Theorie und Praxis der Hausarztausbildung

Auf dem Papier ist die Ausbildung von Hausärzten gar nicht schlecht. Aber Papier ist geduldig und die Praxis halt ganz anders – auch wenn das einige nicht einsehen wollen.

Die Idee ist bestechend. Da ein Hausarzt ein breites Wissen haben soll, soll er eine breite Ausbildung genießen. Um das zu erreichen, gibt es den Turnus. Das ist eine Zeit, in der Jungärzte, nach dem theoretischen Studium, an möglichst vielen unterschiedlichen Spitalsabteilungen Praxis „lernen“ sollen.

Und so muss man, will man Hausarzt werden, auf einer Abteilung für Innere Medizin mindestens ein Jahr bleiben. Für Chirurgie, Frauen- bzw. Kinderheilkunde sind je zumindest vier, für Neurologie, HNO und Dermatologie jeweils zwei Monate vorgeschrieben; und dann kann man sich zwei weitere Fächer wie Augen, Orthopädie oder Lungenheilkunde aussuchen, da muss man je drei Monate bleiben. Macht zusammen wenigstens drei Jahre, nach denen man ein fertig ausgebildeter Hausarzt sein sollte – theoretisch.

Das Konzept stammt aus der Nachkriegszeit. Damals war es vermutlich zielführend. Das medizinische Wissen betrug, verglichen mit heute nicht einmal ein Hundertstel (!) und die Spezialisierung war noch rudimentär. Es war durchaus möglich, innerhalb von zwei Monaten genug über Neurologie zu lernen, um für den hausärztlichen Alltag gerüstet zu sein. Heute ist das anders. Und nur nebenbei, im internationalen Vergleich dauert die Ausbildung zum Hausarzt bei uns am kürzesten. Alleine das sollte Hinweis genug sein, dass irgendetwas nicht stimmt.

In der täglichen Praxis ist es dann noch viel schlimmer.

Die Medizin ist eben hochkompliziert geworden. Es ist für jede Spitalsabteilung schwierig genug, mit dem medizinischen Forstschritt schritt zu halten. Um das auch nur irgendwie hinzukriegen, muss jeder Abteilungsleiter versuchen, aus seinen fix angestellten Ärzten ein Team zu bilden, damit Aus- und Fortbildung auf alle verteilt wird und Neues möglichst rasch auch von allen in der Praxis gelebt werden kann.

Und dann kommt der Turnusarzt (TA) daher – er wird ein paar Monate bleiben und dann wieder verschwinden. Wie viel Energie wird wohl darauf verschwendet werden (können), ihn wirklich in diesem Team einzubinden? Noch dazu ist das Niveau, das der TA mitbringt, naturgemäß weit von dem entfernt, was tägliche Praxis ist – schließlich ist er ja blutiger Anfänger. Und so ist es meistens (nicht überall!) Usus geworden, das seine Ausbildung halt so „mitläuft“.

Am Ende, und das zeigt die tägliche Praxis, wird für den TA nur die Arbeit übrig bleiben, die die höchste Entlastung für die Kernmannschaft (inklusive dem Pflegepersonal) darstellt – und das sind systemerhaltende Routinearbeiten, die mit Ausbildung nichts zu tun haben – Patienten aufnehmen, Blut abnehmen, Infusionen anhängen, Spritzen geben und Bürokratie erledigen. Und das macht der TA dann an jeder Abteilung, die er durchlaufen muss.

So ist der TA vom Auszubildenden zum Systemerhalter geworden. Und weil der Stundenlohn sogar unter dem einer diplomierten Pflegekraft liegt, gleich auch zu einem billigen. Die Folge davon ist, dass, ähnlich der Zwangsarbeit im Zivildienst, ohne die Rettung oder Alten- und Behindertenbetreuung nicht funktionierte, die Spitäler ohne die Arbeitskraft der TÄ nicht mehr betrieben werden könnten. So ist es auch zu verstehen, dass jene, die eine Spitalsreform für überflüssig halten (vom Gesundheitsminister bis zu den Landeshauptleuten) mit diesem Ausbildungssystem zufrieden sind. Dass einige allerdings öffentlich behaupten, so gut ausgebildete Hausärzte zu produzieren ist schon Chuzpe.

Dieser Artikel wurde im Mai 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Markt, Populismus und das Gesundheitswesen

Griechenland überschattet alles, was sonst so an politischem Handeln passiert. Es ist schwierig sich dem zu entziehen – eine Reflexion über Moral.

In all diesem wirtschaftlichen Schlamassel werden sehr schnell Schuldige gefunden, seien es Spekulanten oder Ratingagenturen. Schuld sind also der Markt und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche – also andere. Der liberale Weg war eine Fehlentwicklung, heißt es, und der Staat (also die Politiker), muss autoritärer (totalitärer) werden.

Nun, hat denn der Markt wirklich versagt? Eigentlich nicht! Er macht genau das, was er für richtig hält. Allerdings, und das stößt unangenehm auf, gefällt das vielen nicht. Sie sind der Meinung, dass das, was passiert, böse und unmoralisch ist.

Und genau darin sind die Lügen zu finden; denn, haben wir noch so etwas wie einen moralischen Konsens?

