Aber töte nicht den Überbringer!

Den Überbringer schlechter Nachrichten töten und den Vogelstrauss als Vorbild zu nehmen ist mancherorts Maxime politischen Handelns – Gott sei dank nicht überall

Wie die Politik auf die Kritik im Aufdeckerbuch „Verschlusssache Medizin“ reagieren wird, war letzte Woche noch Hoffnungssache.

In NÖ hat sie jetzt reagiert. Dort hat man kurzerhand den Kontrollarzt, der jene unangenehmen Qualitätsberichte erstellt hat, die NÖ in kein gutes, aber eben reales Bild stellen, entlassen. Alternativ wird ein sagenumwobener Masterplan vorgeschützt, den niemand außer denen kennt, die bereits die Qualitätsberichte unterdrückt haben – sehr vertrauenerweckend! Laut Plan soll es 2015 so weit sein, dann haben die Spitäler ein Qualitätssicherungssystem – und was passiert bis dahin?

Mit dieser Aktion hat man aber allen klar mitgeteilt: Wer Fehler aufzeigt wird entlassen, wer Fehler verschweigt, kann sich sicher fühlen. Fast hat es den Eindruck, als ob es da und dort so etwas wie eine politisch ausgestellte Lizenz zum Töten gibt.

Gott sei dank ist das nicht in jedem Bundesland so, denn anderenorts will man aus Fehlern lernen und versuchen, sie zu vermeiden.

Aber irgendwie ist ja auch die mediale Berichterstattung schief gelaufen. Wer hat sich um die Berechnungen gekümmert, die darstellen, wie sich die extrem langen Ärzte-Arbeitszeiten auf die Fehlerhäufigkeit auswirken. Keiner findet ein Wort über das perverse Bezahlungssystem der Spitäler und der Ärzte, die darin arbeiten, das nur Quantität und nicht Qualität entlohnt. All das ging gänzlich unter. Konzentriert hat man sich auf die knackige Zahl von 2.500 Toten durch vermeidbare Fehler. Und genau diese Zahl wird umgehend von den Apologeten des Systems – die das Buch nicht einmal gelesen haben – bekämpft.

Das alles ist unverständlich. Der Spitalsbereich ist so gigantisch. Täglich – an 365 Tage im Jahr – werden 70.000 Patienten mit 700.000 diagnostischen oder therapeutischen Behandlungen versorgt. Erledigt wird diese Herkulesaufgabe von 17.000 Ärzten, denen 59.000 Personen aus medizinischen Berufen helfen. 33.000 Menschen (verglichen mit der Zahl der Patienten ein bisschen viel?!) schauen, dass die Spitäler funktionieren. Wer kann ernsthaft behaupten, dass so ein Betrieb fehlerlos läuft?

Und trotzdem, die Apologeten attackieren die Aufdecker. Da wird argumentiert, dass das Vertrauen erschüttert ist, Qualitätsarbeit aber Vertrauenssache sei, dass man den Datenschutz beachten muss, dass man Patienten nicht verunsichern (aber falsch behandeln?) darf etc. Dass die Politik Patienten vollmundig Sicherheit und allerhöchste Qualität verspricht und damit Verantwortung verbunden ist, das hört man nicht!

Besonders gern wird auch die Anonymität beschworen, die man für eine Fehlerkultur braucht. Man will ja kein „Blame and Shame“-System haben. Ist das wirklich so? Die Unfallspitäler haben ein Fehlermeldesystem eingeführt und siehe da, 80 Prozent der Fehler wurden nicht anonym gemeldet – weil die meisten, die im Spital arbeiten, Interesse haben, Fehler auszumerzen. Die Basis will dieses „Wir sind fehlerlos“-Spiel nicht spielen; sie wollen arbeiten, ohne zu schaden!

Wen also beschützen die Apologeten? Doch nur die, die Fehler partout nicht zugeben wollen. Also in erster Linie sich selbst, weil sie gut von dem System leben. Und natürlich jene Primarärzte, die Angst davor haben, die Politiker, die sie zu Halbgöttern gemacht haben, zu enttäuschen, weil sie zugeben müssten, dass ihre Bereiche doch nicht fehlerlos funktionieren. Patienten werden sicher nicht beschützt – allen Beteuerung zum Trotz.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.