Missverständnisse: Versorgung≠ Behandlung – Anekdote ≠ Statistik

(Lesezeit 2 Min) Grundlos fühlen sich Ärzte oft beleidigt: ein weiterer Versuch Missverständnisse rund um System-, Versorgungs- und Behandlungseben (Makro- Meso- Mirkoebene) aufzuklären.

Versorgung beschäftigt sich nicht mit einzelnen Patienten, das tut die Behandlung. Versorgung beschäftigt sich mit Patienten- oder Bevölkerungsgruppen. Erstere sind dadurch charakterisiert, dass die Patienten eine gleiche Krankheit oder das gleiche Risikoprofil haben, zweitere dadurch, dass sie Einwohner einer definierten Region, der Versorgungsregion, sind. Die Systemebene schwebt noch höher, und beschäftigt sich mit der Situation aller ihr zugerechneten Versorgungsregionen.

Damit ist klar, Ärzte beschäftigen sich mit Patienten, Versorgungswissenschafter mit Zahlen – und ein Systemwissenschafter überhaupt nur mehr mit der Beschreibung der Phänomenen, die das komplexe Zusammenspiel in der Versorgung hervorbringt.

Wenn Ärzte, anhand der Erfahrung mit den ihnen bekannten Patienten (die immer nur eine winzige Menge aller Patienten sein können), über Versorgung sprechen, nennt man das, ohne despektierlich zu sein, anekdotische Evidenz, wenn Versorgungswissenschafter anhand von Kennzahlen über Versorgung sprechen, nennt man das deskriptive Statistik. Und die Beschreibungen, die Systemwissenschafter anfertigen Systemanalyse.

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Irrtümer bei der Debatte um die elektronische Gesundheitsakte

Wie berechtigt ist die jahrelange Debatte um die Elektronische Gesundheitsakte Elga? Eine Entwirrung der Begrifflichkeiten.

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   Während der endlosen, oft inferior geführten Debatte wurde die Idee von Elga, durch raschere, orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit medizinischer Informationen die Versorgung von Patienten zu verbessern, immer mehr aus den Augen verloren. Die Diskussion hat sich immer stärker von der Versorgungsebene auf die (politische) Systemebene verlagert.

   Die Systemebene dient dazu, die Versorgung entsprechend der politischen Willensbildung zu regeln, also einen Rahmen abzustecken; das System selbst kann weder versorgen noch behandeln.

   Die Versorgung ihrerseits ist von der eigentlichen Behandlung zu unterscheiden. Behandlung bedeutet, dass die richtige Leistung erbracht wird. Aufgabe der Versorgung ist es sicherzustellen, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit vom richtigen Arzt behandelt wird.

   Die Unterscheidung zwischen System- , Versorgungs- und Behandlungsebene ist alles andere als eine semantische Spitzfindigkeit; jede Ebene funktioniert nach eigenen Grundsätzen – es ist ein bisschen so wie Auto/Straße/Verkehrspolitik: Alles hängt zusammen, ist aber doch komplett unterschiedlich.

   Wenn Elga, und so war die Gesundheitsakte angedacht, zur Versorgungsebene gehört, dann dienen die in Elga enthaltenen Informationen dazu, die Behandlung zu ermöglichen und die für die Behandlung nötige und von einem besonderen Vertrauen getragene Arzt-Patienten-Beziehung effektiver und zielgerichteter zu gestalten – also darauf zu achten, dass der richtige Patienten schneller beim richtigen Arzt ist, um dort die richtige Behandlung zu erhalten.

   Was Elga dann nicht kann, ist die Versorgung zu regeln oder zu kontrollieren, und schon gar nicht kann Elga den strukturellen Reformstau beheben – das sind definitiv Aufgaben der Systemebene.

   Nichtsdestotrotz wird Elga als Instrument der Systemebene gehandelt. Politiker sehen in Elga ein Instrument, das System transparenter zu machen, Kosten zu sparen und bekannte Systemprobleme (zum Beispiel die hochgradige Fragmentierung der Kompetenzen) aufzubrechen und zu lösen. Dinge, die Elga eigentlich nicht tun sollte und kann.

