Scheinheiligkeit in der Zwei-Klassen-Medizin

Österreicher leben auf einer Insel der Seligen und mögen keine Veränderungen. Dafür akzeptieren sie auch allerhand Scheinheiligkeit.

HR Dr. P, Beamter i.R. und Bezieher einer stattlichen Pension, hat eine Zusatzversicherung. Jetzt braucht er eine Hüfte und wähnt sich ob seiner Beziehungen und seiner Zusatzversicherung in guter Position, sowohl Spital als auch Zeitpunkt der Operation aussuchen zu können.

Tja – darf er das überhaupt? Dem geschriebenen Gesetz nach natürlich nicht. Aber was sind die hierzulande schon wert?

Rechtlich erlaubt eine Zusatzversicherung gar nichts, außer ein bisschen Luxus und die Möglichkeit, sich den Arzt im Spital auszusuchen.

Wie schaut es aber mit dem ungeschriebenen Gesetz aus? Immerhin gilt ja nicht einmal die Verfassung in ihrer geschriebenen Form, sondern nur die „Realverfassung“. Also gelten vermutlich auch „Realgesetze“.

1,1 Millionen Österreicher haben eine Zusatzversicherung. Von ihren Beiträgen werden an Ärzte in öffentlichen Spitälern jährlich 500 Millionen Euro als Honorare ausbezahlt. Bedeutet, dass jeder Spitalsarzt monatlich etwa 900 Euro netto (bei 14 Gehältern) zusätzliches Einkommen hat. Von seinem eigentlichen Arbeitgeber, meist Ländern, erhält er etwa 2.900 Euro. Zählen wir zusammen, verdient er – wohlgemerkt, vom Turnus- bis zum Primararzt – etwa 3.750 Euro netto – ein Viertel davon aus einer „Zusatzbeschäftigung“.

Aber, die Zusatzgelder werden nicht gleichmäßig verteilt. Der Chef kriegt am meisten, der Turnusarzt am wenigsten.

Nehmen wir eine Abteilung mit 20 Ärzten. Wären die Gelder normal verteilt (was keiner weiß), würden dort etwa 250.000 Euro zusätzlich und netto ausbezahlt. 60 Prozent behält der Primar – macht ein monatliches Zusatzbrot von 10.700 Euro. Das ist fast drei (!) mal mehr, als ihm sein eigentlicher Arbeitgeber bezahlt! 36,5 Prozent werden an die 12 Fach- und Assistenzärzte ausbezahlt – als drei Prozent pro Nase (hier gibt es je nach Alter und Funktion erhebliche Differenzen): sind pro Monat 540 Euro netto und knapp 20 Prozent des Einkommens. Die verbleibenden 3,5 Prozent teilen sich die sieben Turnusärzte; ergibt vielleicht 100 Euro; die machen sich gegenüber den 2.000 Euro Normaleinkommen (inklusiver Überstunden und Nachtdienste) richtig bescheiden aus.

Der Chef bezieht also in einem politisch dominierten System, dass offiziell eine Zwei-Klassen-Medizin weder sieht noch will, analog zum Bonussystem der Bankenwelt, ein „erfolgsabhängiges“ Einkommen. Warum? Ganz einfach, weil man ihm öffentlich nicht mehr zahlen will! Anders ausgedrückt, hat die Politik, nur um sich die vielen Spitäler leisten zu können, über die letzten Jahrzehnte es zugelassen, ja gefördert, dass Primarärzte danach trachten, zusätzliche Gelder zu lukrieren – von denen ja auch die Spitäler etwa 250 Millionen Euro erhalten.

Und jetzt überlegen wir. Wird der Primar an der Idee der „Ein-Klassen-Medizin“ fest- und die Gesetze einhalten und seine Abteilung so führen, dass jeder „gleich“ behandelt wird? Welche Hilfe erhält er dabei von der Politik – oder wird ein idealistischer, gesetzestreuer Primar nicht eher von ihr abgestraft?

Und wenn die Zwei-Klassen-Medizin dann öffentlich diskutiert wird, erzählt uns die Politik irgendetwas über Gesetze und schimpft auf böse neoliberale Versicherungen und geldgierige Ärzte. Aber das wahrlich Schlimme daran ist, dass 80 Prozent der Bevölkerung von dieser Scheinheiligkeit wissen und sich nicht darüber aufregen; denn: „Solange der Österreicher noch Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht.“ (Beethoven)

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Lernfähiges Oberösterreich?

