Ein schiefer OECD-Blick auf unser Gesundheitssystem

Ein OECD-Bericht zeigt, dass man bei uns nicht zurückscheut, selbst offizielle Zahlen zu „fälschen“, nur um nicht mit der Wahrheit konfrontiert zu werden.

Alle zwei Jahre veröffentlicht die OECD einen Bericht, voll mit vergleichenden Statistiken. „Gesundheit auf einen Blick“, so der Titel des Berichts, soll für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen eine Orientierungshilfe sein. Allerdings geht das nur, wenn die von den Behörden gemeldeten Zahlen irgendetwas mit der Realität zu tun haben.

Einige der Statistiken, die sich alle auf 2007 beziehen, sind durchaus nachvollziehbar. Dass unser System nicht gerade viel für Gesundheitsförderung übrig hat, und wir daher um ein Drittel weniger dafür ausgeben als die anderen, ist so ein Beispiel. Auch dass wir sehr teuer sind, ist nicht unbekannt. Wir liegen mit unseren Ausgaben an siebenter Stelle innerhalb der OECD. Interessant ist jedoch, dass in den ausgewiesenen 2.710 Euro Jahresausgaben pro Kopf (2.140 Euro im OECD-Schnitt) noch nicht einmal all die Zahlungen drinnen sind, die bei Pflege oder Wahlärzten direkt bezahlt werden. Für diese Geldflüsse gibt es nämlich weder Aufzeichnungen noch Schätzungen. Würde alles eingerechnet, würden wir womöglich die Spitze in der OECD übernehmen. Aber wer will schon wissen, wie teuer unser System wirklich ist?

Hochinteressant auch die Zahlen rund um die Ärzte. Laut dem Bericht haben wir etwa 31.000 und damit den fünften Platz. Allerdings sagt die Statistik Austria, dass es (bei gleicher Zählweise) eigentlich 37.500 sein sollten. Wo sind sie hin, die anderen 6.500 Ärzte?

Ebenfalls eigenartig sind die Zahlen der Arztkontakte im ambulanten Bereich. Laut OECD sah jeder Österreicher 6,7 mal einen Arzt, macht etwa 55 Millionen Arztkontakte. Nun, laut Statistik der Sozialversicherungen sind es aber alleine bei den Kassenärzten über 100 Millionen. Dazu kämen noch rund 15 Millionen (grob geschätzt) bei den 10.000 Wahlärzten und etwa zehn Millionen in den Spitalsambulanzen; macht zusammen etwa 125 und damit 60 Millionen Kontakte mehr als die OECD zählt. Wo sind sie hin, diese 60 Millionen Kontakte?

Mit 1787 Patientenkontakten liegen unsere Ärzte, was die Arbeitsbelastung betrifft, auf den letzten Plätzen. Interessant ist, dass für diese Rechnung einfach die 55 Millionen Arztkontakte durch die Gesamtzahl der Ärzte dividiert wurde, obwohl diese Kontakte doch nur im ambulanten Bereich gezählt wurden. Dass 20.000 und damit mehr als die Hälfte aller Ärzte, im Spital arbeitet, wird genauso wenig berücksichtigt, wie die Tatsache, dass nur die Hälfte der rund 18.000 niedergelassenen Ärzte einen Kassenvertrag hat. Würde man diese Faktoren berücksichtigen, dann hat wohl ein „normaler Kassen-Arzt“ drei bis vier mal mehr Patientenkontakte als die Statistik ausweist – damit lägen wir an der Spitze der OECD.

Und wenn wir dann schon beim Thema niedergelassene Ärzte sind; die OECD meint, es gibt bei uns fast 13.000 Hausärzte, gleich drei Mal so viele wie in der Schweiz oder Holland. Nun, bei genauerer Betrachtung ist 13.000 wenigstens irreführend, denn nur 4.000 dieser Ärzte haben einen Kassenvertrag; die anderen sind Wahlärzte, arbeitslos oder sonst irgendwie beschäftigt. Ob sie daher in der Hausarzt-Statistik auftauchen sollten, ist fraglich.

Die Zahlen in dem Bericht sind also oft alles andere als einleuchtend. Der OECD darf man keinen Vorwurf machen, die muss nehmen, was ihnen als offiziellen Zahlen von den Mitgliedstaaten gemeldet wird.

Aber, warum sind unsere Zahlen so „falsch“? Und wer profitiert von diesen „Falschmeldungen“?

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Entscheidungsschwäche – entscheidende Schwäche

Ein solidarisches Gesundheitssystem ist nur solange vernünftig, solange es transparent arbeitet und entscheidungsfähig ist. Beides ist verloren gegangen.

Astrid L. lebt in Lödöse, Schweden. Sie ist 49 und wird ihren 50sten mit ihren erwachsenen Kindern feiern. Dass sie seit ihrem 12. Lebensjahr an jugendlichem Diabetes leidet, hat sich auf ihr Leben kaum ausgewirkt.

Wie froh Astrid L. sein kann, dass sie nicht in den USA wohnt, ist ihr nicht bewusst. Die Wahrscheinlichkeit dort an seinem 50sten bereits unter der Erde zu liegen, ist für die weiße (reichere) Bevölkerung drei, für die schwarze (ärmere) gleich zehn mal höher.

