Detailanalyse der Anti-ELGA Kampagne der Wiener Ärztekammer

Ein sehr verwirrendes Zahlenspiel

Eine der am häufigsten wahrgenommenen Aussagen der Ärztekammer rund um ELGA  ist, dass diese in 10 Jahren 2 Mrd.€ kosten wird. Beim Studium der Unterlagen  stellt man fest, dass das wohl eine Übertreibung der eigenen Zahlen ist. Schließlich sprechen selbst die kämmerlich vorgelegten Berechnungen auf Seite 9 der Sonderzeitung  „nur“ von 1,873 Mrd.€ –  127 Mio,€ fallen da also unter den Tisch oder eben oben drauf.

Solche Übertreibungen würden mich nicht weiter stören, gehören sie doch zum politischen Geschäft (wiewohl mir nicht klar ist, warum eine Kammer Politik machen muss), wenn da nicht andere Zahlen, sehr viel niedrigere Zahlen, dramatisiert würden. Im Youtube-Video des Vizepräsidenten Steinhart kann man erfahren, dass das Wiener AKH wegen 9 Mio.€ vor dem ABGRUND stand. Nun, wenn ich rechnen kann, dann könnte man mit den Unterschlagenen 127 Mio.€ das AKH 14 Jahre lang vor dem Abgrund bewahren – 127 Mio.€ sind kein Lüferl!

Nun, irgendwie lässt sich der Eindruck nicht verwehren, dass es bei den kolportierten 2 Mrd.€ weniger darum geht zu Informieren, als Panik zu machen. In dem Fall sind natürlich logische Einwände vergebens.

Aber auch wie diese „2 Mrd“ zusammenkommen verdient eine Erwähnung. Da werden die geschätzten Investitionskosten gemeinsam mit den 10jährigen, genau so geschätzten, Betriebskosten zusammengeworfen. Das ist eine eigenartige Darstellung. Warum 10 Jahre Betriebskosten? Warum nicht beispielsweise drei bis fünf Jahre! Bei solchen Dimensionen ist eine kürzere Prognose nicht nur sicherer, sie hätten auch einen steuerrechtlichen Grund. Üblicherweise sind EDV-Investitionen nach drei bis fünf Jahren abgeschrieben. Und wenn wir schon bei der Abschreibung sind – immerhin wurde das ärztekämmerliche Gutachten von einer Steuerberatungskanzlei durchgeführt, die btw. dem Präsidenten der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gehört  – wäre es interessant, ob in den geschätzten Betriebskosten die AfA, also die Abschreibung  enthalten ist. Wäre dem so, dann sind die Investitionskosten gleich zwei Mal enthalten. Fragen über Fragen – aber halt keine Antworten; was den Eindruck verstärkt, es geht eher um Emotion als um Ratio.

 

Und daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Zahlen, je genauer man schaut, auch immer verwirrender werden. Von den 1,87 Mrd.€, die das alles nach Meinung der Ärztekammer kosten soll, sind 1,22 Mrd.€ aus der Ärztekammereigenen Studie. Das sind zwei Drittel der Gesamtkosten! Und von diesen 1,22  Mrd.€ verliert sich ein gigantischer Betrag auf die Wahlärzte: 818 Mio.€ (wieder etwa zwei Drittel) soll es nur für diese kosten!

 

Nun, um das zu verstehen, muss man schon viel wissen und auch genau lesen. Hintergrund dieser gigantischen Annahme ist, dass die Zahl der Wahlärzte (ohne Zahnärzte aber mit Wohnsitzärzten) 2010 etwa 11.000 (oder mehr) beträgt. Das ist fast ein Viertel aller in Österreich ärztlich tätigen Mediziner (btw. wir haben weltweit die meisten Ärzte bezogen auf die Bevölkerung und deswegen auch keinen Ärztemangel und deswegen brauchen wir auch die MedizinUniversität Linz nicht). Und zum Vergleich, 11.000 Wahlärzte stehen lt. Kassen etwa 7.700 Kassenärzten (die Ärztekammer behauptet auf Seite 6 der Sonderzeitung, dass es etwa 8.500 sind) gegenüber.

 

Aber was hat das jetzt mit den ELGA-Kosten-Rechnungen zu tun?

