Kassen, Kammern, Ambulatorien, der Gesamtvertrag und die PHC-Zentren

(Lesezeit 4 Min) Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien; ein Streit der praktisch so alt ist wie die zweite Republik und in der PHC-Diskussion gerade wieder aufflammt

 

Herbst 1955 – Seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG, zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung, kommt eine, wie ein Stenographisches  Protokoll zeigt, schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang.

Um was es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen.

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Die verkauften Jungärzte

Stellen Sie sich eine Gewerkschaft vor, sagen wir die Metaller, und fragen sich, wie sie auf folgendes reagieren würde?

Da kommt die EU und sagt:

Ihr in Österreich, Ihr behandelt eure Metall-Arbeiter seit Jahrzehnten schlecht. Wir haben Euch schon bei eurem EU-Beitritt gesagt, dass sie – mittlerweile sogar unerlaubterweise – zu lange arbeiten! Bringt das in Ordnung, sonst tun wir es.“

Die Gewerkschaft schweigt vorerst, nur der Sozialminister, zuständig für Arbeitszeiten und selbst mal Gewerkschaftsboss antwortet, weil er muss, sinngemäß: „Jo, eh! Aber wir brauchen noch so zehn Jahre, bis wir das umsetzen können – die Arbeitgeber haben sich an die billigen Arbeitskräfte gewöhnt, und wenn wir jetzt die Arbeitszeiten auf europäisches Maß reduzieren, dann können die sich das einfach nicht mehr leisten.“

Nun gibt auch die Gewerkschaft laut, sagt die EU mit all Ihren Regeln ist schuld, gibt dem Minister grundsätzlich Recht, meint aber, die Übergangszeiten sind schon ein bisserl lang – das war es!

Klingt das nach dem Verhalten von Gewerkschaftern? Nein! Und doch ist es geschehen – mit einer Berufsgruppe, die dank endloser Arbeitszeiten in oft prekären Arbeitsverhältnissen (nicht selten illegalen Kettenverträgen) kaum aufmucken können – den Spitalsärzte, vor allem den Jungärzten.

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Ärztekammer: Schachmatt?

Statt ihre Hausaufgaben zu erledigen, prügeln die Ärztekämmerer mit schlafwandlerischer Sicherheit auf die „falschen“ ein. Handeln im Interesse der eigenen Mitglieder ist nicht ihre Stärke.

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   Letzten Herbst hat der Oberösterreichische Ärztekammerpräsident noch vollmundig – und demokratisch vollkommen unlegitimiert – „die Regierung unter Überwachung“ gestellt, um sie von „Verstaatlichungsplänen“ abzuhalten. Mit gleichem Übermut verteilte der Österreichische Ärztekammerpräsident Dorner Ordnungsrufe für die, die den freien Arzt auch nur schief anschauen.

   Jetzt ist das anders. Jetzt, da die Kassen kein Interesse mehr an den Verträgen zu haben scheinen, hört man, dass diese doch „Kollektivverträge“ seien und ist verwundert, dass gerade die Gewerkschaft „ärztliche Kündigungsschutzregelungen“ in Frage stellt. Wo ist er geblieben, der freie, unternehmerische Arzt – mit Kollektivvertrag und Kündigungsschutz?

   Der Grund dieses Sinneswandels ist wohl darin zu suchen, dass die Ärztekammer ihre Macht nur darin vermutet, kollektive Kassenverträge zu verhandeln. Und wenn der Vertragspartner abhanden kommt, dann ist es aus mit der Macht. Anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, hat sich die Kammer darauf konzentriert, Strukturreformen mit durchsichtiger Polemik im Keim zu ersticken und auf ihre gesetzlich gesicherte Verhandlungsmacht zu setzen. Hätten die Ärztevertreter in den letzten Monaten etwas besonnener agiert, hätten die Sozialversicherer wohl weniger Chancen, die Regierung für jene Gesetzesänderungen zu gewinnen, die genau diese Verhandlungsmacht beenden.

   Da die Plakate mit Bundeskanzler Alfred Gusenbauers und Gesundheitsministerin Andrea Kdolskys Konterfei aber bereits die Wände vieler Ordinationen zieren, haben die Regierungsmitglieder nun kaum mehr einen Grund, sich vor der Reaktion der ärztlichen Standesvertreter zu fürchten.

   Zudem werden die Kämmerer gerade deswegen immer weniger ernst genommen, weil andere brisante Themen rund um den ärztlichen Beruf seit Jahren links liegen gelassen werden. Zu Problemen, wie dem Überhang arbeitsloser Medizinabsolventen bei gleichzeitig bestehendem Fachärztemangel oder der mehr als mangelhaften Ausbildungsqualität im Turnus, gab es keine adäquaten Lösungsansätze. Auch dass das Ärztearbeitszeitgesetz seit jeher von den meisten österreichischen Spitälern systematisch gebrochen wird, war bislang keine angemessene Reaktion wert. Die Messung der Ergebnisqualität wird seit Jahren erfolgreich torpediert, die Kuvertmedizin und die stark schwankende Behandlungsqualität in den Spitälern einfach unter den Tisch gekehrt, ganz abgesehen von den vielen kleineren und größeren Skandalen rund um prominente Ärzte.

   Auch als Patientenfighter ist die Ärztekammer nur wenig glaubhaft. So ist im aktuellen Rechnungshofbericht zur Wiener Gebietskrankenkasse nachzulesen, dass die Kasse den Vertrag eines wegen schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger strafrechtlich verurteilten Mediziners nicht kündigen konnte. Standesrechtliche Konsequenzen wie eine Streichung von der Ärzteliste, die eine Vertragskündigung ermöglicht hätte, hatte die Verurteilung also nicht.

   Lange hat die Ärztekammer darauf gesetzt, dass die aus dem Gesetz erwachsene Macht ewig halten wird. Sei es aus Angst vor der eigenen Qualität, sei es aus der irrigen Meinung heraus, dass Götter unantastbar sind, hat sie es in den letzten Jahren nicht geschafft, zu erkennen, was ihre eigentliche Aufgabe ist und woraus sie ihre eigentliche Macht entwickeln sollte. Ob jetzt die Zeit noch reicht, das Ruder so herumzuwerfen, um wieder ein echter Partner in der Gesundheitspolitik zu werden, das wird sich zeigen. Für das Gesundheitssystem wäre es wünschenswert.

„Wiener Zeitung“ Nr. 89 vom 06.05.2008