Die Parteipolitik in den Krankenkassen

   Ein Zahlenwirrwarr, Merkwürdigkeiten in der Pandemie und ein Vertrauensverlust bei den Versicherten.

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   Im Frühjahr 2020 warnte Andreas Huss, ein hoher Krankenkassenfunktionär der roten Reichshälfte, noch vor bis zu einer Milliarde Euro Defizit. Geworden sind es, ohne die 60 Millionen Euro, die der Bund extra zuschoss, 71 Millionen Euro. Nun, diese Gebarungsvorschau-Nabelschau ist nichts Neues und eigentlich völlig nutzlos. Denn so eine Darstellung in absoluten Zahlen ist (milde ausgedrückt) irreführend. Die ÖGK – um die es hier hauptsächlich geht – hat eine Bilanzsumme von 15 Milliarden Euro – 1 Prozent sind dann schon 150 Millionen Euro –, womit ein Überschuss oder ein Defizit bis zu dieser Höhe schon eine ziemlich genaue Prognose ist. Allerdings wäre eben eine Defizitprognose von 7 Prozent (also die oben genannte Milliarde) schon etwas, wo man genauer hinschauen sollte, bevor man sie in den Raum stellt. Und noch genauer, wenn sie nicht eintritt.

   Aber darum ging es wohl wirklich nicht. Es war natürlich Parteipolitik – der Defizit-Warner hat sich mit der türkisen Reform, die im Wesentlichen keine Prozesse bereinigt (also eher nur Türschilder ausgetauscht), sehr wohl aber die Zahl der roten Funktionäre – und nur die – dramatisch und völlig unnötig reduziert hat, nie abfinden können. Er wünscht sich ein krachendes Scheitern. Die moralische Vereinbarkeit einer solchen persönlichen und parteipolitischen Befindlichkeit mit dem Amt in der Selbstverwaltung ist fraglich – rechtlich ist das leider in Ordnung.

   So weit also nichts Neues. Was das Jahr 2020 aber so besonders macht, ist die Pandemie. Und da wird es doch etwas gruselig. Je nachdem, wer gerade was sagt, haben die Kassen auf der Einnahmenseite wenig verloren. Laut Peter Lehner , einem hohen Kassenfunktionär der türkisen Reichshälfte, sind die Einnahmen sogar um etwa 2 Prozent gestiegen – und das bei einem Rückgang des BIP um 7 Prozent.

   Zurückzuführen ist dieser „Einnahmenerfolg“ auf steuerfinanzierte Maßnahmen wie etwa die Kurzarbeit. Womit klar ist, dass die selbstverwalteten Kassen eigentlich steuerfinanziert sind – was so nicht vorgesehen wäre.

   Und ausgabenseitig? Ja, da ist ebenfalls ein „Erfolg“ zu verbuchen. Denn die Ausgaben sind hinter den Erwartungen geblieben – weil die Menschen seltener zum Kostentreiber Arzt gegangen sind. Und was heißt das? Sind wirklich viele Arztbesuche vermeidbar? Wenn ja, sollten wir daraus nicht lernen und endlich die Kassenmedizin aus dem Minuten- und Groscherl-Geschäft herauslösen und Zeit beim Arzt besser honorieren? Wenn nein, haben wir da jetzt eine gewaltige Verschlechterung der Volksgesundheit, die wir wegen unserer miserablen Datenlage nicht erforschen können?   

Auf so miesepetrige Fragen gibt es keine Antworten, denn es gilt doch, Erfolge zu feiern oder zu missgönnen – doch, das hat ebenfalls seine Wirkung. Je mehr sich die Funktionäre im gegenseitigen parteipolitischen Hickhack ergehen, desto irritierter sind die Zwangsversicherten. Und obwohl das Gesundheitssystem eigentlich gut gehalten hat, ist in der Pandemie deren Vertrauen gesunken – sehr zur Freude der Privatkassen , denn die sind tatsächlich Pandemiegewinner

„Wiener Zeitung“ vom 25.02.2021 

Kassenfusion – ein absolutes No-Go

Die Kassenreform soll eine Machtverschiebung zu den Arbeitgebern bringen und die Selbstverwaltung aushöhlen.

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    Die Kampfrufe gegen die Kassenreform sind laut, vor allem von denen, die bisher Posten in der Selbstverwaltung der neun Gebietskrankenkassen besetzen konnten und dies als Erbpachten betrachteten. Denn wer genau schaut, erkennt, dass es eben nur um Posten geht und sonst nichts.