Über Jahre hat man vom „Modell Oberösterreich“ gehört, und so die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse für ihre Wirtschaftlichkeit gelobt.

Das „Modell Oberösterreich“ umfasst aber nicht nur die Kasse, sondern auch Spitäler.

Seit Jahren steigen in OÖ die Spitalsfälle und haben heute den höchsten Wert österreichweit. Pro 100 Einwohner werden 30 Aufnahmen (50.000 über dem Bundesdurchschnitt!) gezählt – und das, obwohl die Bevölkerung verhältnismäßig jung ist.

Jedes andere Bundesland, sogar Niederösterreich, wäre längst pleite. Nicht aber OÖ. Denn dort, und nur dort, werden 50 Prozent der Patienten in Ordensspitälern versorgt. Und weil diese Spitäler, zwischen 17 und 25 Prozent effizienter sind, als öffentliche, können Spitalskosten trotz hoher Inanspruchnahme niedrig gehalten werden.

Würden Ordensspitäler mit der gleichen Effizienz arbeiten wie öffentliche, kostete das um mindestens 180 Millionen Euro mehr – Geld, das vom Land bezahlt werden müsste.

Weiter: Würde, durch Reformen, die Zahl der Aufnahmen auf normales Maß reduziert, dann ersparte sich das Land „nur“ etwa 100 Millionen. Bleiben daher ein „Netto-Gewinn“ von mindestens 80 Millionen jährlich, UND der nicht zu unterschätzende politische Gewinn, jede Abteilung in jedem Spital halten zu können. Seitens der Politik gab es also wenig Anreize, das Modell zu ändern.

Der große Nachteil des Modells, alle Spitäler sind in einen Konkurrenzkampf eingetreten und haben versucht, über immer mehr Patienten ständig zu wachsen – eine desaströse Strategie. Aber genau das war andererseits die Rahmenbedingung für die Kassen!

Zwar haben Hausärzte ein für Österreich geradezu vorbildliches Leistungsangebot und könnten damit ein gut funktionierendes Hausarztsystem aufbauen. Aber, ob das auch in ausreichendem Maß am Patienten ankommt, wurde nicht kontrolliert – weil nicht nötig. Eine etwaige Unterversorgung wurde durch die Spitäler aufgefangen. Auch bei Fachärzten, die deutlich seltener als in anderen Bundesländern zu finden sind (was per se nicht schlecht sein muss, aber deswegen ist die Kasse wirtschaftlich im Plus), wurde nicht darauf geachtet, wie sie arbeiten.

Es ist überhaupt jedem Kassenarzt überlassen, was er tut. Ob alles oder nur Teile der „erlaubten“ Spektrums und was wie oft angeboten wird, ist seine Sache. Anders ausgedrückt, keiner kontrolliert, ob ein Arzt so behandelt, wie es im Sinne des Patienten richtig wäre (also so selten wie möglich ins Spital zu müssen); aber sehr wohl wurde die Wirtschaftlichkeit kontrolliert. Und da Spitäler „gerne“ Patienten angenommen haben und die Honorare verhältnismäßig niedrig sind, wurde bei niedergelassenen Ärzten, besonders bei Fachärzten, eine Überweisungskultur gefördert, die zu häufigeren Ambulanzbesuchen und so zu immer mehr stationären Aufnahmen führte. Für Patienten war das Blödsinn, auch wenn es betriebswirtschaftlich „gut“ aussieht.

Jetzt dämmern ob der Enns „echte“ Reformen. Es gibt dabei zwei große Aufgabenblöcke: Für das Land, die Spitalslandschaft so umzubauen, dass die Abstimmung mit der Pflege möglich wird, und so Pflegepatienten nicht mehr unnötig oft oder zu lange im Spital liegen. Für die Kasse heißt es, darauf zu achten, dass ihre Ärzte „mehr“ behandeln und so die Zuweisungen zu den Spitälern reduzieren. Letzteres hat sich die Kasse offen als Ziel gesetzt und ist damit vorgeprescht. Nun kann man gespannt sein, ob auch das Land die Aufgaben einer Spitalsreform erkennt und ähnliche Ziele formuliert. Ob das dann auch umgesetzt wird, steht ohnehin auf einem anderen Blatt Papier.