   Wird Elga als Kontroll- und Steuerungsinstrument, also als Instrument der Systemebene, eingerichtet, ist abzusehen, dass die Informationen, die dort gespeichert werden, nicht dazu dienen werden, die Versorgung zu verbessern. Die Daten werden zunehmend so eingespeist, dass sie der Kontrolle entsprechen (also Absicherungsmedizin fördern), aber nicht so, dass verschiedene Ärzte entlang einer Patientenkarriere miteinander kommunizieren und arbeiten können. In weiterer Folge besteht das Risiko, dass Elga für die Behandlungsebene unbrauchbar wird.

   Wenn es nicht gelingt, die wesentlichen Beteiligten – die behandelnden Ärzte und Patienten – davon zu überzeugen, dass Elga ausschließlich ihnen dient und sonst niemandem, wird Elga zu einem teuren Datenfriedhof, der am Ende die Versorgung nicht verbessert, sondern verschlechtert. Damit wird das System intransparenter, teurer und die Systemprobleme werden größer.

„Wiener Zeitung“ Nr. 016 vom 23.01.2014  

Gesundheitspolitischer Zynismus

 Je genauer ich die Versorgung chronisch Kranker analysiere, desto zynischer imponiert die Reformunfähigkeit der Kassen und Bundesländer.

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   Es ist alles andere als neu, dass Patienten mit Herzschwäche, will man sie gut versorgt wissen, mehr brauchen als nur eine Diagnose und ein Rezept. Sie brauchen Betreuung.

   Seit zwei Jahrzehnten werden daher gesundheitsökonomisch sinnvolle Programme erprobt, die mehr als nur punktuelle Arzt-Patientenkontakte vorsehen – sogenannte Disease Management Programme.

   Die Wirksamkeit der Programme ist immer und immer wieder bewiesen worden. Dass sie nicht nur viel Leid und vorzeitigen Tod vom Patienten abwenden können und auch sparen helfen: Schlecht betreute Patienten erzeugen hohe Folgekosten über häufige und teure Spitalaufenthalte.

   Als vor bereits zwölf Jahren die Ergebnisse einer großen europäischen Vergleichsstudie erschienen, da war nicht nur klar, dass wir unsere Patienten schlecht betreuen, sondern auch, dass etwas getan werden muss. Und so schossen Pilotprojekte aus dem Boden und Politiker überschlugen sich in Ankündigungen.

   Das „Tiroler Modell“, das „Kremser Modell“, das „Wiener Modell“, das Flachgauer „Kardiomobil“ wurden entwickelt, erprobt und evaluiert – und alle haben gezeigt, dass auch in Österreich eine intensivere Betreuung der Herz-Patienten bei geringeren Versorgungskosten zu mehr Lebensqualität und längerem Überleben führt.

   Doch was ist aus diesen Programmen geworden, was aus den Ankündigungen, die 160.000 Herzschwäche-Patienten besser versorgen zu wollen? 2012 wurde erhoben, wie denn deren Versorgung ist – und sie ist weiterhin schlecht. Nicht einmal die Hälfte der in Behandlung stehenden Patienten erhält jene Therapie, die sie braucht. In anderen Ländern, in denen Gesundheitsökonomie wichtiger ist als kleinkarierte Machtspielchen, sind es 90 Prozent.

   Zwar haben auch die in Österreich erprobten Programme bewiesen, dass man pro Jahr mehrere 10.000 qualitativ wertvolle Lebensjahre gewinnen könnte – aber warum sollte das wichtiger sein, als wohlerworbene Pfründe? Denn was nie gelang ist, die Kompetenz- und Finanzierungsfragen dieser Programme zu klären. In den Spitälern sind die Länder, draußen die Kassen zuständig. Draußen kosten diese Programme, drinnen erspart man sich Kosten durch vermiedene Spitalaufnahmen – wie soll man da das Geld aufteilen? Wer soll diese Programme leiten?

   Sich gemeinsam um diese Patienten zu kümmern, das setzte voraus, dass man Mauern niederreißt und eine Vision entwickelt. Warum sollte man das tun? Wo doch politisch alles erreicht wurde: Man zeigte Initiative, kündigte an, ließ sich als die Retter der Patienten bejubeln. Und als das Volk das verstanden hat, warum sollte man dann noch etwas umsetzen? Bringt doch politisch nichts mehr und führt nur zu Problemen. Umsetzen ist nur etwas für Menschen mit Gestaltungswillen. Die, die mit Machtwille ausgestattet sind, brauchen das nicht.