Warum das so ist, das ist nicht so ganz klar. Dass es nicht am Geld liegt zeigen die Gesundheitsausgaben. Zwar darf man die irrwitzigen Summen in den USA nicht einfach mit den niedrigeren in Skandinavien vergleichen; vom Haftungsrecht bis hin zu den unterschiedlichen Kapitalkosten in umlage- bzw. kapitalgedeckten Systemen, gibt es vieles, das einen direkten Vergleich nicht erlaubt, aber dass in den USA mehr ausgegeben wird, ist sicher. Es muss schon was anderes, als das Geld sein.

Jugendlicher Diabetes ist ein hervorragender Parameter für Gesundheitssysteme. Die Behandlung ist ausgesprochen komplex und dauert ein Leben lang. Die lebensverkürzenden Begleiterkrankungen entwickeln sich langsam und kaum bemerkbar. Wenn sie manifest werden, sind sie quasi unbehandelbar. Die Patienten erblinden, haben kaputte Nieren, kriegen Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Die einzig Therapie ist Insulin spritzen und sein Leben diszipliniert führen. Und um die Patienten dabei bei der Stange zu halten, dafür muss ein System richtig gut funktionieren.

So wie es aussieht, sind jene Systeme, die auf die Entscheidung des einzelnen und den freien Markt setzen dabei weniger erfolgreich als jene, deren Funktionsweise solidarisch ist. Mehr noch, dort, wo ein restriktives, aber transparent agierendes nationales Gesundheitssystem besteht, sind vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen besser aufgehoben als anderswo.

Der Grund, warum das so ist, dürfte wohl darin zu suchen sein, dass der einzelne nur schwer langfristige Entscheidungen für seine Gesundheit richtig treffen kann. Solange man gesund ist, neigt man dazu, sich nicht vorzustellen, krank zu sein. Wenn man krank ist, ist man erst recht nicht in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Werden dem einzelnen diese Entscheidungen durch ein öffentliches Gesundheitssystem abgenommen, dann besteht – und das offenbar erfolgreich – die echte Chance, länger gesund zu bleiben.

Natürlich funktioniert das nur, wenn die Menschen den Entscheidungsträgern im System auch vertrauen. Und das kann man erreichen, indem man Entscheidungswege offenlegt und die Bevölkerung teilhaben lässt.

Wenn jedoch das System keine Entscheidungen mehr trifft, dann werden diese, mangels Alternativen, wieder an den einzelnen zurückfallen – mit all den Konsequenzen, die wir in den USA sehen.

Und wie sieht es mit der Transparenz und Entscheidungsfähigkeit hierzulande aus? Transparenz ist grundsätzlich ein Fremdwort. Unsere Entscheidungsträger halten hinter verschlossenen Türen Hof.

Aber finden sie dann wenigstens zu Entscheidungen? Seit 40 Jahren diskutieren sie erfolglos über eine Spitalsreform, ja selbst die aktuelle Frage der Kassensanierung wird nun bereits seit drei Jahren nur beredet. Weder ein klares Nein, noch ein klares Ja ist zu hören.

Da frage ich mich, wie geht es unseren jugendlichen Diabetikern? Glücklicherweise haben wir dazu keine offiziellen Statistiken.

Dieser Artikel wurde im November 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Umgehungsmaßnahmen und „Betrügereien“

Wären Ärzte nicht bereit, das System zu umgehen, um ihre Patienten versorgen zu können, würde die Versorgung längst nicht mehr funktionieren.

Frau M. ist 75, Witwe, ihre Kinder sind von Wien weggezogen, ihre Freunde größtenteils unter der Erde. Frau M geht es so eigentlich gut, aber natürlich ist sie mit 75 nicht mehr ganz gesund. Sie geht, teils weil nötig, größtenteils jedoch weil sie Ansprache erhält, ein bis zwei Mal pro Woche zu ihrem Hausarzt Dr. H. Der ist noch beseelt von seinem Beruf und gehört zu denen, die ihre „seelsorgerische“ Funktion wahrnehmen. Er empfängt Frau M. wirklich fast jedes Mal, um sie zu untersuchen. Klar weiß er, dass er nichts finden wird, aber die „therapeutische Untersuchung“ ist halt was, was zu seinem Beruf gehört.

Eine solche „therapeutische Untersuchung“ nimmt, mit Dokumentation in etwa 10 Minuten seiner Zeit in Anspruch. Da er Frau M. pro Quartal etwa 14 Mal sieht, bedeutet das etwa 140 Minuten seiner Arbeitszeit. Von der Kassa erhält er pro Quartal eine Pauschale inkl. Hausarztzuschlag von 29,50 EURO. Sagen wir, dass ein Drittel davon in die Aufrechterhaltung der Infrastruktur (Miete, Personal, Heizung etc) fließen, dann bleibt für seine Zeit ein Stundenlohn von 8,60 EURO. Würde man das jetzt auf 14 Gehälter und unter Anrechnung der Urlaubszeit umrechnen, sind das heiße 6,20 pro Stunde – brutto!