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Lasst uns konkret werden

Als Anstoß für die Spitalsreformen 2010 will ich ein Tabu brechen und konkrete Spitäler nennen, die keiner braucht – Mögen die Spiele beginnen!

Bis zum 18. Jahrhundert gab es zwei Typen von Medizinern: die Chirurgen, die sich mit Kriegswunden beschäftigten, und die Ärzte, die aus der Untersuchung des Körpers und seiner Säfte auf Krankheiten schlossen. Mit dem Fortschritt kam es zu einer immer weiteren Spezialisierung. So zerfiel die Innere Medizin in zahlreiche Subdisziplinen, die sich entweder nur mit der Niere, der Lunge, oder dem Stoffwechsel beschäftigen. Die Chirurgen haben sich in Kinderchirurgie, Unfallchirurgie, Orthopädie, Herzchirurgie, Lungenchirurgie etc. spezialisiert. Mittlerweile haben wir in Österreich 29 verschieden Fachärzte und viele Subspezialisierungen, in denen man erst ausgebildet werden darf, wenn man bereits Facharzt ist.

Der Vorteil dieser Spezialisierung erklärt sich selbst, der Nachteil ist, dass es kaum mehr möglich ist, den Zugang zu diesen Spezialisten gerecht zu gestalten.

In der unpolitischen Spitalsplanung, die hierzulande etwa 30 Spezialrichtungen berücksichtigt, wird versucht, festzulegen, welche Einzugsgebiete nötig sind, um die kleinsten gesetzlich erlaubten Abteilungen so vorhalten zu können, dass die Qualität einigermaßen gesichert werden kann; Einfacher ausgedrückt, wie viele Einwohner mindestens nötig sind, um genug Patienten für ein bestimmtes Fach erwarten zu können, damit die Spezialisten dort ihre Wissen nicht verlieren.

Für gynäkologische Abteilungen braucht man beispielsweise mindestens 80.000 Einwohner, für die Orthopädie 100.000, für die kleinste Allgemein-Chirurgie 60.000. Die Internisten kommen mit einem deutlich kleineren Einzugsgebiet aus. Eine einfache Abteilung für Innere Medizin ist schon ab 25.000 Einwohner machbar. All diese Zahlen gelten nur für Österreich mit seiner einzigartig hohen Krankenhaushäufigkeit. Würde man französische oder gar holländische Maßstäbe anlegen, müssten die Einzugsgebiete viel größer sein.

Allgemeine Akut-Spitäler müssen mindesten eine Abteilung für Chirurgie und eine für Innere Medizin vorhalten. Da eine Chirurgie wenigstens 60.000 Einwohner im Einzugsgebiet braucht, wäre sie limitierend. Ein Drittel der Akut-Spitäler hat ein kleineres Einzugsgebiet und daher tendenziell bereits ein Qualitätsproblem.

Natürlich darf man nicht vergessen, dass die Erreichbarkeit wichtig ist, aber Spitalsplanung ist immer eine Grätsche zwischen Qualität und Wohnortnähe. Ein heikler Weg, bei dem ich mich klar für die Qualität ausspreche. Und vergessen wir nicht, wir haben eine riesige Hubschrauberflotte und viele Rettungswägen.

Schauen wir uns die Einzugsgebiete der zehn kleinsten Spitäler an: Bad Aussee 14.527; Mittersill 19.508, Klosterneuburg 25.557, Güssing 27.319, Gmünd 29.401, Reutte 30.907, Tamsweg 33.290, Fürstenfeld 34.689, Mürzzuschlag 35.295, Lilienfeld 35.302.

Bei Fürstenfeld und Güssing muss man darauf achten, dass sie nebeneinander liegen; man könnte daher nur eines der beiden Häuser schließen. Reutte muss sich nach Deutschland orientieren – dort gibt es in Füssen und Pfronten Spitäler, die wegen der Grenzlage ebenfalls kaum fähig sind zu „überleben“. Ein Verbund über EU-Innengrenzen sollte machbar sein; denken wir an die Spitäler in Braunau und Simbach. Der Rest kann ohne die Versorgung zu verschlechtern geschlossen werden. Die Patienten könnten, meist über Landesgrenzen hinweg, und das ist das Problem, innerhalb von 40 Minuten (OHNE Blaulicht oder Hubschrauber!) im nächstgelegenen Spital versorgt werden.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Löbliche Abteilung

Mit den Sparvorhaben der Krankenkassen soll es ernst werden. Und mit „bedarfsorientierten Kassenverträgen“ hört man wirklich Neues(?)!