Im Gesundheitssystem versprechen alle Politiker, dass allen alles überall auf allerhöchstem Niveau feilgeboten wird, kostenlos. Doch ist das so? Natürlich nicht! Abgesehen davon, dass wir wegen fehlender Qualitätsmessung gar nicht wissen, welches Niveau wo existiert (es ist zu vermuten, dass es ganz grausliche Unterschiede gibt) kostet das Gesundheitssystem sehr viel Geld. Doch die Frage, ob es uns das auch Wert (eine moralische Frage!) ist, diese Frage wird tunlichst vermieden. Ja, es gilt sogar als unmoralisch nicht davon auszugehen, dass Gesundheit unendlich viel Wert ist. Unter diesen Bedingungen muss das System demnächst auch unendlich viel kosten (die ja jemandes Einkommen sind!) dürfen. Doch erstens, ist das realistisch, und zweitens ehrlich?

Wenn man an die Versuche denkt, alle Spitäler, die meist unter dem Blickwinkel des Wohlfühl- und Zufriedenheitsfaktors und nicht der Gesundheitsversorgung betrachtet wurden, nun auch als wirtschaftlich sinnvoll darzustellen, dann ist das bedenklich; und wenn der Gesundheitsminister allen Experten widerspricht, dass im Spitalswesen Geld zu sparen ist, sondern einstimmt in den Chor der unendlich kostbaren Spitalsversorgung, beängstigend. Denn mit „Moral“ oder wenigstens nur Wahrheit hat das nichts zu tun.

Wenn mit Zahlen operiert wird, die gelogen sind, nur damit niemand besorgt fragen könnte, ob denn doch was nicht stimmt, dann ist das arg. Denken wir nur an die nicht erfassten Ausgaben bei den Wahlärzten, die nur deswegen verschwiegen werden, weil die ohnehin hohen Selbstbehalte offiziell nicht noch höher werden dürfen.

Wenn Ärzte Patienten nicht die Wahrheit erzählen, sondern gefällige Interpretationen von oft selbstgestrickten Daten referieren, nur um einem ernsten Gespräch zu entgehen und „ewiges“ Leben versprechen können, wenn Patienten auf Intensivabteilungen gequält werden, nur weil die Gesellschaft (von oben verordnet) sich dem Problem Lebensqualität versus Lebenslänge entzieht und den handelnden Ärzten kein moralisches Gerüst bereitstellt um diese heiklen Fragen im Alltag zu klären, dann ist das alles unmoralischer Selbstbetrug.

Wenn also Populismus jegliche Werte ersetzt, wenn die Maxime des Handelns Stimmmaximierung ist, ja dann dürfen wir uns nicht wundern, dass der (logische und unmoralische) Markt, dessen Ziel Gewinnmaximierung ist, kurzsichtig, destruktiv und gefräßig handelt. Der Markt ist so nur Spiegel unseres eigenen Versagens.

Und wenn man schon liberalem Gedankengut die Schuld zuschieben will, dann nur dahingehend, dass Liberale zu naiv sind. Denn sie glauben tief in ihrem Herzen, dass demokratisch gewählte Politiker die Freiheit weniger missbrauchen als Diktatoren. Aber wahrscheinlich liegen sie hier falsch.

Dieser Artikel wurde im Mai 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Länder als Spitals-Monopolisten

Die Länder bestimmen nicht nur den Preis der Spitalsversorgung, sondern auch, wer und was gut und böse ist – eigentlich eine untragbare Situation, die aber niemand ändern kann.

Herr M. ist gerade aus dem Spital entlassen worden und hat zum Abschied einen Fragebogen erhalten. Er solle doch bitte ausfüllen, wie zufrieden er war. Und weil er erstens, von seinen Schmerzen befreit, glücklich ist und zweitens niemanden, den er vielleicht noch einmal braucht, verärgern will, wird der Fragebogen zur Lobeshymne. Lustig, er wird später im Tag noch einmal befragt, am Telefon und von einer deutschen Stimme, der erzählt er dann schon Genaueres – und anderes.

Aber das macht nichts, weil in dem Bundesland, in dem er behandelt wurde, ohnehin nur der Fragebogen als Wahrheit anerkannt wird. Und da sind die Ergebnisse jedes Jahr beeindruckend; Lob über Lob – ja so wünscht das die Politik; und erhält es.

Dass das möglich ist, hängt mit der Monopolmacht der Länder in der Spitalsversorgung zusammen. Durch diese bestimmt die Landespolitik, was gut und böse, was richtig und falsch ist und auch wo es Veränderungen oder Verbesserungen geben darf, und wie diese auszusehen haben.

Die Macht des Monopols haben sich die Länder selbst gegeben. Kaum jemand weiß, dass Spitäler etwa 30 Prozent Defizit machen „müssen“, einfach deswegen, weil die Honorare für ihre Leistungen nicht kostendeckend sind. Und so muss jedes Spital zur Landespolitik betteln gehen, damit diese die Defizite deckt – das erhöht die Macht. Die Idee, die Gelder dieser „Defizitdeckung“ in die Honorare hineinzurechnen, wird seit Jahren verweigert. Das würde Transparenz und Gerechtigkeit der Mittelverteilung erhöhen, ist aber aus machtpolitischer Sicht undenkbar. Und nebenbei, das Geld, das die Länder gnädig verteilen, holen sie sich beim Bund, nicht bei der eigenen Bevölkerung.

