Markt, Populismus und das Gesundheitswesen

Griechenland überschattet alles, was sonst so an politischem Handeln passiert. Es ist schwierig sich dem zu entziehen – eine Reflexion über Moral.

In all diesem wirtschaftlichen Schlamassel werden sehr schnell Schuldige gefunden, seien es Spekulanten oder Ratingagenturen. Schuld sind also der Markt und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche – also andere. Der liberale Weg war eine Fehlentwicklung, heißt es, und der Staat (also die Politiker), muss autoritärer (totalitärer) werden.

Nun, hat denn der Markt wirklich versagt? Eigentlich nicht! Er macht genau das, was er für richtig hält. Allerdings, und das stößt unangenehm auf, gefällt das vielen nicht. Sie sind der Meinung, dass das, was passiert, böse und unmoralisch ist.

Und genau darin sind die Lügen zu finden; denn, haben wir noch so etwas wie einen moralischen Konsens?

Im Gesundheitssystem versprechen alle Politiker, dass allen alles überall auf allerhöchstem Niveau feilgeboten wird, kostenlos. Doch ist das so? Natürlich nicht! Abgesehen davon, dass wir wegen fehlender Qualitätsmessung gar nicht wissen, welches Niveau wo existiert (es ist zu vermuten, dass es ganz grausliche Unterschiede gibt) kostet das Gesundheitssystem sehr viel Geld. Doch die Frage, ob es uns das auch Wert (eine moralische Frage!) ist, diese Frage wird tunlichst vermieden. Ja, es gilt sogar als unmoralisch nicht davon auszugehen, dass Gesundheit unendlich viel Wert ist. Unter diesen Bedingungen muss das System demnächst auch unendlich viel kosten (die ja jemandes Einkommen sind!) dürfen. Doch erstens, ist das realistisch, und zweitens ehrlich?

Wenn man an die Versuche denkt, alle Spitäler, die meist unter dem Blickwinkel des Wohlfühl- und Zufriedenheitsfaktors und nicht der Gesundheitsversorgung betrachtet wurden, nun auch als wirtschaftlich sinnvoll darzustellen, dann ist das bedenklich; und wenn der Gesundheitsminister allen Experten widerspricht, dass im Spitalswesen Geld zu sparen ist, sondern einstimmt in den Chor der unendlich kostbaren Spitalsversorgung, beängstigend. Denn mit „Moral“ oder wenigstens nur Wahrheit hat das nichts zu tun.

Wenn mit Zahlen operiert wird, die gelogen sind, nur damit niemand besorgt fragen könnte, ob denn doch was nicht stimmt, dann ist das arg. Denken wir nur an die nicht erfassten Ausgaben bei den Wahlärzten, die nur deswegen verschwiegen werden, weil die ohnehin hohen Selbstbehalte offiziell nicht noch höher werden dürfen.

Wenn Ärzte Patienten nicht die Wahrheit erzählen, sondern gefällige Interpretationen von oft selbstgestrickten Daten referieren, nur um einem ernsten Gespräch zu entgehen und „ewiges“ Leben versprechen können, wenn Patienten auf Intensivabteilungen gequält werden, nur weil die Gesellschaft (von oben verordnet) sich dem Problem Lebensqualität versus Lebenslänge entzieht und den handelnden Ärzten kein moralisches Gerüst bereitstellt um diese heiklen Fragen im Alltag zu klären, dann ist das alles unmoralischer Selbstbetrug.

Wenn also Populismus jegliche Werte ersetzt, wenn die Maxime des Handelns Stimmmaximierung ist, ja dann dürfen wir uns nicht wundern, dass der (logische und unmoralische) Markt, dessen Ziel Gewinnmaximierung ist, kurzsichtig, destruktiv und gefräßig handelt. Der Markt ist so nur Spiegel unseres eigenen Versagens.

Und wenn man schon liberalem Gedankengut die Schuld zuschieben will, dann nur dahingehend, dass Liberale zu naiv sind. Denn sie glauben tief in ihrem Herzen, dass demokratisch gewählte Politiker die Freiheit weniger missbrauchen als Diktatoren. Aber wahrscheinlich liegen sie hier falsch.

