Man hat uns fest im Griff

Das Sommerloch ist da: Zeit für eine (sehr komplizierte) philosophische Hintergrundanalyse – über das MAN, den Verfall und das Ende.

Vielfach wird behauptet, Gesetze sind Ausdruck praktischer Moral, also so etwas wie eine in Worten geronnene, gelebte Moral. Ob nun aufgeschrieben oder nicht, am Ende bleibt Moral schlicht die Konstitution des Wertegerüsts einer, wie auch immer definierten, Gesellschaft, die, wenigstens theoretisch, aus Individuen besteht. Doch stimmt das noch? Wird die Gesellschaft noch von Individuen gestellt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Gesellschaft nur mehr daraus besteht, dass man etwas macht, weil MAN es macht?

Wenn MAN Geld für Banken hat, dann muss es auch für die Gesundheit vorhanden sein! MAN hat den Kassen Geld weggenommen und muss es jetzt zurückgeben! Wenn MAN ein Hochleistungs[Gesundheits]system will, kann MAN es nicht kaputtsparen! MAN muss, MAN kann, MAN darf, MAN soll … .

Doch wer oder was ist denn dieses MAN, das offenbar genau weiß, was für jeden von uns das Beste ist, das nie echte Geldprobleme hat, das stets richtig liegt? Nun, genau genommen ist es niemand und jeder gleichzeitig! Auch ist es ein beliebtes Versteck für jene, die zwar zuständig, aber nicht verantwortlich sein wollen. Und, es hat das Ich und das Wir ersetzt.

Nicht, dass es nicht eine abstrakte Ebene geben dürfte, in der MAN Dinge festlegen kann; aber MAN kann nie von sich aus aktiv werden. Das kann in erster Linie nur ich selbst. Mehrere „Ich“ können freiwillig ein „Wir“ gründen. Funktionierende Solidargemeinschaften sind stets Ausdruck wohlgeordneter demokratischer Verhältnisse, die aus mehreren Ich aktiv ein Wir gestalten. Solidarität, wenn sie denn wirklich eine solche sein soll, ist so nur durch unsere demokratischen Entscheidungen gerechtfertigt. Jedes Sozialsystem, dessen Zukunft nicht in der Tyrannei einer selbstherrlichen Elite ersticken will, braucht das Wir, braucht uns.

Doch wie schaut es aus? Die Diskussion über die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme ist nahezu beweisend, dass wir das, was MAN uns vorsetzt, nicht mehr wollen. Würden wir es wirklich wollen, würden wir uns darum sorgen, dass es finanziert wird. Keine Diskussion würde entstehen, woher das Geld kommt, weil wir es freiwillig geben würden. Aber offenbar wollen wir etwas anderes. MAN dürfte das aber geflissentlich ignorieren und so weiter wursteln wie bisher, weil MAN halt nichts ändern kann. Die Distanz zwischen uns und dem MAN ist groß geworden und entfaltet seine destruierende Kraft.

Ja, das MAN hat uns bereits fest im Griff. Moralische Vorstellungen, also jene Werte, die wir eigentlich – ob nun von uns selbst oder von Gott abgeleitet – aufstellen sollten, werden weniger und weniger. Und wenn MAN diese Werte quasi ohne uns festlegt, darf es nicht verwundern, dass ich mich und wir uns zunehmend nicht daran gebunden fühlen.

Und in weiterer Folge ist niemand mehr für sich oder andere verantwortlich, Populismus (sei er von links oder rechts) lenkt die Politik, Paternalismus pervertiert zur Diktatur und übrig bleibt ein Haufen Asche. Vielleicht müssen wir uns abfinden, dass demokratische Staatsformen genau so wenig geeignet sind, den moralischen Verfall zu verhindern, wie undemokratische. Wenn diese Entwicklung anhält – und nichts spricht dagegen – dann wird es sehr bald dunkel für unsere Sozialsysteme. Während Pensions- und Arbeitslosensysteme mit Härte aber überlebbar einbrechen, werden solidarische Gesundheitssysteme, wenn sie denn kollabieren, mit sehr viel unabwendbarem Leid einhergehen.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Arme Universitäten – ehrlich!

Über die fortschreitende Aushöhlung der medizinischen Universitäten durch immer mehr Patienten – zum Wohle der Länder, zum Weh von Österreich!

Wer in Wien, Graz oder Innsbruck lebt, geht, wenn er ein Spital braucht, gerne in die Universitätskliniken. Dort, so der landläufige Verdacht, wird wirklich Spitzenmedizin betrieben. Kaum jemand weiß allerdings um die komplizierten Verhältnisse, die darin herrschen.

Die Spitäler Steiermarks, Tirols und Wiens – die drei Bundesländer mit öffentlichen medizinischen Universitäten – kosten zusammen etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr. 450 Millionen davon werden allerdings nicht durch die Länder bezahlt, sondern von den Universitäten selbst, die dafür vom Bund Geld kriegen. Das Bundesgeld – und es ist im internationalen Vergleich sehr viel – soll dazu dienen, die „Mehr“-Kosten, die durch Forschung und Ausbildung von Medizinstudenten entstehen, abzugelten.