Davon eine Familie ernähren geht nicht. Also was tut Dr. H.? Einerseits könnte er, wie viele seiner Kollegen, Frau M. sofort weiterüberweisen – am besten in die Spitalsambulanz; was rechtens wäre, aber nicht patientenorientiert (und für uns sehr teuer). Andererseits könnte er bei jedem oder jedem zweiten Besuch ein EKG schreiben. Pro EKG kriegt er 10 EURO und das bessert seinen Stundenlohn auf. Rechtens ist das nicht, weil er nur Leistungen erbringen darf, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; und sooft ein EKG zu schreiben, ist definitiv nicht nötig. Trotzdem hat Dr. H. sich dafür entschieden. Jetzt hat Frau M. eines der bestdokumentierten gesunden Herzen, und Dr. H. fühlt sich wohl, geholfen zu haben, ohne dass seine Familie verhungern muss – dass er damit das System „betrügt“, ist ihm, seiner Patientin und wohl auch den meisten Entscheidungsträgern in der Kasse egal. Es weiß da wie dort ohnehin jeder, dass die Versorgung zusammenbrechen muss, wenn alle Hausärzte Dienst nach Vorschrift machten.

Aber auch im Spital wird das System untergraben. Hierzulande liegen wir 40 Prozent häufiger mit Pneumonie und gleich 300 Prozent öfter mit chronischem Herzversagen im Krankenhaus als die Deutschen. Klar könnten wir glauben, dass wir viel kränker sind und deswegen häufiger ins Spital müssen – rechtlich darf dort nämlich nur liegen, wer aus medizinischen Gründen einer stationären Versorgung bedarf. Real ist das natürlich anders. Wenn heute ein Patient ins Spital kommt, und der Arzt sich nicht sicher ist, ob die ambulante Versorgung, sei sie pflegerisch oder medizinisch, garantiert ist, dann nimmt er den Patienten halt mit irgendeiner Diagnose auf – Gesetz hin, Gesetz her.

Unser System ist schlecht. Keine Rede davon, dass es die realen Bedürfnisse der Versorgung unterstützt, im Gegenteil wird es täglich hinderlicher. Gott sei dank, lebt die Versorgung von Menschen mit Rückgrad, denen Systemvorschriften wurscht sind, wenn sie Patienten helfen müssen. Schade allerdings, dass sie dabei immer „krimineller“ werden. Und das nur, weil die Systemverantwortlichen an Machterhalt interessiert sind, und die eigentliche Versorgung längst aus dem Blick verloren haben.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Kritik der praktischen Medizin – ein Teufelskreis

Die Fehler im ambulanten Versorgungssystem sind mittlerweile Kulturgut geworden. Und Kulturen kann man nicht schnell ändern – wenn überhaupt.

Da sitze ich mit einem Freund, technischer Physiker und einer jener Menschen, die ich als Genie bezeichnen würde, im Gastgarten, unsere Kinder spielen im Sand und wir reden – was sonst – über das Gesundheitssystem. Und ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind, jedenfalls stellt er fest, er braucht keinen Hausarzt, weil er am besten Wisse, welchen Facharzt er benötigt. Und wenn er das ohnehin wisse, dann geht er doch lieber gleich in die Spitalsambulanz, da gibt es alles, was er braucht. Und gleich heißt gleich – Öffnungszeiten sind da unwichtig.

Es hat mich wieder richtig gerissen. Ist das die Einstellung der heutigen Patienten? Um Arzt zu werden, braucht es eine 10- bis 15-jährige Ausbildung, erst dann hat man das Recht, krank von gesund zu unterscheiden. Wie also kann ein „Laie“ so selbstsicher davon ausgehen, dass er es besser wisse? Wie kann es passiert sein, dass der Patient der Arzt-Patienten-Beziehung so wenig traut, dass er lieber in eine hochtechnisierte Ambulanz geht, als sich seinen Arzt zu suchen?

Aber andererseits ist es verständlich.

Es schaut so aus, als ob die Infrastrukturen im niedergelassenen Bereich ausgehöhlt wurde: In den Spitälern hat sich die Zahl der Ärzte in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht. Und bei den Kassenstellen für Hausärzte? Da hat sich eigentlich nichts getan. Zudem ist das Leistungsspektrum zurückgegangen. Hat ein Hausarzt früher noch kleine Wunden genäht, sogar Röntgenbilder gemacht, war er früher „regelmäßig“ bei den Familien zu Hause, wartet er zunehmend, nur mehr mit dem Stethoskop in den Ohren in seiner Ordination auf Patienten.

Wohlgemerkt war das nicht der Wunsch der praktischen Ärzte, denn in deren Reihen waren und sind immer wieder Idealisten, die versuchen, die Rolle des Hausarztes zu stärken. Es war das System, dass offenbar wenig für sie über hat. Interessanterweise hat die WHO bereits 1969 (!) festgehalten, dass es die steigende Tendenz gibt, Patienten in Spitäler einzuweisen, und dass diese Tendenz durch das Honorierungssystem (das die Ärztekammer mitzuverantworten hat!) gefördert wird. Aber außer unzählbaren politischen Lippenbekenntnissen hat sich wenig getan, und so wird der Hausarzt halt immer unwichtiger und in der Versorgung unwirksamer.

