Nur Mut, Herr Dr. S.!

Jeder hat gesagt es geht nicht. Dann kam einer, der hat das nicht gewusst und es einfach gemacht! Ob der Hauptverbandschef so einer ist?

„Wenn man seit langem die Diagnose über das österreichische Gesundheitssystem kennt, wenn man alle Daten, Fakten und Zahlen am Tisch hat und trotzdem nichts unternimmt, um den drohenden Kollaps oder sogar Infarkt abzuwenden, dann ist das Selbstmord mit Anlauf.“

Sowas hört man eigentlich nur von Experten, die es sich leisten wollen, nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“ zu leben. Von hohen System-Vertretern ist das nicht zu hören. Dr. Schelling war da immer schon anders. Sogar während der ersten Monate seiner Hauptverbandstätigkeit war von ihm noch mit harter (Selbst)Kritik zu rechnen. Allerdings verflachte er dann für einige Zeit – um sich nun stark zurückzumelden.

Acht bis zehn Milliarden Euro Schulden (Anm.: 100 Prozent Verschuldung, gemessen am Jahresumsatz) lägen in den Spitälern verborgen und Unwilligkeit wird als Unmöglichkeit getarnt – ja, so was hört man nicht gerne.

Ob jedoch brennende Reden ausreichen? Die Länder blockieren selbst unter Bruch von Gesetzen und m.E. sogar der Verfassung. Das darf nicht verwundern, hat doch heute eine rechtlich nicht einmal vorhandene Landeshauptleutekonferenz mehr Macht als die vielen legislativen Einrichtungen, von Landtagen, über Bundesrat bis zum Nationalrat.

Wenn also Dr. S. wirklich was ändern will, dann müssen mutigen Reden noch mutigere Taten folgen. Und da gäbe es tatsächlich etwas!

Die stationäre Spitalsversorgung (ohne Ambulanzen) kostet etwa acht Milliarden Euro, 3,5 davon kommen von den Kassen. Pro Patient heißt das, dass von etwa 3.200 Euro die Kassen 1.400 beisteuern.

Dass bei uns viel zu viel im Spital behandelt wird, ist Allgemeinwissen. Werden bei uns pro 100 Einwohner etwa 30 Aufnahmen gezählt, kommt Deutschland, an zweiter Stelle in der EU, mit 20, die EU mit 17, die Niederlande gar nur mit 11 aus.

Was also, wenn der Hauptverband hergeht und pro Aufnahme, die seine Vertragspartner, die Kassenärzte, nachweislich verhindern, einfach 1.000 Euro einbehält. 500 Euro kriegen die Kassenärzte und 500 werden zum Schuldenabbau verwendet. Was hätte das für Folgen?

Die Kassenärzte würden mehr Geld verdienen, allerdings nur, wenn sie auch versorgungswirksamer werden – es ist also nicht nur eine Gehaltserhöhung, sondern ein echter Leistungsanreiz, der wirklich ambulant vor stationär fördert.

Gleichzeitig würden jene, vorwiegend kleine, Spitäler, die zu einem Gutteil von unnötigen Aufenthalten leben, unter noch größeren Druck geraten. Der Druck wäre so groß, dass die Länder über Spitalsreformen reden müssen, sollen ihre Defizite nicht in astronomische Höhen schnellen.

In den großen Spitälern wiederum würde viel sinnlose Arbeit verschwinden, weil Patienten, die eigentlich nicht ins Spital gehören, wegfallen. Die Ärzte könnten sich wieder auf „echte“ Fälle konzentrieren. Auch entstünden Freiräume, die dringend nötig sind, um die Ausbildung der Jungärzte auf ein „normales“ Niveau zu heben und den Spitalsärzten Zeit zur Fortbildung zu verschaffen.

Und alles zusammen würde patientenfreundlicher und qualitativ besser werden!

Das wäre toll, würde aber Blut, Schweiß und Tränen kosten; denn, Länder und Interessensgruppen – immerhin verdienen abertausende mit überflüssigen Spitälern sehr bequem ihr Geld – werden alles tun, das zu verhindern Es würde Klagen hageln und an jeder Ecke das Leichentuch gehisst werden. Aber das ginge vorbei und ein mutiger Redner könnte als mutiger Sozialreformer in die Geschichte eingehen.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die unsicheren Prognosen der Kassen

Seit jeher sind die Prognosen der Krankenkassen falsch und immer ist das Ergebnis besser als die Vorschau – können oder wollen die nicht rechnen?