Wie in jedem Spital, arbeiten auch in Uni-Kliniken Ärzte, Pflege-, Verwaltungspersonal etc. Allerdings, die Ärzte stehen auf dem Lohnzettel der Universität, alle anderen auf dem des „gastgebenden“ Landes. Die Sachkosten teilen sich auch beide. Und zwar zahlt das Land etwa 80 Prozent, den Rest die Uni. Seit vielen Jahrzehnten gibt es um diese Aufteilung Streitereien.

Seit einigen Jahren, was wohl nicht zufällig mit den größer werdenden Finanzproblemen der Länder zusammenhängt, werden immer mehr Patienten durch die Uni-Kliniken „geschleust“. Pro Arzt und Jahr werden mittlerweile ca. 180 stationäre Patienten behandelt (Graz: 130, Innsbruck: 210, Wien: 175). Zum Vergleich, in den größten Spitälern, die keine Universität sind, sind es 235.

Nun, das schaut auf den ersten Blick doch so aus, als ob die Unis über Reserven für Forschung und Lehre verfügen. Aber ist das so? Ein Blick in Nachbarländer bringt Klarheit. In der Schweiz werden pro Arzt 96, in Deutschland gar nur 60 Patienten behandelt. Da bleibt Zeit für international herzeigbare Forschung und qualitativ hochstehende Studenten- Ausbildung – die eigentlichen Aufgaben der Universitäten. Bei uns wird diese Zeit wohl knapp, insbesondere in der Forschung. Kein Wunder also, dass immer weniger gute Forscher hier bleiben wollen!

Um diese Situation zu verbessern, ist es natürlich verlockend, gleich nach mehr Uni-Ärzten zu schreien. Doch an der Anzahl liegt es nicht. In der Schweiz gibt es pro 100.000 Einwohner 25,1, bei uns 25,6 Uni-Ärzte. Deutschland, das ein praxisorientiertes Ausbildungssystem hat (es gibt keinen Turnus, diese Ausbildungsschritte sind in das Studium integriert), verfügt über 32. Dass unsere Uni-Ärzte so viele Patienten behandeln, liegt also nicht an einer „Unterausstattung“, sondern schlicht an einer Überlastung mit „Routine-Fällen“, die an einer Uni eigentlich nichts zu suchen haben.

Verantwortlich dafür sind die Länder, die, zwar an Bundesgeldern und dem Prestige einer Uni, nicht aber an Forschung und Lehre interessiert sind. Und so werden diese einfach als „Routinehäuser“ eingeplant. Bei der lautstark geforderten Linzer MedUni vermute ich die gleichen Gründe.

Es ist zu vermuten, dass bei immer leereren Kassen die Routine weiter steigt. Allerdings verlieren wir damit Generationen an guten Wissenschaftlern. Denn warum soll ein junger Forscher (junge Uni-Ärzte verdienen einen Spot und haben nur befristete Verträge; lediglich alte Professoren verdienen gut und sind zudem „leistungsfördernd“ pragmatisiert) an der Uni bleiben, wenn er doch nur Routine macht? Mit der kann er außerhalb der Universitätsmauern mehr und sicherer Geld verdienen.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Fehlsteuerung und Fehlbelegung

Obwohl wir viele Krankenhäuser haben, werden echte Notfälle immer schwieriger versorgt werden können – dank der Fehlsteuerung und der Reformverweigerung.

Es ist unter der Woche, vormittags, als ein sichtlich kranker Mitt-Fünfziger mit blassem Gesicht und stechenden Schmerzen vom Hals bis zum Kreuz die Ambulanz eines großen Wiener Spitals betritt. Rasch erkennen die Ärzte die Situation: Der Mann hat ein Aortenaneurysma. So eine Diagnose ist ein Alptraum, denn in der Innenschicht der Hauptschlagader hat sich ein Riss gebildet, durch den sich nun das Blut in die Wand der Ader wühlt und sie so spaltet. Der hohe Druck führt dazu, dass die so verdünnte Wand sich immer stärker dehnt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie platzt. Passiert das, dann verblutet der Patient innerhalb kürzester Zeit. Die einzige Chance ist eine Not-Operation, die so groß und schwer ist, dass man, wenn man überlebt, postoperativ auf eine Intensivabteilung muss.

Wiewohl ein großes Spital, ist es für so eine Operation nicht ausgerüstet, also beginnen die Ärzte zu telefonieren. Doch in ganz Wien will den Patienten niemand haben. Die OPs seien alle belegt oder es sei kein Intensivbett frei! Man beginnt außerhalb zu suchen – und wird fündig in St. Pölten. Jetzt noch rasch einen Hubschrauber bestellt und alles wird gut! Falsch! Denn bei der Flugrettung erfährt man, dass alle Hubschrauber besetzt sind, frühestens in 70 Minuten wird einer frei! Soviel Zeit ist nicht, also legt man den Mann in eine Rettung und fährt mit Blaulicht nach Niederösterreich.

Was aus dem Mann geworden ist, weiß ich nicht. Aber verwundert hat mich das alles schon. Wie wahrscheinlich ist es, dass in ganz Wien kein OP oder Intensivbett für solche Notfälle frei ist? Rechnerisch gering. Wir sind gut ausgestattet mit OPs und verglichen mit anderen Ländern haben wir viele Intensivbetten. Gut, es war Vormittag, und nachdem unsere OPs nur vormittags benützt werden, ist klar, dass dann alle im Vollbetrieb sind – hauptsächlich mit geplanten Routineeingriffen. Aber warum war kein Hubschrauber frei?