Dieser Artikel wurde im Mai 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Länder als Spitals-Monopolisten

Die Länder bestimmen nicht nur den Preis der Spitalsversorgung, sondern auch, wer und was gut und böse ist – eigentlich eine untragbare Situation, die aber niemand ändern kann.

Herr M. ist gerade aus dem Spital entlassen worden und hat zum Abschied einen Fragebogen erhalten. Er solle doch bitte ausfüllen, wie zufrieden er war. Und weil er erstens, von seinen Schmerzen befreit, glücklich ist und zweitens niemanden, den er vielleicht noch einmal braucht, verärgern will, wird der Fragebogen zur Lobeshymne. Lustig, er wird später im Tag noch einmal befragt, am Telefon und von einer deutschen Stimme, der erzählt er dann schon Genaueres – und anderes.

Aber das macht nichts, weil in dem Bundesland, in dem er behandelt wurde, ohnehin nur der Fragebogen als Wahrheit anerkannt wird. Und da sind die Ergebnisse jedes Jahr beeindruckend; Lob über Lob – ja so wünscht das die Politik; und erhält es.

Dass das möglich ist, hängt mit der Monopolmacht der Länder in der Spitalsversorgung zusammen. Durch diese bestimmt die Landespolitik, was gut und böse, was richtig und falsch ist und auch wo es Veränderungen oder Verbesserungen geben darf, und wie diese auszusehen haben.

Die Macht des Monopols haben sich die Länder selbst gegeben. Kaum jemand weiß, dass Spitäler etwa 30 Prozent Defizit machen „müssen“, einfach deswegen, weil die Honorare für ihre Leistungen nicht kostendeckend sind. Und so muss jedes Spital zur Landespolitik betteln gehen, damit diese die Defizite deckt – das erhöht die Macht. Die Idee, die Gelder dieser „Defizitdeckung“ in die Honorare hineinzurechnen, wird seit Jahren verweigert. Das würde Transparenz und Gerechtigkeit der Mittelverteilung erhöhen, ist aber aus machtpolitischer Sicht undenkbar. Und nebenbei, das Geld, das die Länder gnädig verteilen, holen sie sich beim Bund, nicht bei der eigenen Bevölkerung.

Aber es geht noch weiter. So betreibt in Niederösterreich die Landespolitik bereits alle Spitäler und hat Durchgriff auch auf die kleinsten Entscheidungen – und nützt das auch. Interne Kritiker werden einfach gekündigt und mit einer Art landesweitem Berufsverbot belegt. An zweiter Stelle liegt die Steiermark, in der 84 Prozent der Spitalsbetten direkt dem Land unterstellt sind – auch hier unterbindet die Politik jegliche Vernunft und hat jene, die diese zu laut eingefordert haben, einfach in die Wüste geschickt. Am Ende gibt es gerade einmal drei Bundesländer, die weniger als 70 Prozent „Marktanteil“ haben. So wird Konkurrenz unterbunden und die kurative Kraft des Wettbewerbs erfolgreich verhindert. Und jeder, der innerhalb des Systems steht, der wird darauf hingewiesen, dass Verbesserungsvorschläge ausschließlich aus den Büros der Landespolitik kommen dürfen.

Im Herbst werden die Budget-Grauslichkeiten über uns kommen. Steuererhöhung wird es geben, so viel ist fix. Was die Ausgabenseite betrifft, da herrscht Ideen-Leere. Zwar wissen alle, dass in der Spitalsversorgung ein bis zwei Milliarden Effizienzpotential liegt, aber wer kann Monopolisten befehlen, effizienter zu werden? Und dank der Eradikation interner Kritiker, findet man kaum jemanden, der diese Potentiale darstellen könnte. Also wird es mehr Geld geben um die Unvernunft weiter walten zu lassen – Steuergeld.

Und weil es so ist, kann jedem, der in der Spitalsversorgung weiter arbeiten will nur dringendst empfohlen werden, Süßholz zu raspeln, bis es weh tut, und nur ja keine Verbesserungen zu sehen oder es gar wagen, diese vorzuschlagen. Denn es wird einer Revolution bedürfen, um die Monopolisten zu zerschlagen – doch die zeichnet sich nicht ab.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Frau Doktor, Sie sind immer noch da?