Die große Zahl an Wahlärzten, von denen nicht klar ist, was sie eigentlich tun, macht sie zur idealen Manövriermasse für alle möglichen politischen Verahndlungen. Je nachdem wie man will, sind sie entweder unwichtig oder sehr wichtig und können daher für jede politische Position „missbraucht“ werden. Will man einen Ärztemangel herbeireden, dann ist jeder Wahlarzt für die Versorgung der Bevölkerung wichtig, will man aber die Zahl der Kassenplanstellen nicht vermehren, tut man eben so, als ob die Wahlärzte ohnehin nur Privatmedizin betreiben und für die Versorgung eben unnötig sind. Und in Fall ELGA dienen sie als Hebel, die Kosten nach oben zu ziehen.

 

Wie sowohl in den  nackte Fakten“ als auch im Youtube-Video dargestellt, erfordert ELGA Investitionen in der Ordination zwischen 11.000€ und 17.000€ (je nach Grundausstattung der Ordination). Dazu kommen laufende jährliche Kosten zwischen 3.000€ und 5.000€ für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – und auch für die Wahlärzte.

 

Ich habe mich bemüht, diese Zahl anhand der Kosten-Nutzen-Analyse auf Seite 9 der Sonderzeitung  zu verifizieren, alleine ich schaffe es nicht. Egal welche Parameter ich ändere, ich kann diese Zahlen nicht ableiten.

Das geht schon einmal damit los, dass in den Unterlagen die Investitionskosten samt den Betriebskosten im ersten Jahr dargestellt werden. Um die „reinen“ Investitionskosten zu erhalten, muss man diese erst rausrechnen. Das ist Gott sei Dank nicht schwer. Man muss dazu nur die laut Unterlagen anfallenden 230 Mio.€ fürs erste Jahr um die 94 Mio,€ Betriebskosten, die ebenfalls angegeben werden, reduzieren. Bei dieser Einfachen Rechnung kommen 136Mio.€ reine Investitionskosten heraus. Diesen Wert kann man dann mit den Angaben der Kosten für fünf Jahre plausibilisieren.

Teile ich nun diese reinen Invest-Kosten, die ja nach den Ordinationskategorien Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag, Facharzt mit Kassenvertrag und Wahlarzt aufgeschlüsselt sind, in Portionen von 11.000€ bzw. 17.000€ auf, müsste ich eine Bandbreite erhalten, in der sich die Zahl der Ordinationen bewegt.

In einer groben Rechnung, also ganz ohne Aufteilung in Kategorien, bedeutet es, dass es hierzulande 8.000 bis 12.000 Ordinationen gäben müsste. Nun, alleine Kassenordinationen gibt es, wie ja oben schon erwähnt, 7.700, wenn man den Kassen glaubt, oder eben 8.500, folgt man den Angaben der Ärztekammer. Demnach dürfte es zwischen 0 (null) und  4.500 Wahlarztordinationen gäben – und das stimmt halt nun einmal ganz sicher nicht!

Noch interessanter wird es, wenn wir diese Rechnung nach den angebotenen Ordinationskategorien vornehmen. Demnach müsste es zwischen 1.700 und 2.600 Hausarztordinationen, 1.400 bis 2.100 Facharztordinationen und 5.000 bis 7.500 Wahlarztordinationen geben. Alles wirre Zahlen!

Realistisch betrachtet, gibt es aber etwa 4.100 Hausarzt-, 3.600 Facharztordinationen mit Kassenverträgen und, nach Abzug der Wohnsitzärzte, 9.000 Wahlarztordinationen. Nicht mitgerechnet die Zweitordinationen, die ja eigentlich mitgerechnet werden müssten. Alles in allem, ist von mindestens 16.000 Ordinationen in Österreich auszugehen. Und die Qualitätsicherungsagentur der Ärztekammer ÖQMed geht selbst von 18.000 Ordinationen  aus; das sind also etwa 10.000 Ordinationen mehr, als in der Rechnung oben rauskommen dürfte.

Es kann also keinesfalls stimmen, dass es für ELGA zu „reinen“ Investitionen von 11.000€ bis 17.000€ pro Ordination kommen wird.