Was ist passiert? Es kommen eigentlich nur zwei Erklärungen in Frage. Die erste ist zynisch. Sie würde bedeuten, dass so schwere Patienten, wenn möglich, abgelehnt werden. Das will ich ausschließen. Die zweite Erklärung ist aber nicht viel besser.

Durch das Finanzierungssystem geraten die Häuser immer mehr unter Druck. Statt Kapazitäten für Notfälle frei zu halten, müssen sie danach trachten, möglichst voll zu sein. Leere Betten, vor allem auf Intensivabteilungen, kosten nur und bringen nichts. Also „stopft“ man rein, was geht – ob nötig oder nicht.

Und wie ist das mit der Rettung? Ähnlich! Auch hier wird es für die Betreiber immer schwieriger, Hubschrauber herumstehen zu lassen. Da fliegt man dann schon lieber jede Bagatelle. Wenn dann wirklich ein Notfall auftaucht, braucht es niemanden wundern, wenn kein Hubschrauber frei ist.

Und so erklärt sich alles. Obwohl eigentlich genug Kapazitäten da wären, sind diese für Notfälle immer schwieriger zu erhalten. Skurrilerweise würde eine Erhöhung gar nichts bringen. Mehr Intensivbetten oder Hubschrauber würden nur dazu führen, dass die „Fehlbelegung“ zunimmt, weil die Preise sinken und so die Betreiber zwingen, die Auslastung weiter zu erhöhen; das geht aber nur mit planbaren Patienten, nicht mit Notfällen.

Helfen würde eine Änderung der Finanzierung und das wiederum geht nur, wenn die Kompetenzen endlich klarer strukturiert werden – weil das aber nicht passiert, sind die ersten „Opfer“ der Reformverweigerung echte Notfälle.

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Geschlossene Gesellschaft

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – wenn zwei sich einigen, bezahlt das der Dritte. Aber wer ist das wohl – unsere Kinder oder doch wir?

Es ist wie eh und je, was abläuft bleibt den öffentlichen Ohren verwehrt. Das Volk soll nicht zu viel mitkriegen! Schließlich wissen jene, die da verhandeln, am besten, was uns gut tut. Und so dringt nicht viel von dem nach außen, was Ende Juni unser Gesundheitssystem retten soll.

Was ist bekannt?

Da wäre einmal der Auftrag an den Hauptverband. Dieser soll zwei Dinge erledigen: Zuerst soll er innerhalb von sechs Monaten ein, mit allen abgestimmtes, Konzept zur mittelfristigen Sanierung der Krankenkassen vorlegen. Wer das Schauspiel länger kennt, der weiß, dass alleine die Festlegung, wer zu „allen“ gehört, kein leichtes Spiel ist (nur Ärztekammern und Kassen, oder auch die Wirtschaftskammer? Sind die Länder dabei? Was ist mit der Pharmaindustrie? etc). Aber selbst wenn das gelänge, dann ist es unmöglich, all diese Interessensgruppen in so kurzer Zeit zu einem Beschluss zu bringen. Also wird es wohl wieder nur eine geschlossene Gesellschaft sein, die da was ausmauschelt – die anderen bleiben draußen.

Der zweite Teil der Aufgabe ist noch unmöglicher. Der Hauptverband soll die Finanzierung aus einer Hand – oder wie es neuerdings heißt „aus einem Topf“ – vorbereiten, bei Beibehaltung der Verhandlungshoheit der einzelnen Krankenkassen. Alleine darüber nachdenken macht einen Knopf im Kopf.

Was weiß man noch?

Da gibt es eine ganze Menge Arbeitsgruppen; die meisten und offiziellen im Hauptverband, aber auch jede andere Gruppe, ob in Verhandlungen eingebunden oder nicht, hat solche inoffiziell eingerichtet – die Ärzte, die Pharmaindustrie, die Länder, die einzelnen Kassen, das Ministerium, die Parteien etc. Wer da was arbeitet, weiß man nicht – man kann aber vermuten, dass sich alle sicherheitshalber aufrüsten – für den Tag danach, also den 1. Juli.

Ach, und dann gibt es bereits erste Aussagen. Die Ärzte meinten vor zwei Wochen noch, dass es unmöglich ist, in so kurzer Zeit ein Konzept vorzulegen. Letzte Woche dann der Schwenk, jetzt soll doch was Gescheites rauskommen. Was mag passiert sein?

Der Minister hat ausrichten lassen, dass er keinesfalls eine Fristverlängerung zulassen will. Weiß er bereits mehr?

Und jetzt wage ich eine Prognose!

Im Konzept wird stehen, dass die Steuerzahler zu ihrem eigenen Wohl mehr in die Kassen zahlen „dürfen“, natürlich ohne demokratisches Mitspracherecht. Argumentiert wird das mit den kassenfremden Leistungen. Die Selbstverwaltung bleibt in ihrer derzeitigen Form, mit allen Kassen und ihren Verhandlungshoheiten bestehen, der Hauptverband dient dazu, die zusätzlichen Steuergelder nach irgendeinem abstrusen Schlüssel zu verteilen. Damit werden die Kassen erhalten und der Hauptverband hat seinen „Topf“.

