Ein Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin

  Die Rolle der „Hausärzte“ im Gesundheitswesen ist bis heute schwammig.

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   Warum die Einführung eines Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin eine Weiterentwicklung des Gesundheitswesens sein könnte, versteht kaum jemand – sie könnte es aber tatsächlich sein. Aktuell ist der Allgemeinmediziner ein völlig undefiniertes Wesen – überspitzt formuliert, darf er praktisch alles. Das kommt aus der Nachkriegszeit, als Österreich viele Ärzte hatte. Im Krieg waren viele gebraucht und quasi am Fließband ausgebildet worden. Nach dem Krieg gab es daher einen Überschuss.

   Was aber damals wie heute ein Problem war, war die flächendeckende Versorgung mit Fachärzten. Und so hat man den „Hausärzten“ eben alles erlaubt. Sie hatten Röntgengeräte, führten Geburten und Abtreibungen durch, operierten in Vollnarkose etc. Mit dem „Dr. der gesamten Heilkunde“ oder eleganter „Dr. medicinae universae“ war praktisch das Recht verbunden, so gut wie alles zu tun.

   Spätestens ab den 1970ern, als Forschung und Spezialisierung zunahmen, war das eigentlich obsolet. Aber eben nur eigentlich. Denn wir ändern nur ungern etwas. Der „Dr.med.univ.“ ist daher auch heute noch ein undefinierter „Alleskönner“ und „Allesmacher“ ohne klares Profil oder klare Rolle im Gesundheitswesen. Und so darf es nicht verwundern, dass sich die meisten mit Homöopathie, Ästhetischer Chirurgie, TCM und was sonst noch verdingen. Ein Blick auf die Leistungsangebote der „Hausärzte“ zeigt das deutlich. Und nur so nebenbei: Es gibt davon etwa 14.000, aber nur 4.000 davon haben einen Kassenvertrag – 10.000 wollen keinen, weil das System nicht weiß, was es von ihnen will, und es besser ist, sein eigenes Ding zu machen.

   Was auf der Strecke blieb, war die Entwicklung einer modernen Gesundheitsversorgung. Und um nun eine solche zu ermöglichen, wäre ein Schritt, die Ausbildung, Kompetenz und Rolle der „Hausärzte“ im Gesundheitswesen zu definieren. Eine Facharztausbildung macht das möglich – auf den ersten Blick – und nur auf den ersten.

   Denn wenn wir uns anhören, was der „neue“ Facharzt für Allgemein-und Familienmedizin alles machen soll (das Aufgabengebiet umfasst die primäre Gesundheitsversorgung, insbesondere die ganzheitliche, kontinuierliche und koordinative medizinische Betreuung; beinhaltet ist die Gesundheitsförderung, Krankheitserkennung und Krankenbehandlung einschließlich der Einleitung von Rehabilitations-und Mobilisationsmaßnahmen aller Personen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Art der Erkrankung, unter Berücksichtigung des Umfelds der Person, der Familie, der Gemeinschaft und deren Kultur), wird sofort klar, dass dafür eine Verfassungsänderung nötig wäre. Ja, eine Verfassungsänderung, weil praktisch für jede einzelne Aufgabe im System jemand anderer zuständig ist. Die Fragmentierung des Systems lässt nicht zu, dass so ein Facharzt seine Aufgaben erledigt. Das weiß der Gesundheitsminister natürlich – und alle anderen, die das so beschlossen haben, wissen es auch.

   Wagen wir einen zweiten Blick, erkennen wir: Mit dieser Reform wird die verpflichtende Ausbildungszeit der Jungärzte im Spital wie auch in der Lehrpraxis länger. Und weil Lehrjahre keine Herrenjahre sind, wird am Ende also nur die billige Arbeitskraft junger Ärzte mehr. Das ist sicher keine Weiterentwicklung, aber trotzdem ein tolles Ziel für Politiker

„Wiener Zeitung“ vom 27.10.2022 

Die neue Ärzteausbildung – Kritik nach dem Beschluss

Wenn es so käme wie es klingt, wäre es eine revolutionäre Reform – wegen der vielen Fallstricke und den vielen, gravierenden Veränderungen im Laufe des Gesetzwerdungsprozesses wird es am Ende doch wieder nur Kosmetik