Wenn ein Arzt etwas von einer Spitalsabteilung will, dann ist es Etikette, diese auf dem Überweisungsschein mit „löbliche Abteilung“ anzusprechen. Was man dann will, das ist oft kryptisch. Allzu oft steht nach formvollendeter Anrede nur: „Fachärztliche Abklärung erbeten“. Welches Fach gemeint ist, oder welches Problem abgeklärt werden soll, das kann sich der Spitalsarzt aus den Fingern saugen. In der Regel wird nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden und zu welchem Ergebnis sie geführt haben und nur selten wird eine konkrete Frage gestellt.

Diese Seltsamkeit – auch bekannt als Schnittstellenproblem – hat zwei Ursachen: (1) es gibt keinen einheitlichen Katalog für ambulante Leistungen (es gibt 14 Kassen-Honorarkataloge und in den Spitalsambulanzen gar nichts) und (2) fehlt jegliche Abstimmung zwischen Kassenbereich und Ambulanzen. Damit fehlt eine gemeinsame Grundlage, ja selbst eine gemeinsame Sprache ist unmöglich.

Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt, die Anzahl der Patientenkontakte bei Kassenärzten mit der der Ambulanzbesuche und stationären Aufnahmen zu vergleichen. Definitiv in Verbindung stehen Ambulanzbesuche und stationäre Aufnahmen. Das heißt, dort, wo Patienten oft in eine Ambulanz gehen, dort werden diese auch oft aufgenommen – ein Effekt des Finanzierungssystems, das ambulante Leistungen schlecht und stationäre gut bezahlt. Überhaupt keine Übereinstimmung findet man aber zwischen Kassenarztkontakten und Ambulanzbesuchen. Anders ausgedrückt, die beiden Welten „Kassensystem“ und „Spitalssystem“ haben statistisch betrachtet nichts mehr miteinander zu tun.

Welche Auswirkung dieses seit 1995 (damals haben sich die Kassen aus den Ambulanzen zurückgezogen und sich selbst überlassen) bestehende Nebeneinander hat, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Die Zahl der Ambulanzpatienten ist von 4,5 auf 7,5 Millionen gestiegen. Die Kosten haben sich verdoppelt und liegen bei 1,4 Mrd. Euro. Die stationären Patienten sind von knapp 2 auf über 3 Millionen gestiegen. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, es gab – verstärkt durch das Kassenhonorarsystem – eine massive Verlagerung in die Spitäler, die ein Vielfaches einer wohnortnahen Behandlung durch niedergelassene Ärzte kosten – aber diese Kosten gehören eben wem anderen: den Steuerzahlern (vertreten durch Landesfürsten).

Wenn also künftig Kassenverträge nicht automatisch nachbesetzt werden, sondern nur nach Bedarf, sofern Leistungen nicht auch von Spitälern oder Ambulanzen erbracht werden können, dann bin ich gespannt, wie dieser Bedarf bei fehlenden Leistungskatalogen und -abgrenzungen (Wer soll was wann wo machen) ermittelt werden soll. Denken wir praktisch. Reicht die Nähe eines Spitals aus, dass es keinen niedergelassenen Arzt mehr geben muss? Wird so jede Stadt mit Spital frei von Kassenärzten? Wenn noch mehr in Spitäler verlagert wird, was wird uns Steuerzahler dann die Einsparung der Kassen kosten?

Sehen wir es positiv. Der Ansatz der am Patientenbedarf orientierten Planung ist goldrichtig (aber nicht neu – denn schon seit 1958 Gesetz!). Politiker haben zwar hierzulande keine Ahnung, wie man so was macht und noch nicht einmal geeignete Daten, um so was abzuschätzen, aber so nach 50 bis 100 Jahren, werden sie schon draufkommen, wie es geht – mittels „try and error“, dem wohl gängigsten und teuersten Steuerungsinstrument des hiesigen Gesundheitssystems.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wie viel verdienen Ärzte wirklich?

Dass Ärzte gut verdienen ist ein Gerücht. Die meisten verdienen mittelmäßig und wenn man ihren Stundenlohn errechnen würde, wenig.