Spitalsärzte leisten nicht nur enorme Wochenarbeitszeiten, die Dauer ihrer Dienste ist für immer mehr Patienten unvorstellbar – und gefährlich.

Hat ein Spitalsarzt Dienst, bedeutet das, morgens anzutreten und bis zum nächsten Tag zu arbeiten, 24 Stunden Minimum. In einigen Spitälern endet der Dienst tatsächlich „schon“ nach 24 Stunden, die Mehrheit arbeitet aber nach wie vor etwa 30 Stunden am Stück, auch 48 sind keine Seltenheit.

Während der Nacht besteht Bereitschaft, diensthabende Ärzte dürften also schlafen – theoretisch. Denn durch das steigende Patientenaufkommen nimmt auch die Arbeit in der Nacht zu. Es ist keine Seltenheit, dass Ärzte erst um zwei Uhr morgens Abendessen. Ebenso passiert es laufend, dass ein Diensthabender gar nicht zum Schlafen kommt oder stündlich geweckt wird. Selbst in einer „ruhigen“ Nacht beginnt diese nicht vor eins und endet spätestens um halb sechs. Und dann wird „munter“ weiter behandelt.

Ärzte sind sich bewusst, dass sie nicht „munter“ sind. Das führt zu immer höher werdendem Druck, den sie auf sich selbst ausüben. Und so haben Ärzte im Dienst selbst beim Schlafen erhöhten Blutdruck und Puls. Eine Ärztin erzählte mir, sie würde wie ein Wachhund schlafen – schließlich darf man das Telefon nicht „überhören“.

Es ist bewiesen, dass nach 17 Stunden Dienst die Reaktionszeit der mit einem Alkoholspiegel von 0,5 Promille entspricht. Einem Autofahrer nimmt man den Führerschein weg, wenn man ihn fahrend erwischt, ein Arzt hingegen arbeitet so noch mindestens sieben Stunden weiter. Und tatsächlich fühlen sich viele nach einem Dienst „wie betrunken“ und vermeiden es, sich ins Auto zu setzen. Einer Ärztin wurde einmal abgeraten, nach 27 Stunden Dienst mit eineinhalb Stunden Schlaf mit dem Rad nach Hause zu fahren – aus Sicherheitsgründen. Laut dem Arbeitszeitgesetz für Ärzte, das diesen Wahnsinn ermöglicht, hätte sie aber noch Patienten behandeln dürfen: 48 Stunden am Stück sind ebenso legal wie eine Wochenarbeitszeit von 72 Stunden. Bis zu 8 Dienste pro Monat sind erlaubt, was bedeutet, fast jede dritte Nacht im Spital zu verbringen. Das ist so, als ob man jeden dritten Tag auf einen Ball geht, ohne jemals richtig auszuschlafen! Und trotz dieser großzügigen Regelung, werden die Dienstzeiten oft überschritten.

Die meisten Ärzte – inklusive ihrer Familien – leiden darunter, sind jedoch finanziell davon abhängig. Die Entlohnung der Dienste macht mindestens 30 Prozent des Gehalts aus. Aber selbst wenn es nicht auch ums Geld ginge, sie hätten gar keine Wahl, weil nur so viele Ärzte, vor allem Turnusärzte, angestellt werden, wie es das Arbeitszeitgesetz hergibt. Wenn dann Grippewellen oder Schwangerschaften „passieren“, muss das Gesetz halt übertreten werden.

Dass die Politik das zulässt, hängt damit zusammen, dass an allen Spitälern krampfhaft festgehalten wird. Und da heißt es sparen – am Besten bei Personalkosten. Würden wir weniger Spitäler haben und mehr Patienten ambulant behandeln, könnte man menschlichere Bedingungen schaffen – aber das ist undenkbar.

Wer im Spital liegt, soll nicht fragen „Frau Doktor, Sie sind immer noch da?“ – diese Frage ist zynisch! Außer vielleicht, man will von jemandem behandelt werden, der „betrunken“ ist.