Die Ärzte werden ruhig gestellt, weil durch die Kassen-Entschuldung und den damit wegfallenden Zinszahlungen (die meisten Schulden haben die Kassen bei den Steuerzahlern, die also nicht nur die Schulden bezahlen, sondern gleichzeitig auch auf Zinsen verzichten werden müssen), Spielraum für Honorarsteigerungen sein wird.

Die Länder, nachdem ihnen erlaubt wurde, deftige Schulden aufzubauen, um ihre Lieblingsspielwiese – die Spitäler – weiter zu kultivieren, haben ohnehin bereits klargemacht, dass sie vor 2013 keinen Reformbedarf sehen.

Und damit sind alle glücklich. Nur für die, die nicht dabei sind, was die geschlossene Gesellschaft beschließt, wird das Ergebnis vermutlich die Hölle – seien es wir Steuerzahler oder unsere Kinder.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ernsthaft oder trickreich?

Der Hauptverband will bei den Spitälern mitreden; sehr vernünftig und sehr schwierig. Wird daraus eine Reform oder doch nur eine Geldbeschaffungsaktion?

Es ist 19:30, Freitag: Herr M. (54) betritt den Untersuchungsraum der Unfallambulanz des Spitals A. Als der Arzt fragt, wie lange denn das Fußgelenk weh tut, antwortet Herr M: „14 Tage, seit er mit Freunden Fußball gespielt hat – und das in seinem Alter! Kindisch! Aber lustig war’s schon“. „Ob er beim Hausarzt war“, will der Arzt wissen. „Nein, erstens müsse man da lange warten und dann hat es sich gerade gut getroffen, weil er in der Nähe einen Termin hatte und die Schmerzen schnell einmal abklären lassen wolle“. Eine halbe Stunde später geht der Patient mit einem Röntgen und einer Heparinsalbe gegen seine Verstauchung nach Hause.

Was hat so ein Patient in einer Unfallambulanz zu suchen? Nichts! Aber warum ist er dort? Weil das System der ambulanten Versorgung nicht richtig funktioniert!

Aus den Medien kann man entnehmen, dass der Hauptverband mehr Mitsprache in den Spitälern anstrebt, weil eine Sanierung der Kassen nur funktioniert, wenn man niedergelassene Ärzte und Spitäler als Teile EINES Systems denkt. Dieses Ansinnen ist absolut richtig. Aber wird ehrlich argumentiert?

Hauptargument ist, dass die Kassen viel in die Spitäler zahlen, ohne mitreden zu dürfen. Zwar stimmt das, aber dieses Schicksal ist selbst gewählt. Vor vielen Jahren haben sich die Kassen freiwillig aus dem Spitalswesen zurückgezogen. Man hat vereinbart, dass sie nicht mehr an den realen Kostensteigerungen beteiligt sein sollen, sondern nur mehr einen fixen Prozentsatz ihrer Einnahmen abliefern.

Für die ambulante Versorgung hat das nichts weniger bedeutet, als dass sie 1995 in zwei separate Welten zerhackt wurde – die Spitalsambulanzen und die niedergelassenen Ärzte. Und um die Ambulanzen mussten sich die Kassen nun keine Sorgen mehr machen. Dass die 400 Millionen Euro, die sie dort einzahlen, heute nur mehr ein Drittel der Kosten decken, ist für sie unerheblich, und dass sich die Zahl der Patienten in den Spitalsambulanzen seither um 60 Prozent erhöht hat, nebensächlich! Wenn man solche Zahlen betrachtet, dann kann man sehen, dass das Argument, es werden immer mehr Leistungen aus dem Spital zu den niedergelassenen Ärzten verlagert, falsch ist. Genau genommen kam es zu einer massiven Verschiebung in die Spitäler.

Und weil die ambulante Versorgung vollkommen dezerebriert in zwei unabhängige Welten getrennt wurde, und weil weder Leistungen, noch Öffnungszeiten, noch sonst irgendetwas gegenseitig abgestimmt wurden, war es logisch, dass Doppelgleisigkeiten aufgebaut wurden. Schätzungen gehen davon aus, dass diese jährlich etwa 500 Millionen Euro kosten. Anders ausgedrückt wurden additive Leistungen, die niemandem helfen, provoziert, die gesamtwirtschaftlich betrachtet viel Geld verschlingen, auch wenn die Kassen betriebswirtschaftlich „scheinbar“ entlastet wurden.

Was ist also gemeint, wenn der Hauptverband mehr mitreden will?

Will er die Fehler der Vergangenheit ausmerzen? Will er jetzt EINEN Leistungskatalog mit einheitlichen Honoraren für Ärzte und Spitalsambulanzen einführen? Will er ein vernünftiges Bedarfsberechnungsmodell einrichten, um die Doppelgleisigkeiten zu reduzieren? Wem wird er das Geld dafür wegnehmen wollen? Den Spitalsambulanzen (und damit den Ländern) oder den niedergelassenen Fachärzten?

Soll es wirklich eine Reform geben oder ist es wieder nur ein Trick, Steuergeld in die Kassen zu spielen, die dann über Schulden der Länder im Staatsdefizit landen?

