75.390 Unterschriften gegen Dumpingmedizin

Faktenfreies Diskutieren ist gesundheitspolitischer Sport. Die faktenfreie Mobilisierung der Ärztekammer gegen das PHC-Gesetz ist aber bedenklich.

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   „Die Gesundheitspolitik schafft mit dem PHC-Gesetz eine gefährliche Parallelstruktur, welche Schritt für Schritt die Hausärzte ersetzen soll und eine Dumpingmedizin erschafft – der billigste Preis und nicht die beste Patientenversorgung stehen hier im Vordergrund“, „75.390 Unterschriften sind für uns ein klarer Auftrag, den Hausarzt zu stärken und dieses PHC-Gesetz mit allen Mitteln zu verhindern.“

   Erstaunlich, aktuell gibt es noch nicht einmal einen Gesetzesentwurf. Was es gibt, ist ein Verhandlungsentwurf, und der ist Gerüchten zu Folge dermaßen geheim, dass er nur in Papierform mit persönlicher Kennzeichnung übergeben wurde, und auch von der Ärztekammer nicht veröffentlicht wird.

   Das ändert nichts daran, dass der Vizepräsident der Ärztekammer Johannes Steinhart, eine Kampagne fährt. Die Ärzte wurden per Rundschreiben über das Gesetz, das „alle Befürchtungen der Ärztevertretung bestätigt“, informiert. Die wiederum dürften Patienten informiert haben, was zur Folge hatte, dass 75.390 Menschen gegen etwas unterschrieben, das sie nicht kennen; das praktisch niemand kennt, von dem aber sicher sei, dass es zum Untergang der besten Patientenversorgung und dem Aussterben der Hausärzte führen könnte.

   Was will die Ärztekammer retten? Die Hausärzte? Die Patientenversorgung? Was sagen die Fakten?

   Laut Gesundheitsbefragungen 2007 und 2014 (dazwischen gab es keine) ist die Quote der Bevölkerung über 60, die wenigstens einmal einen Hausarzt aufsuchte, von etwa 90 auf auf 80 Prozent gesunken – man meint das ist nicht schlimm, aber das ist falsch: Menschen dieser Altersgruppe brauchen Ärzte. Weil ich gerne mit Dänemark vergleiche: Dort gehen 95Prozent zu ihrem Hausarzt. Wo gehen die österreichischen Patienten hin? Genau, zum Facharzt. Haben 2007 etwa 42 Prozent der Österreicher über 60 einen (Wahl-)Facharzt aufgesucht, sind es 2014 sagenhafte 67 Prozent (Ausdruck der zunehmenden Beliebtheit der Wahlärzte, die in öffentlichen Statistiken verleugnet wird). Zum Vergleich, in Dänemark waren nur 46 Prozent der Bevölkerung über 60 bei einem Facharzt. Bei den unter 60-Jährigen ist es noch deutlicher: Dänemark: 25 Prozent, Österreich 61 Prozent.

   Hätten wir das dänische Versorgungssystem, das ein gut ausgebautes PHC hat, wären 762.000 Österreicher (über 15) 2014 zusätzlich zum Hausarzt gegangen, dafür aber 2,4 Millionen nicht zum Facharzt.

   Bedenkt man, dass Dänen ungefähr gleich viel Geld ausgeben, aber deutlich seltener zum Arzt gehen, weiß man, warum dort Ärzte zufrieden sind. Sie haben pro Patient mehr Zeit. Und weil Dänen über 65 noch 13 gesunde Lebensjahre vor sich haben, Österreicher aber nur 9, sind auch Patienten zufrieden.

   Wenn nun erklärt wird, dass mit allen Mittel das PHC-Gesetz verhindert werden muss: Ist es, um den Hausarzt zu stärken und die beste Patientenversorgung zu retten?    PS: Wenn die Zahl der Facharztbesuche angestiegen ist, sind die Spitalsambulanzen entlastet worden? Nein, auch hier gibt es 50 Prozent Steigerung: 2014 sind 32 Prozent der Österreicher über 15 wenigstens einmal in einer Ambulanz gewesen, in Dänemark nur 22 Prozent

„Wiener Zeitung“ Nr. 074 vom 15.04.2016    

Österreich braucht mehr Spitäler

Tief im dunklen Norden Europas, in einem Land, in dem blonde Wilde hausen, spielt sich vor unseren Augen eine menschliche Katastrophe ab.

