Ländliche Polemik in der Spitalsplanung

Rasend war der Zorn der Länder, als von Bundespolitikern Ideen zur Spitalsreform – politisch unprofessionell – ventiliert wurden.

Am lautesten war wohl der für „seine“ Spitäler zuständige NÖ-Finanzlandesrat W. Sobotka. Er erklärte Bundespolitiker zu Dilettanten, denen man Spitalsplanung nicht überlassen darf. Immerhin kennen die ja nicht einmal die Gesetzte, als da wären: 90 Prozent der Bevölkerung müssen innerhalb von 30 Minuten Fahrzeit (Individualverkehr!) ein Spital erreichen können, und für ein Einzugsgebiet von 50 bis 90 Tausend Einwohner ist jedenfalls ein Spital mit Abteilungen für Chirurgie und Innere Medizin vorzuhalten. Damit kann kein Spital geschlossen werden. Das ist natürlich falsch.

Seit Jahren hat der Landesrat eine theoretisch optimierte Standortwahl in der Schublade (oder weggeworfen), die, wenn man es voraussetzungslos darauf anlegte, die Erreichbarkeit mit acht Standorten garantiert; 27 braucht man dazu nicht. Aber vielleicht werden die 30 Minuten mit dem Ochsenkarren und nicht dem Auto berechnet. Und wie schaut es mit den Einzugsgebieten aus? Nicht besser. Neun der 27 Spitäler haben ein Einzugsgebiet unter 50.000 Einwohner. Eine gesetzliche Forderung besteht also nicht.

Ebenso falsch ist, dass NÖ gar nicht „so viele“ Spitäler und Betten hat. Und um das zu belegen, wurde eine „Studie“ angefertigt, derzufolge die Dichte an Spitälern und Betten unter dem Bundes-Schnitt läge. Was (absichtlich?) verschwiegen wird, ist, dass ein Viertel der Niederösterreicher in anderen Bundesländern behandelt werden. Korrekterweise müsste man die Abziehen – und dann ist man wieder auf dem Bundes-Schnitt.

Wenn man genauer schaut, sieht man aber, wie willkürlich Spitalsplanung ist. Während im bevölkerungsreichen nördlichen Industrieviertel die Spitalshäufigkeit niedrig ist, weil die Hälfte der Patienten nach Wien geschickt wird, ist sie in dem mit Spitälern überreich ausgestatteten Mostviertel gleich 14 Prozent über dem Bundes-Schnitt. Ob das damit zu tun hat, dass dort der Wahlkreis des Finanzlandesrates liegt?

Aber mit Polemik ist Niederösterreich nicht alleine – da sind alle Bundesländer gleich. Und überall wird Unterversorgung skandiert, wenn Spitäler schließen. Ein Blick in die EU macht sicher, dass das falsch ist. Werden bei uns pro 100 Einwohner etwa 30 Aufnahmen gezählt, kommt Deutschland, an zweiter Stelle, mit 20, die EU mit 17 aus.

Wäre die Diskussion ehrlich und sachlich, gäbe es keinen Grund, alle Spitäler zu halten. Und damit ja niemand auf eine sachliche Ebene (herab oder hinauf?) steigen kann, hat man den alles stechenden Trumpf gleich am Anfang gezogen: Arbeitsplatzsicherung!

Nicht grundlos betont die WHO seit den 1980er immer wieder, dass aus beschäftigungspolitischen Gründen Spitäler keinesfalls erhalten werden sollten. Es gilt als bewiesen, dass so die Qualität sinkt. Trotzdem halten Landespolitiker fest: zehntausende verlören ihre Arbeit, wenn eine Spitalsreform kommt!

Aber das stimmt auch nicht, denn bei der derzeitigen demographischen Veränderung ist es schlicht unmöglich, auf tausende Arbeitskräfte zu verzichten – die Arbeit ist da und wird nicht weniger. Nur wie und wo sie erbracht wird, das könnte sich ändern.

Und da liegt auch der Grund – welcher Politiker will schon den direkten Einfluss auf tausende Mitarbeiter verlieren. So wie im Mittelalter die Macht eines Fürsten in der Zahl seiner leibeigenen Bauern gewogen wurde, ist es heute die Zahl der Spitalsmitarbeiter. Eine Spitalsreform würde diese Zahl schrumpfen lassen. Und das geht gar nicht.

