Landesväter

Wer Bedürfnissen nachgibt, darf sich nicht wundern, wenn der Bedarf schier unermesslich wird. Und wo führt das hin?

In einem Wochenmagazin stand eine interessante Aussage eines Landeshauptmanns, die so aber auch von jedem anderen stammen könnte. Dieser wurde darauf angesprochen, warum man nicht zwei nur zwölf Kilometer auseinander liegende Krankenhäuser (allerdings in zwei Bundesländern) zusammenlegen und damit Millionen sparen könnte. Was denn so schlimm sei, über eine Bundeslandgrenze in ein Spital zu fahren (wo doch anderswo daran gedacht wird, ein solches sogar über Staatsgrenzen hinweg zu führen), wurde gefragt: „Politik“, antwortete der Landeshauptmann, „müsse die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen…Die Menschen würden sich dort wohl fühlen und das so wollen.“ Damit mag er durchaus Recht haben.

Mein Sohn liebt Schokolade und lehnt Zähneputzen ab. Trotzdem sorgen meine Frau und ich dafür, dass er nur selten Schokolade bekommt und putzen seine Zähne. Wir handeln gegen seine Bedürfnisse, wohl wissend, dass wir so aber seinen Bedarf an Erziehung und Körperpflege decken. Auch wenn Sie jetzt denken, es sei vermessen, ein Kleinkind mit wahlberechtigten Bürgern und Patienten zu vergleichen, ist dieser Vergleich durchaus berechtigt.

Patienten wie Bürger wissen nicht, wie es um die Strukturen unseres Gesundheitssystems bestellt ist. Vielmehr muss bei den Bürgern der Eindruck entstehen, Spitäler zu sperren, sei Ausdruck krankhaften Sparwahns. Umso mehr, wenn Sie in eines kommen, in dem Patienten auf den Gängen liegen, was gerade an internen Abteilungen sehr häufig vorkommt. Dass aber viele Patienten, die dort liegen, auch ambulant oder tagesklinisch behandelt werden könnten oder einer Pflegeeinrichtung bedürfen, weiß die Bevölkerung nicht. Nur mangelt es an diesen, verglichen mit Spitälern viel günstigeren Strukturen. Übervolle Spitäler sind also weniger Ausdruck von Sparwahn, als vielmehr Resultat unfinanzierbarer Verschwendungssucht, weil man sich halt doch nicht so viele Spitäler leisten kann.

Genau so wenig können Patienten wie Bürger beurteilen, wie es um die Qualität der medizinischen Versorgung ihrer kleinen Regionalspitälern bestellt ist. Nur weil einmal etwas schief geht, muss die Qualität nicht schlecht sein. Aber nur weil viele Patienten mit der Behandlung zufrieden sind, bedeutet das keinesfalls, dass die Qualität deswegen gut ist. Tatsächlich werden in vielen kleinen Krankenhäusern immer wieder Operationen und andere Behandlungen vorgenommen, die dort eigentlich nicht durchgeführt werden dürften. Weil etwa die für komplizierte Behandlungen notwendige Infrastruktur nicht vorhanden ist oder schlicht die Erfahrung fehlt.

Nähmen die Landeshauptleute ihre Verantwortung als „Landesväter“ und „-mütter“ wirklich ernst, würden sie nicht allen Bedürfnissen ihrer Bevölkerung nachgeben. Vor allem dann nicht, wenn dies bedeutet, langfristig deren Gesundheitsversorgung aufs Spiel zu setzen. Schließlich verfügen sie, ähnlich wie Eltern gegenüber ihrem Kind, über einen gewaltigen Informationsvorsprung. Sie wissen von den Bedenken der Experten betreffend der Qualität einzelner medizinischer Leistungen in ihren Krankenhäusern genauso wie um falsche Strukturen und die zunehmende Unfinanzierbarkeit des Systems. Allerdings müssten sie dann nach Jahren, in denen sie sich mit medizinischer High-Tech-Infrastruktur und angeblicher Spitzenmedizin so gut wie überall gerühmt haben, auch zugeben, dass das System doch nicht so gut ist, wie sie stets behauptet haben.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Monopolist müsste man sein – Teil 1

Wenn man dir gibt, dann nimm. Wenn man Dir nimmt, dann schrei.