Aber es geht noch weiter. So betreibt in Niederösterreich die Landespolitik bereits alle Spitäler und hat Durchgriff auch auf die kleinsten Entscheidungen – und nützt das auch. Interne Kritiker werden einfach gekündigt und mit einer Art landesweitem Berufsverbot belegt. An zweiter Stelle liegt die Steiermark, in der 84 Prozent der Spitalsbetten direkt dem Land unterstellt sind – auch hier unterbindet die Politik jegliche Vernunft und hat jene, die diese zu laut eingefordert haben, einfach in die Wüste geschickt. Am Ende gibt es gerade einmal drei Bundesländer, die weniger als 70 Prozent „Marktanteil“ haben. So wird Konkurrenz unterbunden und die kurative Kraft des Wettbewerbs erfolgreich verhindert. Und jeder, der innerhalb des Systems steht, der wird darauf hingewiesen, dass Verbesserungsvorschläge ausschließlich aus den Büros der Landespolitik kommen dürfen.

Im Herbst werden die Budget-Grauslichkeiten über uns kommen. Steuererhöhung wird es geben, so viel ist fix. Was die Ausgabenseite betrifft, da herrscht Ideen-Leere. Zwar wissen alle, dass in der Spitalsversorgung ein bis zwei Milliarden Effizienzpotential liegt, aber wer kann Monopolisten befehlen, effizienter zu werden? Und dank der Eradikation interner Kritiker, findet man kaum jemanden, der diese Potentiale darstellen könnte. Also wird es mehr Geld geben um die Unvernunft weiter walten zu lassen – Steuergeld.

Und weil es so ist, kann jedem, der in der Spitalsversorgung weiter arbeiten will nur dringendst empfohlen werden, Süßholz zu raspeln, bis es weh tut, und nur ja keine Verbesserungen zu sehen oder es gar wagen, diese vorzuschlagen. Denn es wird einer Revolution bedürfen, um die Monopolisten zu zerschlagen – doch die zeichnet sich nicht ab.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ambulante Gesundheitsversorgung – Chaos pur

Das Regel-Chaos in der ambulanten Versorgung ist unerträglich und behindert eine vernünftige Entwicklung – am Ende zum Schaden für die Bevölkerung.

Kaum jemand, der, wenn er einen Arzt besucht, weiß, welches Regel-Chaos sich hinter diesem Besuch verbirgt. Ein Normalbürger geht entweder zu seinem Kassen- oder Wahlarzt, oder in die Spitalsambulanz oder aber in ein Ambulatorium. Dass sich dahinter unterschiedlichste Gesundheitssysteme verbergen, bleibt verborgen.

Von der Patientenzahl her dürften Kassenärzte wohl die wichtigsten sein. Ob das auch für ihre Versorgungswirksamkeit gilt, weiß man nicht. Am Ende werden dort über 110 Millionen Arztbesuche pro Jahr gezählt. Wo es Kassenordinationen gibt, legen Ärztekammer und Kassen im Verhandlungsweg fest. Das Leistungsspektrum wird durch Honorarkataloge bestimmt, von denen es 14 unterschiedliche gibt – fünf für die sogenannten kleinen Kassen und neun für die neun Gebietskrankenkassen. Diese Kataloge sind alles andere als logisch, und funktionieren nach allem, nur nicht nach dem „Gleiches Geld für gleiche Leistung“- Prinzip. Denn die Leistungen sind das Produkt von 50 Jahren Verhandlungen zwischen Dutzenden Kassen und föderalen Ärztekammern. Kein Mensch weiß mehr, was sich die Verhandler bei den Leistungen und den damit verbundenen Honoraren gedacht haben.

Bei den Wahlärzten, von denen es mehr als Kassenärzte gibt, sind diese Kataloge weitgehend egal, weil sie nach dem Kostenerstattungsprinzip funktionieren, also nicht mit den Kassen, sondern mit den Patienten verrechnen, und ihre Honorare selbst festsetzen. Wo es Wahlärzte gibt ist ebenfalls ungeregelt. Das einzige was Wahlärzte mit Kassenärzten verbindet ist die Tatsache, dass beide keine Ärzte anstellen dürfen.

In den Spitalsambulanzen wiederum arbeiten nur angestellte Ärzte; wie viele ist aber ungewiss. Welche Leistungen erbracht werden ist ebenso unbekannt, wie die Menge der erbrachten Leistungen, nicht einmal das Patienten-Zählen funktioniert. Das Einzige, was man weiß, ist, dass sie in einer Grauzone arbeiten. Denn eigentlich sind sie nur für ambulante Patienten zuständig, die eine Versorgung brauchen, die es im niedergelassenen Bereich nicht gibt. Weil man aber weder da noch dort weiß, was es wirklich gibt, machen Ambulanzen mittlerweile alles.

Und schließlich mischen Ambulatorien mit: Wo es welche geben und was dort gearbeitet werden darf, ist Ländersache – die haben den Bedarf zu prüfen. Was allerdings die Bezahlung betrifft, da sind meist die Kassen in der Pflicht. Und um es nicht zu einfach zu machen: Die Vertretung der Ambulatorien ist – irgendwie artfremd – die Wirtschafts- und nicht die Ärztekammer.

