienten im Österreichischen Gesundheitswesen ein politisches Ablenkungsmanöver ist – erklärt in 14 Sätzen:

1.   Hinter der Frage „Vollkasko oder Eigenverantwortung“ steckt, wenn auch nicht offensichtlich, das Problem der Informationsasymmetrie zwischen dem Patienten und „seinem“ Arzt.

1.1.        Diese Asymmetrie verhindert automatisch ein Begegnen auf Augenhöhe

1.2.        Daraus resultiert, dass der Patient sich auf den Arzt verlassen muss –

1.3.        Der Patient hat alleine KEINE Chance, selbst wenn er Mediziner ist, diese Asymmetrie zu beheben

2.   Hinter dem Arzt steht ein Versorgungssystem, und dahinter wieder das eigentliche, politisch gesteuerte, Gesundheitssystem

3.   Wird die Informationssymmetrie seitens des Gesundheitssystem akzeptiert, oder toleriert, resultiert ein paternalistisches Gesundheitswesen – ein solches denkt und handelt als „guter Vater“ für den Patienten, der selbst keine Verantwortung tragen muss.

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Die ewige Spitalsambulanz-Gebühr

 Die Frage, ob Spitalsambulanzgebühren real den Zustrom von Patienten mit Lappalien einzudämmen vermögen, ist seit Jahren beantwortet: nein.

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   Dass Ambulanzen überfüllt sind und in vielen Fällen eine Überversorgung darstellen, ist unbestritten. Ein banaler Schnupfen muss nicht um 22 Uhr in einer Spitalsambulanz versorgt werden. Aber nicht nur dort findet Überversorgung statt; ein Schnupfen hat auch beim niedergelassenen Facharzt nichts verloren. Im Spital fällt es nur besonders auf und ist sicher die teuerste Überversorgung. Ambulanzgebühren sind nun der theoretische Versuch, diese Überversorgung wegzubringen. Doch ist das real?

   Nein, schlicht, weil Gebühren von sich aus ja nicht unterscheiden können, ob ein Arztbesuch, vor allem außerhalb der Öffnungszeiten der Hausärzte, not wendig ist oder nicht, diese Entscheidung muss der Patient fällen. Der Patient muss Informationen einholen, die Dringlichkeit einschätzen und dann entscheiden. Geld spielt da keine Rolle, entscheidend ist die Gesundheitskompetenz.

   Doch ist der österreichische Patient ausreichend kompetent für diese Entscheidung? Ist er nicht! Ein Akademiker in Österreich kann gesundheitsrelevante Fragen weniger gut beantworten als ein Schulabbrecher aus den Niederlanden – das will was heißen!

   Aber warum kann ein Niederländer besser zwischen Banalem und Ernstem unterscheiden? Warum versucht der dortige es zuerst mit Hausmedizin, und wenn die nicht hilft, geht er zum Hausarzt, egal zu welchem Zeitpunkt, während der hiesige sofort zum Facharzt oder in die Spitalsambulanz rennt?

   Er ist schlicht mündiger, weil dort seit Jahren das System darauf dringt, Patienten zu helfen, diese Entscheidungen selbst zu treffen. Unser paternalistisches, intransparentes System will keine mündigen Patienten, also gibt es sie auch nicht.

   Mehr noch, unsere Primärversorgung, also vor allem die Hausarztversorgung, ist heillos überfordert, weil völlig unterbewertet. Aber es sind nun einmal vor allem die Hausärzte, die eine entscheidende Rolle spielen. Und wenn es sie nicht ausreichend gibt, können Ambulanzgebühren auch keine sinnvolle, steuernde Wirkung erzielen.

   Diese würden sicher die eine oder andere Überversorgung, vor allem bei jenen, die aus Bequemlichkeit in Ambulanzen gehen (aber das völlig zu Recht, denn der Hindernislauf im extramuralen Bereich von einem Arzt zum anderen, ist unattraktiver Nonsens), reduzieren, aber im Allgemeinen nur Zusatzeinnahmen und in vielen Fällen Unterversorgung generieren.

   In der ambulanten Versorgung existieren vier voneinander völlig unabhängig arbeitende Systeme: das (an sich schon inhomogene) Kassensystem, das Wahlarztsystem, die Ambulatorien und die Spitalsambulanzen. Hier kann keine vernünftige Versorgung rauskommen, sondern nur der zu beobachtende Verschiebebahnhof. Wenn es nicht gelingt, leicht verständliche und patientenorientierte Regeln der Zusammenarbeit herzustellen, aber vor allem eine funktionierende, sieben Tage pro Woche, 16 Stunden pro Tag geöffnete Primärversorgung zu etablieren, und zwar so attraktiv, dass sie vom Patienten akzeptiert wird, wird es keine Lösung für überfüllte Spitalsambulanzen geben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 231 vom 28.11.2013