Kinz & Kunz (KK) betreiben ein Geschäft mit vielen Filialen und noch mehr Chefs. Hauptsächlich organisieren sie Dienstleistungen. Eigentlich ist es aber ein Versicherungsgeschäft, aber auch nicht richtig. Denn die Kunden – und das macht ihr Geschäft so anders – müssen bei ihnen einkaufen und im Vorhinein bezahlen. Sie haben seit jeher Privilegien, die man eher aus dem Mittelalter kennt und dort dem Adel vorbehalten waren.

Ihre Geschäfte sind in neun Brav & Lieb-Einkaufszentren (BL) eingemietet. Die Besitzer sind so etwas wie Aktionäre. Theoretisch handelt es sich um eine Publikumsgesellschaft mit 100% Streubesitz. Ein Aufsichtsrat und neun Vorstände (sehr skurril!) machen – sagen sie – alles zum Wohle der Aktionäre (die ja wegen dem Streubesitz oft gleichzeitig Kunden sind!). Aber wie bei allen selbstherrlichen Gesellschaften scheint es, dass auch hier der Wurm drinnen ist und die Aktionäre wurst sind.

Wie auch immer, die eingemieteten KK-Geschäfte sind seit Jahren finanziell marode. Nicht, dass die Kunden zu wenig bezahlen; nein, ganz im Gegenteil. Um die Geschäfte am Laufen zu halten, wurden sie trickreich immer kräftiger geschröpft. Am Schluss hat man von ihnen sogar Eintrittgelder verlangt, auch wenn sie gar nicht Einkaufen gingen! Jaja, Monopolist müsste man sein! Gleichzeitig haben KK immer mehr Leistungen gestrichen und die Kunden sich selbst überlassen. Wenn BL nicht begonnen hätten, Kunden zu übernehmen, dann hätte diese gar nichts erhalten – obwohl sie bezahlt haben.

Kurz, KK sind nicht in der Lage, ihre Geschäfte richtig zu führen. Das ist aber auch verständlich, sind doch alle Chefs und Chefstellvertreter – wie im Übrigen auch bei BL – keine Profis, sondern nach anderen Kriterien amtseingesetzt. Viele sind zudem mit Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern von BL verbandelt und verwandt – eine Geschichte, die auch an feudale Strukturen erinnert. Jedenfalls haben unergründlicherweise BL KK nie fallen lassen.

Trotz aller Finanztricks hat es trotzdem nicht gereicht. Der letzte Trick aber ist nach hinten losgegangen. Um, wie üblich, die Geldgeschenke vor dem Volke zu tarnen hat der BL-Aufsichtsrat (sic!) KK mit Aufgaben betraut, die eigentlich nicht ihre sind. Dafür erhalten sie im Vorhinein eine Menge Geld. Das muss man sich so vorstellen, also ob ein guter Vater bereits Anfang des Jahres Geld leiht, das man erst Ende des Jahres braucht, um sein Konto abzudecken. Dazwischen kann man mit dem Geld machen was man will und die Zinsen behalten – also ehrlich, das ist doch nett! Dass KK irgendwann einmal auf die Idee kämen, das geliehene Geld als das „eigene“ zu bezeichnen, daran hat niemand gedacht. Aber genau das passiert jetzt. Trotz aller Wohltaten kommen KK wieder nicht über die Runden. Und listig wie sie sind, versuchen sie das geliehene Geld schlicht als das eigene zu reklamieren – anderenfalls gehen sie in Konkurs, an dem nicht sie Schuld sind, sondern der, der das Geld geliehen hat!? – verkehrte Welt!

Über was hier gesprochen wird ist wohl klar – Die Einkaufszentren sind unser Gesundheitssystem, die BL die Bundesländer, die KK die Krankenkassen, der Aufsichtsrat das Parlament, die neun Vorstände die Landesregierungen und die Aktionäre alle Österreicher – die man für blöd verkauft. Jaja, Lebenskunst ist die Fähigkeit auf etwas Notwendiges zu verzichten, um sich etwas Unnötiges zu leisten – ebenfalls ein sehr aristokratischer Ansatz.