   Die Reform bringt neue Abstimmungswege in den neuen deutlich verkleinerten Gremien. Und diese sind in der „Österreichischen Gesundheitskasse“ (ÖGK) so gestaltet, dass weder Wirtschafts- noch Arbeiterkammer Oberhand haben, also im Grunde so wie heute. Die Macht der Kammern bleibt erhalten und damit auch die Macht der dominierenden Fraktionen – also Wirtschaftsbund und sozialistische Gewerkschafter.

   Genau genommen steigt deren Macht sogar, weil das Einzige, was sich ändert, die Zahl der Funktionäre ist, und damit die kleineren Fraktionen keine Funktionäre mehr entsenden werden können. Die ohnehin schon kaum vorhandene Pluralität in der Selbstverwaltung wird noch geringer.

   Selbstverwaltung bedeutet eigentlich, dass wir Versicherte uns – ohne Einmischung der Politik – selbst verwalten. Wir wählen dazu aus unseren Reihen einen Selbstverwaltungskörper. Selbstverwaltung kann es aber nur sein, wenn wir mitbestimmen können, und genau das können wir kaum. Es ist eine lange kritisierte Fehlkonstruktion unserer Selbstverwaltung, dass sie nur eine sehr eingeschränkte Mitsprache erlaubt. Einerseits, weil es keine Möglichkeit gibt, sich eine Versicherung auszusuchen, andererseits, weil die Repräsentanten ausschließlich von Kammern entsendet werden. Jeder Nicht-Erwerbstätige, zum Beispiel ein Pensionist, hat kein Mitspracherecht – gar keines.

   Bis in die 80er wurde dieser aufgrund der Demografie noch gar nicht so große Fehler durch eine Unzahl an Funktionären wettgemacht. Dann kam eine Reform, und aus etwa 8000 Funktionären (inklusive Vertretern) wurden 2000 – der erste Schritt in eine Funktionärselite. Die „Selbstverwaltung“ verlor Augen und Ohren. Informationen über das Funktionieren der Versorgung kamen immer schwerer ins System. Und da es keine Versorgungsforschung gab, begann ein Blindflug der Funktionäre.

   Und jetzt? Jetzt wird deren Zahl weiter auf knapp 500 gesenkt. 370 davon sind für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), ÖGK, Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) und Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) zuständig, entsendet aus den Pflichtkammern, denen eine breite demokratische Legitimation fehlt. Sie sind gesetzlich ihren Pflichtmitgliedern, also ihrer Klientel, verpflichtet und sonst niemandem. Nach Abzug der Ausgaben für Fondsspitäler entscheiden diese Funktionäre über die Verteilung von etwa 14 Milliarden Euro. Die öffentliche Hand verwaltet etwa sechs Mal mehr. Die „gerechte“ Verteilung wird dabei von 50.000 „Funktionären“ in Gemeinde- und Stadträten, in Landtagen, Bundesrat und Nationalrat kontrolliert; das sind 135 Mal mehr Funktionäre.

   Es ist menschlich verständlich, wenn die abzubauenden Funktionäre laut jammern und einen Angriff auf die Selbstverwaltung wähnen – durch die Schrumpfung wird wohl der Konkurrenzkampf innerhalb der Funktionärseliten angeheizt; und wer setzt sich dem schon gerne aus. Mit einer Sorge um uns unterworfene Pflichtversicherte hat das wenig zu tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 208 vom 25.10.2018   

Die größte Strukturreform der Zweiten Republik

(Lesezeit 20 Minuten) Eine ausführliche Würdigung einer als Strukturreform getarnten Türschildreform, die einen billig schmeckenden parteipolitischen Nachgeschmack hinterlässt

„Das österreichische Gesundheitswesen zeigt das Bild beachtlicher Verschiedenheit durch unterschiedlichste Träger, wodurch eine überregionale Zusammenarbeit zugunsten von „Eigeninteressen“ behindert wird. […] Die Existenz so vieler Träger ist nicht geeignet, die Entwicklung eines rationellen, aufeinander abgestimmten und reibungslos funktionierenden Systems zu fördern. […] Zwischen intramuralem und extramuralem Bereich besteht eine scharfe Trennlinie. Es existieren Zweigleisigkeiten in der Arbeit von Spitälern und Ärzten in der Praxis.  […] Es gibt die steigende Tendenz der praktizierenden Ärzte, ihre Patienten in ein Spital einzuweisen – diese Tendenz wird unter anderem durch das Honorierungssystem gefördert. […] Die Vorsorge für die ärztliche Betreuung alter Menschen und chronisch Erkrankter ist im Allgemeinen unzulänglich.“

