Vollkasko oder Eigenverantwortung?

Warum die Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Patienten im Österreichischen Gesundheitswesen ein politisches Ablenkungsmanöver ist – erklärt in 14 Sätzen:

1.   Hinter der Frage „Vollkasko oder Eigenverantwortung“ steckt, wenn auch nicht offensichtlich, das Problem der Informationsasymmetrie zwischen dem Patienten und „seinem“ Arzt.

1.1.        Diese Asymmetrie verhindert automatisch ein Begegnen auf Augenhöhe

1.2.        Daraus resultiert, dass der Patient sich auf den Arzt verlassen muss –

1.3.        Der Patient hat alleine KEINE Chance, selbst wenn er Mediziner ist, diese Asymmetrie zu beheben

2.   Hinter dem Arzt steht ein Versorgungssystem, und dahinter wieder das eigentliche, politisch gesteuerte, Gesundheitssystem

3.   Wird die Informationssymmetrie seitens des Gesundheitssystem akzeptiert, oder toleriert, resultiert ein paternalistisches Gesundheitswesen – ein solches denkt und handelt als „guter Vater“ für den Patienten, der selbst keine Verantwortung tragen muss.

Das reicht Weiterlesen „Vollkasko oder Eigenverantwortung?“

Wenn er nur zum Arzt ginge

Prävention ist schwierig, gerade hierzulande. Wenn man sie vernünftig betreiben will, sollte man schauen, wo vielleicht schon manches funktioniert.

Frau M. (75) muss sich wieder einmal über ihren Mann (75) ärgern. Sie sind zwar beide noch rüstig und können ihre Leben selbst gestalten, aber er ist halt doch etwas fahrlässig mit seiner Gesundheit. Er raucht ein wenig, zieht Schweinsbraten dem Salat vor und, was Frau M. am meisten ärgert, vertritt standhaft die Meinung: wer zum Arzt geht, muss krank sein.

Statistisch betrachtet, wird Herr M. fünf bis sechs Jahre vor seiner Frau sterben. So in etwa zwei Jahre dürften auf biologische Faktoren zurückzuführen sein, die restlichen sind in irgendeiner Weise „selbst-“ oder zumindest „mitverschuldet“.

Es gibt viele Theorien, warum Männer früher sterben als Frauen. Die meisten unterstellen, dass Frauen ein besseres Gesundheitsbewusstsein haben. Dabei ist nicht klar, warum das so ist, klar ist nur, dass es so ist.

Gesundheitsbewusstsein schaffen ist ein wesentliches Ziel der Gesundheitsförderung und Prävention. Insbesondere gilt es dabei, jene Menschen zu erreichen, die am meisten davon profitieren würden. Gut gebildete Menschen mit hohem Einkommen haben statistisch betrachtet bereits ein besseres Gesundheitsbewusstsein, als jene mit niedriger Bildung und niedrigem Einkommen. Und genau letztere Gruppe meidet Ärzte gerne. In den Statistiken drückt sich das dann als geringere Lebenserwartung aus.

Damit haben wir zwei wesentliche Punkte: Gesundheitsbewusstsein ist geschlechtsspezifisch und von sozio-ökonomischen Faktoren beeinflusst.

Es ist nicht so, dass es für jede Krankheit gut ist, sie möglichst früh zu entdecken. Auch kann nicht jede Krankheit vermieden werden, wenn man sich nur oft genug untersuchen lässt. Aber so tendenziell ist es ratsam möglichst früh Risikofaktoren und Krankheiten zu erkennen. Aber das Denken „Ich gehe nur zum Arzt, wenn ich krank bin“ verhindert das.

Aus diesem Grund versucht man mit gut strukturierten Programmen, die Prävention möglichst weg von „Krankheitseinrichtungen“ zu bringen, also weg von Krankenhäusern und Ordinationen, hin zum Patienten. In Großbritannien fahren beispielsweise Augenärzte in die Dörfer und untersuchen in Gemeindesälen Diabetiker (Augenkrankheiten und Erblindung sind häufige Komplikationen bei Diabetes, die jedoch vermieden werden können, wenn man sie früh genug erkennt). Damit erreicht man viel mehr Menschen als mit einer simplen Überweisung zum Facharzt, die oft nur von jenen Patienten in Anspruch genommen wird, die wegen ihres höheren Gesundheitsbewusstseins ohnehin weniger Augenprobleme entwickeln.

Aber solche Programme sind auf bestimmte Krankheiten beschränkt und können nur wenig zur generellen Steigerung des Gesundheitsbewusstseins beitragen. Bei Frauen allerdings ist dieses über alle sozio-ökonomischen Schichten hinweg stärker ausgeprägt als bei den Männern. Warum also?