Um wenigstens in die Nähe der kolportierten Invest-Kosten zu kommen, muss man annehmen, dass, auch wenn eben stur und immer wieder anderes behauptet wird, die Betriebskosten des ersten Jahres einfach als Invest-Kosten bezeichnet werden. Wohl, um eine hohe Zahl zu erreichen und Stimmung zu machen sind. Nimmt man also zu den echten Invest-Kosten die Betriebskosten des ersten Jahres dazu, und nennen das freundlicherweise „erweiterte Invest-Kosten“, werden die Rechnungen wenigstens etwas realistischer. Aber auch wieder nicht.

Die „erweiterten Invest-Kosten“ bestehen ja aus den Betriebskosten, die mit 3.000€ bis 5.000€ angegeben werden, und den reinen Invest-Kosten. Beide zusammen müssen 11.000€ bis 17.000€ ergeben. Wenn wir nun nach den oben angedachten Rechengang nachrechnen, geht sich die Rechnung (also beide Kosten müssen in den vorgegebenen Bandbreiten liegen) nur aus, wenn man von ziemlich genau 19.000 Ordinationen ausgeht. Das ist die höchste Zahl, die wohl angenommen werden kann. Nimmt man diese Zahl an, bedeutet das, dass es etwa 11.000 Wahlarztordinationen und 8.000 Kassenordinationen geben muss! Soweit so gut!

Die Kassen geben an, dass sie etwa 4.100 Allgemeinmediziner und 3.600 Fachärzte unter Vertrag haben, macht zusammen 7.700, geben wir jetzt 400 dazu (also etwa die Hälfte aus der Differenz der Angaben der Kassen und der Ärztekammer – rein arbiträr) kommen 4.300 AM und 3.800 FÄ raus, zusammen 8.100 Kassenordinationen – ah, also bis jetzt ganz plausibel. Aber was passiert, wenn wir mit diesen Quantitäten in die Simulationsrechnung gehen?

Dann stimmt nix mehr!

Denn während sich die Kosten bei den AM und Wahlärzten noch in den Bandbreiten bewegen, knallen die der FÄ aus jedem Rahmen. Dort finden wir dann erweiterten Investkosten von gerade einmal 8.600€ aus, und die jährlichen Betriebskosten sinken auf 2.600€. Beide Angaben also weit weg von den proklamierten Zahlen!

Ach ja, natürlich könnte man in dieser Simulation, die ja von fixen Kostenangaben und variablen Ordinationszahlen ausgeht, auch die Zahl der Ordinationen senken, und so die Kosten auf die Bandbreite einstellen. Wenn man will, dass die kämmerlichen Kostenangaben wieder „stimmen“, und man an der Zahl der Ordinationen dreht, dann darf es nur 2.000 bis 3.000 FA- Ordinationen geben. Und das kann nun mal sicher nicht stimmen, wenn die Kassen, die ja weniger Ordinationen als die ÄK angeben, schon 3.600 zugeben, wie soll man dann realistisch annehme, dass die Zahl der tatsächlich auszurüstenden Ordinationen zwischen 2.000 und 3.000 liegen soll!

Um es kurz zu machen, die Rechnungen der Ärztekammer sind in sich unschlüssig und wirr! Der Eindruck, hinter all dem Zahlenmaterial steht ausschließlich politisches Interesse wird also weiter verstärkt.

 

Vielleicht gehen wir die Sache falsch an. Überlegen wir, was kann denn so ein ELGA-Server kosten, was das Einrichten, das Kabelverlegen, Sicherungen, Software etc.

Wie ja schon festgestellt, sind in diesen 11.000€ und 17.000€, auch wenn es öffentlich anders behauptet wird, Betriebskosten des ersten Jahres enthalten. Also ziehen wir mal drei bis fünf, der Einfachheit halber 4.000€ Betriebskosten ab. Um es einfacher zu machen, nehmen wir so an, dass die reinen Investitionskosten bei 10.000€ liegen.