Und:

„Trotz verschiedenster Bemühungen um eine verstärkte Koordinierung und Angleichung der Interessen mussten wir feststellen, dass das österreichische Gesundheitssystem aufgrund seiner vielschichtigen Verwaltungsstruktur und dualen Finanzierung komplex und fragmentiert ist. […] Besonders die Aufteilung der Finanzierung von intra- und extramuralen Leistungen zwischen den Bundesländern und Sozialversicherungen kann die Betreuungskontinuität beeinträchtigen und zu Kostenverschiebungen führen.  Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre.“

Zwischen diesen beiden Aussagen liegen fast 50 Jahre. Die erste stammt vom Regionalbüro für Europa der WHO ( „Besprechung des Spitalswesen in Österreich mit Empfehlung für künftige Entwicklungen“ Oktober 1969), die andere aus der „Effizienzanalyse des österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitssystems“ der London School of Economics and Political Science (LSE 2017)

Was kritisieren diese beiden Studien? Unser System

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Definitiv nicht die „größte Strukturreform der Zweiten Republik“

  Ein Berg hat gekreißt, eine Maus wurde geboren! Die Kassenreform ist nicht für Patienten gemacht, sondern ein parteipolitisches Hickhack.

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   Dank klientelpolitischer Gesetze ist die ambulante Akutversorgung außerhalb der Spitäler völlig zersplittert. Hier agieren 19 Krankenkassen (KK) und 15 Krankenfürsorgeanstalten (KFA), deren Eigentümer politisch klar zugeordnet werden können, deren Versicherte aber keine Wahl haben. Die Leistungsspektren werden über Leistungs- und Honorarkataloge definiert, die mit anderen Monopolisten verhandelt werden – den zehn Ärztekammern.

   Wie viele Kataloge im Umlauf sind, ist nicht klar, denn KFAs entziehen sich jeglicher Kontrolle, am Ende sind es mehr als 20. Wie inhomogen dieses „Preissystem“ ist, zeigt, dass beispielsweise ein EKG im Rahmen eines Hausbesuches bei einem Versicherten der Gebietskrankenkasse (GKK) in Niederösterreich mit 53 Euro honoriert wird, bei einem GKK-Patienten in der Steiermark aber nur mit 13 Euro.

   Die gleichen Verhandler bestimmen über Kassen-Stellenpläne auch die Kassenarzt-Dichte – ebenfalls inhomogen. So ist die Kassen-Facharztdichte im Westen Wiens doppelt so hoch wie die im Mühlviertel, obwohl es dort nicht an jeder Ecke Spitalsambulanzen gibt. In der Folge werden Patienten nicht dort behandelt, wo es sinnvoll wäre, sondern dort, wo Angebot und Honorarkataloge sie hinlenken. Um das zu reformieren, muss man tief in die Systemarchitektur eingreifen. Und das hat die Regierung versprochen. Nun wurde die Reform vorgestellt, mit der Kassen fusioniert und Leistungen harmonisiert werden – alleine, die Details sprechen eine andere Sprache. Die KFAs, die traditionell die höchsten Honorare (mindestens doppelt so hoch wie die der GKKs) bezahlen, wurden nicht angerührt. Zwar ist die Zahl der Versicherten verhältnismäßig klein und daher könnte man darüber hinwegsehen, doch, da KFA-Versicherte hauptsächlich in Ballungsräumen leben, stellen sie für Ärzte einen Anreiz dar, dort zu ordinieren. Analoges gilt für SVA und BVA, die ebenfalls ihre Kataloge behalten. Damit wurde die Chance verpasst, für Ärzte Anreize zu setzen, sich außerhalb von Ballungsräumen niederzulassen.

   Kernstück der Reform soll aber die Fusion der neun GKKs zu einer ÖGK sein. Versprochen wurde ein einheitlicher Leistungs- und Honorarkatalog. Doch, jedes Bundesland behält eine autonome Landesstelle, die weiter mit den regionalen Ärztekammern eigene Honorarkataloge und Stellenpläne verhandelt und das dafür nötige Budget von der Zentrale kriegen muss. Die Zahl der Kataloge und Stellenpläne ändert sich kaum und damit bleibt alles, wie es ist.    