 Am Anfang der postpromotionellen Ärzteausbildung steht eine gemeinsamen Ausbildung aller Jungärzte, ein 9 Monate dauernder „Common Trunk“ im Spital in den Fächern Chirurgie und Innere Medizin. Eine Approbation wird es danach nicht geben – eine internationale Besonderheit, die garantiert, dass Jungärzte in Abhängigkeit zu den Ausbildungsstätten gehalten werden. Der Verdacht, dass mit den Studenten im KPJ und den Common Trunk -Ärzten ein Ersatz der billigen Turnusärzte (TÄ), die es nach der Reform in bekannter Weise nicht mehr geben wird, angedacht ist, liegt nahe. Umso mehr, als dezidiert vorgesehen ist, dass Jungärzte bis zum Ende der Ausbildung als Pflegeersatzkräfte einteilbar sind. Und da nun auch völlig ungeniert Ärztepooling (also das nächtliche einsetzen aller Ausbildungsärzte als Systemerhalter an mehreren Abteilung, wo es halt gerade passt) erlaubt wird, deutet nichts darauf hin, dass die Politiker verstanden haben, warum immer mehr Uni-Absolventen sich lieber im Ausland ausbilden lassen als hier.

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Theorie und Praxis der Hausarztausbildung

Auf dem Papier ist die Ausbildung von Hausärzten gar nicht schlecht. Aber Papier ist geduldig und die Praxis halt ganz anders – auch wenn das einige nicht einsehen wollen.

Die Idee ist bestechend. Da ein Hausarzt ein breites Wissen haben soll, soll er eine breite Ausbildung genießen. Um das zu erreichen, gibt es den Turnus. Das ist eine Zeit, in der Jungärzte, nach dem theoretischen Studium, an möglichst vielen unterschiedlichen Spitalsabteilungen Praxis „lernen“ sollen.

Und so muss man, will man Hausarzt werden, auf einer Abteilung für Innere Medizin mindestens ein Jahr bleiben. Für Chirurgie, Frauen- bzw. Kinderheilkunde sind je zumindest vier, für Neurologie, HNO und Dermatologie jeweils zwei Monate vorgeschrieben; und dann kann man sich zwei weitere Fächer wie Augen, Orthopädie oder Lungenheilkunde aussuchen, da muss man je drei Monate bleiben. Macht zusammen wenigstens drei Jahre, nach denen man ein fertig ausgebildeter Hausarzt sein sollte – theoretisch.

Das Konzept stammt aus der Nachkriegszeit. Damals war es vermutlich zielführend. Das medizinische Wissen betrug, verglichen mit heute nicht einmal ein Hundertstel (!) und die Spezialisierung war noch rudimentär. Es war durchaus möglich, innerhalb von zwei Monaten genug über Neurologie zu lernen, um für den hausärztlichen Alltag gerüstet zu sein. Heute ist das anders. Und nur nebenbei, im internationalen Vergleich dauert die Ausbildung zum Hausarzt bei uns am kürzesten. Alleine das sollte Hinweis genug sein, dass irgendetwas nicht stimmt.

In der täglichen Praxis ist es dann noch viel schlimmer.

Die Medizin ist eben hochkompliziert geworden. Es ist für jede Spitalsabteilung schwierig genug, mit dem medizinischen Forstschritt schritt zu halten. Um das auch nur irgendwie hinzukriegen, muss jeder Abteilungsleiter versuchen, aus seinen fix angestellten Ärzten ein Team zu bilden, damit Aus- und Fortbildung auf alle verteilt wird und Neues möglichst rasch auch von allen in der Praxis gelebt werden kann.

Und dann kommt der Turnusarzt (TA) daher – er wird ein paar Monate bleiben und dann wieder verschwinden. Wie viel Energie wird wohl darauf verschwendet werden (können), ihn wirklich in diesem Team einzubinden? Noch dazu ist das Niveau, das der TA mitbringt, naturgemäß weit von dem entfernt, was tägliche Praxis ist – schließlich ist er ja blutiger Anfänger. Und so ist es meistens (nicht überall!) Usus geworden, das seine Ausbildung halt so „mitläuft“.

Am Ende, und das zeigt die tägliche Praxis, wird für den TA nur die Arbeit übrig bleiben, die die höchste Entlastung für die Kernmannschaft (inklusive dem Pflegepersonal) darstellt – und das sind systemerhaltende Routinearbeiten, die mit Ausbildung nichts zu tun haben – Patienten aufnehmen, Blut abnehmen, Infusionen anhängen, Spritzen geben und Bürokratie erledigen. Und das macht der TA dann an jeder Abteilung, die er durchlaufen muss.