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Lasst uns konkret werden

Als Anstoß für die Spitalsreformen 2010 will ich ein Tabu brechen und konkrete Spitäler nennen, die keiner braucht – Mögen die Spiele beginnen!

Bis zum 18. Jahrhundert gab es zwei Typen von Medizinern: die Chirurgen, die sich mit Kriegswunden beschäftigten, und die Ärzte, die aus der Untersuchung des Körpers und seiner Säfte auf Krankheiten schlossen. Mit dem Fortschritt kam es zu einer immer weiteren Spezialisierung. So zerfiel die Innere Medizin in zahlreiche Subdisziplinen, die sich entweder nur mit der Niere, der Lunge, oder dem Stoffwechsel beschäftigen. Die Chirurgen haben sich in Kinderchirurgie, Unfallchirurgie, Orthopädie, Herzchirurgie, Lungenchirurgie etc. spezialisiert. Mittlerweile haben wir in Österreich 29 verschieden Fachärzte und viele Subspezialisierungen, in denen man erst ausgebildet werden darf, wenn man bereits Facharzt ist.

Der Vorteil dieser Spezialisierung erklärt sich selbst, der Nachteil ist, dass es kaum mehr möglich ist, den Zugang zu diesen Spezialisten gerecht zu gestalten.

In der unpolitischen Spitalsplanung, die hierzulande etwa 30 Spezialrichtungen berücksichtigt, wird versucht, festzulegen, welche Einzugsgebiete nötig sind, um die kleinsten gesetzlich erlaubten Abteilungen so vorhalten zu können, dass die Qualität einigermaßen gesichert werden kann; Einfacher ausgedrückt, wie viele Einwohner mindestens nötig sind, um genug Patienten für ein bestimmtes Fach erwarten zu können, damit die Spezialisten dort ihre Wissen nicht verlieren.

Für gynäkologische Abteilungen braucht man beispielsweise mindestens 80.000 Einwohner, für die Orthopädie 100.000, für die kleinste Allgemein-Chirurgie 60.000. Die Internisten kommen mit einem deutlich kleineren Einzugsgebiet aus. Eine einfache Abteilung für Innere Medizin ist schon ab 25.000 Einwohner machbar. All diese Zahlen gelten nur für Österreich mit seiner einzigartig hohen Krankenhaushäufigkeit. Würde man französische oder gar holländische Maßstäbe anlegen, müssten die Einzugsgebiete viel größer sein.

Allgemeine Akut-Spitäler müssen mindesten eine Abteilung für Chirurgie und eine für Innere Medizin vorhalten. Da eine Chirurgie wenigstens 60.000 Einwohner im Einzugsgebiet braucht, wäre sie limitierend. Ein Drittel der Akut-Spitäler hat ein kleineres Einzugsgebiet und daher tendenziell bereits ein Qualitätsproblem.

Natürlich darf man nicht vergessen, dass die Erreichbarkeit wichtig ist, aber Spitalsplanung ist immer eine Grätsche zwischen Qualität und Wohnortnähe. Ein heikler Weg, bei dem ich mich klar für die Qualität ausspreche. Und vergessen wir nicht, wir haben eine riesige Hubschrauberflotte und viele Rettungswägen.

Schauen wir uns die Einzugsgebiete der zehn kleinsten Spitäler an: Bad Aussee 14.527; Mittersill 19.508, Klosterneuburg 25.557, Güssing 27.319, Gmünd 29.401, Reutte 30.907, Tamsweg 33.290, Fürstenfeld 34.689, Mürzzuschlag 35.295, Lilienfeld 35.302.

Bei Fürstenfeld und Güssing muss man darauf achten, dass sie nebeneinander liegen; man könnte daher nur eines der beiden Häuser schließen. Reutte muss sich nach Deutschland orientieren – dort gibt es in Füssen und Pfronten Spitäler, die wegen der Grenzlage ebenfalls kaum fähig sind zu „überleben“. Ein Verbund über EU-Innengrenzen sollte machbar sein; denken wir an die Spitäler in Braunau und Simbach. Der Rest kann ohne die Versorgung zu verschlechtern geschlossen werden. Die Patienten könnten, meist über Landesgrenzen hinweg, und das ist das Problem, innerhalb von 40 Minuten (OHNE Blaulicht oder Hubschrauber!) im nächstgelegenen Spital versorgt werden.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ja, ja, die Länder

Die Länder zeigen machtbewusst Hauptverband und Gesundheitsminister die kalte Schulter – obwohl ihre Spitalsplanung kein Ruhmesblatt ist.