Und weil die Verwirrung nicht groß genug scheint, wird es demnächst Ärzte-GmbHs nach dem Stöger-Modell geben: ein Hybrid aus Ambulatorium und Ordination. Es dürfen nur Ärzte, die in der Ärztekammer bleiben, dabei sein, Ärzte dürfen nicht angestellt werden und wo sie entstehen ist Ländersache, der Bedarf muss also von Amtswegen geprüft werden – außer die Ärzte, die seine GmbH gründen wollen, haben einen Kassenvertrag, dann ist es Sache der Kassen.

Alles sehr transparent halt.

Dabei hat der EuGH Österreich genau wegen dieser Intransparenz verurteilt und aufgefordert, endlich Regeln, die für alle gleich gelten, einzuführen. Aber das käme einer Reform gleich, die niemand will.

Praktisch bedeutet das aber Rechtsunsicherheit. Ärzte werden ihre Investitionsüberlegungen dementsprechend anstellen; mit der Folge, dass der ambulante Bereich weiter geschwächt wird – aber vielleicht ist das ja das Ziel.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Nur Mut, Herr Dr. S.!

Jeder hat gesagt es geht nicht. Dann kam einer, der hat das nicht gewusst und es einfach gemacht! Ob der Hauptverbandschef so einer ist?

„Wenn man seit langem die Diagnose über das österreichische Gesundheitssystem kennt, wenn man alle Daten, Fakten und Zahlen am Tisch hat und trotzdem nichts unternimmt, um den drohenden Kollaps oder sogar Infarkt abzuwenden, dann ist das Selbstmord mit Anlauf.“

Sowas hört man eigentlich nur von Experten, die es sich leisten wollen, nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“ zu leben. Von hohen System-Vertretern ist das nicht zu hören. Dr. Schelling war da immer schon anders. Sogar während der ersten Monate seiner Hauptverbandstätigkeit war von ihm noch mit harter (Selbst)Kritik zu rechnen. Allerdings verflachte er dann für einige Zeit – um sich nun stark zurückzumelden.

Acht bis zehn Milliarden Euro Schulden (Anm.: 100 Prozent Verschuldung, gemessen am Jahresumsatz) lägen in den Spitälern verborgen und Unwilligkeit wird als Unmöglichkeit getarnt – ja, so was hört man nicht gerne.

Ob jedoch brennende Reden ausreichen? Die Länder blockieren selbst unter Bruch von Gesetzen und m.E. sogar der Verfassung. Das darf nicht verwundern, hat doch heute eine rechtlich nicht einmal vorhandene Landeshauptleutekonferenz mehr Macht als die vielen legislativen Einrichtungen, von Landtagen, über Bundesrat bis zum Nationalrat.

Wenn also Dr. S. wirklich was ändern will, dann müssen mutigen Reden noch mutigere Taten folgen. Und da gäbe es tatsächlich etwas!

Die stationäre Spitalsversorgung (ohne Ambulanzen) kostet etwa acht Milliarden Euro, 3,5 davon kommen von den Kassen. Pro Patient heißt das, dass von etwa 3.200 Euro die Kassen 1.400 beisteuern.

Dass bei uns viel zu viel im Spital behandelt wird, ist Allgemeinwissen. Werden bei uns pro 100 Einwohner etwa 30 Aufnahmen gezählt, kommt Deutschland, an zweiter Stelle in der EU, mit 20, die EU mit 17, die Niederlande gar nur mit 11 aus.

Was also, wenn der Hauptverband hergeht und pro Aufnahme, die seine Vertragspartner, die Kassenärzte, nachweislich verhindern, einfach 1.000 Euro einbehält. 500 Euro kriegen die Kassenärzte und 500 werden zum Schuldenabbau verwendet. Was hätte das für Folgen?

Die Kassenärzte würden mehr Geld verdienen, allerdings nur, wenn sie auch versorgungswirksamer werden – es ist also nicht nur eine Gehaltserhöhung, sondern ein echter Leistungsanreiz, der wirklich ambulant vor stationär fördert.

Gleichzeitig würden jene, vorwiegend kleine, Spitäler, die zu einem Gutteil von unnötigen Aufenthalten leben, unter noch größeren Druck geraten. Der Druck wäre so groß, dass die Länder über Spitalsreformen reden müssen, sollen ihre Defizite nicht in astronomische Höhen schnellen.

In den großen Spitälern wiederum würde viel sinnlose Arbeit verschwinden, weil Patienten, die eigentlich nicht ins Spital gehören, wegfallen. Die Ärzte könnten sich wieder auf „echte“ Fälle konzentrieren. Auch entstünden Freiräume, die dringend nötig sind, um die Ausbildung der Jungärzte auf ein „normales“ Niveau zu heben und den Spitalsärzten Zeit zur Fortbildung zu verschaffen.

Und alles zusammen würde patientenfreundlicher und qualitativ besser werden!

Das wäre toll, würde aber Blut, Schweiß und Tränen kosten; denn, Länder und Interessensgruppen – immerhin verdienen abertausende mit überflüssigen Spitälern sehr bequem ihr Geld – werden alles tun, das zu verhindern Es würde Klagen hageln und an jeder Ecke das Leichentuch gehisst werden. Aber das ginge vorbei und ein mutiger Redner könnte als mutiger Sozialreformer in die Geschichte eingehen.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wie naiv sind wir eigentlich?