   Und so werden österreichische Herzschwäche-Patienten weiterhin damit leben, ein bis zwei Jahre zu früh zu sterben – aber wenigstens die Sicherheit haben, dass sie das „im besten Gesundheitssystem“ der Welt tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 155 vom 09.08.2013 

Enttäuschte Hoffnungen

Die aktuelle Diskussion über teure aber kaum nützliche Therapien ekelt mich an. Sie ist unerträglich scheinheilig und verlogen – von allen Seiten.

1994 starb meine Mutter an den Folgen eines Melanoms, dem schwarzen Hautkrebs. Nach der operativen Entfernung dieses kleinen schwarzen Punktes auf ihrem Arm, war sie sieben Jahre beschwerdefrei und galt als geheilt. Doch dann tauchten Metastasen auf, in Leber und Bauchraum. Sie erhielt neuerlich Chemotherapie, und wirklich, die Metastasen wurden kleiner.

Irgendwann begann ihr rechtes Bein zu zucken. Innerhalb weniger Tage war sie halbseitig gelähmt. Mehrere Hirnmetastasen hatten sich gebildet – die man nun in Graz mit dem Gamma-Knife entfernen wollte.

Tatsächlich erholte sich meine Mutter postoperativ und die Lähmungen gingen zurück. Nach Wochen der Rehabilitation konnte sie sogar wieder selbst gehen. Einen Tag lang, dann begann das linke Bein zu zucken.

Die nächsten und letzten Monate fiel meine Mutter in eine tiefe Depression. Sie war auf der linken Seite komplett gelähmt und musste gewickelt werden. Ich sah damals meine Mutter das erste Mal nackt. Regelmäßig erhielt sie Einläufe, weil Morphium und fehlende Bewegung ihre Verdauung lahm legte.

Während all dieser Zeit schaute sie mir kein einziges Mal mehr in die Augen.

Unsere Familie hat den höchsten Preis bezahlt, den man bezahlen konnte – mit enttäuschten Hoffnungen eines Todgeweihten.

Warum ist das passiert, habe ich mich später oft gefragt. Warum die neuerliche Chemo, warum diese Hirnoperationen?

Sind wirklich die Hersteller von Medizingeräten und Medikamenten schuld, dass so viele falsche Hoffnungen gesät werden? Das zumindest könnte man meinen, wenn man die Diskussion über teure aber kaum nützliche Therapien verfolgt.

Machen wir es uns damit nicht zu leicht? Sind wir nicht selbst schuld an diesem Irrsinn. Wir alle wollen doch, dass alles getan wird, um länger zu leben. Wir fragen nie nach dem Preis dafür.

Wie oft werden in sterbenskranke Krebspatienten die teuersten Medikamente gestopft, ohne echte Chance auf Heilung? Ist denn wirklich alles Machbare auch ein Muss? Verweigern wir nicht schlicht die Diskussion über den Tod, und ziehen uns aus Bequemlichkeit und Feigheit auf den Standpunkt zurück, dass alles, was machbar ist, gemacht werden muss?

Natürlich hat die Politik Mitschuld – statt die Diskussion über den Nutzen von Therapien zu führen, zieht sie sich darauf zurück, allen alles auf allerhöchstem Niveau zu versprechen. Aber sind es nicht wir, die wir sie dann für diesen Populismus mit Wahlsiegen belohnen?

Auch die Ärzte tragen Schuld, weil sie in diesem Klima der falschen Hoffnungen dem Patienten selten seine realen Chancen darstellen. Wenn eine winzigste Chance existiert, dann wird diese aufgeblasen als ob wirklich Heilungschancen bestünden.

Auch die Industrie ist nicht schuldlos – aber von allen ist sie wohl die unschuldigste. Solange wir der Überzeugung sind, dass Gesundheit unendlich viel Wert ist, solang wir bereit sind, das Leben um jeden Preis zu verlängern, darf es nicht wundern, dass uns jemand dazu ein Angebot macht. Solange wir uns der ethisch schwierigen Frage entziehen, wann genug ist, solange werden wir Medikamente und Geräte kaufen, die fähig sind zu horrenden Preisen – und da meine ich gar nicht nur Geld, sondern vor allem die Verzweiflung nach enttäuschter Hoffnung – ein wenig mehr Zeit herauszuschinden.