Die Hardware samt Fremdleistungen (z.B. Kabelverlegen) sollen meinetwegen 3.000€ kosten, bleiben 7.000€ für Arbeitszeit übrig, die ja zu Recht den Invest-Kosten aufgeschlagen werden. Wie lange wird eine Einschulung in ELGA dauern? 8 Stunden, 16 Stunden, 24 Stunden? Wenn es drei Arbeitstage dauert, dann hat ELGA eh schon was falsch gemacht. Aber nehmen wir trotzdem an, die Einschulung dauert 24 Stunden, dann muss man, um auf die 7.000€ zu kommen von einem Stundensatz von 300€ ausgehen! Nun, dass ist ein stolzer Preis, ein sehr stolzer, würde ich meinen. Er wäre gerechtfertigt, wenn in der Zeit der Schulung die ORdination geschlossen sein muss (also kein Vertretungsarzt da sein darf) und ein Umsatzverlust von 7.200 (entspricht JAhresumsatz von etwa 600.000€) zu kompensieren wäre. Laut Einkommensstatitik ist das aber wohl kaum eine Durchschnittsordination, und die Schulungen werden auch kaum in den ORdinationszeiten stattfinden, womit ein Umsatzentgang nicht zu kompensieren wäre!

Aber was, wenn wir die 300€ der Einfachheit halber als gegeben annehmen? Wie wirkt sich das auf die Betriebskosten-Rechnungen aus? Denn wir wissen ja , dass der Betrieb etwa 4.000€ jährlich kosten soll. Softwarelizenzen und Sicherheitssysteme kosten nicht die Welt, das vernachlässigen wir jetzt einmal, und nehmen an, die Betriebskosten sind rein Arbeitszeitkosten. Dividiere ich die 4.000€ durch die 300€ Stundenlohn von, dann dürfte der Betrieb etwa 13 Stunden pro Jahr in Anspruch nehmen. Das ist eine Stunde im Monat!

Nun, dass scheint nur möglich, wenn es wirklich so gut wie keine administrativen Kosten gäbe – aber das kann man nicht annehmen. Umso mehr, als dass diese Annahme seitens der Ärztekammer ja auch gar nicht angeboten wird. Denn hier hört man klar, dass ELGA  27 Minuten Arbeitszeit pro Ordinationstag kosten wird, und zwar zusätzlich und ohne jeglichen Nutzen für den Patienten, also reine bürokratische Zusatzarbeit! Gelten die oben angedachten 13 Stunden dann dürften logischerweise die Ordinationen nur 26 Tage im Jahr offen haben. Da kann was nicht stimmen.

Oder ist im Betrieb vielleicht nicht der Arzt beschäftigt, sondern eine Hilfskraft? Und wenn ja, warum wird dann behauptet, dass diese Zeit der Arzt-Patienten-Beziehung abgehen wird? Oder gelten im Betrieb andere Stundensätze? Wenn man nämlich von 30€ Stundensatz ausgeht, könnten wir uns 130 Arbeitsstunden leisten, also etwa eine halbe Stunde pro Ordinationstag, wenn die Ordination rund ums Jahr geöffnet ist (250 offene Tage!). Aber warum sollte der Betriebsstundesatz anders sein als der „Einschulungsstundensatz“?

Kurz gesagt, es gilt wie oben, es ist mit den veröffentlichten Daten und Informationen nicht möglich herauszufinden, wie die Kosten kalkuliert wurden. Und der Eindruck, dass es weniger um Information und dafür mehr um Verwirrung geht, ist weiter gewachsen.

 

Die Wahlärzte als politischer Mulitplikator

Wir sehen also, dass die Zahlen, bzw. Kostenangaben grundsätzlich schwierig zu interpretieren sind, ja eher Konfusion denn Information zurücklassen. Kehren wir zurück zu den Wahlärzten.

818 Mio.€ von den, von der Ärztekammer erwarteten 1,87 Mrd€  Gesamtkosten in 10 Jahren entfallen auf die Wahlärzte.

Doch was machen diese Wahlärzte eigentlich, ist es denn realistisch, dass diese sich solche Investitionen – wenn sie wahr wären – leisten wollen oder können?

Laut offiziellen Aussagen im ÖSG (dazu muss man tief in die Planungsmatrix  eindringen um das zu verstehen) haben Wahlärzte nur etwa 5% jener Versorgungswirksamkeit, die Kassenärzte haben. Das bedeutet, dass 11.000 Wahlärzte mit all ihren Leistungen das öffentliche System nur so weit entlasten, wie es 550 Kassenärzte tun würden. Anders ausgedrückt, 95% ihres Einkommens erwirtschaften Wahlärzte außerhalb des öffentlichen Versorgungssystems, und damit im von ELGA nicht betroffenen Privatarztsektor; das meint wenigstens das offizielle Österreich, repräsentiert durch Hauptverband, Ärztekammer und Gesundheitsministerium.