Es ist August 2009 und heiß. Angeblich der fünftwärmste August seit 150 Jahren. Durch die Medien geistern positive Meldungen über Kassenfinanzen! Nach dem im Mai, der ebenfalls zu warm war noch ein Minus von über 130 Millionen Euro erwartet wurde, geht man nun von plus 7,5 Millionen aus. Der Grund dafür sind Steuerzuschüsse.

Im November ist es ebenfalls zu warm, und die Positivmeldungen reißen nicht ab. Das Plus liegt jetzt schon bei 60 Millionen. Politiker sprechen von einer reformbedingten Trendwende. Allerdings schaue die Zukunft nicht rosig aus – da werden die Defizite wieder astronomische Höhen erreichen. Von 700 Millionen Minus wird gewarnt, und das schon bald.

Der Jänner zieht ins Land, und ist, anders als seine Vorgängermonate, zu kalt. Das Ergebnis der Kassen für 2009 liegt bei plus 145 Millionen.

Innerhalb von acht Monaten von minus 130 auf plus 145 Millionen Euro! Hängen die Prognosen mit dem Wetter zusammen?

Man kann einwenden, dass es bei den Kassen um etwa 14 Milliarden Euro geht und die Prognosen nur im Promillebereich schwanken. Das stimmt, aber warum aber soll man sie dann medial so verbreiten, wenn sie ohnehin nichts sagen?

Der Grund für diese Zahlen-Spielereien ist woanders zu suchen.

Die Prognosemodelle der Kassen sind (oder waren es wenigstens – sie sind streng geheim!) so dermaßen simpel, dass sie nie realitätsnahe Werte ausspucken können. Im Wesentlichen wird einfach ein Drei-Jahres-Trend nach vorne gerechnet.

Wäre Gesundheitsökonomie doch nur so simpel – ist sie aber nicht.

Will man wirklich gestaltend und nachhaltig vorgehen, und aussagekräftige Prognosemodelle entwerfen, muss man sich ein bisschen mehr anstrengen. Und dafür braucht es Epidemiologen, Demographen und Versorgungsforscher, die nichts anderes tun als sich zu fragen, wie es wirklich aussehen wird! Zwar könnte man meinen, dass es bei den vielen Kassen-Mitarbeitern jemanden gäbe, der das könnte und machte, aber nachdem doch die meisten dort mit Leib und Seele Gewerkschafter sind, die nicht gestalten sondern verhandeln wollen, ist das nicht der Fall. Und da liegt der Wurm.

Die Zahlen dienen nur dazu, Verhandlungen zu führen, sei es mit Politikern oder Kammern. Dass am Ende die Prognosen von der Realität nur gering abweichen, hängt genau damit zusammen – es wird im Verhandlungsweg retrograd kalibriert. Fehlt Geld, dann erhöht man Beiträge (getarnt als Harmonisierungen) oder erhält Steuergelder (bereits ein Drittel der Einnahmen der Kassen stammen aus Steuern), also Einnahmen, um die „drohenden“ Defizite zu decken. Je höher die Defizite, desto höher die Einnahmen. Wenn es sich trotzdem nicht ausgeht, dann verdrängt man über das Honorar- und Planstellensystem der Kassenärzte solange Patienten in Spitäler, bis es sich wieder ausgeht. Und so passt es ins Bild, dass, seit die Kassen nur mehr Pauschal in die Spitäler einzahlen (1995), die Zahl der Kassenärzte nicht verändert wurde – trotz demographischer und epidemiologischer Veränderungen!

Kassen-Prognosen sind also nicht am Patienten ausgerichtet, sondern um den Machtspielchen zwischen Gewerkschaften, Politikern und Kammern zu dienen. Ernsthafte Prognosen braucht man dazu nicht, sie sind sogar hinderlich.

Und schon jetzt kann ich sagen, dass es nie zu dem prognostizierten Defizit von 700 Millionen Euro kommen wird, das wird die eine oder andere Steuer- oder Beitragserhöhung schon verhindern – ganz ohne Reform.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer verhindert eigentlich eine echte Gesundheitsreform?

