Wie erwartet – oder doch noch weniger?

Das Kapitel Gesundheit ist voll von schönen Worten, die über die dahinter stehenden Drohungen hinwegtäuschen.

Politik ist das Bohren harter Bretter. Dass allerdings Rückschritt ebenfalls politische Kategorie ist und Regieren nichts mehr mit Visionen zu tun hat, (so die Bundesminister Faymann und Mitterlehner gleichsam), ist neu und erschreckend.

Wer das alte Koalitionsabkommen kennt, den verwundert die Seichtheit des jetzigen. Und wer weiß, dass das Kapitel Gesundheit vor einer Woche noch auf eine Halbseite gepasst hat, der versteht, dass die jetzigen acht Seiten voll von nicht umsetzbaren Überschriften sind.

Denken wir an die Qualität. Zwar wird vollmundig eine unabhängige Qualitätsagentur versprochen, die sich um alle Sektoren kümmern soll. Aber bereits zwei Kapitel weiter erfährt man, dass für den niedergelassenen Bereich die Ärztekammer zuständig ist. Und wer die Verfassung kennt, dem ist bekannt, dass die Spitäler Landessache sind. Was bleibt also dann für diese Qualitätsagentur?

Archäologisch interessant auch die Aussage, dass die Abstimmung der intra- und extramuralen Bereiche im Sinne einer integrierten Leistungsangebotsplanung zu erhöhen ist. Ähnliche Formulierungen können bereits im letzten Jahrtausend nachgewiesen werden, was die hohen Wirkungsmöglichkeiten der Gesundheitsministerien gut belegt.

Skurril das Kapitel für Frauen. Hier wird gefordert, dass Frauengesundheit und Gendergerechtheit (!) im Sinne einer Health-in-all-Policies-Strategie integriert werden sollen. Einmal abgesehen, dass kein Mensch weiß, was das heißt, ist es doch erstaunlich, dass man ein sehr konkretes WHO-Projekt, das versucht, eben alle Bereich der Politik auf ihre Auswirkung im Gesundheitswesen zu betrachten, in Österreich nur für Frauenpolitik gilt. Naja, es dürfte wohl ehe um ein schönes Wort, am besten ein englisches gegangen sein. (es wimmelt ja nur so von Anglizismen, die keiner ersteht; z.B. „Golden Plating“).

Und weil man offenbar eine höhere Transparenz in das Finanzierungssystem bringen will, wird die Höhe der Pauschale für die Mehrwertsteuerrückerstattung für Medikamente nicht gesenkt, obwohl der Steuersatz gesenkt wurde. Denn die alte Pauschale hat nicht die 20 Prozent Mehrwertsteuer abgedeckt, sondern nur 14 Prozent. Da aber jetzt die Mehrwertsteuer nur mehr 10 Prozent beträgt, ist die Pauschale um 40 Prozent zu hoch. Und die über die 1:1 Abgeltung hinausgehenden Mittel werden der Einfachheit halber auf die überschuldeten Träger verteilt. So werden die Kassen über eine weitere, beitragunabhängige und total intransparente Schiene finanziert. Bravo!

Aber es sind auch drohende Dinge enthalten, die man nur sehr schön verklausuliert hat.

So will man gleich einmal eine Milliarde Euro (die im Budgetfahrplan nicht vorgesehen waren – womit dieser auch zur Makulatur wird) für die Kassen in die Hand nehmen. Der Grund für die Verschuldung derselben wird nicht angegangen, daher werden sie weiter Schulden bauen. Und in fünf Jahren wird die erste und wichtigste Maßnahme der dann neuen Regierung – sicher ebenfalls wieder eine große Koalition – die neuerliche Entschuldung sein. Das Geld dafür stammt wohl aus einem himmlischen Bankomaten.

Aber so richtig gefährlich ist die Aussage, dass das Heben der Effizienzpotentiale im Kassenbereich nach den Vorstellungen des Rechnungshofberichts und der Vertragspartneranalyse (die niemand kennt!) erfolgen sollen. Gemeinsam mit dem Oberösterreichischen Bundesminister Stöger dürfen wir uns darauf freuen, oberösterreichische Verhältnisse zu kriegen – also mehr Spitalsambulanzen und Wahlärzte und weniger Kassenärzte. Dass damit aber auch eine teurere Spitalsversorgung verbunden ist, die in Oberösterreich ja nur deswegen nicht auffällt, weil die Hälfte der Krankenhäuser den sehr gut wirtschaftenden Orden gehören, das interessiert keinen. Selbst wenn das volkswirtschaftlicher Unsinn ist. Warum weder Länder noch Bürger aufschreien, dürfte auf deren Unwissenheit zurückzuführen sein.