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitsplattformen – die unbekannten Wesen

Ohne größere Bekanntheit erlangt zu haben sterben die letzten zarten Pflänzchen einer sinnvolleren Reform ab – und niemand wird es merken!

Wer noch nie von Gesundheitsplattformen gehört hat, der soll sich nicht grämen, er gehört zur großen Mehrheit. Die, die wenigstens schon was gehört haben, sind in der Minderzahl. Die seltenen Vögel, die sogar wissen, was diese Institutionen für Aufgaben hätten – und es sind deren viele – sind echte Exoten.

Die Kernidee dieser unbekannten Wesen, die in jedem Bundesland institutionalisiert wurden, war die DEZENTRALE Planung des Gesundheitssystems. Da saßen Länder und Sozialversicherungen als Finanziers zusammen und sollten, so der gesetzliche Auftrag, GEMEINSAM für die Gesundheitsversorgung der REGIONALEN Bevölkerung sorgen. Wenn man die aktuellen Entwicklungen beobachtet, dann weiß man, dass diese Idee in den letzten Zügen liegt.

Andererseits hat sie nie wirklich einen richtigen Zug gehabt. Keine Plattform hat es geschafft auch nur die klitzekleinen Reformprojekte Realität werden zu lassen. Eine gemeinsame Vorgangsweise gibt es, wenn überhaupt, nur in vereinzelten, kaum wahrnehmbaren Ansätzen. Der Pflegebereich wurde gleich gar nicht in die Agenda aufgenommen. Und die wenigen Plattformen, die es sich geleistet haben, ein sachlich kompetentes – und nicht politisch tickendes – gemeinsames Büro einzurichten, haben dieses bald wieder abgeschafft.

Die Folge dieses offensichtlichen aber verleugneten Scheiterns kennt man mittlerweile: die Kassen gehen pleite und die Spitalsausgaben explodieren (wie man hört in einigen Bundesländern um 36% in zwei Jahren!). Schuld ist natürlich der Bund – der macht ja immer alles falsch. Interessant, dass die WHO schon 1969 gesagt hat, dass die Bundesregierung keine Kompetenzen hat, den Finanziers verbindliche Weisungen zu erteilen. Trotzdem ist der Bund schuld – weil immer andere schuld sein müssen.

Ehrlicher- und daher unausgesprochenerweise  sind die Gesundheitsplattformen aber selber schuld. Man beachte nur wie skurril die Kompetenzen verteilt wurden. Was die niedergelassenen Ärzte betrifft, haben immer die Sozialversicherungen das Sagen, was die Spitäler betrifft die Länder – Zeugt das von einem gemeinsamen Willen?

Aber was hat man denn erwartet? Da sitzen die dem Populismus zugeneigten Länder und die in klassenkämpferischen Verhandlungen geübten Gewerkschaften zusammen und sollen gemeinsam gestalten, eine gemeinsame Vision, eben die gemeinsame Sorge um die Patienten, entwickeln. Einmal ehrlich – ist das nicht zu naiv gedacht? Kann man wirklich erwarten, dass sich Organisationen mit reinem Machtwillen zusammensetzen und plötzlich aus heiterem Himmel einen gemeinsamen Gestaltungswillen entdecken?

Dabei hallt das Wort Rauch-Kallats noch nach: Die Gesundheitsreform steht! Heute, drei Jahre später, ist davon aber nichts übrig, auch wenn man nicht müde wird, das Gegenteil zu behaupten. Real werden die jetzigen Reformschritte die Kluft zwischen den Finanziers (eigentlich nur die Verwalter unseres Geldes! Aber das will auch niemand hören!) sogar vergrößern und eine dezentrale Planung noch unmöglicher machen; Plattformen hin oder her.

Was aber wird nun mit den Gesundheitsplattformen passieren? Natürlich nichts. Sie werden weiter existieren. Oder hat man in Österreich schon jemals eine politische Einrichtung abgeschafft, nur weil sie nutzlos wurde? Es ist typisch für uns, tote Pferde zu reiten und allen zu erzählen, dass es sich dabei um eine österreichische und international unvergleichlich gute Galoppversion handelt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.