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Als ob es kein Morgen gäbe oder nach uns die Sintflut

Uff! Ich dachte schon, es müsste wirklich Reformen geben, jetzt wo das Geld auszugehen drohte! Gott sei Dank haben wir noch ein paar Milliarden gefunden.

Jetzt ist sie also aus dem Sack, die Katze. Statt Reformen gibt es wie üblich mehr Geld – und das überreichlich.

Den Ländern geht es am besten! Zwar gibt es seit 40 Jahren keinen ernstzunehmenden Experten, der nicht erzählt, dass das Spitalswesen reformiert gehört, aber was sind schon 40 Jahre. Jetzt, weil eben die Spitäler nicht mehr finanzierbar schienen, hat man tatsächlich hoffen dürfen. Immerhin liegen 30 von 100 Österreichern einmal im Jahr im Spital. Die Deutschen – auch nicht schlecht, was die Spitalshäufigkeit angeht – schaffen 20, in der EU liegt der Wert bei 17. Und ein Spitalsaufenthalt kostet im Schnitt 3.000 Euro! Da könnte man doch meinen, dass Vernunft statt Populismus am Zug ist. Falsch gedacht!

Nur um nichts ändern zu müssen, hat man den Ländern schlicht „erlaubt“, Defizite zu schreiben. Und wir sprechen hier nicht von Peanuts. Statt 1,4 Mrd. Euro ins Budget einzuzahlen, machen sie jetzt 1,4 Mrd. Schulden. So erhöht sich der „Spielraum“ der Länder für Weihnachtsmannpolitik auf jährlich fast 3 Mrd. Euro (40 Mrd. Schilling). Da kann man dann Spitäler betreiben, ob man sie braucht oder nicht!

Und auch bei den Krankenkassen hat man sich nicht lumpen lassen. Pro Jahr gibt es mindestens zusätzliche 250 Steuer-Millionen. Also, wenn man nicht will, braucht sich gar nichts ändern! Hier scheint noch nicht alles verloren, denn der jetzige Hauptverbandschef Dr. Schelling spricht Probleme offen an und möchte was ändern. Man nimmt ihm ab, dass er nicht daran glaubt, dass man das System auf Pump aufrecht halten kann. Doch glaubt das ein anderer politischer Entscheidungsträger außer ihm auch?

Lustig ist das Argument, dass es bereits früher eine so hohe NEUverschuldung gab. Ja, die gab es; aber erstens hatte man damals in den 1970er Jahren keine ALTschulden und zweitens hat man das Geld in Infrastruktur gesteckt. Heute ist das anders. Wir sitzen noch immer auf dem Berg an Schulden, den uns die damalige Politik hinterlassen hat, und wir stecken neue Schulden in Pensionen und Krankenversorgung. Also in Bereiche, die sich nie refinanzieren können, schon gar nicht bei der demographischen Entwicklung. Und während die Häuslbauer der 70er Jahre Werte geschaffen haben, die auch auf dem Markt bestehen, ist der Wert neugebauter bzw. modernisierter Spitäler, die niemand braucht, fraglich.

Aber vielleicht irre ich mich ja. Die sozialistisch-kommunistische Doktrin, die man tot glaubte, betrachtet Geld als marktunabhängiges, gesellschaftspolitisches Instrument. Zwar glauben nobelpreisgekrönte Wirtschaftsphilosophen, dass Geld etwas mit Angebot und Nachfrage zu tun hat, man zwar das Angebot, aber nicht die Nachfrage planen kann, und dass man Schulden zurückzahlen muss; aber vielleicht liegen die ja falsch. Bei einer Staatsausgabenquote jenseits der 50 Prozent und branchenorientierten Konjunkturpaketen auf Pump, ist offenbar die Nachfrage doch planbar. Und Geld hat nur den Wert, den die Politik zubilligt. Konsequenterweise sind Schulden nur solange „wertvoll“, solange die Politik das will. Naja, und in ein paar Jahren wird die wohl hergehen und sagen, wir sind schuldenfrei, einfach so!

Wer nicht will, dass dieses Pyramidenspiel der Schuldenpolitik zusammenstürzt, dem kann man nur zurufen: „Vota Communista“. Alte, Kranke und sozial Abhängige sollten aber in Deckung gehen, wenn sich das alles ein weiteres Mal als Fantasie herausstellt.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Fast-Medizin und Mac-Ärzte

Es kommt wieder Schwung in die fast totgeglaubte Reformdebatte über ambulante Versorgungszentren – ob damit auch was in Bewegung kommt ist fraglich.

Unser knapp zweijähriger Sohn ist bereits im Kindergarten – einem Hort für alle möglichen Infektionen. Und obwohl meine Frau und ich Mediziner sind, fallen Dinge an, die man dem Spezialisten zeigen möchte.

Unseren Kassenkinderarzt haben wir verlassen. Nicht weil wir an seiner Kompetenz gezweifelt haben, sondern weil dieser einfach zu wenig Zeit hatte. Bei jedem Besuch wirkte er gehetzt, Fragen wurden nur in aller Kürze beantwortet. An Konsultationen, die länger als drei Minuten gedauert hätten, können wir uns nicht erinnern. Zudem sind die diagnostischen Möglichkeiten unerträglich eingeschränkt. Labor oder Röntgen erfordern zusätzliche Besuche bei anderen Ärzten – keine Freude mit einem Zweijährigen.

