Assistierter Suizid

   In der wesentlichen gesundheitspolitischen Frage – Lebensqualität – wird prokrastiniert.

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   Das Erkenntnis, dass das Verbot der „Hilfeleistung zum Suizid“ verfassungswidrig war, ist der vorläufige Höhepunkt einer Diskussion, die unsere Politiker seit Jahrzehnten meiden. Zu wenig kann man damit gewinnen, zu viel verlieren.

Die Basis der Vermeidungsstrategie ist die Gretchenfrage, ob Lebensqualität Teil unseres Denkens und Handelns im Gesundheitswesen (das ist mehr als nur das Gesundheitssystem!) sein darf. Bis dato wurde die Frage durch Politiker eindeutig mit „Nein“ beantwortet. Da ein Leben unendlich viel wert ist, ist der einzig gültige Grundsatz die Lebensverlängerung, und die im Grunde um jeden Preis. Nun, im täglichen Leben war und ist das anders.

   Die Vermeidung jeglicher Diskussion über Lebensqualität führte und führt zu gewaltigen Problemen, denn die Lebensqualität eines Menschen kann derart absinken, dass das Leben zur Qual wird. Je früher und wirksamer man Lebensqualität adressiert, desto länger könnte diese Qual hinausgezögert oder sogar vermieden werden. Doch dazu muss man Lebensqualität als Parameter erlauben. Dessen Messung – ja, das ist möglich – stellt stark auf Selbstbestimmung ab. Und weil der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Suizid“ gegen das Recht auf Selbstbestimmung verstößt, kommt Lebensqualität plötzlich als wesentlicher Parameter ins Spiel – das irritiert alle.

   Neu ist das alles nicht – neu ist nur, dass die Zahl derer, die (in Friedenszeiten und in Freiheit) jene Phase des Lebens erreichen, in der Lebenslänge gegen Lebensqualität abgewogen wird, seit den 1970ern steigt. International haben Gesundheitswesen darauf mit dem Konzept der Palliativversorgung reagiert. Um die Jahrtausendwende – also rund 20 Jahre, nachdem das Konzept international bereits anerkannt war – stand fest: Wir werden um das Thema nicht herumkommen.

   Nach jahrelangen Streitereien ohne Lösung (wir wissen noch nicht einmal, ob Palliativversorgung zum Gesundheits-, oder zum Sozialsystem gehört – eine wesentliche Verfassungsfrage!) hat man sich 2005 auf ein Konzept geeinigt, aber dieses eben nicht umgesetzt. 2015 wurde, um die Untätigkeit zu kaschieren, die parlamentarische Enquete „Würde am Ende des Lebens“ abgehalten, um am Ende doch wieder nur Lippenbekenntnisse abzugeben. Eine endlose Geschichte, wie das Beispiel eines Hospizes in Salzburg, das 2012 nach zehn Jahren Betrieb wieder geschlossen wurde, zeigt.

   Jetzt hat eben der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass das alles so nicht geht – wenn wir als Gesellschaft Menschen im Sterben alleine lassen, dann dürfen wir ihnen nicht verbieten, zu sterben. Aber weil man dabei als Politiker noch immer nichts gewinnen kann, wird einfach mehr Geld für die Palliativversorgung versprochen – denn „mehr“ löst bekanntlich alle Probleme. Wir kleben also wieder einen Flicken auf den alten Schlauch, um das Loch zu stopfen, und erkennen weiterhin nicht, dass es der Druck im Schlauch ist, der das Loch gerissen hat.

   Die eigentliche Frage – Lebensqualität versus Lebenslänge – wird nicht gelöst. Und damit wird unser Gesundheitswesen weiterhin auf Lebensverlängerung um jeden Preis ausgerichtet bleiben – koste es, was es wolle

„Wiener Zeitung“ vom 04.11.2021 

Es dauert alles viel zu lange

   Politiker denken nicht darüber nach, was die Zögerlichkeit bei gesundheitspolitischen Entscheidungen für Lebensplanungen bedeutet.