Und nur um gleich zu reagieren, früher war es anders. Die Zahl der Patienten war deutlich geringer und, was wesentlicher ist, die Frauen blieben brav am Herd statt Ärzte zu sein, und die starken Ehemänner hielten, eine Perspektive vor Augen, tapfer durch. Tja, irgendwie ist so ein Bild genau so anachronistisch wie unser Spitalswesen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Lasst uns konkret werden

Als Anstoß für die Spitalsreformen 2010 will ich ein Tabu brechen und konkrete Spitäler nennen, die keiner braucht – Mögen die Spiele beginnen!

Bis zum 18. Jahrhundert gab es zwei Typen von Medizinern: die Chirurgen, die sich mit Kriegswunden beschäftigten, und die Ärzte, die aus der Untersuchung des Körpers und seiner Säfte auf Krankheiten schlossen. Mit dem Fortschritt kam es zu einer immer weiteren Spezialisierung. So zerfiel die Innere Medizin in zahlreiche Subdisziplinen, die sich entweder nur mit der Niere, der Lunge, oder dem Stoffwechsel beschäftigen. Die Chirurgen haben sich in Kinderchirurgie, Unfallchirurgie, Orthopädie, Herzchirurgie, Lungenchirurgie etc. spezialisiert. Mittlerweile haben wir in Österreich 29 verschieden Fachärzte und viele Subspezialisierungen, in denen man erst ausgebildet werden darf, wenn man bereits Facharzt ist.

Der Vorteil dieser Spezialisierung erklärt sich selbst, der Nachteil ist, dass es kaum mehr möglich ist, den Zugang zu diesen Spezialisten gerecht zu gestalten.

In der unpolitischen Spitalsplanung, die hierzulande etwa 30 Spezialrichtungen berücksichtigt, wird versucht, festzulegen, welche Einzugsgebiete nötig sind, um die kleinsten gesetzlich erlaubten Abteilungen so vorhalten zu können, dass die Qualität einigermaßen gesichert werden kann; Einfacher ausgedrückt, wie viele Einwohner mindestens nötig sind, um genug Patienten für ein bestimmtes Fach erwarten zu können, damit die Spezialisten dort ihre Wissen nicht verlieren.

Für gynäkologische Abteilungen braucht man beispielsweise mindestens 80.000 Einwohner, für die Orthopädie 100.000, für die kleinste Allgemein-Chirurgie 60.000. Die Internisten kommen mit einem deutlich kleineren Einzugsgebiet aus. Eine einfache Abteilung für Innere Medizin ist schon ab 25.000 Einwohner machbar. All diese Zahlen gelten nur für Österreich mit seiner einzigartig hohen Krankenhaushäufigkeit. Würde man französische oder gar holländische Maßstäbe anlegen, müssten die Einzugsgebiete viel größer sein.

Allgemeine Akut-Spitäler müssen mindesten eine Abteilung für Chirurgie und eine für Innere Medizin vorhalten. Da eine Chirurgie wenigstens 60.000 Einwohner im Einzugsgebiet braucht, wäre sie limitierend. Ein Drittel der Akut-Spitäler hat ein kleineres Einzugsgebiet und daher tendenziell bereits ein Qualitätsproblem.

Natürlich darf man nicht vergessen, dass die Erreichbarkeit wichtig ist, aber Spitalsplanung ist immer eine Grätsche zwischen Qualität und Wohnortnähe. Ein heikler Weg, bei dem ich mich klar für die Qualität ausspreche. Und vergessen wir nicht, wir haben eine riesige Hubschrauberflotte und viele Rettungswägen.

Schauen wir uns die Einzugsgebiete der zehn kleinsten Spitäler an: Bad Aussee 14.527; Mittersill 19.508, Klosterneuburg 25.557, Güssing 27.319, Gmünd 29.401, Reutte 30.907, Tamsweg 33.290, Fürstenfeld 34.689, Mürzzuschlag 35.295, Lilienfeld 35.302.

Bei Fürstenfeld und Güssing muss man darauf achten, dass sie nebeneinander liegen; man könnte daher nur eines der beiden Häuser schließen. Reutte muss sich nach Deutschland orientieren – dort gibt es in Füssen und Pfronten Spitäler, die wegen der Grenzlage ebenfalls kaum fähig sind zu „überleben“. Ein Verbund über EU-Innengrenzen sollte machbar sein; denken wir an die Spitäler in Braunau und Simbach. Der Rest kann ohne die Versorgung zu verschlechtern geschlossen werden. Die Patienten könnten, meist über Landesgrenzen hinweg, und das ist das Problem, innerhalb von 40 Minuten (OHNE Blaulicht oder Hubschrauber!) im nächstgelegenen Spital versorgt werden.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Zwergenspitäler

Nachdem Bad Aussee seine „systemrelevante“ Chirurgie behalten darf, wollen die Mittersiller ihre Geburtsstation retten – ein Wahnsinn.