Und damit das alles ja sicher kommt, will man die betriebswirtschaftlichen Eigeninteressen der Kassen gleich einmal mit planwirtschaftlichen Gesetzen absichern. Denn wenn hinkünftig die Bundesregierung den Kassen durch Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik ermöglicht, dann heißt dass nichts anderes, als dass die Kosten nicht durch Krankheit sondern Willkür bestimmt werden. Soweit das Bekenntnis zur solidarischen Finanzierung des österreichischen Gesundheitswesens.

Und weil man eben offenbar nicht gewillt ist das System zu Reformieren und Kompetenzen neu zu regeln (die Idee der Finanzierung aus einer Hand wurde beispielsweise nicht einmal mehr erwähnt!), werden weiter Verschwendungen vorherrschen – und dort wo man sich die nicht leisten kann, werden wir Rationierungen und Selbstbehalte finden – ganz einfach so.

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Eine wieder nicht-stattfindende Reform

Der Wahnsinn reitet wieder. Eine Gesundheitsreform wird es nicht geben, dafür höhere Schulden. Hurra!

Wenn Gefühle mit der Vernunft nicht in Einklang zu bringen sind, dann reagieren Menschen merkwürdig.

Stellen Sie sich vor, sie schließen die Tür hinter sich und wissen, sie ist ins Schloss gefallen. Sie haben das Klicken gehört und wissen: „Ja, das Schloss ist zu“. Doch Ihr Gefühl sagt: „Nein, die Türe ist offen“. Sie drehen sich um, rütteln an der Tür. Sie ist zu. Sie wissen nun sicher, die Türe ist zu und wollen gehen. Doch Ihr Gefühl, dass die Türe offen ist, bleibt bestehen. Sie wissen, die Türe ist zu, gehen ein paar Schritte, doch das Gefühl, die Tür ist offen lässt sich nicht abstellen. Sie drehen um, gehen zurück, rütteln an der Tür und stellen fest, die Türe ist zu. Wieder versuchen sie zu gehen, doch bereits nach wenigen Metern ist es wieder da, das Gefühl „die Türe ist offen“. Mit jedem Meter wird das Gefühl stärker, bis es sie übermannt und sie zurückgehen um wieder an einer geschlossenen Türe zu rütteln.

In der Medizin wird so ein Verhalten Zwangsneurose genannt. Es sind arme Menschen, die daran leiden. Hin und hergerissen, zwischen ihrer Vernunft und sinnlosen Handlungen.

Ich frage mich, wie man die Heerscharen an Experten und Wissenschafter, die seit Jahrzehnten probieren, die Politik zu einer patientenorientierten und nachhaltigen Gesundheitsreformen zu bewegen, einzuteilen sind? Zwangsneurotiker, die immer und immer wieder sinnlose Handlungen setzen, obwohl sie doch wissen müssten, dass diese sinnlos sind?

Irgend so etwas muss es wohl sein. Denn obwohl nun seit 40 Jahren die Probleme des Gesundheitssystems bekannt sind, wird uns wieder keine Reform erwarten. Die Grundlage aller Probleme, die man zwar leugnen kann, aber deswegen nicht weg sind, ist die zersplitterte Kompetenzlage. Hier sind so dermaßen viele rechtliche Wahnsinnigkeiten enthalten, dass man für eine ernsthafte Reform eine Verwaltungsreform braucht. 4.000 Finanzströme, die eine patientenorientierte Versorgung immer unmöglicher machen und die offenbar nur dazu da sind, möglichst intransparent alle Pfründe – der Länder oder Sozialpartner, wer kann das noch unterscheiden – zu schützen, müssten bereinigt werden. Das sagen alle, die sich auskennen. Doch was kommt zum Thema Verwaltungsreform? Irgendwelche Schulratskompetenzen werden neu geregelt! Das war’s. Aber was soll man auch erwarten, wenn Landeshauptleute, die Profiteure der Weihnachtsmann-Politik (das Land schenkt, der Bund zahlt), bittet, dieses Thema zu verhandeln.

Fast prophetisch war auch, als vor zwei Monaten an dieser Stelle stand, dass die Entschuldung der Kassen wohl der nächste Schritt sein wird. Dass diese 450 Millionen Euro ein Steuergeschenk sind und wir dieses Geld wirklich bezahlt haben – es sich also nicht um Monopolygeld handelt – scheint niemanden zu interessieren. Der Vergleich mit der Finanzwelt, in der es hauptsächlich um Monopolygeld geht, ist nicht zulässig und wird trotzdem ständig bemüht. Traurig! Noch trauriger ist, dass damit jede „Anti-Schulden-Politik“ als Lippenbekenntnis entlarvt wurde. Unsere Kinder werden diesen Wahnsinn bezahlen – oder wie Hayek es voraussagt, andere Wege finden, die Kosten zu reduzieren.

Wie es mit einem Neurotiker halt so ist, werde ich das Wissen nicht los, dass es nie eine Reform geben wird, auch wenn mir das Gefühl sagt, das es ohne nicht gehen wird. Oder ist es das Wissen, dass es ohne Reform nicht geht und das Gefühl, dass es keine geben kann? Was soll`s!

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.