Wie in einem Feudalsystem werden Pfründe verteidigt und eine patientenorientierte Reform des Gesundheitssystems seit Jahrzehnten verhindert.

Schattenspiele waren in den letzten Tagen zu beobachten. Neben dem nicht einmal wahrgenommenem Aufstand der Jungärzte, die sich endlich (!) Gehör für eine bessere Ausbildung schaffen wollen, waren da noch die Kassensanierung und die Ärzte-GmbHs. Und inhaltlich, wenn auch mit deutlich geringerem medialen Interesse, wurde vom Hauptverband der „Masterplan Gesundheit“ für den Herbst in Aussicht gestellt; darin enthalten, die Ideen einer Spitalsreform und die Finanzierung aus einem Topf.

Der Herbst wurde aus zwei Gründen gewählt: erstens weil zuerst einmal alle (pseudo)streiten müssen, bevor sie verhandeln können. Und zweitens ist da noch der Finanzausgleich, der zwar erst 2013 aufgeschnürt werden sollte, doch die Länder so pleite sind, dass sie nach den Wahlen an ein Aufschnüren denken. Ob der „Masterplan Gesundheit“ auch die überfällige Kassenreform bedeutet, ist unklar – wahrscheinlich geht es jedoch nur um unser Geld, das neu verteilt und neu beschafft werden soll; also, ob Steuer- oder Beitragserhöhungen kommen. An eine echte Reform denkt wohl kaum wer.

Vielleicht ist es Zeit zu fragen, warum seit 40 Jahren keine echte Reform stattfindet und sie immer unwahrscheinlicher wird.

Ich behaupte, dass es immer mehr „Systemerhalter“ gibt, die einen Lebensstandard erreicht haben, den sie unter „normalen“ Umständen nicht erreicht hätten, sei es was ihr Einkommen, oder aber ihre Macht betrifft. Es sind die gesetzlichen Monopole, die sie dort hin gebracht haben und nicht Qualifikation oder der Bedarf nach ihrer Arbeitskraft.

Da wären einmal die Kassen-Obmänner und deren Stellvertreter, deren Jobs nur durch das komplizierte System entstehen. Eine Reform würde sie arbeits- und machtlos machen. Selbst viele der leitenden Angestellten in den 21 Krankenkassen sitzen vermutlich an Positionen, die weniger mit ihrer Kompetenz als mehr mit ihrem gewerkschaftlichen Hintergrund zu tun haben. Auch in Kammern, allen voran in Ärztekammern, definieren sich viele nur durch die Verworrenheit der Kompetenzstrukturen. Auf Seiten der Länder und Gemeinden gibt es haufenweise Mitarbeiter, die nur benötigt werden, weil es so viele Krankenhäuser gibt, an denen nur festgehalten wird, weil sie Spielwiesen für politische Postenbesetzung sind, von der Verwaltung angefangen bis hin zur Verteilung von Mediziner-Ausbildungsplätzen. Selbst bei den Primarärzten scheint es so, dass viel ihren Job nicht haben, weil sie die bestgeeigneten, sondern weil sie die politisch bestvernetzten sind.

Am Ende sind es aber trotzdem nicht mehr als vielleicht zwei tausend Personen, die bei einer echten Reform Position und Einfluss verlieren. Was ist das schon im Verhältnis zu den zehntausenden, deren Jobs durch die Wirtschaftskrise auf Dauer vernichtet wurden? Gar nichts! Alle anderen fast 500.000 Menschen, die für die Patienten und nicht das System arbeiten, würden bei einer echten Reform weiter benötigt, auch wenn die da oben so tun, als ob Kündigungslawinen drohten – ein reines Machtspiel. Denn, wenn man diese paar Tausend genauer betrachtet, dann stehen sie ganz oben in der Nahrungskette. Und dort werden sie alles tun, nur um eine Reform zu verhindern, die das Ende ihrer Macht bedeutet.

Und wer die Medien beobachtet, kann diese Spiel sacht erkennen. Denn warum berichten alle über Ärzte-GmbHs und Kassensanierung, niemand aber über das für Patienten wichtigere Thema der Ausbildung der Jungärzte?

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.