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   1986 wollte ich nach der Matura ein Jahr freiwillig zum Bundesheer – wenn schon, denn schon. Aber, damals kam die Diskussion auf, dass die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte, die wegen Perestroika und Glasnost nicht mehr nötig sei. Daraufhin entschied ich, zuerst zu studieren und abzuwarten. Ich habe also eine weitreichende Entscheidung getroffen, da die Politik mir missverständliche Signale gab. Denn, die Wehrpflicht wurde nicht abgeschafft, aber es wurde weiterdiskutiert. Eine endgültige Entscheidung gab es erst 2013 – und zwar irgendwie absurd, denn die Abschaffung ginge deswegen nicht, weil das Sozialsystem mittlerweile auf die quasi Zwangsarbeit von Zivildienern angewiesen sei. Ich denke, keinem Politiker war klar, dass Lebensplanungen an Ihrer Unentschlossenheit ausgerichtet werden mussten, aber nicht konnten!

   Und in der Gesundheitspolitik?

   Betrachten wir die Jubelmeldung, dass die E-Medikation 2022 eingeführt sein soll. Die Diskussion darüber hat Anfang des 21. Jahrhunderts begonnen. 2012 wurde per Gesetz die Einführung der E-Medikation bis zum 31.12.2014 beschlossen – und das Gesetz dann einfach ignoriert. Was für ein Signal? Unternehmen, die sich mit damit beschäftigten, trafen Entscheidungen, investierten und standen am Ende vor der Tatsache, dass nichts weiter geht. Und jetzt, wird es wirklich 2022 soweit sein?

   Oder die Lehrpraxis für angehende Hausärzte? Die diskutieren wir seit den 1970ern (!). Seit damals ist klar, dass die spitalslastige Ausbildung nicht gut ist, will man Hausärzte ausbilden und motivieren, Hausärzte zu werden. Seit damals wird auch über die Aufwertung der Hausarztmedizin geredet, etwa in dem diese als Spezialausbildung (Facharzt) ausgebaut wird – 2018 (!) wurde die Finanzierung der Lehrpraxis gerade einmal für die nächsten zwei Jahre beschlossen, die Anerkennung als Fachärzte ist weiter weit weg, das Thema weiterhin offen. Was soll sich ein junger Arzt denken? Dass Hausarzt werden Zukunft hat?

   Ein anderes Beispiel ist die Kinder-Reha. Die massive Unterversorgung wurde 1999 festgestellt, dann endlos diskutiert, und erst 2019 werden Rehazentren in Betrieb gehen – wie viele Ärzte haben sich wohl in den vergangenen 20 Jahren spezialisiert und dann was anderes machen müssen, weil es keine Berufsaussichten gab? Von den Kindern, die wir behindert ins Erwachsenenleben entlassen haben ganz abgesehen.

   Oder Palliativversorgung? Um 2000 begann das Thema aufzutauchen und bald waren alle ob der Zuständigkeiten zerstritten – um diesen (unwürdigen) Streit zu lösen, wurde eine gemeinsame Strategie zur abgestuften Palliativversorgung beschlossen – das war 2005. Und heute?

   Die Regelversorgung für Kinder existiert weiterhin nicht, sondern hängt von Privatinitiativen und Spenden ab, 14 Jahre nach einer „vorgespielten“ Einigung. Wie viele Initiativen wurden da wohl eingestellt, weil eine politische Einigung nie in der Wirklichkeit ankommen muss.

   Ich denke, politische Eliten denken gar nicht mehr darüber nach, was ihre Ineffektivität bedeutet, wie viel Lebensplanungen sie verunmöglicht und wie viel Frust daraus erwächst.

„Wiener Zeitung“ vom 14.02.2019  

Die Palliativversorgung bleibt ein ewiges Problem

Die Politik verspricht seit Jahren, die Palliativversorgung patientenorientiert zu gewährleisten – mit mäßigem Erfolg.