Doch warum dann der Aufruhr? Das liegt an den eingebauten Boshaftigkeiten. Die Zahl der (meist roten Gewerkschafts-) Funktionäre und hohen Verwaltungsposten wird reduziert. Das alleine ist schon ein Angriff auf das austarierte Gefüge der gewerkschaftlichen „Erbpachten“. Richtig böse wird es, wenn man das neu eingeführte Ausbildungsprofil für Funktionäre betrachtet. Entweder müssen sie ein Studium nachweisen oder SV-interne Fort- und Ausbildungen abgeschlossen haben. Wer das nicht hat, darf kein Funktionär mehr sein – das trifft eine ganze Reihe vor allem roter Obmänner und ihre Stellvertreter. Hier wird’s persönlich

„Wiener Zeitung“ Nr. 188 vom 27.09.2018

Kassenfusion – ein Match zwischen Reformern und Reaktionären

 Vielleicht ist es Zeit, dass nach 50 Jahren eine echte Reform stattfindet – aber die Machtstrukturen sind davon wohl nicht überzeugt.

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   Zu viele Kassen, Doppelgleisigkeiten inner- und außerhalb von Spitälern und keine vernünftige Planung – das ist nicht neu, sondern hat uns die WHO schon 1969 (!) aufgezeigt.

   Wegen fehlender Abstimmung liegen 900.000 Patienten, die ambulant behandelt werden könnten, unnötig in Spitälern. Von diesen stecken sich 50.000 mit Spitalskeimen an (das ist nicht zu verhindern!) und einige Hundert werden sterben – unnötig. Abgesehen davon, dass das ein bis zwei Milliarden Euro unnötiger Kosten erzeugt, sollte es doch Ziel sein, Patienten nicht unnötig zu schaden.

   Wenn also die Rede von der Kassenfusion ist, sollte es nicht um ein paar hundert Versorgungsposten gehen; Thema ist, dass die Abstimmung zwischen Krankenkassen, Ärztekammern und Spitalsträgern seit Jahrzehnten nicht klappt – es gibt einfach viel zu viele und vor allem schlecht definierte Entscheidungsebenen.

   Die Idee, dass wenige, bundesweite Kassen einer bundesweiten Spitalsplanung gegenüberstehen, ist logisch. Umso mehr, als es eben auch bundesweite Regeln für Beiträge und Steuern gibt. Man kann es auch anders machen: neun Länder und neun Kassen, die Steuern und Beiträge selbst einheben und selbst schauen, wie sie die Finanzierung der Patienten, die Bundesländergrenzen überschreiten, hinkriegen (im Spitalsbereich ist dieses „Gastpatienten-Problem“ seit 25 Jahren ein Provisorium). Gänzlich abgeschafft müssten dann die bundesweiten Kassen der Beamten, Bauern, Selbständigen und auch die AUVA werden.

   Aber, das wollen die Länder auch nicht. Mir scheint, denen schwebt Folgendes vor.

   Das SV-System besteht ja aus Kranken-, Unfall-, und Pensions-Versicherungen. Einige Träger bieten alle (etwa VAEB), andere nur zwei (etwa BVA), viele nur eine (GKKs, PVA, AUVA, VA des österr. Notariats) Versicherung an.

   Nimmt man das Regierungsprogramm wörtlich und zieht von „maximal fünf SV“ die PVA ab, bleiben maximal vier für Kranken und Unfallversicherung.

   Selbständige (Bauern, Unternehmer) erhalten eine gemeinsame (schwarze) Krankenkasse – es wird die einzige Fusion bleiben. Denn, die (schwarze) BVA muss bleiben, sagt die Verfassung. Außerdem, wie soll diese mit den (überwiegend roten) KFAs und der (roten) VAEB fusionieren. Womit klar ist, die VAEB bleibt auch. Die KFAs sind ja eigentlich keine SV, also zählen sie nicht. Jetzt haben wir drei SV – bleibt nur noch Platz für eine weitere, nämlich die (farblose?) ÖKK, also die zu einer Kassa fusionierten (teils schwarzen, überwiegend roten) GKKs. Aber wo bleibt die (schwarze) AUVA? Nun, da gibt es eine Lösung.