Und wieder probt ein Spital den Aufstand. Nachdem die vollkommen unnötigen Chirurgien in den steirischen Dörfern Bad Aussee und Mürzzuschlag „gerettet“ wurden, regt sich jetzt Widerstand gegen die Schließung der Geburtsstation im salzburgischen Mittersill.

Und wie üblich wird die Diskussion in einer Art und Weise geführt, die erschreckend ist. Leserbriefe werden veröffentlicht, in denen der Volkszorn zum Ausdruck kommt, das Leichentuch hängt vor jeder Tür und Fehlinformationen werden – wie für Propaganda üblich – dazu verwendet, der Bevölkerung Angst zu machen.

Aber es ist ja auch nichts anders zu erwarteten. Immerhin wurde seit Jahrzehnten jede Sachpolitik dem Populismus geopfert.

Aber bleiben wir einmal kurz bei den nicht sehr beliebten Qualitätsfakten.

In Mittersill – und damit das klar ist, es ist ein Synonym für alle Zwergenspitäler, die so gern Riesen wären – gibt es etwa 150 Geburten pro Jahr. Schon heute müssten alle Risikogeburten in größere Spitäler überwiesen werden. Die Regeln, welche Risken in den kleinsten Geburtsstationen eingegangen werden dürfen, wurden zum Wohl der Kinder und Mütter (also eine Qualitäts-, keine Kostenfrage!) strenger, sodass es zukünftig vielleicht noch 100 Geburten vor Ort geben könnte.

Dank moderner Medizin sterben nur etwa fünf Kinder pro 1.000 Geburten bei der Geburt Da Mittersill keine Risikogeburten hat, sollte die Sterblichkeit noch niedriger liegen; vielleicht so bei zwei? Das aber bedeutet, dass nur alle fünf Jahre ein Kind sterben sollte; also sehr selten. In den großen Geburtstationen, in denen mehr als 1.000 Geburten pro Jahr vorkommen und die auch Risikogeburten durchführen, da werden pro Jahr gleich mehrere Kinder sterben. Und weil eben Populismus vor gar nichts zurückschreckt, wird dieses Faktum gerne dazu verwendet, darzustellen, dass Klein Oho ist.

Dieses Spiel mit Zahlen ist zynisch. Denn die Wahrheit schaut anders aus. Überall wo richtige Studien und nicht politische Wunschkonzerte durchgeführt wurden, wird festgehalten, dass in Spitälern mit weniger als 500 Geburten pro Jahr die Kinder vier mal häufiger sterben, als in Spitälern mit mehr als 1.000 Geburten. Zwergenspitäler sind also alles andere als Oho!

Es gäbe gute Qualitätsgründe, dass diese kleinsten Geburtsstationen aus der Versorgung genommen werden. Das Problem ist, dass es die Politik seit Jahrzehnten nicht der Mühe Wert gefunden hat, über Qualität zu reden, sondern lieber jedem erzählt hat, dass alle überall und immer auf allerhöchstem Niveau versorgt werden. Und so kann sie also gar nichts anderes, als eine Kostendiskussion führen, wenn sie irgendeinen Zwerg schließen will. Kein Politiker würde sich trauen, die Wahrheit auszusprechen: In den vielen viel zu kleinen Spitälern kann gute Qualität nicht aufrecht erhalten werden!

Die Politik nimmt lieber in Kauf, von der Bevölkerung als Kaputtsparer tituliert zu werden. Das mag vielleicht die eine oder andere Stimme kosten, aber die Option, andere Zwergenspitäler am Leben zu lassen, bleibt erhalten. Und um nichts anderes geht es ja schließlich. Das Patientenwohl ist doch jedem egal!