Jetzt frage ich mich, werden die Wahlärzte nicht scharenweise aussteigen und reine Privatmedizin machen, um diese Investitions- und Betriebskosten zu sparen? Natürlich! Und wenn das so ist, würde dann nicht die Kammerrechnung anders aussehen? Natürlich!

Wie viele, bzw. welche Wahlärzte werden ELGA-Investitionen wirklich tätigen? Doch nur die, für die es sich rechnet, deren Patienten also Leistungen in Anspruch nehmen, die sie mit ihren Kassen verrechnen und auf die diese Wahlärzte nicht verzichen können oder wollen. Und das sind sicher nicht alle Wahlärzte.

Offiziell wären es nur 5% bis 10%. Wäre dem so, dann sinkt die kämmerliche Schätzung von 818 Mio.€ auf 40-80 Mio.€ (in 10 Jahren)! Die Kosten, so wie sie die Kammer erwartet, würde also bei den Wahlärzten um mehr als 90% sinken, und das wiederum bedeutet eine Reduktion der Gesamtkosten um 40%!

Nimmt man arbiträr, aber deutlich realistischer an, dass die Hälfte der Wahlärzte mit Kassenpatienten ein so gutes Geschäft macht, dass sie die von ELGA vorgeschriebenen Investitionen tragen würden, und die anderen Hälfte der Wahlärzte zieht sich komplett in die Privatmedizin zurück, dann würde die Kammerrechnung noch immer um über 400 Mio.€  sinken.

Aber auch andere Berechnungen zeigen, wie unplausibel die einfache Multiplikation der als solche ja schon unplausiblen Kosten mit den Wahlärzten ist. Geht man davon aus, dass die seitens der Kammer dargestellten Betriebskosten (ca. 940 Mio.€ in zehn Jahren, davon 650 Mio.€ bei den Wahlärzten) maßgeblich Arbeitszeit sind, und weiters, dass diese Frequenzabhängig ist, also mit der Zahl der Patienten zusammen hängt, dann sollten für die Wahlärzte deutlich weniger Kosten anfallen. Sagen wir, und das dürfte nicht ganz unplausibel sein, dass die Wahlärzte nur ein fünftel der Patientenfrequenzen haben, die bei Kassenärzte anfallen, dann dürften dort statt 650Mio.€ nur etwa 130Mio.€ anfallen. Etwa 520 Mio.€ fallen also gar nicht an, oder aber bei der Berechnung der Kammer weg.

Am Ende dienen Wahlärzte als reine Mulitplikatoren um die Kosten massiv in die Höhe zu treiben. Spätestens jetzt bin ich überzeugt, die Rechnungen dienen der Polemik, nicht der Information.

 

Aber selbst wenn man die offenbar irreal hoch angesetzten Zahlen ernst nähme, wäre einen Gegenüberstellung der kämmerlich dargestellte ELGA-Kosten zu denen der gesamten öffentlichen Gesundheitsversorgung hilfreich. Denn diese werden in zehn Jahren mindestens 250 Mrd.€ ausgemacht haben. Wenn wir davon ausgehen, dass die kämmerlichen Zahlen das absolute Maximum darstellen, dann kostet ELGA also sicher weniger als ein Prozent! Und wegen einem Prozent (das über zehn Jahre in der statistischen Unschärfe verschwindet) solch ein Aufheben zu machen, kann nur bedeuten, dass es sich hier um einen reinen Machtkampf und nicht um Sachfragen handelt!

 

Also unterstelle ich, dass es das Ziel dieser Information ist, beim Zuhörer den Eindruck zu erwecken, ELGA führt zu unbegreiflich hohen Kosten mit logischen Folgen. Das wird auch ziemlich offen im Video festgehalten, wo kaum verschleiert vermittelt wird, dass die Folge der ELGA-Kosten Personalkürzungen im Spital und Rationierungen der medizinischen Leistungen bei den niedergelassenen Ärzten sein werden (bei Wahlärzten ist eine Rationierung gar nicht möglich – aber das nur so nebenbei bemerkt). Und ich glaube, dass ist auch DIE Botschaft: Möglichst hohe, staatlich verordnete  Kosten – woher auch immer, wie wahrscheinlich auch immer – sollen Angst machen, vor Job- oder Einkommensverlust bei Ärzte und Rationierung bei Patienten.