    Die „maximal fünf SV“ könnten ja, ein bisschen politischer Wille vorausgesetzt, erst nach Abzug der PVA gelten? Dann ist Platz für die AUVA. Und wenn die ÖKK aus neun autonomen Zweigen besteht, haben wir sie: die Kassenfusion, bei der „maximal fünf SV“ übriggeblieben sind, ohne viel zu ändern – außer, dass es ein neues Gremium gibt, dass sich ÖKK nennt. Kommt das, haben Regierung, Bevölkerung und Patienten verloren und die alten Machtstrukturen, die die paar hundert Versorgungsposten nicht aufgeben wollen, gewonnen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 091 vom 11.05.2018 

Die systemrelevante Allgemeine Unfallversicherungsanstalt?

Die Diskussion rund um die AUVA ist absurd überzogen, verunsichert alle und ist doch nur ein Machtkampf.

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   Von Kahlschlag und Kaputtsparen wird gesprochen, mancher fühlt sich gar in den autoritären Ständestaat zurückversetzt. Und was hören Bürger und Patienten heraus? Unfallkrankenhäuser (UKH) werden gesperrt, 370.000 Verletzte werden, wenn sie nicht auf der Straße verbluten wollen, alles selbst bezahlen müssen.

   Ist das so? In Österreich werden 2,8 Millionen Menschen jährlich in Spitäler aufgenommen – 40.000 davon in UKH. In Spitalsambulanzen fallen 8,9 Millionen Fälle an – 330.000 davon in UKH. Selbst in der flächendeckenden Unfallversorgung sind UKH nur von geringer Bedeutung: Denn mit sieben Spitälern in fünf Bundesländern versorgen sie weniger als ein Fünftel aller Unfallopfer.

   Wenn jetzt, wie manche skandieren, alle UKH über Nacht zusperrten, würde die Versorgung der Patienten Probleme bereiten, aber keinesfalls zusammenbrechen – dafür sind es einfach zu wenige.

   Und an das Schließen denkt niemand – es geht auch nicht. Denn, jeder hat ein Recht auf Versorgung, und weil die Unfallkrankenhäuser versorgungswirksam sind, muss deren Leistung, unabhängig, ob es die AUVA in der heutigen Form gibt oder nicht, aufrechterhalten werden.

   Und das ist der Grund für den Polit-Streit. In UKH werden zu 90 Prozent Patienten behandelt, für die diese nicht zuständig sind – nämlich solche nach Freizeitunfällen. Zuständig wären die Krankenkassen. Die jedoch haben die „normale“ Spitalsversorgung den Ländern übertragen und zahlen dafür, pauschal und unabhängig von der Anzahl der Patienten, einen definierten Prozentsatz ihrer Einnahmen. Diese Pauschale deckt jedoch nur die Hälfte der anfallenden Spitalskosten ab – der Rest kommt aus den Landesbudgets.

   UKH sind aber keine „normalen“ Spitäler. Die Kassen, und das ist rechtlich gar nicht anders möglich, bezahlen ihnen in etwa das Gleiche wie „normalen“ Spitälern. Da UKH aber keine Länder haben, um Defizite zu decken, muss die AUVA das aus Beiträgen stemmen. Es handelt sich also um eine Quersubvention der Krankenkassen und Länder durch die AUVA. Der Quell eines Jahrzehnte alten Polit-Streits.

   Dazu kommt, dass die stationäre Unfallversorgung im „normalen“ Spital pro Patient etwa 3400 Euro kostet, im UKH 5700 Euro. Ob diese Differenz gerechtfertigt ist, ist nicht eruierbar. Wenn sie gerechtfertigt ist, dann haben wir es mit einer öffentlich finanzierten Zwei-Klassen-Medizin zu tun; wenn sie es nicht ist, kann man daraus auf die Motivationslage jener schließen, die mit der Verunsicherung der Patienten um den Erhalt des AUVA-Systems (eine selbstverwaltete Institution, die eigene medizinische Einrichtungen betreibt – ein international seltenes Modell) kämpfen.

   Wie es aussieht, schafft es auch diese Regierung nicht, einen transparenten Reformprozess zu starten, der es den relativ wenigen „Systemprofiteuren“ verunmöglicht, Patienten zu verunsichern und vor die eigenen Interessen zu schieben. Wie katastrophal der Prozess läuft, sieht man im Übrigen daran, dass sich die SPÖ ohne Probleme schützend vor jene AUVA stellen kann, die sie vor einem Jahr, im Rahmen einer Reform, noch selbst abschaffen wollte.

„Wiener Zeitung“ Nr. 077 vom 19.04.2018