„Was wird ein Arzt verdienen? – na so sechs bis sieben Tausend!“ „Brutto?“ „Nana, schon netto!“ Wenn man so hineinhört in die Stammtischrunden, dann kann man erahnen, was Ärzte verdienen – oder auch nicht, denn die Zahlen sprechen etwas anderes.

Beginnen wir bei den niedergelassenen Ärzten. Laut den offiziellen Angaben kann man davon ausgehen, dass Allgemeinmediziner, von denen es etwa 5500 gibt, rund 3.500 Euro im Monat netto verdienen (auf 14 Mal im Jahr gerechnet). Wie lange sie dafür arbeiten müssen, kann man nicht sagen. Wer sich umhört, wird erfahren, dass das unter 50 Wochenstunden wohl kaum möglich ist.

Den etwa 5000 Fachärzten geht es da schon besser. Ihr Einkommen liegt bei 5.500 Euro. Ein Einkommen, das man aber erst nach einer jahrzehntelangen Ausbildung erreicht. Sie sind die „Bestverdiener“ im niedergelassenen Bereich und der „volksgemeinten“ Höhe am nächsten.

Kommen wir zu den Spitalsärzten. An der untersten Stufe stehen 6000 Turnusärzte. Meist wird behauptet, sie werden ja noch ausgebildet und daher schlecht bezahlt. Ich meine, die Turnuszeit ist eine Fortbildung und keine Ausbildung; die endet nämlich mit der Universität. Keiner käme auf die Idee zu sagen, Gesellen dürften nicht viel verdienen, weil sie erst als Meister fertig ausgebildet sind. Wie auch immer, Turnusärzte kommen – inklusive aller Zulagen, Klassegelder und Bezahlungen für Wochenend- und Nachtdienste – auf 2.000 Euro netto. Dafür arbeiten sie etwa 70 Stunden in der Woche. Also fast doppelt so lange wie ein „normaler“ Mensch.

Ihre „fertig ausgebildeten“ 12000 Kollegen, die Oberärzte, sind besser dran. Zwar ändert sich die Arbeitszeit kaum, aber ihr Gehalt. Mit etwa 3000 Euro inklusive allem, also auch den Klassegeldern, denen man ja mystische Höhen zuspricht, sind sie aber weit weg von den 6.000 Euro, die ihnen das Volk zudenkt.

Mit fast 9.000 Euro netto verdienen eigentlich nur Primarärzte richtig gut. Es gibt zwar nicht einmal 1000 von Ihnen, aber sie prägen das Bild des „reichen“ Arztes. Dass diese Primarärzte für 9 Milliarden Euro verantwortlich sind, sollte man nicht vergessen, wenn man über ihre Gehälter spricht. Nur wenn sie gut bezahlt werden, kann man erwarten, dass sie gute Arbeit leisten. Skurril ist daher die Tatsache, dass ihr Einkommen nicht aus ihrem eigentlichen Job kommt. Die Hälfte bis zwei Drittel des Einkommens bestehen aus Klassegeldern. Also eigentlich Geldern, die mit Ihrer Leitungsaufgabe nichts zu tun haben; ein eigenartiges „Honorierungssystem“.

In Summe werden in den Statistiken etwa 32000 Ärzte erfasst und haben ein Nettoeinkommen von 3.300 Euro pro Monat. Da es aber offiziell 38000 Ärzte gibt, fehlt uns eine Gruppe. Denn, rund 6000 Ärzte werden zwar in den Ärztelisten geführt, aber in keiner Einkommensstatistik erfasst. Diese Ärzte leben von Vertretungsjobs, Notfallarzttätigkeiten oder Ähnlichem. Was sie dort verdienen reicht wohl höchstens als Nebenverdienst.

Aber wie ist so eine Fehleinschätzung in der Bevölkerung zu erklären. Mit einem Vollzeitjob verdient man rund 1.400 Euro netto. Nicht eingerechnet ist der „Pfusch“. Nimmt man an, dass etwa ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung sein Einkommen verbessert, dann landet man bei einem Nettoeinkommen von 2.900 Euro. Ein Arzt, so würde ich das interpretieren, dürfte der Volksmeinung nach ruhig doppelt so viel verdienen, also 6.000 Euro. Alleine, es entspricht nicht der Realität.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Weg damit! – Ein innerer Monolog

Facharztdienste sind – in den meisten Fällen – lang und öd. Und manch altgedienter Oberarzt sinnt über das Leben nach.