Wen wundert es, dass Patienten den Hausarzt nur mehr als „Überweiser“ und „Krankschreiber“ und nicht mehr als vertrauenswürdigen Diagnostiker und Therapeuten wahrnehmen? Warum sollte man einem Arzt vertrauen, der keine Zeit hat, bei dem man lange warten muss, der dann ohnehin nur überweist – und das oft in die Ambulanz? Mehr noch, durch den massiven Ausbau des Spitalssektors und einer maßlosen Schönwetterpolitik, werden mittlerweile vermutlich viele Patienten, selbst wenn sie vom Hausarzt richtig und ausreichend therapiert wurden, anschließend die Ambulanz aufsuchen, weil sie der Meinung sind, Spitzenmedizin gibt es nur dort.

Dass bei so einer Politik aber die Wohnortnähe verloren geht, ist offenbar unwichtig, ebenso, dass damit eine sinnlose und teure Überversorgung erzeugt und bald wegen jedem Schnupfen ein komplettes Labor angefordert wird.

Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wenn man Gesundheitspolitik mit Populismus paart. Alle erhalten alles, jederzeit, gratis, auf allerhöchstem Niveau ohne Eigenverantwortung und ohne Rücksicht auf Kosten. Ob man die ambulante Versorgung jemals wieder auf zukunftsträchtige Beine stellen kann? Ich weiß es nicht!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ernsthaft oder trickreich?

Der Hauptverband will bei den Spitälern mitreden; sehr vernünftig und sehr schwierig. Wird daraus eine Reform oder doch nur eine Geldbeschaffungsaktion?

Es ist 19:30, Freitag: Herr M. (54) betritt den Untersuchungsraum der Unfallambulanz des Spitals A. Als der Arzt fragt, wie lange denn das Fußgelenk weh tut, antwortet Herr M: „14 Tage, seit er mit Freunden Fußball gespielt hat – und das in seinem Alter! Kindisch! Aber lustig war’s schon“. „Ob er beim Hausarzt war“, will der Arzt wissen. „Nein, erstens müsse man da lange warten und dann hat es sich gerade gut getroffen, weil er in der Nähe einen Termin hatte und die Schmerzen schnell einmal abklären lassen wolle“. Eine halbe Stunde später geht der Patient mit einem Röntgen und einer Heparinsalbe gegen seine Verstauchung nach Hause.

Was hat so ein Patient in einer Unfallambulanz zu suchen? Nichts! Aber warum ist er dort? Weil das System der ambulanten Versorgung nicht richtig funktioniert!

Aus den Medien kann man entnehmen, dass der Hauptverband mehr Mitsprache in den Spitälern anstrebt, weil eine Sanierung der Kassen nur funktioniert, wenn man niedergelassene Ärzte und Spitäler als Teile EINES Systems denkt. Dieses Ansinnen ist absolut richtig. Aber wird ehrlich argumentiert?

Hauptargument ist, dass die Kassen viel in die Spitäler zahlen, ohne mitreden zu dürfen. Zwar stimmt das, aber dieses Schicksal ist selbst gewählt. Vor vielen Jahren haben sich die Kassen freiwillig aus dem Spitalswesen zurückgezogen. Man hat vereinbart, dass sie nicht mehr an den realen Kostensteigerungen beteiligt sein sollen, sondern nur mehr einen fixen Prozentsatz ihrer Einnahmen abliefern.

Für die ambulante Versorgung hat das nichts weniger bedeutet, als dass sie 1995 in zwei separate Welten zerhackt wurde – die Spitalsambulanzen und die niedergelassenen Ärzte. Und um die Ambulanzen mussten sich die Kassen nun keine Sorgen mehr machen. Dass die 400 Millionen Euro, die sie dort einzahlen, heute nur mehr ein Drittel der Kosten decken, ist für sie unerheblich, und dass sich die Zahl der Patienten in den Spitalsambulanzen seither um 60 Prozent erhöht hat, nebensächlich! Wenn man solche Zahlen betrachtet, dann kann man sehen, dass das Argument, es werden immer mehr Leistungen aus dem Spital zu den niedergelassenen Ärzten verlagert, falsch ist. Genau genommen kam es zu einer massiven Verschiebung in die Spitäler.

Und weil die ambulante Versorgung vollkommen dezerebriert in zwei unabhängige Welten getrennt wurde, und weil weder Leistungen, noch Öffnungszeiten, noch sonst irgendetwas gegenseitig abgestimmt wurden, war es logisch, dass Doppelgleisigkeiten aufgebaut wurden. Schätzungen gehen davon aus, dass diese jährlich etwa 500 Millionen Euro kosten. Anders ausgedrückt wurden additive Leistungen, die niemandem helfen, provoziert, die gesamtwirtschaftlich betrachtet viel Geld verschlingen, auch wenn die Kassen betriebswirtschaftlich „scheinbar“ entlastet wurden.

Was ist also gemeint, wenn der Hauptverband mehr mitreden will?

Will er die Fehler der Vergangenheit ausmerzen? Will er jetzt EINEN Leistungskatalog mit einheitlichen Honoraren für Ärzte und Spitalsambulanzen einführen? Will er ein vernünftiges Bedarfsberechnungsmodell einrichten, um die Doppelgleisigkeiten zu reduzieren? Wem wird er das Geld dafür wegnehmen wollen? Den Spitalsambulanzen (und damit den Ländern) oder den niedergelassenen Fachärzten?

Soll es wirklich eine Reform geben oder ist es wieder nur ein Trick, Steuergeld in die Kassen zu spielen, die dann über Schulden der Länder im Staatsdefizit landen?

