Ein Foto auf der E-Card soll Sozialmissbrauch beenden. Was das ist, ist nicht so klar, verwendet wird das Wort gerne als Synonym für Sozialbetrug.
Weiterlesen: Die E-Card, das Foto und der SozialmissbrauchÖsterreich rühmt sich, dass jeder Kranke die Behandlung erhält, die er braucht. Das ist im Übrigen etwas, das in ganz Europa, inklusive Türkei, als Teil der sozialen Sicherungssysteme üblich ist. Zudem haben praktisch alle Länder ein Sachleistungsprinzip – die Leistungen des Gesundheitssystems werden unmittelbar am Patienten und dort unentgeltlich zu Verfügung gestellt, abgerechnet wird im Hintergrund. Auf dieser administrativen Ebene unterscheiden sich die Systeme.
Wie kann man da einen Sozialbetrug konstruieren? Ein Patient, wenn der Patient krank ist, wird er Hilfe erhalten, egal woher er kommt, es ist nur die Frage wo und wer dafür bezahlt. Hier kann es also kaum Sozialbetrug geben, sondern im Grunde nur einen mehr oder weniger willkürlichen „Administrationsfehler“, selbst wenn die Hilfe über eine „geliehene E-Card“ bezogen wird. Jeder, der im Ausland ist und einen Arzt sucht, ist froh, wenn er unbürokratische Hilfe erhält, und in den meisten Ländern ist es glücklicherweise auch so, weil Ärzte Patienten und nicht Bürokratiemonster behandeln.
Sozialbetrug kann sich daher nur auf solche Fälle beziehen, bei denen Personen, die nicht krank sind, über die E-Card Leistungen erschleichen, die sie dann zu Geld machen. In einem Sachleistungsprinzip ist das in relevanten Größenordnungen kaum machbar, am ehesten durch die Erschleichung von Medikamenten, die dann illegal verkauft werden.
Immer wieder wird argumentiert, aber nie vorgerechnet, dass der Schaden 200 Millionen Euro jährlich (bei 25.000 Millionen Euro öffentlichen Gesundheitsausgaben) beträgt; denkbar ist diese Milchmädchenrechnung:
Etwa 200.000 E-Cards gehen jedes Jahr verloren oder werden gestohlen (in der Regel samt Brief-oder Handtasche). Umgerechnet heißt das, dass jeder von uns alle 44 Jahre eine Ersatz- E-Card braucht – nicht außergewöhnlich. Weil niemand genau weiß, was mit der E-Card zwischen dem Verlust und der Verlustmeldung passiert, unterstellt man in der Zeit einen Missbrauch mit betrügerischen Absichten und einem Schaden von 1000 Euro pro E-Card – macht 200 Millionen Euro (gerade einmal 0,8 Prozent der öffentlichen Gesundheitsausgaben).
Will man das über erschlichene Medikamente erzielen, braucht man dazu etwa sieben Millionen Verordnungen. Wenn auf einer E-Card ungewöhnlich viele und oder teure Medikamente verordnet werden, dann finden die Kassen diese „Ausreißer“ und den verordnenden Arzt schnell.
Will man betrügen, muss man daher unter dem Radar bleiben. Aber um sieben Millionen Verordnungen unsichtbar zu halten, müssten tausende „Betrüger“, zu hunderten Ärzten gehen, um dort jene Krankheiten zu simulieren, die zu den gewünschten Medikamenten führen. Oder aber es sind hunderte Ärzte eingeweiht und machen bei dem Betrug mit. Das ist echte Verschwörungstheorie.
Aber hier geht es wohl nicht um Fakten, eher um alternative Fakten, um ein Bild zu zeichnen, das den Türken Ali mit seinem Cousin Mustafa als Sozialbetrüger zeigt, denen endlich das Handwerk gelegt werden muss
„Wiener Zeitung“ vom 22.11.2018