So ist der TA vom Auszubildenden zum Systemerhalter geworden. Und weil der Stundenlohn sogar unter dem einer diplomierten Pflegekraft liegt, gleich auch zu einem billigen. Die Folge davon ist, dass, ähnlich der Zwangsarbeit im Zivildienst, ohne die Rettung oder Alten- und Behindertenbetreuung nicht funktionierte, die Spitäler ohne die Arbeitskraft der TÄ nicht mehr betrieben werden könnten. So ist es auch zu verstehen, dass jene, die eine Spitalsreform für überflüssig halten (vom Gesundheitsminister bis zu den Landeshauptleuten) mit diesem Ausbildungssystem zufrieden sind. Dass einige allerdings öffentlich behaupten, so gut ausgebildete Hausärzte zu produzieren ist schon Chuzpe.

Dieser Artikel wurde im Mai 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Etwas ganz anderes

Weil sich sowieso niemand mehr wirklich auskennt, einmal etwas, ganz abseits der österreichischen Akut-Reform-Diskussions-Wahnsinnigkeiten.

Vor langer langer Zeit (1978), weit weit weg, im tiefsten Kasachstan, in einem Ort, der heute Almati heißt, hat die Welt beschlossen, Gesundheitssysteme neu und besser zu organisieren. Festgehalten wurde das in einer WHO-Deklaration, die Österreich natürlich auch unterschrieben hat.

Da stehen so schöne Dinge drinnen wie: „Das Volk hat das Recht und die Pflicht, gemeinsam wie individuell, in der Planung und der Umsetzung der Gesundheitsversorgung eingebunden zu sein“, aber auch so praktische wie: „Primary Health Care (Anm.: ein Ausdruck, den man hierzulande kaum kennt und sperrig als Primärversorgungsbereich übersetzt) behandelt die wesentlichen Gesundheitsprobleme der Bevölkerung, indem es entsprechende Leistungen der Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention, Heilung und Rehabilitation zu den Menschen bringt.“

Weil es sich gerade trifft, und die Leiterin des Departments of General Practice an der School of Population Health in Auckland, Ngaire Kerse auf Besuch in Graz, ist, will ich das Thema aufgreifen.

Allgemeinmediziner, also Hausärzte, sind das Rückgrad der Primärversorgung. Sie sollten, so die Idealvorstellung seit dreißig Jahren, die Angelpunkte sein, um die sich Teams aus Pflegekräften, Hebammen, Sozialarbeiter etc. bilden, die die Gesundheitsversorgung zum Patienten bringen. Um so ein Hausarzt sein zu können, muss man gut für diese Aufgaben ausgebildet werden. So was geht nur, wenn man den Hausarzt als eigenständiges Fach sieht.

Aber hierzulande kann man nach drei Jahren Spritzendienst im Krankenhaus Hausarzt werden, ohne jemals eine Ordination von innen gesehen zu haben. Es gibt in ganz Österreich gerade einmal drei Professoren für Allgemeinmedizin. Seit 1950 sind ganze 25 wissenschaftliche Arbeiten von österreichischen Allgemeinmedizinern (davon 20 im Inland) erschienen und selbst das Gesundheitsministerium ist gegen eine rasche Etablierung des Hausarztes als Facharzt.

Zum Vergleich: Neuseeland hat für 4 Millionen Einwohner gleich sechs Universitätsinstitute für Allgemeinmedizin. Am Institut von Frau Prof. Kerse arbeiten sechs Professoren Vollzeit. Allein dieses Department publiziert jährlich mehr als 60 Artikel in internationalen Journalen. Die Ausbildung von Allgemeinmedizinern in Neuseeland beinhaltet zwölf verpflichtende Wochen während des Studiums, einen zweijährigen Spitalsturnus und danach 12 verpflichtende Monate in speziellen allgemeinmedizinischen Lehrpraxen. Für den endgültigen Abschluss sind dann noch zwei supervidierte Jahre in eigenständiger Praxis notwendig.

Im neuseeländischen Primärversorgungsbereich kooperieren mit den gut ausgebildeten Hausärzten ebenso gut ausgebildete Krankenschwestern (practice nurses, community nurses, familiy health nurses, district nurses, diabetes nurses, etc.).

In der WHO-Deklaration steht auch drinnen: „Alle Regierungen sollen nationale Strategien und Umsetzungspläne entwickeln, um Primary Helath Care als Teil einer umfassenden Gesundheitsversorgung zu etablieren und zu stärken.“

Und um was dreht sich die Diskussion seit vielen Jahren bei uns? Um Kassenverträge und Spitalsreformen. Und immer öfter werden diese Diskussionen nicht einmal mehr öffentlich geführt. Warum auch, nur weil die WHO gemeint hat, dass das Volk das Recht und die Pflicht hat, in der Planung und Umsetzung der Gesundheitsversorgung eingebunden zu sein?

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.