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gutgepflegte Realitätsverweigerung

In der ganzen westlichen Welt werden die Gesundheitssysteme reformiert, weil offenbar alle glauben, es ist wichtig – nur wir sind anderer Meinung.

Ruhig ist es geworden um die Gesundheitsreform. Viel hört man nicht und wissen tut man noch weniger. Soviel scheint sicher: Alle kriegen mehr Geld, die Länder behalten ihre Krankenhäuser und die Kassen werden allesamt erhalten bleiben.

1976 präsentierte die WHO das sogenannte Primärversorgungsmodell. Darin wurde festgehalten, dass die Versorgung so dezentral wie möglich (!) sein soll. Wohnortnähe wurde als Merkmal guter Qualität erkannt. Dabei wurde jedoch nicht an die wohnortnahe Nierentransplantation gedacht, sondern daran, dass dezentral möglichst alle Gesundheitsdienstleister – von Ärzten über Pflege, Hebammen zu Ernährungsberatern und Sozialarbeitern – koordiniert daran arbeiten sollten, Prävention, Rehabilitation, Pflege und Kuration, also das gesamte Spektrum der Gesundheitsversorgung möglichst nahe an die Bevölkerung heranzutragen.

Fast überall begann man diese Idee umzusetzen. Hausarztmodelle wurden etabliert und Gesundheitszentren errichtet, in denen interprofessionell gearbeitet wird. Alleinstehende Gesundheitsdienstleister wurden entweder abgeschafft oder dezentral vernetzt und die Systeme so ausgerichtet, die Bevölkerung entweder gesund zu halten oder so schnell wie möglich wieder gesund zu machen. In einigen Ländern ist das besser, in anderen schlechter gelungen. Aber nirgendwo wird mehr an der Richtigkeit der Idee gezweifelt.

Wir machen es bis heute anders, weil wir der festen Überzeugung sind, dass alleinstehende Arztpraxen, die sich auf die kurative Medizin konzentrieren, ein besserer Weg sind (die Pflege wurde sicherheitshalber 1978 aus dem Gesundheitssystem ausgegliedert!).

Längstens seit den 1980ern, als große Probleme mit multiresistenten Krankheitserregern auftraten, war klar, Spitäler sind ansteckend und machen krank. Um die Infektionsgefahr zu dämmen, begann man, weniger traumatische Operationstechniken zu entwickeln (Knopflochchirurgie!). Man begann die Aufenthaltsdauern zu reduzieren und setzte immer stärker auf ambulante oder tagesklinische Versorgung. In Holland hat man die Spitalshäufigkeit so weit reduziert, dass Patienten, wenn man sie schon aufnehmen muss, in Einzelzimmern liegen. Seit den 1990er Jahren kommt ein anderes Phänomen hinzu. Sehr alte Patienten werden durch einen Spitalsaufenthalt leicht aus der Bahn geworfen. Nach der Entlassung sind sie oft verwirrt und werden rasant zu Pflegefällen.

All das war Grund genug, dass europaweit die Spitalshäufigkeit in den letzen 15 Jahren trotz demographischer Veränderung entweder abgenommen oder sich wenigstens nicht erhöht hat.

Anders hierzulande; denn bei uns wird behauptet, Spitalsversorgung ist Spitzenmedizin. Und quasi als Zeichen der weltbesten Versorgung haben wir Europas höchste und weiter steigende Spitalshäufigkeit.

2008 hat die WHO den Staaten, die nach dem Untergang des Kommunismus ihre Systeme neu aufgestellt haben, eindrücklich gesagt: Je zersplitterter die Finanzierung ist, desto teurer und schlechter wird ein Gesundheitssystem funktionieren.

Was macht das schon aus, dass unser System als Paradebeispiel für Zersplitterung gilt. An zwei Dingen ist dennoch nicht zu rütteln: an der Macht der Länder und der Hoheit der Selbstverwaltung.

Die Selbstsicherheit, mit der behauptet wird, was in der Welt passiert gilt nicht für uns, ist frappant; keine Diskussion soll zweifeln lassen, dass wir die besten sind – und dass die anderen Reformen durchführen, beweist das doch nur!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Als ob es kein Morgen gäbe oder nach uns die Sintflut

Uff! Ich dachte schon, es müsste wirklich Reformen geben, jetzt wo das Geld auszugehen drohte! Gott sei Dank haben wir noch ein paar Milliarden gefunden.

Jetzt ist sie also aus dem Sack, die Katze. Statt Reformen gibt es wie üblich mehr Geld – und das überreichlich.

Den Ländern geht es am besten! Zwar gibt es seit 40 Jahren keinen ernstzunehmenden Experten, der nicht erzählt, dass das Spitalswesen reformiert gehört, aber was sind schon 40 Jahre. Jetzt, weil eben die Spitäler nicht mehr finanzierbar schienen, hat man tatsächlich hoffen dürfen. Immerhin liegen 30 von 100 Österreichern einmal im Jahr im Spital. Die Deutschen – auch nicht schlecht, was die Spitalshäufigkeit angeht – schaffen 20, in der EU liegt der Wert bei 17. Und ein Spitalsaufenthalt kostet im Schnitt 3.000 Euro! Da könnte man doch meinen, dass Vernunft statt Populismus am Zug ist. Falsch gedacht!