 

 

 

Das Getöse rundherum

Neben den Geldbeträgen, die ja in unserer Medienlandschaft und skurrilerweise auch den Ärztekammern wider anderslautender Behauptungen enorm wichtig sind, werden andere Nebelgranaten gezündet, um die Boshaftigkeit der ELGA-Ideen zu untermauern.

 

Da haben wir beispielsweise die auf Seite 10 der Sonderzeitung dargestellten ausländischen Vergleiche bezüglich deren E-Health. Hier finden sich keine Quellenangaben, wohl deswegen, weil die Infos – wenigstens für UK kann ich das mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen– aus Tageszeitungen stammen und schlecht übersetzt wurden. Wie dem auch sei, ich habe mir Mühe gegeben, hier Klarheit zu finden, alleine es geht nicht. Keiner dieser Vergleiche hält auch nur irgendeiner Prüfung wirklich stand, kann gar nicht Stand halten, weil jedes dieser Systeme so gänzlich von unserem zu unterscheiden ist, dass die Vergleiche per se wohl kaum gelingen können. Alle Länder arbeiten weiter daran, die elektronischen Kommunikationspfade zu verbessern. Nicht alles was hinkt ist ein Vergleicht. Die Infos allerdings, die via Kammer transportiert werden, dienen kaum der sachlichen Information, sondern der Herstellung von Stimmung. Positive Beispiel aus anderen Ländern werden logischerweise nicht gebracht, obwohl es diese sicherlich gibt. Aber es geht ja nicht darum sachliche Argumente gegeneinander abzuwiegen, sondern klar zu machen, Österreichs Gesundheitspolitiker sind international einzigartig dumm und müssen durch die Ärztekammer vor einem bösen Fehler bewahrt werden.

 

Ähnliches auch  bei den nackte Fakten“ wo folgendes zu finden ist:

„ELGA ist medizinisch fragwürdig! ELGA bringt keinen nachweisbaren medizinischen Nutzen. Ein solcher wird nur behauptet. Erste Studien (Han et al, Pediatrics; Koppel et al, JAM) zeigen, dass die Mortalität durch die geringere Aufmerksamkeit für die Patienten durch Systeme wie ELGA sogar noch steigt.“

Ich habe lange gebraucht, diese Studien zu finden. Wer so zitiert, will ja auch gar nicht, dass sie jemand findet.

Die erste ist wohl diese Han et al, Pediatrics aus dem Jahre 2005. Sie zeigt, dass bei US-amerikanischen Kindern, die in einer Art E-Medikationsprogramm geführt werden, und in einer Uni-Klinik aufgenommen werden müssen, „überraschenderweise“ (so haben es die AUtoren ausgedrückt) die Mortalität steigt. Überraschend deswegen, weil die Studienlage damals schon so war, dass der Nutzen die Risken überwog, auch an diesem Spital, aber sich eben für schwer kranke Kinder überraschenderweise nicht eingestellt hat, eher im Gegenteil!

Die andere Studie dürfte diese sein: Koppel et al, JAM, ebenfalls nicht gerade jüngst, weil bereits 2005 publiziert. Diese Studie sucht explizit nach neuen Fehlerquellen, mit denen man rechnen muss, wenn E-Health-Systeme eingeführt werden, und findet diese. Eine Aussage, dass man in die Zeit vor E-HEalth will, findet sich darin nicht, wohl aber eine, dass man, wie bei jeder Veränderung von Prozessen, vorsichtig sein muss. In diesem Fall sind Fehler bei der Schnittstelle Arzt-Computer zu erwarten, die durch die Reduktion der Redundanzen beim Gebrauch von ELGA schwerwiegend sein können.

Beide Studien sind alt, beide Studien zeigen etwas ganz anderes als die medizinische Fragwürdigkeit von E-HEalth (m.E. sogar das Gegenteil), beide wollen keine generellen Aussagen treffen – und trotzdem finden wir nur diese beiden Studien, noch dazu in einer extrem unakademischen Art und weise zitiert, so dass es einem nichtversierten unmöglich ist und selbst einem versierten sehr viel Zeit kostet, die Studien zu finden. Wer informieren will, achtet darauf, keinem Publikationsbias   zu unterliegen, wer Propaganda (also ein absichtlicher und systematischer Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zu steuern, zum Zwecke der Erzeugung einer vom Propagandisten erwünschten Reaktion, nämlich die Verteufelung von ELGA) machen will, kennt das Wort „Publikationsbias“ gar nicht.

