Die Windschatten-Spitalsreform

Erdbeben, Tsunami, GAU in mehreren Atommeilern, Revolution in der islamischen Welt und EU-Vorgaben gegen Schuldenmacherei.

Getarnt durch globale Themen, gezwungen durch die EU, haben es (vorerst nur) Wien und Steiermark gewagt, eine größere Spitalsreform anzukündigen. Noch ist es Gerede und Papier; die Mühen der Ebene kommen aber. Der Widerstand wächst bereits und die Kampftruppen der Zwergen-Häuser haben sich schon in Stellung gebracht – das Halali wird zeigen, wie die Strecke aussieht.

Aber – ich hoffe, die Politik wird wenigstens eine Zeit lang durchhalten. Allerdings sind, will die Reform nachhaltig sein, zwei Phänomene zu bedenken!

Da sind einmal unverhofft auftretende Krankheitswellen.

Denken wir an Bad Aussee. Die dortige Chirurgie ist seit Jahrzehnten umstritten, da das Spital nur ein Einzugsgebiet von 15.000 Menschen hat (80.000 wäre das vernünftige Minimum). Als die Schließungsdiskussion 2008 am heftigsten war, wurde dort argumentiert, dass es 39 Blinddarm-OPs gegeben habe – zwei Drittel davon zeitkritisch! Wenn es nicht irgendeine, noch unbekannte, Krankheit gibt, die Blinddarmentzündungen auslöst, dann sollten es aber nicht mehr als 15 pro Jahr sein. Das wäre guter medizinischer Standard. Alles darüber ist möglicherweise medizinisch nicht wirklich indiziert (obwohl ich keine bewusste Falschindikation unterstellen will) und dient nur der Darstellung der eigenen Wichtigkeit.

Diese „Appendizitis-Endemie“ zeigt, werden Kürzungen oder gar Schließungen angekündigt, besteht die Gefahr der „Übertherapie“. Bei Spitälern bedeutet das zu viel stationäre Aufnahmen, bei Chirurgien zu häufige Operationen – mit all den negativen Konsequenzen, wie vermeidbare Komplikationen.

Und dann ist da noch das Kultur-Phänomen.

Als in einem großen Spital zehn von 270 interne Betten wegen Umbau gesperrt wurden, brach Chaos aus. Gangbetten, längere Aufenthalte und vermutlich auch Wartezeiten waren die Folge. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass es objektiv zu wenig Ressourcen gab, sondern nur, dass die Kultur nicht auf eine Kürzung vorbereitet war.

Denn hinter der Belegung von Betten stehen viele Prozesse und unterschiedlichste Prozesseigner. Da sind die zuweisenden Ärzte, die, die in der Ambulanz über die Aufnahme entscheiden, die auf der Station arbeiten etc.; alle haben gelernt mit den vorhandenen Ressourcen auszukommen. Werden diese plötzlich weniger, dauert es, bis sich alle angepasst haben, sich also die Kultur geändert hat.

Eine solche Kulturänderung kommt nicht über Nacht und betrifft auch nicht nur das Spital. Soll es zu einer nachhaltigen Veränderung kommen, müssen sich alle in der Region, von den niedergelassenen Ärzten bis zu den nachsorgenden Strukturen der Pflege, ändern.

Zusammengefasst heißt das, dass im Rahmen einer Spitalsreform, beginnend ab dem Zeitpunkt der Ankündigung bis lange nach der Umsetzung, sich gegenseitig aufschaukelnde Phänomene zu erwarten sind. Diesen kann man nur begegnen, wenn erstens von Anfang an das Aufnahmeverhalten der betroffenen Spitäler genau kontrolliert wird, und zweitens die Prozesse auf allen Ebenen aktiv gesteuert werden. Passiert das unzureichend, wird es Gangbetten und längere Wartezeiten geben. Und genau das wird jenen in die Hände spielen, die eine Spitalsreform immer schon verhindern wollten.

Daher, nur wenn die Politik aktiv ist, hart bleibt, und langfristig denkt, wird sie das, was sie jetzt ankündigt, auch auf den Boden bringen. Hoffentlich bleiben die globalen Ablenkungen dafür lange genug erhalten.

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.