Nur um nichts ändern zu müssen, hat man den Ländern schlicht „erlaubt“, Defizite zu schreiben. Und wir sprechen hier nicht von Peanuts. Statt 1,4 Mrd. Euro ins Budget einzuzahlen, machen sie jetzt 1,4 Mrd. Schulden. So erhöht sich der „Spielraum“ der Länder für Weihnachtsmannpolitik auf jährlich fast 3 Mrd. Euro (40 Mrd. Schilling). Da kann man dann Spitäler betreiben, ob man sie braucht oder nicht!

Und auch bei den Krankenkassen hat man sich nicht lumpen lassen. Pro Jahr gibt es mindestens zusätzliche 250 Steuer-Millionen. Also, wenn man nicht will, braucht sich gar nichts ändern! Hier scheint noch nicht alles verloren, denn der jetzige Hauptverbandschef Dr. Schelling spricht Probleme offen an und möchte was ändern. Man nimmt ihm ab, dass er nicht daran glaubt, dass man das System auf Pump aufrecht halten kann. Doch glaubt das ein anderer politischer Entscheidungsträger außer ihm auch?

Lustig ist das Argument, dass es bereits früher eine so hohe NEUverschuldung gab. Ja, die gab es; aber erstens hatte man damals in den 1970er Jahren keine ALTschulden und zweitens hat man das Geld in Infrastruktur gesteckt. Heute ist das anders. Wir sitzen noch immer auf dem Berg an Schulden, den uns die damalige Politik hinterlassen hat, und wir stecken neue Schulden in Pensionen und Krankenversorgung. Also in Bereiche, die sich nie refinanzieren können, schon gar nicht bei der demographischen Entwicklung. Und während die Häuslbauer der 70er Jahre Werte geschaffen haben, die auch auf dem Markt bestehen, ist der Wert neugebauter bzw. modernisierter Spitäler, die niemand braucht, fraglich.

Aber vielleicht irre ich mich ja. Die sozialistisch-kommunistische Doktrin, die man tot glaubte, betrachtet Geld als marktunabhängiges, gesellschaftspolitisches Instrument. Zwar glauben nobelpreisgekrönte Wirtschaftsphilosophen, dass Geld etwas mit Angebot und Nachfrage zu tun hat, man zwar das Angebot, aber nicht die Nachfrage planen kann, und dass man Schulden zurückzahlen muss; aber vielleicht liegen die ja falsch. Bei einer Staatsausgabenquote jenseits der 50 Prozent und branchenorientierten Konjunkturpaketen auf Pump, ist offenbar die Nachfrage doch planbar. Und Geld hat nur den Wert, den die Politik zubilligt. Konsequenterweise sind Schulden nur solange „wertvoll“, solange die Politik das will. Naja, und in ein paar Jahren wird die wohl hergehen und sagen, wir sind schuldenfrei, einfach so!

Wer nicht will, dass dieses Pyramidenspiel der Schuldenpolitik zusammenstürzt, dem kann man nur zurufen: „Vota Communista“. Alte, Kranke und sozial Abhängige sollten aber in Deckung gehen, wenn sich das alles ein weiteres Mal als Fantasie herausstellt.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer Köpfe zählt, der hat keine Ahnung

Nein, es müsste keinen Ärztemangel geben, wenn irgendwo ein solcher vorkommt, dann hat das nicht mit der Zahl der Ärzte zu tun, sondern mit Zynismus.

Was für ein Bild soll ein junger Mensch haben, wenn er hört, dass wir in einen Ärztemangel hineinschlittern? Soll er Medizin studieren, weil da krisensichere Jobs winken?

Bleiben wird bei den Fakten.

Anfang 2005 gab es 38.500 Ärzte, 2009 sind es schon 43.000. Also sind pro Jahr netto 900 Ärzte dazugekommen. In der gleichen Zeit wurden etwa 7.000 Ärzte mit dem Studium fertig. Zieht man die obigen 900 ab, haben 500 Ärzte pro Jahr entweder das Land verlassen oder aber frei werdende Stellen erhalten. Keine Rede von Mangel.

Von den 43.000 arbeiten 13.000 in Spitälern, dazu kommen noch 7.000 Turnusärzte, die darauf hoffen, später einen fixen Platz zu erhalten. 10.000 Ärzte haben einen Kassenvertrag. Also arbeiten 30.000 Ärzte im öffentlichen System, dass wenigstens 95 Prozent der Österreicher versorgt. Wo, fragt man sich, arbeitet der Rest; denn 13.000 haben im öffentlichen System keinen fixen Platz. Diese Ärzte verdingen sich als Wahlärzte, Vertretungsärzte, sitzen auf Karenzstellen oder fahren Notarztdienste. Keiner dieser Jobs ist sicher.

Warum soll plötzlich ein Mangel auftreten?