Auch mit einer Spitalsambulanz kamen wir in Kontakt. Die Untersuchung durch den Arzt dauerte keine fünf Minuten. Dieser erhielt die wesentlichen Informationen nicht von uns, sondern von einer Schwester, die uns im Vorfeld befragt hatte. Mit uns wechselte er kaum ein Wort.

Und weil die Situation so ist, wie sie ist, könnte es amüsant sein, wenn es nicht so traurig wäre, dass seitens einiger Ärzte eine schaurige Zukunftsvision entmenschlichter Medizin gezeichnet wird. Von anonymen AVZs (Ambulanten Versorgungszentren), ist die Rede, die „ähnlich einem Fast-food-drive-in“ funktionieren und billig angestellten Ärzten nur fünf Minuten für Diagnose und Therapie lassen würden. Die persönliche Beziehung gehe verloren und der Patient wird wie auf einem Fließband abgefertigt.

Worin soll sich das von heute unterscheiden?

Die Gründe für die schon bestehende Fließbandabfertigung in der ambulanten Versorgung liegen vor allem an der chronischen Unterfinanzierung. Kassenärzte werden nach einem System entlohnt, dass dank 14 verschiedener Honorarkataloge dutzender Krankenkassen nicht nur hoch komplex ist, sondern Leistungen mit zum Teil lächerlich anmutenden Beträgen honoriert. Ein Wiener Arzt (von Kasse zu Kasse variieren die Tarife erheblich) erhält pro Quartal für einen Patienten rund 20 Euro, egal wie oft der kommt. Zusatzleistungen wie Blutabnahmen werden im einstelligen Eurobereich entlohnt. Gagenkaiser sind die meisten Kassenärzte sicher nicht – im Gegenteil, angesichts der Klein- und Kleinstbeträge für ihre Leistungen müssen Ärzte möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit behandeln um überhaupt über die Runden zu kommen.

Aber auch Ambulanzen sind lächerlich unterfinanziert. Anstatt leistungsbezogen zu honorieren, erhalten die Spitäler meist Pauschalen; egal wie viele Patienten behandelt werden oder was es kostet. Und diese Kosten sind durch diese Pauschalen nur mehr zu einem Drittel gedeckt. Das Defizit muss das Spital tragen. Das spiegelt sich dann in der personellen Ausstattung wider; und das bekommen Patienten zu spüren. Wer nicht stationär aufgenommen werden kann, wird halt im Minutentakt abgefertigt.

Fraglich ist, warum Ärzte und Patienten mit diesem System so glücklich sein sollen, wie manche der Öffentlichkeit immer wieder zu vermitteln suchen. Warum die angefeindeten AVZ die heutige Situation verschlechtern sollten ist auch fraglich. Wenn sie auch nur Fließbandmedizin abliefern (was ich persönlich bezweifle), aber wenigstens die Rennerei von Arzt zu Arzt ersparen, wäre doch schon was erreicht. Und für die vielen Ärztinnen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, könnten attraktive Posten entstehen. Wer also wehrt sich dagegen und warum?

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die unsinkbare Titanic

Wann wird das scheinbar unsinkbare Gesundheitssystem erkennen, dass der wachsende Schuldenberg zum Schicksal wird?

In den nächsten 12 Monaten werden im öffentlichen Gesundheitssystem wenigstens 1,3 Mrd. Euro Defizit (3,6 Mio. Euro pro Tag) anlaufen, über eine Mrd. Euro alleine in den Spitälern. Der Schuldenberg wird damit immer größer und ist schon jetzt nicht klein. Neben den Schulden der Krankenkassen, haben einige Bundesländer Spitalsdefizite in ASFINAG-artigen Konstrukten geparkt oder greifen bereits „Bank-ähnlich“ auf Gelder zu, die sie erst zukünftig erhalten werden. Die Spitalsfinanzierung ist es auch, die dazu führen wird, dass die Länder statt den vorgeschriebenen Maastricht-Überschüssen Defizite bauen und so die Staatskasse tiefer in die roten Zahlen treiben.

Die Hoffnung, dass die Gesundheitsversorgung günstiger wird, gibt es nicht. Demographie und medizinischer Fortschritt werden dafür sorgen, dass die Kosten auf Jahrzehnte hinaus weiter steigen. Will man ein solidarisches System behalten, kann man nur schauen, dass das System produktiver wird. Doch statt die Produktivität zu erhöhen, scheint sich alles nur darauf zu konzentrieren, die eigene Macht zu erhalten.

Wegen diesem Schrebergartendenken der Länder, Ärztekammern, Pensionsversicherungen, Krankenkassen, Gewerkschaften etc. ist das Gesundheitswesen in hunderte Kompetenzen zersplittert. Statt EIN System zu errichten, in dem Prävention, Akutbehandlung, Rehabilitation, Pflege und Palliativbehandlung so aufeinander abgestimmt sind, dass Patienten zum richtigen Zeitpunkt, an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhalten, werden alle Strukturen rund um Einzelinteressen abgesichert. Statt miteinander zu arbeiten, leben die Machtkomplexe weiter „völlig autistisch vor sich hin und versuchen die Kostenstruktur einer auf den anderen abzuwälzen“ (Kdolsky 2007).