Es gibt hier nur einen gemeinsamen Nenner: So gut wie alle Frauen sind gewöhnt, über Jahrzehnte auch gesund zu ihrem Frauenarzt zu gehen. Wenn man weiß, dass es eine der größten Hürden guter Prävention ist, „Gesunde“ zum Arzt zu bringen, dann liegt der Schluss nahe, dass regelmäßige Arztbesuche als Gesunder dazu beitragen können, das Gesundheitsbewusstsein zu erhöhen und Prävention ernster zu nehmen.

Nun, wäre es nicht vernünftig, auch den Hausarzt so weiterzuentwickeln, dass er von möglichst allen nicht nur als „Reparatur-Doktor“ sondern als „Gesundheitsberater“ wahrgenommen wird? Vermutlich, aber wer will das schon.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Über Selbstbehalte

Selbstbehalte leben in Österreich im Gesundheitssystem und kommen in allen Subsystemen vor. Lästig sind sie aber nur dort, wo sie auch so heißen.

Als Herr SC i.R MR Dipl-Ing. Breitfuss seine Abrechnung erhalten hat, hat er sich wieder einmal geärgert. „Wenn alle Selbstbehalte zahlen müssten, dann müssten wir das Gesundheitssystem nicht reformieren“ sinniert er in sich hinein, während er den Erlagschein ausfüllt. „Das wäre doch so einfach!“

In der Realität ist das aber ganz anders.

Das beginnt damit, dass zwar die meisten Bürger in den neun Gebietskrankenkassen (GKK) organisiert sind, doch gibt eine Unmenge anderer Kassen. Da haben neben den Bundesbeamten die Bauern, die Eisenbahner, die VÖSTler etc. ihre eigenen. Dazu kommen die Krankenfürsorgeanstalten (KFA), die sich um Bedienstete der Länder und Gemeinden kümmern. Am Ende gibt es ca. 60 KFA, die zu den mehr als 20 Krankenkassen kommen. Wer also welchen Selbstbehalt zahlt, das weiß niemand. Wie man so ein Wirrwarr umstellen könnte ist fraglich. Aber tun wir so, als ob es ginge. Doch ist es gescheit?

Nehmen wir der Einfachheit halber die Beamtenversicherten als Pars pro Toto. Diese zahlen einen lästigen 20-prozentigen Selbstbehalt auf alle Gesundheitsleistungen, die sie konsumieren. Und siehe da, die Beamtenversicherung gehört zu denen, die nicht von Pleite bedroht ist. Der einfache und für die meisten daher zwingende Schluss: Selbstbehalte halten Patienten davon ab, unnötige Leistungen in Anspruch zu nehmen. In der Kombination mit der ebenso einfachen Theorie, dass unnötige Leistungen das System unfinanzierbar machen, ist daher logisch: Selbstbehalte retten das Gesundheitssystem!

Wäre es so einfach, hätte die ganze Welt bereits top funktionierende Systeme und lauter gesunde Menschen.

Leider entstehen durch Krankheit aber weiterhin Kosten. Und nur zu einem Bruchteil sind diese durch Jux und Tollerei – was man ja bei der Konsumation von unnötigen Leistungen unterstellen muss – begründet. Die meisten „unnötigen Leistungen“ werden, wenn überhaupt, durch falsche Anreizsysteme vom Leistungserbringer verursacht, nicht vom Patienten. Selbstbehalten können hier kaum helfen. Der, der krank ist kostet. Daran ändern Selbstbehalte nichts. Nur wer gesund ist kostet nichts!

Und da kommen wir auf des Pudels Kern. Heute ist Gesundheit weniger eine Frage der Kosten des Systems, als eine Frage komplex ineinandergreifender sozioökonomischer Faktoren wie Bildung, Einkommen, Altersversorgung etc., die alle irgendwie das Gesundheitsbewusstsein beeinflussen. Und genau darin liegt es, warum die Beamtenversicherung schwarze Zahlen schreibt. Ihre Versicherten gehören auf Grund der Berufswahl automatisch zu den höchst Ausgebildeten. Sie haben verglichen mit den typischen GKK-Versicherten, den Arbeitern und Angestellten, die höchste Maturanten- und Akademikerquote. Dazu kommt, dass ihr Durchschnittseinkommen verglichen mit den GKKlern das höchste ist. Und last but not least beziehen Beamte im Vergleich zu den oben erwähnten die höchsten Pensionen. Wissenschaftlich betrachtet, müssten Beamte also zu den gesündesten der Republik gehören und daher am wenigsten kosten (auch dann, wenn sie die längsten Krankenstände aufweisen, was vermutlich anders zu erklären sein wird).

Selbstbehalte wie bei den Beamten haben eine untergeordnete Rolle auf das Gesundheitsbewusstsein. Keinesfalls könnte eine Einführung solcher Selbstbehalte die GKK sanieren. Da muss man schon die Selbstbehalte so umbauen, dass sie auch Anreize bilden, gesund zu bleiben. Und das würde dauern!

Dieser Artikel wurde im August 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.