Die Reaktionen auf mein Plädoyer, keine weiteren Regulierungen im Bereich der Medikamentenversorgung einzuführen, waren heftig.

Es ist merkwürdig, dass die Verteidigung marktwirtschaftlicher Strukturen, wenn sie im Gesundheitswesen sind, zu Unverständnis führt. Alleine das öffentliche Kundgeben, dass der Grad der Regulierung des Marktes Grenzen besitzt, macht einen in Österreich zu einem Verdächtigen. Und trotzdem bekenne ich mich dazu – ich glaube nicht daran, dass durch noch mehr staatliche Regeln Einsparungen bei den Medikamenten erreichbar sind.

Den wenigsten ist bekannt, dass Medikamentenpreise hierzulande von einem staatlichen Monopoleinkäufer, dem Hauptverband, festgelegt werden. Wer ein Medikament verkaufen will, kann das entweder privat machen, in Krankenhäusern verkaufen oder aber über die Kassen.

80 Prozent aller verkauften Medikamente werden von den Kassen bezahlt, die gesetzlich nicht mehr als den EU-Durchschnittspreis bezahlen dürfen. Wenn ein Generikum auf den Markt kommt, dann schreibt das Gesetz genau vor, wie teuer es sein darf. Ab dem dritten Generikum haben alle, ob Original oder Generikum, den gleichen Preis.

Mit dieser Regulierung haben wir es geschafft, dass die Preise niedrig sind. Was also soll es bringen, wenn zu diesen Regeln eine weitere kommt, und ein Preiskampf angefacht werden soll, wie es in Salzburg angedacht ist?

Kaum ist bekannt, dass die meisten Pharmaunternehmen kleine oder mittlere Unternehmen sind, die mit ein oder zwei Produkten versuchen, über Wasser zu bleiben. Jeder denkt nur an die internationalen Multis. Was aber würde für die kleinen so ein Preiskampf bedeuten? Ganz einfach! Die Großen, die es sich leisten könnten, mit neu eintretenden internationalen Generika-Unternehmen zu wetteifern, werden beginnen, diese kleinen aufzukaufen. Die ohnehin schon schwer Markt verzerrende Fusionswelle innerhalb der Branche würde angefacht. Die großen werden Oligopole und der Wettbewerb schwächer. Einmal abgesehen, dass mit dem Verschwinden der kleinen auch Arbeitsplätze verloren gehen, bedeutet ein schwächerer Wettbewerb auf Dauer eine Reduktion der Qualität bei steigenden Preisen. So zumindest die marktwirtschaftliche Theorie, die der Meinung ist, dass man sein eigenes Produkt nur über Preis und Qualität von dem der Mitbewerber unterscheiden kann – was dann zu niedrigeren Preisen bei höherer Qualität führt.

Ach die Qualität! Da wollen wir im Gesundheitssystem lieber nichts messen und wundern uns dann, dass die Qualität der Medikamente mehr vom Marketing als von harten Fakten abhängt. Außerdem, Preise regulieren ist ja so viel einfacher!

Die Pharmabranche ist wie jede andere Branche an Gewinnen interessiert – damit muss man leben können. In einer Demokratie kann und soll der Markt reguliert, aber nicht überreguliert werden – das lässt er sich nämlich nicht gefallen, besonders dann nicht, wenn er von internationalen Multis repräsentiert wird.

Solange der Markt regiert, müssen wir Gewinne mitfinanzieren – ohne Neid! Denn was passiert, wenn man versucht, sich diese Gewinne zu sparen? Dann denken wir doch an die AUA, die ÖBB, oder die Landeskrankenhäuser. Überall Milliardengräber, deren Betrieb mehr kostet, als an Erlösen erzielt werden kann und deren Schulden über Steuern zu begleichen sind. Man verliert mehr Geld und – was viel schlimmer ist – Freiheit! Denn der Staat mit seinem Gewaltmonopol wird nicht zurückschrecken, Bürger einzusperren, wenn diese Steuern zurückhalten, weil sie nicht mehr bereit sind, Defizite der ÖBB oder nutzloser Krankenhäuser abzudecken.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Sechs Stunden Wartezimmer

Ärztemangel, zu wenig Geld, Neoliberale – alles ist Schuld am fortschreitenden Versagen des Gesundheitssystems, aber nicht Struktur und Politik! Oder?

Es ist 10:30 Uhr, und er sitzt seit zweieinhalb Stunden im Wartezimmer. In der Früh ist er aufgewacht und hat, zu dem seit einer Woche bestehenden Husten, 39 Grad Fieber bekommen.

Als er endlich drankommt, hat der Arzt vier Minuten Zeit. Dieser hört ihn ab, verschreibt ihm Antibiotika und überweist ihn zur Sicherheit an den Radiologen.

Adresse samt Lageplan des nächsten Röntgeninstituts – eigentlich ein netter Service – hat ihm die Sprechstundenhilfe mit Rezept und Überweisung in die Hand gedrückt.