 

Besonders schlimm empfinde ich die Stimmungsmacherei durch das Video.

Klar, dass auch hier ELGA jeglicher Nutzen abgesprochen wird, und auch hier vermisst man jede Erklärung, was ELGA überhaupt ist. Klar wird nur gemacht, dass es irgendetwas ist, was der Minister unbedingt will. Warum? Weil er glaubt, es ist ein „All-Heil-Mittel“, was „wir Ärzte weit skeptischer sehen“! Nach Sicht der Ärzte, sofern ein Ärztekammerfunktionär überhaupt aus Sich der Ärzte sprechen kann, gefährde ELGA die Basis des Gesundheitssystems: die Arzt-Patientenbeziehung.

Genau genommen ist die Arzt-Patientenbeziehung die Basis der Behandlungsebene und nicht der Systemebene. Basis des Gesundheitssystems ist die Verfassung und das ASVG, beides Gesetzeswerke, die tief in die Freiheit eines jeden einzelnen hineingreifen. Aber das mag wohl zu theoretisch sein, und versteht auch nicht jeder.

Aber es geht ja um etwas anderes. Transportiert werden soll die Botschaft, dass die Arzt-Patientenbeziehung gefährdet sei, und damit das gesamte System – das weltbeste der Welt, wie gemeinhin bekannt ist: The Audience is listening!

 

Jetzt werden Argumente gebracht, sachlich klingende – und alle sind sie halbwahr!

Da ist einmal das wichtigste (Angst)Argument, in ELGA werden Daten – auch die sensibelsten – enthalten sein! Das ist nicht ganz falsch: zwar werden die Daten weiter auf vielen tausenden Computern und nicht in ELGA gespeichert sein, aber, wenige tausendstel Sekunden lang, solange es halt braucht, Daten von den verschiedenen Computer abzurufen um sie auf den gesicherten Datenbahnen zu dem einen Computer zu transportieren, wo der Arzt sitzt, der gerade den einen Patient behandelt, für den die Daten abgerufen werden, werden sie in ELGA sein. Es sind nur Sekundenbruchteilen in denen die Daten in ELGA enthalten sein werden, hochverschlüsselt auf hochgesicherten Datenautobahnen, aber ja, sie werden enthalten sein.

Ich denke, die Intention dieser Halbwahrheit ist es, beim Zuhörer den Eindruck zu erwecken, hier liegen riesige Datenmengen an einer zentralen Stelle, die man zwar schwer aber doch wahrscheinlich kacken kann. Für Hacker wäre das eine Einladung. Die sind interessiert, nach einem schweren und illegalen Hack möglichst viele Daten zu sammeln – und ELGA ermögliche so etwa, also die Daten sind unsicher, und ärztliche Geheimnisse ungeschützt.

Und um diesen Eindruck auch noch zu verstärken, folgt sofort das Argument, dass es abertausende Menschen gibt, die in ELGA reinschauen können (logisch betrachtet, würde, wenn es so viele Menschen gibt, die „reinschauen“ können, keine Hacker mehr brauchen, um Daten zu stehlen – aber Logik hat hier nicht viel zu suchen). Anfangs war von der Ärztekammer noch von 85.000 die Rede, in dem „nackten Fakten“ geht man bereits von mehr als 100.000 aus und im Video ist zu erfahren, es sind gleich 120.000.

Spätesten jetzt sind alle, wirklich alle, vor allem Patienten verunsichert – und das Ziel erreicht.

Dabei ist alles, was hier gebracht wird eine Fehlinformation, weil das mit ELGA gar nicht geht. Die vom Ministerium geplante ELGA sieht KEINE zentrale Datenspeicherung vor. Daten sind nur dort verfügbar, wo der Patient selbst (bzw. sein E-Card) ist. Deswegen können auch nicht „alle“ auf seine Daten zugreifen, sondern nur jene, denen der Patient seine E-Card gibt. Und deswegen wird auch kein Hacker versuchen Daten zu stehlen – es sei denn, es sind Daten, die Prominente betreffen und im Boulevard verkauft werden können. In diesem Fall sind die Daten aber bereits heute knackbar und – paradoxerweise – schlechter geschützt, als dies der Fall wäre, wenn ELGA bereits existierte.