Eine Strukturreform ist entfernter denn je. Dabei wäre sie gar nicht so groß, wie man denkt. Grob kann man davon ausgehen, das 80 Prozent der etwa 19 Mrd. Euro öffentlicher Gelder richtig eingesetzt und daher von einer Reform gar nicht berührt würden. Sicher gäbe es auch hier Produktivitätsreserven – manche sprechen von 1,5 Mrd. Euro – aber die zu heben scheint unmöglich, da die Politik sich zunehmend in jede Detailfrage einmischt und jede Vernunft, die nicht zur Selbstdarstellung beiträgt, im Keim erstickt.

Viel wichtiger aber, als diese rein „betriebswirtschaftlichen“ Fragen, wäre es, die systemimmanente Verschwendung endlich abzustellen. Das sind echte Zukunftsfragen.

An den Schnittstellen werden aktuell mehr als 1,5 Mrd. Euro pro Jahr „verbrannt“. Wenn es beispielsweise möglich wäre, die Leistungen der Spitäler mit denen der Pflege abzustimmen, könnte man ohne Qualitätsverlust fast 700 Mio. Euro sparen bzw. sinnvoller einsetzen. Doch ein Vorstoß in diese Richtung durch den Hauptverbandschef Dr. Schelling verhallte lautlos. Verständlich, denn um dieses Thema abarbeiten zu können, müssten auf Landesebene Gesundheitspolitiker Kompromisse mit den Sozialpolitikern und alle gemeinsam mit den Krankenkassen und dem Gesundheitsministerium und Hilfsvereinen, Ärztekammern und Spitalsbetreibern eingehen – irreal!

Es wäre Klug, würde statt einer unstrukturierten und destruktiven Global-Defizitdeckung auch für das Gesundheitssystem ein Konjunkturpaket geschnürt, um damit jene Strukturreform zu finanzieren, die garantieren kann, dass das System effizienter und so wirklich eine Verbesserung für die Zeit nach der Wirtschaftskrise wird.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ärztebedarf

Ärztemangel oder -überschuss – das hängt davon ab, wie Ärzte eingesetzt werden: Bleibt alles wie es ist, dann wird es einen Mangel geben.

Ein Politiker hat an einem Sonntag eine Autopanne. Er schafft es gerade noch bis zur nächsten Tankstelle – dort angekommen verlangt er, dass sein Auto repariert wird. Der Tankwart schaut ihn groß an und sagt: „Das ist eine Tankstelle, keine Werkstatt. Ich kann das nicht!“ Empört, dass die Realität nicht seinem Wunsch entspricht, verordnet der Politiker, dass alle Tankstellen hinkünftig Mechaniker anstellen müssen. Seither hat jede Tankstelle zu den Öffnungszeiten (meist rund um die Uhr) einen Mechaniker – und der Politiker ist zufrieden.

Allerdings haben die Mechaniker dort nur wenig zu tun, sodass sie die meiste Zeit nur herumstehen oder etwas anderes arbeiten. Einmal abgesehen davon, dass ihnen Reparaturerfahrung fehlt, müssen sie, um sich selbst zu erhalten, überhöhte Preise verlangen, dass sich kaum jemand leisten kann, sein Auto an der Tankstelle reparieren zu lassen. So kommen Kunden nur im Notfall, und die Mechaniker werden zu einem immer größeren Verlustgeschäft.

Als Folge drohen die Tankstellenbesitzer zuzusperren. Das behagt dem Politiker gar nicht, also tut er, was er in so einem Fall immer tut, nimmt Steuergelder in die Hand und finanziert die Tankstellen-Mechaniker. Da die Tankstellen plötzlich billig, ja fast gratis reparieren, kommen die Kunden in Scharen. Aus dem Verlustgeschäft wird scheinbar ein Gewinn und immer mehr Tankstellen eröffnen. Damit allerdings stellen sie eine so große Konkurrenz dar, dass nun die Werkstätten in Konkurs zu gehen drohen – konsequenterweise bekommen sie auch Steuergelder.

Mittlerweile ist die Mechaniker-Dichte so hoch, dass es eigentlich nicht genug Pannen gibt, um alle zu beschäftigen. Das macht aber nichts, weil alle zufrieden sind. Nun geschieht es, dass die Zahl der Autos steigt. Ökonomen beginnen zu rechnen und stellen fest, dass durch die steigende Zahl demnächst ein Mechanikermangel droht. In diesen Rechnungen wird jedoch nicht nach der Zahl der Pannen gerechnet, sondern nach der Zahl der Mechaniker, die pro Auto zur Verfügung stehen. Man kann es den Ökonomen gar nicht verübeln. Denn um die „Überzahl“ an Mechanikern zu vertuschen, und um jede Werkstatt und Tankstelle zu rechtfertigen – immerhin steckt viel Steuergeld drinnen, das man irgendwie plausibel machen muss –, hat der Politiker nicht ohne Wohlgefallen der Mechaniker, die ja vom Politiker bezahlt werden, verboten, Pannen zu zählen. Gezählt werden dürfen nur Autos und eben Mechaniker, ob nötig oder nicht. Und so kann man wirklich glauben, man wird demnächst mehr brauchen, und es werden mehr ausgebildet; die natürlich immer mehr Steuergeld kosten – das nie auszugehen scheint.