Ich bin schuld, dass meine Mutter so leiden musste, ich habe mich nicht gegen diese Übertherapien gewehrt – ich habe die Augen geschlossen und es geschehen lassen.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Besinnliches zum Jahreswechsel

Die maximale Medizin ist eine Strafe geworden, für die weit verbreitete Unwilligkeit, ethische Fragen zu stellen und ehrliche Antworten zu geben.

Maria K. wäre im Februar 80 geworden. Seit 15 Jahren hatte sie Zucker, der ganz gut eingestellt war. Nichtsdestotrotz waren ihre Gefäße schwer verkalkt. Seit einiger Zeit funktionierten daher ihre Nieren nicht mehr richtig, und auch das Herz wurde immer schwächer. Sie war alt und krank.

Anfang Oktober kam sie mit einem Herzanfall ins Spital. Dort hat man schnell erkannt, dass das Herz Hilfe braucht und eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. Aber der Grad der Erkrankung war nur mehr durch eine Bypassoperation behandelbar. Die Ärzte begannen nachzudenken, was man tun kann. Weder die Nieren, noch ihr Herz gaben Hoffnung, dass sie eine so große Herzoperation überleben werde. Ihre Zuckerkrankheit gab zudem Anlass zur Sorge: Werden die Wunden überhaupt heilen?

So lag Frau K. vorerst auf der Station. Sie war ansprechbar und auch orientiert, wie wenn ihre Verwirrung, eine jener grausamen Nebenwirkungen der Arterienverkalkung, täglich größer wurde. Den Ärzten war klar, wenn man nichts tut, wird Frau K. bald an einem Herzinfarkt sterben, wenn man sie jedoch operiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie entweder bei der OP oder auf der Intensivabteilung stirbt, deutlich größer, als dass sie überleben wird.

Rechtfertigt eine so kleine Hoffnung ein so großes Risiko? Darf man eigentlich untätig bleiben und dem Tod seinen Lauf lassen?

Sieben Tage nach ihrer Aufnahme entscheidet man sich für die OP. Man erklärt ihr, dass es eine schwere OP ist, vermeidet jedoch, sie so aufzuklären, dass sie die Alternativen – Sterben innerhalb der nächsten Tage, allerdings bei Bewusstsein und mit der Möglichkeit, ihre Dinge zu klären; oder OP, mit der sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass sie danach nicht mehr aufwacht – wirklich versteht. Sie glaubt, dass die OP ihre einzige Option ist und ihr helfen wird. Daher verabschiedet sie sich nicht von ihren wenigen verbliebenen Freunden.

Während sich eine Säge durch ihr Brustbein frisst, entnimmt ein anderer Chirurg aus ihrem Bein eine Vene. 30 Zentimeter lang ist der Schnitt an ihrem Bein, 25 Zentimeter der in ihrem Brustkorb.

Nach der OP wird sie nicht richtig wach und muss beatmet bleiben. In den nächsten acht Wochen wird sie kein einziges Mal ohne Maschine atmen. Die Ärzte halten sie in Tiefschlaf und versuchen ein Organversagen zu verhindern. Die Wunden heilen nicht. Spezielle Pumpen werden angebracht, um den Heilungsprozess zu fördern. Doch nichts hilft, die Wunden bleiben offen, ihre Nieren versagen, ihre Lungen halten sie kaum am Leben. Mitte Dezember erweist sich die Natur gnädig und lässt ihr Herz stehen bleiben.

Frau K. stirbt, ohne sich auf den Tod vorbereitet zu haben. Mehr noch, man muss hoffen, dass sie von den letzten Wochen nichts mitgekriegt hat. Doch niemand weiß, was Patienten träumen, hören oder empfinden, wenn sie künstlich schlafen!

Ist die maximale Medizin wirklich der richtige Weg? Oder ist weniger nicht oft viel mehr?

Die Behandlung von Frau K. hat 120 Tausend Euro gekostet, Geld, das man woanders hätte einsetzen können. Wäre es denn woanders besser einsetzbar gewesen?