Vor 40 Jahren, als Fernseher noch schwarz-weiß flimmerten, schrieb die Weltgesundheitsorganisation über unser Spitalswesen u.a. folgendes: (1) Spitalsplanung ist nicht Teil eines umfassenden Planes der Gesundheitspflege. (2) Die Bundesregierung hat keine Kompetenzen, verbindliche Weisungen zu erteilen.

In der ersten Kritik steckt der unverändert andauernde Wahnsinn, dass die Spitäler sich ohne Abstimmung mit niedergelassenen Ärzten, Pflegebereich oder Rehabilitation entwickeln. Statt, wie üblich, den Hausarzt als Lotsen einzusetzen, der für und mit dem Patienten darauf achtet, dass die richtige Leistung zur richtigen Zeit am richtigen Ort erbracht wird, dreht sich bei uns alles um Spitäler, die jedoch nicht Sonnen sind, sondern schwarze Löcher, deren gefräßige Gravitation Jahr für Jahr zunimmt.

Die zweite Kritik ist das bis heute wohlbekannte Phänomen, dass Länder machen, was sie wollen. Mit der Folge, dass Spitäler, ja einzelne Abteilungen nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten nachkommen, sondern persönlichen Eitelkeiten dienen. Denken wir an die Peinlichkeiten rund um die Chirurgien in Bad Aussee und Mürzzuschlag, das traurige Schauspiel um die Geburtshilfe in Mittersill, die Kasperliade um die Oberösterreichische Spitalsreform, die endlose Geschichte von Kitzbühl, die Doppelgleisigkeiten in Kittsee und Hainburg etc. Alles Beweise, dass eine, auf Länderebene angesiedelte Planung kaum mit Vernunft zu tun hat.

Und es nimmt kein Ende. Obwohl eines DER Argumente für einen Herzkatheter in Waidhofen/Ybbs (NÖ) die Versorgung der Region Steyr (OÖ) war, bekommt Steyr jetzt auch einen Herzkatheter; mit der Folge, dass beide Einrichtungen so wenige Fälle haben werden, dass die Qualität nicht stimmen wird (oder, was für Patienten schlimmer wäre, aber zu befürchten ist, die Fälle „künstlich“ erhöht werden). Landesgrenzen überschreitendes Denken ist kein Thema, besonders wenn Wahlen vor der Tür stehen – und dank neun Ländern, einem Bund, einer EU sowie Arbeiter- und Wirtschaftskammer stehen immer Wahlen an.

Der Österreichische Strukturplan Gesundheit wollte mit seiner Leistungsangebotsplanung diesem Spiel um Betten und Abteilungen ein Ende setzen. Zwischen 2000 und 2005 wurde verhandelt. Der faule Kompromiss über den ursprünglichen Plan hatte unter Naiven, wie mich, die Hoffnung genährt, dass der traurige Rest zu leben beginnt, und die Länder den Spitälern Versorgungsaufträge rund um definierte Leistungen erteilen. Doch wie schauen diese (gesetzlich vorgeschriebenen) regionalen Pläne aus? Soweit es sie überhaupt gibt, geht es wieder nur um Standorte, Betten und Abteilungen. Von einer Abstimmung mit der Rehabilitation, der Pflege oder den niedergelassenen Ärzten ganz zu schweigen.

Jetzt greift der Hauptverbandschef Dr. Schelling das Thema auf und möchte von der einrichtungsorientierten zur patientenorientierten Bedarfsplanung kommen; mutig und richtig. Doch wie regieren die Länder? Zum Gipfel letzter Woche entsenden sie Referenten! Was für ein Fauxpas. Stellen wir uns vor, der Papst lädt ein und Österreich lässt sich von einem Sekretär vertreten!

Es ist mir ja peinlich, weil ich Anhänger eines dezentralisierten, steuerfinanzierten Systems in der Hand gewählter Volksvertreter bin – aber ich glaube fast nicht mehr daran, dass je ein Bundesland jene Größe entwickelt, ein Gesundheitssystem zum Wohl der Bevölkerung zu entwerfen oder zu leiten.

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.