Beim Radiologen kommt er überraschend schnell dran. Nur zwanzig Minuten nach seinem Eintreffen ist das Röntgen fertig. Allerdings wartet er dann eineinhalb Stunden auf den Befund. Es ist jetzt 14:30 und er ruft beim Hausarzt an, ob er noch vorbei kommen könne. „Nein, heute nicht mehr. Kommen Sie gleich morgen Früh.“

Um 8:00 ist er dort. Als er drankommt, ist es 9:45 Uhr. Der Arzt schaut auf das Röntgen und sagt, dass die Antibiotika schon gut sind, allerdings gefalle ihm das Bild nicht richtig und überweist ihn ohne weiteren Kommentar an einen Lungenfacharzt. Um 9:50 verlässt er die Praxis mit einer neuen Überweisung.

Zuhause angekommen, versucht er einen Termin zu kriegen. Die beiden ersten Lungenfachärzte, die er anruft, teilen mit, dass sie keine Kassenpatienten mehr nehmen können. Erst beim dritten erhält er einen Termin – in drei Wochen! Das nächste Mal, so beschließt er, fährt er gleich in Krankenhaus; da muss man weniger warten, nicht herumfahren und hat seine Diagnose sicher innerhalb von einem Tag!

Was ist denn da los? Wenn man als Patient nach zweit Tagen und 6 Stunden Wartezimmer noch immer seine Diagnose nicht hat, jedenfalls ein Organisationsproblem. Aber es könnte auch ein Ärztemangel vorliegen, wenn man die Wartezeiten ansieht. Doch ist das so?

Betrachtet man die offiziellen Zahlen der OECD, dann haben wir mit 3,7 Ärzte (ohne Zahnärzte) pro 1.000 Einwohner eigentlich gar nicht so wenige Ärzte. Genau genommen sogar viele, da die meisten westeuropäischen Länder weniger haben.

Von den etwa 29.000 fertig ausgebildeten Ärzten arbeiten 12.000 im Krankenhaus. 17.000 sind niedergelassene Ärzte. Von letzteren jedoch haben nur knapp 8.000 einen Kassenvertrag, der Rest sind meist Wahlärzte. Nehmen wir an, 20 Prozent der Bevölkerung kann und will sich den Luxus eines Wahlarztes leisten und rechnen dann auf die Restbevölkerung nur Kassen- und Spitalsärzte. Plötzlich haben wir nur mehr 3 Ärzte pro 1.000 Einwohner. Mit dieser Zahl, landen wir auf den hintersten Rängen, knapp vor Großbritannien und Finnland.

Und schon wird die Sache klar. Uns fehlt es nicht an Ärzten, sondern an Kassenärzten. Noch klarer wird es, wenn wir bemerken, dass die Zahl der Kassenstellen wenigstens seit 1995 (soweit reichen meine Zahlen zurück) unverändert ist, gleichzeitig aber die demographische Veränderung – Stichwort Alterung – immer mehr Ärzte erfordern würde.

Es ist also kein Wunder, dass die Ambulanzen immer voller werden und die Patienten immer schwieriger einen Kassenarzttermin, insbesondere beim Facharzt ergattern können, ja sogar von Kassenärzten abgewiesen werden, auch wenn letzteres meiner Meinung nach nicht korrekt ist.

Und statt sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, was erleben wir tagtäglich? Die Finanzierung der Kassen muss gesichert werden! Nein, Geld ist nicht das Problem, es sind unsere überkommenen Strukturen – die allerdings, will keiner angreifen.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der nächste Sündenfall

Jetzt haben wir (k)ein neues Kapitel in der Gesundheitsreform, wieder Einahmenseitiges und wieder ein Stück weiter weg von Demokratie und Kostenwahrheit.

Dass die Kassen neues Geld kriegen, darf nicht verwundern. Standhafte Politiker hat es vermutlich nie gegeben – sie entstammen einer Sagenwelt, wie die Gesundheitsreform. Und folgt man den Aussagen des Gesundheitsministers in Alpbach, dann ist die Reform dort auch gut aufgehoben. Das beste System braucht keine, schon gar keine Strukturreform, nur eine Weiterentwicklung. Dass über eine Kassenreform nachweislich seit den frühen 1960er Jahren diskutiert wird, dürfte an der für Österreich typischen Reformfreudigkeit liegen. Reformen um der Reformen willen, das macht das Land aus!?

So ist auch das Kassenpaket zu sehen. Die kriegen frisches Geld. Der Steueranteil an deren Einnahmen wird über 25 Prozent (weit über 3 Mrd. Euro jährlich) betragen – aber ohne Reform, also mehr Mitspracherecht des Steuerzahlers. Ganz im Gegenteil, demokratisch legitimierte Volksvertreter haben weniger Einfluss denn je! Kassen werden künftig so agieren, wie sie es sich mit der Ärztekammer ausmachen. Die anderen sollen schweigen und zahlen.

Klar wird das neue Geld öffentlichkeitswirksam an Bedingungen geknüpft – man will zeigen, dass dieses Land noch von einer Regierung regiert wird. So müssen die Kassen belegen, dass sie die ominösen 1,7 Mrd. Euro Einsparungen wirklich realisieren. Einmal abgesehen, dass die dahinterstehenden Milchmädchenrechnungen nicht nachvollziehbar sind, erinnert mich das an jene Auflagen, die die Länder 2005 erhalten haben. Diese mussten gesetzlich innerhalb von vier Jahren 300 Millionen Euro (weniger als 1% p.a.) in den Spitälern einsparen. Als dann 2008 der neue Finanzausgleich vorgezogen wurde, und der Bund den Nachweis verlangte – der natürlich nicht erbracht werden konnte – hat man einfach ins Gesetzt geschrieben, dass die vorgeschriebenen Einsparungen als erbracht betrachtet werden – so leicht ist das, wenn man das Gewaltmonopol hat!