„Schon wieder in einem der unnötigsten ärztlichen Tätigkeitsbereiche: dem DIENST (siehe 1 unten).

Da wären Millionen drin, wenn man die unnötigen Dienste reduzieren würd’. Wer braucht z.B. MICH im XS-Spital? Andererseits verdien’ ich wenigstens mehr. Vom Grundgehalt kann man ja nicht leben. Ich hab’ gehört, die Jungen im AKH verdienen ohne Dienste gerade einmal 1.100 € – Brutto! Wahnsinn!

Trotzdem; drei Fachärzte und ein Turnus-Sklave (siehe 2 unten) hier im Dienst, in unserer Quetsch’n! Völliger Schwachsinn! Nur weil’s ein Landesgesetz gibt, des vorschreibt, wie viele Ärzte da sein müssen – egal ob man’s braucht oder net. Und kaum si’ma im Dienst, wer’ma mit lauter Unsinn konfrontiert; angebotsinduzierte Nachfrage, ein Klassiker.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen! Dienst ist zum überwiegenden Teil Unsinn, daher gibt’s im Dienst überwiegend nur Unsinn. Zweckmäßig ist hier nichts. Außer, dass ma’ deppert wird im Schädel und am nächsten Tag müd’ wie a alter Hund.

Wer braucht im XXL sieben (oder sind’s eh schon 15?) Kardiologen im Dienst? GLEICHZEITIG? Unfassbar. Und keiner schreit öffentlich auf, weil dem Volk vorgegaukelt wird, es sei eine gute Versorgung, wenn Fachärzte vor sich hindümpeln und artfremde Tätigkeiten verrichten; und in ihrer Überqualifikation dem Burn-Out entgegentreiben. Unterforderung KANN nur krank machen!

Im XL haben’s an Haut-Arzt, an HNO-Kollegen und fünf Internisten im Dienst! Samt zugehörigen Turnus-Sklaven, die stundenlang Spritzen geben und Infusionen anhängen – bei Patienten die davon eh nix haben. Nur weil die Schwestern vor lauter Doku-Wahn ständig Zeitmangel haben. Wer hat ihnen eigentlich diesen Blödsinn aufgedrückt. Sicher wieder irgend a Gesetz!

Warum gibt’s nicht kompetente kleine mobile Notfall-Teams für die Nachtstunden? Statt ausgelaugter Hundertschaften von Fachärzten, die in entwürdigenden Dienstzimmern entweder blödsinnig Fernschau’n, mürrisch ins Telefon plärr’n, insuffiziente Arztbriefe von unbekannten Patienten diktieren oder tschechern, bis sie ins verlotterte Dienstbett fallen, wo sie bestenfalls noch eine junge naive Kollegin verführen können?

Die Ärzte machen diesen Dienst-Scheiss ja nur, weil ihr Gehalt davon abhängt. NOTWENDIG oder EFFIZIENT ist das bei Gott nicht. Gebt den Fachärzten ein ordentliches Grundgehalt und Schluss! Wäre locker ein Drittel billiger. Wo es im niedergelassenen Bereich eh schon Fachärztemangel gibt, sitzen alle blöd im Dienst herum. Und alles auf Kosten der Allgemeinheit!

Hätten wir fliegenden Notfallteams, dann bräucht’ ma genau niemand! Außer vielleicht auf einer Gyn, einer Unfall, der Chirurgie, im Herzlabor und auf der Intensiv. Ansonsten reicht a Allgemeinmediziner, der kommt am Abend und geht in der Früh. Raus mit den Fachärzten, rein mit den Allgemeinmedizinern! Aber des geht gesetzlich wieder net.

Warum können die eigentlich keine g’scheiten Gesetze machen, die Bezahlern und Patienten nützen? Wenn es nach mir ginge, einfach weg damit!“

PS: Wer diesen inneren Monolog für Dichtung hält, der hat den Boden der Realität bereits verlassen! Tatsächlich ist er aus der Feder eines Spital-Facharztes.

1. vulg. für Nacht- und Wochenend-Dienste

2. Turnus: Bezeichnung für die mindestens dreijährige praktische Pflichtausbildung nach dem Medizinstudium. Turnus-Ärzte stehen in der Nahrungskette im Krankenhaus ganz hinten – also gerade noch höher als die ausgelagerten Reinigungskräfte. Daher das Wort Sklave.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.