Ach ja, es wird argumentiert, dass demnächst so viele Ärzte in Pension gehen. Natürlich, wenn man sich nur jene anschaut, die im System sind, kann man den Eindruck haben. Aber wer schaut sich die 13.000 Ärzte an, die eben nicht im System sind? Wie alt sind die? Aber selbst bei den „System-Ärzten“ ist keine Gefahr in Verzug. Das Durchschnittsalter dieser Ärzte hat sich in den vergangen fünf Jahren gerade einmal um neun Monate erhöht. Und eine seriöse Berechnung hat ergeben, dass bis 2025 etwa 750 Ärzte pro Jahr in Pension gehen werden. Bis 2011 werden aber pro Jahr 1.600 Studenten fertig. Dann erst werden die Absolventen sinken – auf mindestens 1.1150, von denen wenigstens 850 aus Österreich kommen. Also selbst dann ist kein Mangel zu sehen. Bis zu dem Zeitpunkt ist die Zahl derer, die im System nicht unterkommen auf geschätzte 16.000 angeschwollen. Wollen wir auf diese einfach verzichten?

Noch ein Aspekt sollte einbezogen werden. Es gibt – was nicht bedeutet, dass es gut ist, nur dass es geht! – Gesundheitssysteme, die für die Versorgung von acht Mio. Einwohnern mit weniger als 20.000 Ärzten auskommen. Was passiert, wenn das Geld knapper wird und wir uns aus Kostengründen dorthin entwickeln? Werden dann noch mehr Ärzte im „Nichts“ verschwinden?

Nichts desto trotz gibt es zunehmend Mangelerscheinungen. Es wird immer schwieriger gerade in der Peripherie Ärzte zu finden, die bereit sind, für wenig Geld viel zu arbeiten. Zudem ist der Anteil der Frauen unter den Ärzten unter 35 Jahren bereits fast 70 Prozent. Diesen Frauen machen wir im System kein Angebot, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Kann man solche Mangelerscheinungen mit noch mehr Uni-Absolventen lösen?

Natürlich nicht. Ob Absolventen, ausländische wie inländische, hier arbeiten wollen, hängt davon ab, welche Vision sie in Österreich haben. Und da scheitert das System furchtbar. Um diese Mängel zu beheben müssen wir über Anreizsysteme und Perspektiven reden – nicht über noch mehr Studenten.

PS: Bei der in Linz geforderten Universität dürfte es wohl eher darum gehen, für die Spitäler neue Geldquellen zu erschließen (bei Uni-Spitälern muss der Bund mitzahlen) und/oder den vielen unechten Professoren, die dort arbeiten, endlich die Chance zu geben, „Richtige“ zu werden. Um Patienten geht es meiner Meinung nicht.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Fast-Medizin und Mac-Ärzte

Es kommt wieder Schwung in die fast totgeglaubte Reformdebatte über ambulante Versorgungszentren – ob damit auch was in Bewegung kommt ist fraglich.

Unser knapp zweijähriger Sohn ist bereits im Kindergarten – einem Hort für alle möglichen Infektionen. Und obwohl meine Frau und ich Mediziner sind, fallen Dinge an, die man dem Spezialisten zeigen möchte.

Unseren Kassenkinderarzt haben wir verlassen. Nicht weil wir an seiner Kompetenz gezweifelt haben, sondern weil dieser einfach zu wenig Zeit hatte. Bei jedem Besuch wirkte er gehetzt, Fragen wurden nur in aller Kürze beantwortet. An Konsultationen, die länger als drei Minuten gedauert hätten, können wir uns nicht erinnern. Zudem sind die diagnostischen Möglichkeiten unerträglich eingeschränkt. Labor oder Röntgen erfordern zusätzliche Besuche bei anderen Ärzten – keine Freude mit einem Zweijährigen.

Auch mit einer Spitalsambulanz kamen wir in Kontakt. Die Untersuchung durch den Arzt dauerte keine fünf Minuten. Dieser erhielt die wesentlichen Informationen nicht von uns, sondern von einer Schwester, die uns im Vorfeld befragt hatte. Mit uns wechselte er kaum ein Wort.

Und weil die Situation so ist, wie sie ist, könnte es amüsant sein, wenn es nicht so traurig wäre, dass seitens einiger Ärzte eine schaurige Zukunftsvision entmenschlichter Medizin gezeichnet wird. Von anonymen AVZs (Ambulanten Versorgungszentren), ist die Rede, die „ähnlich einem Fast-food-drive-in“ funktionieren und billig angestellten Ärzten nur fünf Minuten für Diagnose und Therapie lassen würden. Die persönliche Beziehung gehe verloren und der Patient wird wie auf einem Fließband abgefertigt.

Worin soll sich das von heute unterscheiden?

Die Gründe für die schon bestehende Fließbandabfertigung in der ambulanten Versorgung liegen vor allem an der chronischen Unterfinanzierung. Kassenärzte werden nach einem System entlohnt, dass dank 14 verschiedener Honorarkataloge dutzender Krankenkassen nicht nur hoch komplex ist, sondern Leistungen mit zum Teil lächerlich anmutenden Beträgen honoriert. Ein Wiener Arzt (von Kasse zu Kasse variieren die Tarife erheblich) erhält pro Quartal für einen Patienten rund 20 Euro, egal wie oft der kommt. Zusatzleistungen wie Blutabnahmen werden im einstelligen Eurobereich entlohnt. Gagenkaiser sind die meisten Kassenärzte sicher nicht – im Gegenteil, angesichts der Klein- und Kleinstbeträge für ihre Leistungen müssen Ärzte möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit behandeln um überhaupt über die Runden zu kommen.