Die Politik erzählt, dass die maximale Therapie die beste ist und die Frage nach den Kosten obszön. Nur bei den Ärzten, kann man hoffen, dass sie zwischen dem Machbaren und dem für Patienten Wünschenswerten abwägen. Leider erhalten sie dabei keine Unterstützung. Eher im Gegenteil. Wir verklagen sie lieber, wenn uns was nicht passt.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Zwergenspitäler

Nachdem Bad Aussee seine „systemrelevante“ Chirurgie behalten darf, wollen die Mittersiller ihre Geburtsstation retten – ein Wahnsinn.

Und wieder probt ein Spital den Aufstand. Nachdem die vollkommen unnötigen Chirurgien in den steirischen Dörfern Bad Aussee und Mürzzuschlag „gerettet“ wurden, regt sich jetzt Widerstand gegen die Schließung der Geburtsstation im salzburgischen Mittersill.

Und wie üblich wird die Diskussion in einer Art und Weise geführt, die erschreckend ist. Leserbriefe werden veröffentlicht, in denen der Volkszorn zum Ausdruck kommt, das Leichentuch hängt vor jeder Tür und Fehlinformationen werden – wie für Propaganda üblich – dazu verwendet, der Bevölkerung Angst zu machen.

Aber es ist ja auch nichts anders zu erwarteten. Immerhin wurde seit Jahrzehnten jede Sachpolitik dem Populismus geopfert.

Aber bleiben wir einmal kurz bei den nicht sehr beliebten Qualitätsfakten.

In Mittersill – und damit das klar ist, es ist ein Synonym für alle Zwergenspitäler, die so gern Riesen wären – gibt es etwa 150 Geburten pro Jahr. Schon heute müssten alle Risikogeburten in größere Spitäler überwiesen werden. Die Regeln, welche Risken in den kleinsten Geburtsstationen eingegangen werden dürfen, wurden zum Wohl der Kinder und Mütter (also eine Qualitäts-, keine Kostenfrage!) strenger, sodass es zukünftig vielleicht noch 100 Geburten vor Ort geben könnte.

Dank moderner Medizin sterben nur etwa fünf Kinder pro 1.000 Geburten bei der Geburt Da Mittersill keine Risikogeburten hat, sollte die Sterblichkeit noch niedriger liegen; vielleicht so bei zwei? Das aber bedeutet, dass nur alle fünf Jahre ein Kind sterben sollte; also sehr selten. In den großen Geburtstationen, in denen mehr als 1.000 Geburten pro Jahr vorkommen und die auch Risikogeburten durchführen, da werden pro Jahr gleich mehrere Kinder sterben. Und weil eben Populismus vor gar nichts zurückschreckt, wird dieses Faktum gerne dazu verwendet, darzustellen, dass Klein Oho ist.

Dieses Spiel mit Zahlen ist zynisch. Denn die Wahrheit schaut anders aus. Überall wo richtige Studien und nicht politische Wunschkonzerte durchgeführt wurden, wird festgehalten, dass in Spitälern mit weniger als 500 Geburten pro Jahr die Kinder vier mal häufiger sterben, als in Spitälern mit mehr als 1.000 Geburten. Zwergenspitäler sind also alles andere als Oho!

Es gäbe gute Qualitätsgründe, dass diese kleinsten Geburtsstationen aus der Versorgung genommen werden. Das Problem ist, dass es die Politik seit Jahrzehnten nicht der Mühe Wert gefunden hat, über Qualität zu reden, sondern lieber jedem erzählt hat, dass alle überall und immer auf allerhöchstem Niveau versorgt werden. Und so kann sie also gar nichts anderes, als eine Kostendiskussion führen, wenn sie irgendeinen Zwerg schließen will. Kein Politiker würde sich trauen, die Wahrheit auszusprechen: In den vielen viel zu kleinen Spitälern kann gute Qualität nicht aufrecht erhalten werden!

Die Politik nimmt lieber in Kauf, von der Bevölkerung als Kaputtsparer tituliert zu werden. Das mag vielleicht die eine oder andere Stimme kosten, aber die Option, andere Zwergenspitäler am Leben zu lassen, bleibt erhalten. Und um nichts anderes geht es ja schließlich. Das Patientenwohl ist doch jedem egal!

Wenn ich im oberen Pinzgau eine Frau kennte, die noch Nachwuchs zu erwarten hat, ich würde sie anflehen, einen Bogen um Mittersill zu machen und das 30 km entfernte Zell am See oder das 40 km entfernte St. Johann anzufahren. Denn lebende Kinder wären mir die paar Kilometer wert!

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.