Bleibt der Prosateil des Kassensanierungspapiers. Da steht viel drinnen – lauter Absichtserklärungen. Und auch dafür gibt es historische Beispiele. Wussten Sie z.B., dass bereits 1996 beschlossen wurde, einen Stellenplan für alle niedergelassenen Ärzte verbindlich einzuführen? Jetzt steht das wieder drinnen, und wird als Verhandlungserfolg verkauft. 2005 wurden zum Erhalt der Qualität in Spitälern Mindestfrequenzen gesetzlich fixiert! Kleinstkrankenhäuser wie Bad Aussee stehen aber fester denn je. Papierene Reformen wurden noch nie umgesetzt!

Kommen wir zu den Ländern. Dass deren Sparwille mehr als unterentwickelt ist, ist bekannt. Was werden diese nach dieser Kassen-Einigung denken!? Das die Länder pleite sind, wird offensichtlich. Dass so gut wie jedes Bundesland – trotz anderslautender Meldungen – die Bau- und Investitionsprogramme nach hinten streckt ist nur ein kleines Zeichen. Dass aber bereits in zwei Ländern die Landeskrankenhäuser trotz Landeshaftung keine Bankkredite mehr kriegen, wäre anderswo ein Alarmsignal! Oder doch nicht?

Wenn der Finanzminister schon Kassen nicht in den Konkurs schickt, was wird er erst unternehmen, um die Länder zu retten? Wenn er jetzt so einfach pro Jahr eine Viertel Milliarde Euro zusätzlich aus unseren Taschen zieht, dann werden die Länder für ihre Krankenhäuser sicher eine halbe, oder gleich eine ganze Milliarde mehr kriegen!?

Und dann schaue ich in die Augen meines zweijährigen Sohnes und frage mich: „Wie willst du das alles bezahlen – oder willst du das überhaupt bezahlen?“

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Umgehungsmaßnahmen und „Betrügereien“

Wären Ärzte nicht bereit, das System zu umgehen, um ihre Patienten versorgen zu können, würde die Versorgung längst nicht mehr funktionieren.

Frau M. ist 75, Witwe, ihre Kinder sind von Wien weggezogen, ihre Freunde größtenteils unter der Erde. Frau M geht es so eigentlich gut, aber natürlich ist sie mit 75 nicht mehr ganz gesund. Sie geht, teils weil nötig, größtenteils jedoch weil sie Ansprache erhält, ein bis zwei Mal pro Woche zu ihrem Hausarzt Dr. H. Der ist noch beseelt von seinem Beruf und gehört zu denen, die ihre „seelsorgerische“ Funktion wahrnehmen. Er empfängt Frau M. wirklich fast jedes Mal, um sie zu untersuchen. Klar weiß er, dass er nichts finden wird, aber die „therapeutische Untersuchung“ ist halt was, was zu seinem Beruf gehört.

Eine solche „therapeutische Untersuchung“ nimmt, mit Dokumentation in etwa 10 Minuten seiner Zeit in Anspruch. Da er Frau M. pro Quartal etwa 14 Mal sieht, bedeutet das etwa 140 Minuten seiner Arbeitszeit. Von der Kassa erhält er pro Quartal eine Pauschale inkl. Hausarztzuschlag von 29,50 EURO. Sagen wir, dass ein Drittel davon in die Aufrechterhaltung der Infrastruktur (Miete, Personal, Heizung etc) fließen, dann bleibt für seine Zeit ein Stundenlohn von 8,60 EURO. Würde man das jetzt auf 14 Gehälter und unter Anrechnung der Urlaubszeit umrechnen, sind das heiße 6,20 pro Stunde – brutto!

Davon eine Familie ernähren geht nicht. Also was tut Dr. H.? Einerseits könnte er, wie viele seiner Kollegen, Frau M. sofort weiterüberweisen – am besten in die Spitalsambulanz; was rechtens wäre, aber nicht patientenorientiert (und für uns sehr teuer). Andererseits könnte er bei jedem oder jedem zweiten Besuch ein EKG schreiben. Pro EKG kriegt er 10 EURO und das bessert seinen Stundenlohn auf. Rechtens ist das nicht, weil er nur Leistungen erbringen darf, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; und sooft ein EKG zu schreiben, ist definitiv nicht nötig. Trotzdem hat Dr. H. sich dafür entschieden. Jetzt hat Frau M. eines der bestdokumentierten gesunden Herzen, und Dr. H. fühlt sich wohl, geholfen zu haben, ohne dass seine Familie verhungern muss – dass er damit das System „betrügt“, ist ihm, seiner Patientin und wohl auch den meisten Entscheidungsträgern in der Kasse egal. Es weiß da wie dort ohnehin jeder, dass die Versorgung zusammenbrechen muss, wenn alle Hausärzte Dienst nach Vorschrift machten.

