Das Geld der anderen

Wer aus dem zehnten Stock springt, der kann, solange er fliegt, behaupten: „Ist ja eh nichts passiert! Und weil eh nichts passiert ist, wird auch nichts passieren!“ Eine irreale Posse.

Wer zum Bankomaten geht weiß, dass er nur abheben kann, was auf dem Konto ist. Am Konto wird nur das sein, was eingezahlt wurde. Anders verhält es sich mit den magischen Bankomaten der Länder, die werfen immer Geld aus – und zwar Bundesgelder. Glücklicherweise hat auch der Bund einen Zauber-Bankomaten. Woher dieser das Geld nimmt, das weiß man nicht genau! Aus Steuereinnahmen, der inflationstreibenden und enteignenden Notenpresse oder doch den ungeborenen Enkelkindern?

Verfolgt man die Medien, dann häufen sich wieder die Rufe der Krankenkassen nach neuem Geld – eigentlich beschämend. Wie die Niederösterreichsche Krankenkasse (NÖGKK) mitteilt, rechnet sie 2008 mit Mehr-Einnahmen von 7,1 Prozent. Erstaunlich viel, wenn man bedenkt, wie wenig die Realeinkommen in diesem Jahr gewachsen sind. Eine Netto-Gehaltserhöhung von 7,1 Prozent wäre für die meisten wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Man würde darüber nachdenken, ob man in Neues investieren oder einen Notgroschen anlegen soll. Die NÖGKK – wie fast alle anderen Kassen – macht aber Miese! Warum? Ach ja, die demographische Entwicklung. Komisch, das die erst jetzt auffällt.

Demographische Prognosen zählen zu den stabilsten. Sie sind fast so stabil wie Naturgesetze. Das das alles jetzt passiert, ist daher nur für Nicht-Eingeweihte überraschend. Die Pleite der Kassen wurde bereits in den 1980ern vorausgesagt – und zwar für die Jahre nach 2005. Es war allen Experten klar, dass das System baden gehen wird. Mit der heutigen Situation hätte man also bereits seit zwanzig Jahren rechnen und daher darauf reagieren können – wenn man vorausgedacht oder wenigstens zugehört hätte.

Der kluge Beobachter wird sich fragen: „Warum leiden eigentlich die anderen Finanziers des Gesundheitswesens nicht an denselben Problemen?“ Nun, sie tun es, aber: Ist die Finanzierung des Kassensystems schon ein riesenhaftes Lügengerüst, ist es verglichen mit den anderen richtig ehrlich. Schon 1969 hat die WHO gemeint, dass zur Herstellung einer Kostenwahrheit Globaldefizitdeckungen kein geeignetes Mittel sind. Macht nichts. Wir machen es trotzdem noch immer. Die Länder zahlen aus politischem Kalkül Unsummen an Steuergeldern für die Erhaltung jedes auch noch so unwichtigen Krankenhauses, die Pensionsversicherung – hauptverantwortlich für die Rehabilitation und Eigner der meisten Kur- und Rehabilitationszentren – ruht sich auf der Defizitdeckung durch den Bund aus, und wenn irgendwo Schulden in öffentlichen Pflegeheimen auftreten, dann sind Landesgelder – und wie man hört bald auch Bundesgelder – dazu da, sie aufzufangen. Alle haben bereits ihren Zauber-Bankomaten als unversiegbare Geldquelle. Die einzigen, die noch keinen haben, sind die Kassen. Und die wollen diese Ungerechtigkeit beseitigt sehen. Aber natürlich ohne die Selbstverwaltung – also jene demokratisch kaum legitimierte Macht der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter mit deutlichem Gewicht auf den Arbeitnehmern – aufzugeben.

Und so kann man gespannt sein, wie die Politik die kranken Kassen retten wird. Der erste Schritt wird einmal die „Entschuldung“ sein – also ein Steuergeschenk, dass wir, die Bürger, bezahlen „dürfen“. Und das nächste? Wer weiß das schon. Am Ende kann man doch die Selbstbehalte erhöhen – egal ob das für Politiker vor den Wahlen in Frage kommt oder nicht. So ein ewig sprudelnder Selbstbehalts-Wunder-Bankomat, den kann doch keiner verwehren!

Dieser Artikel wurde im August 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.