Wenn ich im oberen Pinzgau eine Frau kennte, die noch Nachwuchs zu erwarten hat, ich würde sie anflehen, einen Bogen um Mittersill zu machen und das 30 km entfernte Zell am See oder das 40 km entfernte St. Johann anzufahren. Denn lebende Kinder wären mir die paar Kilometer wert!

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Entscheidungsschwäche – entscheidende Schwäche

Ein solidarisches Gesundheitssystem ist nur solange vernünftig, solange es transparent arbeitet und entscheidungsfähig ist. Beides ist verloren gegangen.

Astrid L. lebt in Lödöse, Schweden. Sie ist 49 und wird ihren 50sten mit ihren erwachsenen Kindern feiern. Dass sie seit ihrem 12. Lebensjahr an jugendlichem Diabetes leidet, hat sich auf ihr Leben kaum ausgewirkt.

Wie froh Astrid L. sein kann, dass sie nicht in den USA wohnt, ist ihr nicht bewusst. Die Wahrscheinlichkeit dort an seinem 50sten bereits unter der Erde zu liegen, ist für die weiße (reichere) Bevölkerung drei, für die schwarze (ärmere) gleich zehn mal höher.

Warum das so ist, das ist nicht so ganz klar. Dass es nicht am Geld liegt zeigen die Gesundheitsausgaben. Zwar darf man die irrwitzigen Summen in den USA nicht einfach mit den niedrigeren in Skandinavien vergleichen; vom Haftungsrecht bis hin zu den unterschiedlichen Kapitalkosten in umlage- bzw. kapitalgedeckten Systemen, gibt es vieles, das einen direkten Vergleich nicht erlaubt, aber dass in den USA mehr ausgegeben wird, ist sicher. Es muss schon was anderes, als das Geld sein.

Jugendlicher Diabetes ist ein hervorragender Parameter für Gesundheitssysteme. Die Behandlung ist ausgesprochen komplex und dauert ein Leben lang. Die lebensverkürzenden Begleiterkrankungen entwickeln sich langsam und kaum bemerkbar. Wenn sie manifest werden, sind sie quasi unbehandelbar. Die Patienten erblinden, haben kaputte Nieren, kriegen Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Die einzig Therapie ist Insulin spritzen und sein Leben diszipliniert führen. Und um die Patienten dabei bei der Stange zu halten, dafür muss ein System richtig gut funktionieren.

So wie es aussieht, sind jene Systeme, die auf die Entscheidung des einzelnen und den freien Markt setzen dabei weniger erfolgreich als jene, deren Funktionsweise solidarisch ist. Mehr noch, dort, wo ein restriktives, aber transparent agierendes nationales Gesundheitssystem besteht, sind vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen besser aufgehoben als anderswo.

Der Grund, warum das so ist, dürfte wohl darin zu suchen sein, dass der einzelne nur schwer langfristige Entscheidungen für seine Gesundheit richtig treffen kann. Solange man gesund ist, neigt man dazu, sich nicht vorzustellen, krank zu sein. Wenn man krank ist, ist man erst recht nicht in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Werden dem einzelnen diese Entscheidungen durch ein öffentliches Gesundheitssystem abgenommen, dann besteht – und das offenbar erfolgreich – die echte Chance, länger gesund zu bleiben.

Natürlich funktioniert das nur, wenn die Menschen den Entscheidungsträgern im System auch vertrauen. Und das kann man erreichen, indem man Entscheidungswege offenlegt und die Bevölkerung teilhaben lässt.

Wenn jedoch das System keine Entscheidungen mehr trifft, dann werden diese, mangels Alternativen, wieder an den einzelnen zurückfallen – mit all den Konsequenzen, die wir in den USA sehen.

Und wie sieht es mit der Transparenz und Entscheidungsfähigkeit hierzulande aus? Transparenz ist grundsätzlich ein Fremdwort. Unsere Entscheidungsträger halten hinter verschlossenen Türen Hof.

Aber finden sie dann wenigstens zu Entscheidungen? Seit 40 Jahren diskutieren sie erfolglos über eine Spitalsreform, ja selbst die aktuelle Frage der Kassensanierung wird nun bereits seit drei Jahren nur beredet. Weder ein klares Nein, noch ein klares Ja ist zu hören.

Da frage ich mich, wie geht es unseren jugendlichen Diabetikern? Glücklicherweise haben wir dazu keine offiziellen Statistiken.