Aber auch im Spital wird das System untergraben. Hierzulande liegen wir 40 Prozent häufiger mit Pneumonie und gleich 300 Prozent öfter mit chronischem Herzversagen im Krankenhaus als die Deutschen. Klar könnten wir glauben, dass wir viel kränker sind und deswegen häufiger ins Spital müssen – rechtlich darf dort nämlich nur liegen, wer aus medizinischen Gründen einer stationären Versorgung bedarf. Real ist das natürlich anders. Wenn heute ein Patient ins Spital kommt, und der Arzt sich nicht sicher ist, ob die ambulante Versorgung, sei sie pflegerisch oder medizinisch, garantiert ist, dann nimmt er den Patienten halt mit irgendeiner Diagnose auf – Gesetz hin, Gesetz her.

Unser System ist schlecht. Keine Rede davon, dass es die realen Bedürfnisse der Versorgung unterstützt, im Gegenteil wird es täglich hinderlicher. Gott sei dank, lebt die Versorgung von Menschen mit Rückgrad, denen Systemvorschriften wurscht sind, wenn sie Patienten helfen müssen. Schade allerdings, dass sie dabei immer „krimineller“ werden. Und das nur, weil die Systemverantwortlichen an Machterhalt interessiert sind, und die eigentliche Versorgung längst aus dem Blick verloren haben.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Machtmissbrauch im Gesundheitssystem

Der Kampf, wer jetzt die Hand sein darf, die alles finanziert, ist ausgebrochen – um in die Organisation einzugreifen und seine Macht auszudehnen!

Chronisch krank sind sie, die beiden Burschen, die letzthin in einer ORF-Sendung zu sehen waren, und ein Paradebeispiel für die Systemfehler. Die beiden brauchen, damit die Folgen ihrer genetischen Krankheit das Leben nicht in Unerträglichkeit verwandeln, regelmäßig Physiotherapie. Doch wer bezahlt diese? Klar ist, beide sind Pflegefälle und es besteht, wie bei allen chronischen Krankheiten, keine Chance auf Heilung, sondern nur auf Linderung. Und weil das so ist, leben sie zwischen den Welten.

Wenn sie zuhause wundliegen oder wegen fehlender Bewegung Lungenentzündungen kriegen, ja, dann erhalten sie ihre (dann viel teureren) Therapien von der Krankenkasse. Durch regelmäßige Physiotherapie Wundliegen und Pneumonie zu vermeiden, das ist nicht Sache der Kassen. Zwar müssen diese Therapien bezahlen, wenn eine Verschlechterung einer Krankheit vermieden werden kann, aber wie ist das bei unheilbaren Krankheiten? In diesem Fall kommt das Argument, dass die Länder zahlen müssen – weil es ja Pflegefälle sind. Länder allerdings sehen ihre Aufgabe darin, Pflegeheime zu finanzieren. Kosten für Physiotherapie zu übernehmen, um eine Einweisung in ein Heim zu vermeiden, also präventiv tätig zu werden, das steht nicht auf deren Aufgabenliste – dafür ist wer anderer zuständig, oder?

Es ist ein zynisches Spiel, das hinter all dem steht. Es ist der Versuch, möglichst dem anderen Kosten zu überlassen. Das geht nicht nur bei den Welten Pflege-Krankenversorgung so, auch bei der Prävention, der Rehabilitation und der Palliativversorgung ist es das gleiche – schlicht überall dort, wo die Finanzierung jeweils jemand anderem gehört. Und am Ende ist das alles nicht nur sauteuer, sondern vor allem unmenschlich.

Deswegen, und wegen nichts anderem, braucht man die Finanzierung aus einer Hand. Das Spiel der betriebswirtschaftlichen Optimierung der einzelnen Finanziers, die noch dazu allesamt Pflicht-Institutionen sind – niemand darf aus diesem Spiel aussteigen und dank Selbstverwaltung in vielen Fällen nicht einmal die Entscheidungsträger abwählen – auf dem Rücken der Patienten und zu Lasten der Steuer- und Beitragszahler muss beendet werden.

Aber, aus der Finanzierung aus einer Hand eine operative Aufgabe abzuleiten, das ist skurril. Doch offenbar verstehen das manche so. Da wird ernsthaft darüber nachgedacht, dass die Umstellung auf so eine Finanzierung dazu führen muss, mit zentralen Büros Krankenhäuser, Ordinationen etc. zu führen.

Das ist aber nicht der Sinn der Finanzierung aus einer Hand. Ganz im Gegenteil. Um umsetzbar zu sein, muss die Organisation so dezentral wie möglich sein. Und dort soll eine demokratisch legitimierte Hand für die Bevölkerung in überschaubaren Versorgungsgebieten alle regional benötigten präventiven, diagnostischen, therapeutischen, rehabilitativen, pflegenden oder palliativen Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen, die sich mit Krankheiten, Symptomen oder Verhaltenstörungen, die ein Individuum aufweist, befassen, einkaufen – von Anbietern, die im Wettbewerb stehen!

Daher sei klar festgehalten: Die Finanzierung aus einer Hand ist kein Garant, aber liefert gute Voraussetzungen, eine integrierte Versorgung aufzubauen in der Patienten zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle mit der richtigen Leistung versorgt werden. Sie ist kein auch nur irgendwie geartetes Argument zentralistischer Machtgelüste.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.