Hat das was mit dem Ärztebedarf zu tun? Natürlich! Um in unseren 180 Krankenhäusern 55.000 Betten mit mehr als 2,5 Millionen Patienten 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr zu betreuen, brauchen wir viele Ärzte, vor allem billige Turnusärzte – egal ob der Patient sie braucht. Und weil so viele Ärzte in den Krankenhäusern mit oft unsinnigen Dingen beschäftigt sind und weil immer mehr Patienten ins Spital gehen (1990 gingen 21 Prozent, 2007 schon 30 Prozent der Bevölkerung einmal pro Jahr ins Krankenhaus, der EU-Schnitt liegt bei 18 Prozent), schaut es fast so aus, als ob wir nicht genug Ärzte produzieren können.

Aber hat schon jemand darüber nachgedacht, ob die Ärzte vielleicht in weniger Krankenhäusern sinnvoller eingesetzt werden könnten.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbstverwaltungsbürokratiekosten

Bunte Wege werden angedacht in der Gesundheitsreform – was soviel heißt wie: Alle Verwaltungsstrukturen sollen erhalten werden und alles bleiben, wie es ist.

Wer kennt sie nicht, die Lüge, dass ein Autokilometer nur Spritkosten verursacht. So gedacht ist Autofahren echt billig. Und weil wir uns selbst so belügen, haben Politiker mit ähnlichen Tricks leichtes Spiel.

Drei Prozent Verwaltungskosten sollen sie haben, unsere Krankenkassen, und damit billig sein. Tja, alleine: So einfach ist die Rechnung nicht.

Aus den offiziellen Angaben kann man bereits erkennen, dass der Verwaltungsbetrieb bei Gesamtausgaben von 13,2 Mrd. Euro 660 Mio. kostet – also schon hier sind es fünf statt drei Prozent. Das ist aber lange nicht alles.

An 10.000 Kassenärzte (inkl. Zahnärzte) werden vier Mrd. Euro ausbezahlt. Glaubt man der Ärztekammer, dann sind die Bürokratiekosten für Kassenordination in zweistelliger Prozenthöhe zu suchen. Glaubt man ihr nicht und setzt ebenfalls fünf Prozent an, kommen zu den oben genannten 660 Mio. Euro noch 200 Mio. dazu – jetzt sind wir bereist bei 6,5 Prozent Verwaltungskosten.

Es geht weiter. Die Ärztekammer erhält zwei Prozent Kammerumlage, das sind 80 Mio.Euro. Die dienen dazu, den Verwaltungsapparat aufrecht zu erhalten. Nun gut, neben der Verwaltung der Kassenärzte (inklusive den Verahndlungen mit den Krankenkassen) werden auch andere Tätigkeiten erbracht. Aber wenn man von 50 Mio. Euro ausgeht, liegt man sicher nicht falsch. Oben dazugezählt betragen also die Bürokratiekosten fast 910 Mio. Euro oder 7 Prozent – zum Vergleich, Kanada kommt mit zwei Prozent aus, hat aber auch ein „böses“ staatliches Gesundheitssystem.

Im stationären Bereich ist das alles noch komplexer. Welche Kosten die Länder- und Gemeindenbürokratien anhäufen, kann man nirgends ablesen. Auch, wie die Milliarden des Gesundheitsministeriums angerechnet werden müssen ist fraglich. Niedrig sind die Kosten allemal nicht. In den Spitälern direkt betragen die Verwaltungskosten 870 Mio. Euro. Wie viel davon auf die Bürokratie entfallen, ist unbekannt – vorsichtig geschätzt sind es 700 Mio., oder 7,5 Prozent der 9,3 Mrd. Euro Gesamtausgaben.

Man liegt vermutlich nicht falsch, wenn man nur in Spitälern und Krankenkassen für die Selbst-Verwaltung des Systems über zwei Mrd. Euro oder mehr als zehn Prozent Kosten ansetzt.

Noch nicht gesprochen haben wir über die Bürokratiekosten bei Medikamenten, in der Pflege oder der Rehabilitation. Da weiß man so gut wie nichts. Und ganz verschwiegen haben wir die Patientenseite. Denn auch die mühsame Recherche, welche Formulare man bis wann wo braucht um ein paar Krücken zu bekommen oder Besuche beim Chefarzt wegen irgendwelcher Bestätigungen kosten was – nämlich Zeit, die man an seinem Arbeitsplatz verbringen sollte. Ja, auch indirekte Kosten sind Kosten, selbst wenn die niemand zählen will – wie den Ölverbrauch beim Auto.

Hohe Verwaltungskosten sind immer dort zu finden, wo eine starke Fragmentierung vorherrscht. Und da sind wir spitze. 80 Krankenkassen und Krankenfürsorge-Anstalten, der Hauptverband, die Pensionsversicherung, die Privatversicherungen, der Bund, neun Länder, hunderte Gemeinden, zehn Ärztekammern und viele Gewerkschaften reden mit. Deswegen haben wir 4.000 Finanzströme, die verhandelt und verwaltet werden müssen.

Will man wirklich Verwaltungskosten reduzieren, muss man die Verwaltung vereinfachen. Aber wer wird sich dafür einsetzen? Die, die von den Milliarden gut leben? Politiker, die diese Bürokratie brauchen um genug Versorgungsposten für ihre eigenen Schäfchen zu haben?

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.