Dieser Artikel wurde im November 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Was drauf steht soll auch drinnen sein

Weil politischer Mut längst populistischem Handeln gewichen ist, wird die Spitalsversorgung immer schlechter – Gott sei dank merkt es niemand.

Stellen sie sich vor, Sie kaufen Seifenblasen. Sie nehmen die Verpackung und lesen, dass die gewählten Seifenblasen die schönsten der Welt sind. Sie sind groß und bunt für die, die sie groß und bunt wollen, oder klein und lustig hüpfend für die, die das wollen. Gut, denken Sie, das, was da drauf steht wird wohl nicht ganz stimmen, aber Seifenblasen lassen sich sicher erzeugen.

Sie kommen nach Hause, ihre Kinder scharen sich um Sie, Sie nehmen die Verpackung, tauchen den Stiel in die Flüssigkeit, pusten und – nichts geschieht. Auch jeder weitere Versuch bleibt erfolglos. Sie ärgern sich und riechen an der Seifenflüssigkeit – und stellen fest, es ist nur Wasser drinnen. Was geht durch Ihren Kopf? Sie wollen sich beschweren oder gar die Firma verklagen – und haben mit diesen Gedanken vollkommen recht.

Was hat das mit dem Spitalswesen zu tun? Nun, da erleben wir in Österreich Skurriles. Längst (wenigstens jedoch seit die WHO es 1969 in einem Bericht festgehalten hat) ist bekannt, dass die Qualität in Österreichs Spitälern nicht immer das ist, was sie zu sein scheint. Als Hauptgrund wurde damals genannt, dass es zu viele Häuser gäbe und es nicht möglich ist, bei so einer Vielzahl an Standorten die Qualität aufrecht zu erhalten. Und trotzdem haben wir es in den letzten 40 Jahren nicht geschafft, eine ordentliche und ausnahmsweise am Patienten statt an Wählerstimmen orientierte Reform umzusetzen.

Und die medizinische Entwicklung schreitet voran. Man muss sich vorstellen, dass jährlich 500.000 medizinisch-wissenschaftliche Artikel erscheinen. Bei so einer Fülle an Informationen ist es schlicht nicht möglich, in jedem unserer Spitäler eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Versorgungsqualität zu gewährleisten. Spezialisierung und Zentralisierung sind deswegen international seit Jahrzehnten ein Thema. Bei uns nicht. Und so verfügen wir über 40 Prozent mehr Spitalsbetten und nehmen um 70 Prozent mehr Patienten pro Jahr auf wie der europäische Durchschnitt. Bei solchen Zahlen ist es aber vollkommen klar, dass in vielen Spitälern schon längst keine Spitäler mehr drinnen sind. Statt eine fachärztliche Versorgungseinrichtung zu sein, die nur Patienten zur Verfügung steht, die entsprechend ihre Krankheit und den Therapiemöglichkeiten eine stationäre Versorgung benötigen, sind sie bei uns „Auffangbecken“ für wen auch immer. Und an jedem Standort wird festgehalten als ob es darum ginge, die Welt zu retten.

Jetzt wird das Geld knapp und Politiker wie willfährige Ökonomen suchen krampfhaft nach Sparpotential. Die einzig sinnvolle und längst überfällige Sparmaßnahme ist jedoch endlich diese vielen unnotwendigen Spitäler zu sperren und das freigesetzte Geld in eine moderne Gesundheitsversorgung zu investieren, die sich um den Patienten und nicht um regionalpolitische Wünsche kümmert. Aber das ist keine Option. Stattdessen wird lieber die Qualität weiter verwässert und bei Fortbildung und personeller wie technischer Ausstattung gespart. Dafür werden Eingangshallen „modernisiert“ und ein „Wohncharakter“ erzeugt. Und dem Patienten, dem sagt man einfach, alles sei vom Allerfeinsten und überhaupt ist die Versorgung auf allerhöchstem Niveau. Was für ein Glück, dass der Patient so wenig über Medizin weiß; so kann man ihm erklären, was man will. Und wer was anderes tut, der verunsichert Patienten und ist böse. Ach, und im Übrigen verweise ich auf H.D. Thoreau!

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.