In Dänemark hat man der darbenden Bevölkerung die schlechte medizinische Versorgung noch verschlechtert. Tausende und Abertausende werden qualvoll sterben, die Wirtschaft restlos zusammenbrechen und die Bevölkerung wird verelenden. Denn man hat entschieden, 20 der 40 Spitäler (wir haben etwa 160) für immer zu schließen. Für 200.000 bis 400.000 Einwohner wird es nur noch ein Spital geben. Unerträglich – und die Welt schaut tatenlos zu.

Auch wenn unsere Gesundheitspolitiker auf Dänemark angesprochen so oder noch schwarzmalerischer reagieren dürften, eintreten wird das wohl nicht.

Mit nur 5,5 Millionen Einwohnern beträgt das dänische BIP 309 Milliarden US-Dollar. Bei uns (über 8 Millionen) sind es 385 Milliarden. Auch die dänische Arbeitslosigkeit liegt unter unserer. Zudem ist Dänemark, glaubt man dem Human Development Index der UNO, höher entwickelt als Österreich. Und als ob das nicht reicht: Ein 65-Jähriger hat dort fast doppelt so viele gesunde Lebensjahre vor sich wie bei uns – und dabei geben die weniger Geld aus. Wie machen die das nur mit so wenigen Spitälern?

Aber zurück nach Österreich. Da hat Landesrat Wolfgang Sobotka von Niederösterreich wieder einmal kundgetan, dass er Baden und Mödling – Synonyme für Verschwendung und Unsinn in der Spitalslandschaft – erhalten muss, weil ihm das Gesetz keine Wahl lässt. Und wieder einmal zitiert er das Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz, das für 50.000 bis 90.000 Einwohner eine Standardkrankenanstalt (die einfachste Spitalsvariante mit zumindest Innerer Medizin und Chirurgie) verlangt. Nachdem er das nun zum wiederholten Mal tut, muss auch ich einsehen, dass er nur gesetzestreu sein will. Immerhin ist er als Landesrat und sogar Landeshauptmann-Stellvertreter auf die Verfassung vereidigt und verpflichtet, die Gesetze zu halten.

Daher ist es dringend an der Zeit, dass die Politik gesetzeskonform neue Spitäler errichtet. Denn das Spital in Mödling hat ein Einzugsgebiet von 188.000 Einwohnern. Man braucht dort also nicht nur eines, nein sogar drei Spitäler und in Baden mindestens zwei. Eigentlich muss im Einzugsgebiet von fast jedem niederösterreichischen Spital ein zusätzliches errichtet werden.

Aber nicht nur die Niederösterreicher sind mit eklatanten Gesetzesbrüchen ihrer Obrigkeit konfrontiert. Mit Vöcklabruck, Steyr und Wels reiht sich Oberösterreich in die Schar der Gesetzesbrecher. Die Vorarlberger Autoritäten lassen rund um Bregenz die Menschen ungesetzlich im Regen stehen und in Kärnten sind es die Regionen rund um Villach und Spittal; in Tirol ist es die Schwazer Bevölkerung und in der Steiermark die Gegend rund um Judenburg. Aber am buntesten treiben es die Wiener. In Floridsdorf steht fast 300.000 Einwohnern nur ein winzig kleines Spital zur Verfügung – grässlich! Und die Liste ist sicher nicht vollständig.

Also, liebe Politiker, nehmt euch ein Beispiel an den niederösterreichischen Regenten: Dort wird wenigstens versucht, Gesetze – wer macht die überhaupt? – zu befolgen. Wenn ihr schon keine Behinderten einstellt, dann baut doch wenigstens Spitäler!

Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum Politiker einfach so Unwahrheiten und Stuss verbreiten können – und das nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder –, ohne dass es Konsequenzen gibt. Ob man beim nächsten Mal vielleicht ein paar dänische Gesundheitspolitiker wählen kann?

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.