Aber auch Ambulanzen sind lächerlich unterfinanziert. Anstatt leistungsbezogen zu honorieren, erhalten die Spitäler meist Pauschalen; egal wie viele Patienten behandelt werden oder was es kostet. Und diese Kosten sind durch diese Pauschalen nur mehr zu einem Drittel gedeckt. Das Defizit muss das Spital tragen. Das spiegelt sich dann in der personellen Ausstattung wider; und das bekommen Patienten zu spüren. Wer nicht stationär aufgenommen werden kann, wird halt im Minutentakt abgefertigt.

Fraglich ist, warum Ärzte und Patienten mit diesem System so glücklich sein sollen, wie manche der Öffentlichkeit immer wieder zu vermitteln suchen. Warum die angefeindeten AVZ die heutige Situation verschlechtern sollten ist auch fraglich. Wenn sie auch nur Fließbandmedizin abliefern (was ich persönlich bezweifle), aber wenigstens die Rennerei von Arzt zu Arzt ersparen, wäre doch schon was erreicht. Und für die vielen Ärztinnen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, könnten attraktive Posten entstehen. Wer also wehrt sich dagegen und warum?

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die unsinkbare Titanic

Wann wird das scheinbar unsinkbare Gesundheitssystem erkennen, dass der wachsende Schuldenberg zum Schicksal wird?

In den nächsten 12 Monaten werden im öffentlichen Gesundheitssystem wenigstens 1,3 Mrd. Euro Defizit (3,6 Mio. Euro pro Tag) anlaufen, über eine Mrd. Euro alleine in den Spitälern. Der Schuldenberg wird damit immer größer und ist schon jetzt nicht klein. Neben den Schulden der Krankenkassen, haben einige Bundesländer Spitalsdefizite in ASFINAG-artigen Konstrukten geparkt oder greifen bereits „Bank-ähnlich“ auf Gelder zu, die sie erst zukünftig erhalten werden. Die Spitalsfinanzierung ist es auch, die dazu führen wird, dass die Länder statt den vorgeschriebenen Maastricht-Überschüssen Defizite bauen und so die Staatskasse tiefer in die roten Zahlen treiben.

Die Hoffnung, dass die Gesundheitsversorgung günstiger wird, gibt es nicht. Demographie und medizinischer Fortschritt werden dafür sorgen, dass die Kosten auf Jahrzehnte hinaus weiter steigen. Will man ein solidarisches System behalten, kann man nur schauen, dass das System produktiver wird. Doch statt die Produktivität zu erhöhen, scheint sich alles nur darauf zu konzentrieren, die eigene Macht zu erhalten.

Wegen diesem Schrebergartendenken der Länder, Ärztekammern, Pensionsversicherungen, Krankenkassen, Gewerkschaften etc. ist das Gesundheitswesen in hunderte Kompetenzen zersplittert. Statt EIN System zu errichten, in dem Prävention, Akutbehandlung, Rehabilitation, Pflege und Palliativbehandlung so aufeinander abgestimmt sind, dass Patienten zum richtigen Zeitpunkt, an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhalten, werden alle Strukturen rund um Einzelinteressen abgesichert. Statt miteinander zu arbeiten, leben die Machtkomplexe weiter „völlig autistisch vor sich hin und versuchen die Kostenstruktur einer auf den anderen abzuwälzen“ (Kdolsky 2007).

Eine Strukturreform ist entfernter denn je. Dabei wäre sie gar nicht so groß, wie man denkt. Grob kann man davon ausgehen, das 80 Prozent der etwa 19 Mrd. Euro öffentlicher Gelder richtig eingesetzt und daher von einer Reform gar nicht berührt würden. Sicher gäbe es auch hier Produktivitätsreserven – manche sprechen von 1,5 Mrd. Euro – aber die zu heben scheint unmöglich, da die Politik sich zunehmend in jede Detailfrage einmischt und jede Vernunft, die nicht zur Selbstdarstellung beiträgt, im Keim erstickt.

Viel wichtiger aber, als diese rein „betriebswirtschaftlichen“ Fragen, wäre es, die systemimmanente Verschwendung endlich abzustellen. Das sind echte Zukunftsfragen.

An den Schnittstellen werden aktuell mehr als 1,5 Mrd. Euro pro Jahr „verbrannt“. Wenn es beispielsweise möglich wäre, die Leistungen der Spitäler mit denen der Pflege abzustimmen, könnte man ohne Qualitätsverlust fast 700 Mio. Euro sparen bzw. sinnvoller einsetzen. Doch ein Vorstoß in diese Richtung durch den Hauptverbandschef Dr. Schelling verhallte lautlos. Verständlich, denn um dieses Thema abarbeiten zu können, müssten auf Landesebene Gesundheitspolitiker Kompromisse mit den Sozialpolitikern und alle gemeinsam mit den Krankenkassen und dem Gesundheitsministerium und Hilfsvereinen, Ärztekammern und Spitalsbetreibern eingehen – irreal!

Es wäre Klug, würde statt einer unstrukturierten und destruktiven Global-Defizitdeckung auch für das Gesundheitssystem ein Konjunkturpaket geschnürt, um damit jene Strukturreform zu finanzieren, die garantieren kann, dass das System effizienter und so wirklich eine Verbesserung für die Zeit nach der Wirtschaftskrise wird.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.