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   In Salzburg wurde 2002, als es so aussah, dass die Palliativversorgung (PAL) bedarfsgerecht ausgebaut werden soll, ein Hospiz errichtet. Allerdings blieb vieles Lippenbekenntnis. Selbst als es 2005 zu einem Plan zwischen Bund, Ländern und Kassen kam, den Ausbau voranzutreiben, blieben Fortschritte mager.

   Ende 2012 schloss das Hospiz.

   Ein Tag kostete dort etwa 430 Euro. Die Kassen übernahmen 51 Euro, das Land 80. Der Patient steuerte 170 Euro pro Tag bei, die restlichen 130 der Träger – und als die wegfielen, war Schluss. So wichen Patienten wieder auf Spitäler aus.

   PAL-Stationen sind für Spitalsbetreiber finanziell und politisch unattraktiv. Daher sind die intramuralen Kapazitäten so ausgelegt, dass sie nur reichen, wenn die extramuralen entsprechend ausgebaut sind.

   Da das nicht so ist, gibt es einen Mangel. Hintergrund ist das Problem, dass keiner weiß (und auch nicht wissen will), ob PAL ins Gesundheits- oder Sozialsystem gehört.

   Im ersten Fall bezieht man PAL als Sachleistung unentgeltlich. Für Finanzierung wären Kassen und Länder (ohnehin schon schwer genug, die beiden zusammenzubringen) verantwortlich. Im zweiten Fall ist sie von jedem selbst zu bezahlen, oder eben über Spenden zu finanzieren. Die Abgrenzungsprobleme sind verrückt. Und so schieben sich alle seit Jahren den Schwarzen Peter gegenseitig zu.

   Das ist teuer und unmenschlich. Da viele Patienten auf normalen Abteilungen versorgt werden, fallen dort Kosten zwischen 800 und 1000 Euro pro Tag an – bei nachweislich sinkender Lebensqualität der Patienten.

   Warum wollen Kassen und Länder also keinen gemeinsamen Weg finden, eine PAL-Versorgung ohne Selbstbehalte zu ermöglichen?

   Die Antwort ist zynisch. Wenn das erwähnte Hospiz geschlossen wird, sparen sich Kassen 180.000 Euro. Die Länder sind nicht abgeneigt, Patienten in Spitälern zu versorgen, weil sie diese ja erhalten wollen. Und da politisch und finanziell eine normale Abteilung attraktiver als eine „Sterbe-Abteilung“ ist, werden diese auch nicht ausgebaut.

   Da es kaum Fortschritt gab, wurde im Juni 2014 die Enquete-Kommission zur „Würde am Ende des Lebens“ im Parlament beschlossen. Ein halbes Jahr wurde parliert, ein halbes Jahr verhandelt und – zehn Jahre nach dem ersten Beschluss über den Ausbau einer abgestuften Palliativ- und Hospizversorgung – ein Plan über den stufenweisen Ausbau und die mögliche Regelfinanzierung beschlossen. Nach weiteren drei Monaten wurde ein neues Gremium geschaffen, das Hospiz- und Palliativforum, dessen Präsidentinnen Waltraud Klasnic (ÖVP) und Elisabeth Pittermann (SPÖ) wurden. Und jetzt steht wieder alles.

   Im April 2017, nach 15 Jahren fortwährender Versprechen, dass es zu einer Lösung des Kompetenzproblems und einer Regelfinanzierung kommt, erklärt die Caritas, dass weiterhin der Bedarf nur zu 50 Prozent gedeckt und maßgeblich auf Spenden angewiesen ist – was bedeutet, dass wegen der Unfähigkeit zur Lösung abertausenden Menschen ein Sterben in Würde vorenthalten wurde und wird.

„Wiener Zeitung“ Nr. 072 vom 13.04.2017