Aber der Eindruck, dass wahnsinnig viele und mir völlig unbekannte Menschen, auch wenn ich es nicht will, sogar ohne dass ich es weiß oder jemals wissen kann, einfach so in meine ELGA schauen, der ist nach diesen Ausführungen im Video geblieben.

 

Wer dadurch noch nicht genug verängstig ist, dem wird jetzt weiter Angst eingejagt, in dem erzählt wird, ELGA heißt weniger Zeit für Patienten, mit ELGA werden Wartezimmer noch voller, und für den einzelnen Patienten bleibt noch weniger Zeit.

Die Administration der Daten sei Aufwendig und alles kommt zu der bereits heute überbordenden Bürokratie dazu. 47% der Arbeitszeit der Spitalsärzte geht bereits heute für Administration auf, und das wird jetzt noch mehr. Und die Kassenärzte brauchen eine halbe Stunde zusätzlich, um ELGA zu bedienen, Zeit, die sie den Patienten abzwacken müssen.

Vorweg, die Studienlage im Spital dazu ist dürftig, aber nirgends kommen solche Werte heraus. Die einzigen die wirklich in dieser Größenordnung belastet sind, sind die Turnusärzte. Bei Oberärzte reduziert sich die Dokumentationsarbeit – inklusiver der medizinisch notwendigen Dokumentation, die immer nötig sein wird, weil sie Teil der medizinischen Behandlung ist – auf 5% bis 10%!

Bei Turnusärzten geht aktuell wahnsinnig viel Zeit damit „verloren“, den Patienten nach Vorerkrankungen und Medikamentenverbrauch zu befragen. Zeit, die dem Patienten und dem Arzt nichts bringt. Diese Zeit dafür zur Verfügung zu haben, um das ärztliche Gespräch rund um den aktuellen Krankheitsfall zu verlängern würde sehr viel helfen – beiden!

Aber auch bei den niedergelassenen Ärzten rinnen unendliche Zeitressourcen in die Erhebung der Krankheitsvorgeschichte. Da werden Zettel und Bilder gesichtet, wenn vorhanden (darüber klagen übrigens Kassenhausärzte am meisten – das fehlen von Spitalsentlassungsbriefen) die Entlassungsinformationen aus dem stationären Bereich „entschlüsselt“, da wird der Patient kompliziert befragt, was denn der Spitalsambulanzbesuch gebracht hat etc. etc.; schlicht, die Erhebung der Anamnese ist eine Qual. Deswegen wird sie auch zunehmend vernachlässigt – ein wesentlicher Mitgrund, warum so mancher Österreicher mit so vielen Medikamenten herumläuft.

Und zu all diesen bekannten Problemen werden jetzt neue geschaffen, denn, so die Kämmerliche Information, ELGA verbessert hier nicht, sondern verschlimmert.

Das stimmt halt nicht. Die einzige mir bekannte  – und dank grandioser Kommunikationsstrategie des Gesundheitsministerium weiterhin unter Verschluss gehaltene, empirische, österreichische Studie, zeigt, dass viel der sinnlosen Zeit erspart werden kann  Ein ELGA-informierter Arzt benötigt um 30% weniger Zeit für Anamnese und Diagnose. Er gewinnt durch ELGA also Zeit, die er entweder in eigene Erholung oder die Vertiefung des persönlichen Gesprächs mit den Patienten stecken kann. Ach, eine Ausweitung der Administrationszeit wurde übrigens nicht festgestellt!

Die Kammer besitzt diese Studie („Analogieschlüsse aus den Erfahrungen der IAS Horn“) übrigens, veröffentlicht sie aber auch nicht! Und das verstärkt meinen Eindruck, dass es das Ziel dieser Information ist, beim Zuhörer, und hier ist wohl auch der Patient angesprochen, den Eindruck zu erwecken, ELGA führt zu längeren Wartezeiten bei Patienten und noch mehr Administration bei Ärzten – und so zu einer beängstigenden Verschlechterung der Versorgung im Allgemeinen!

 

Schluss

Ich stelle noch einmal die Frage, geht es bei der Informationsoffensive um Information und die Verkündigung „der ganzen Wahrheit“ oder weniger pathetisch um Fakten, oder um einen absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zu steuern, zum Zwecke Verteufelung von ELGA?