Die Zwergenspitäler

Nachdem Bad Aussee seine „systemrelevante“ Chirurgie behalten darf, wollen die Mittersiller ihre Geburtsstation retten – ein Wahnsinn.

Und wieder probt ein Spital den Aufstand. Nachdem die vollkommen unnötigen Chirurgien in den steirischen Dörfern Bad Aussee und Mürzzuschlag „gerettet“ wurden, regt sich jetzt Widerstand gegen die Schließung der Geburtsstation im salzburgischen Mittersill.

Und wie üblich wird die Diskussion in einer Art und Weise geführt, die erschreckend ist. Leserbriefe werden veröffentlicht, in denen der Volkszorn zum Ausdruck kommt, das Leichentuch hängt vor jeder Tür und Fehlinformationen werden – wie für Propaganda üblich – dazu verwendet, der Bevölkerung Angst zu machen.

Aber es ist ja auch nichts anders zu erwarteten. Immerhin wurde seit Jahrzehnten jede Sachpolitik dem Populismus geopfert.

Aber bleiben wir einmal kurz bei den nicht sehr beliebten Qualitätsfakten.

In Mittersill – und damit das klar ist, es ist ein Synonym für alle Zwergenspitäler, die so gern Riesen wären – gibt es etwa 150 Geburten pro Jahr. Schon heute müssten alle Risikogeburten in größere Spitäler überwiesen werden. Die Regeln, welche Risken in den kleinsten Geburtsstationen eingegangen werden dürfen, wurden zum Wohl der Kinder und Mütter (also eine Qualitäts-, keine Kostenfrage!) strenger, sodass es zukünftig vielleicht noch 100 Geburten vor Ort geben könnte.

Dank moderner Medizin sterben nur etwa fünf Kinder pro 1.000 Geburten bei der Geburt Da Mittersill keine Risikogeburten hat, sollte die Sterblichkeit noch niedriger liegen; vielleicht so bei zwei? Das aber bedeutet, dass nur alle fünf Jahre ein Kind sterben sollte; also sehr selten. In den großen Geburtstationen, in denen mehr als 1.000 Geburten pro Jahr vorkommen und die auch Risikogeburten durchführen, da werden pro Jahr gleich mehrere Kinder sterben. Und weil eben Populismus vor gar nichts zurückschreckt, wird dieses Faktum gerne dazu verwendet, darzustellen, dass Klein Oho ist.

Dieses Spiel mit Zahlen ist zynisch. Denn die Wahrheit schaut anders aus. Überall wo richtige Studien und nicht politische Wunschkonzerte durchgeführt wurden, wird festgehalten, dass in Spitälern mit weniger als 500 Geburten pro Jahr die Kinder vier mal häufiger sterben, als in Spitälern mit mehr als 1.000 Geburten. Zwergenspitäler sind also alles andere als Oho!

Es gäbe gute Qualitätsgründe, dass diese kleinsten Geburtsstationen aus der Versorgung genommen werden. Das Problem ist, dass es die Politik seit Jahrzehnten nicht der Mühe Wert gefunden hat, über Qualität zu reden, sondern lieber jedem erzählt hat, dass alle überall und immer auf allerhöchstem Niveau versorgt werden. Und so kann sie also gar nichts anderes, als eine Kostendiskussion führen, wenn sie irgendeinen Zwerg schließen will. Kein Politiker würde sich trauen, die Wahrheit auszusprechen: In den vielen viel zu kleinen Spitälern kann gute Qualität nicht aufrecht erhalten werden!

Die Politik nimmt lieber in Kauf, von der Bevölkerung als Kaputtsparer tituliert zu werden. Das mag vielleicht die eine oder andere Stimme kosten, aber die Option, andere Zwergenspitäler am Leben zu lassen, bleibt erhalten. Und um nichts anderes geht es ja schließlich. Das Patientenwohl ist doch jedem egal!

Wenn ich im oberen Pinzgau eine Frau kennte, die noch Nachwuchs zu erwarten hat, ich würde sie anflehen, einen Bogen um Mittersill zu machen und das 30 km entfernte Zell am See oder das 40 km entfernte St. Johann anzufahren. Denn lebende Kinder wären mir die paar Kilometer wert!

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der ganz normale Selbstverwaltungswahnsinn

Einige Ärztekammerfunktionäre haben entschieden – und die Bevölkerung hat sich daran zu halten. Warum es gewählte Politiker gibt? Keine Ahnung.

Seine Zehen hat er im Stehen schon lange nicht mehr gesehen. Jetzt wird er seine linken, selbst wenn er abnimmt, nie wieder sehen können. Die wurden amputiert; wegen seiner Zuckerkrankheit, die er nie ernst genommen hat. Sein Arzt hat ihm zwar gesagt, dass er mit seinem Diabetes nicht spielen darf, aber Schweinsbraten und Bier waren viel zu verführerisch.

Wer an Diabetes leidet, hat eine sehr trügerische Krankheit. Bei den meisten ist der Lebensstil hauptverantwortlich. Zu viel Essen mit zu wenig Bewegung, das ist ein Garant dafür, Diabetiker zu werden. Langsam entwickelt sich die Krankheit und schleichend, das macht die Behandlung schwer. Die beste Behandlung ist die Früherkennung. Menschen, die zu dick sind und wenig Bewegung machen, sollten früh motiviert werden, ihren Lebensstil zu ändern. Gelingt das nicht, und kann der Ausbruch der Krankheit nicht verhindert werden, dann sollte man die Patienten dazu bringen, ihre Krankheit ernst zu nehmen und spätestens jetzt den Lebensstil zu ändern. Gelingt das wieder nicht, dann ist es Aufgabe eines guten Gesundheitssystems Folgeerkrankungen wie Amputationen, Erblindung, Nierenversagen, Schlaganfall oder Herzinfarkt mit engmaschigen Kontrollen und entsprechenden Therapien hintan zu halten.

Da Diabetes eine langwierige Erkrankung ist, ist die wichtigste Herausforderung jedoch, den Patienten über viele Jahre nicht aus den Augen zu verlieren und zur Therapie zu motivieren. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Deswegen wurden international Programme entwickelt, die genau das im Fokus haben.

Auch Österreich hat sich – spät aber doch – entschieden, ein solches Programm zu starten. Endlos wurde zwischen Ärztekammer und Sozialversicherung verhandelt, doch am Ende gab es Einigkeit.

Doch diese Einigkeit hat plötzlich ein Ende – nur in Niederösterreich. Dort hat sich der Vorstand der Ärztekammer mehrheitlich gegen die Fortführung des Programms entschieden. Die Gründe sind hahnebüchern. Das Programm sei ein Eingriff in die Verhandlungshoheit und außerdem bringe es keine Verbesserung. Dass Patienten durch das Programm motiviert wurden, sich mehr zu Bewegen und gesünder zu ernähren (die wichtigsten Therapiemaßnahmen bei Diabetes!), wird ebenso ignoriert, wie die Tatsache, dass unnötige Amputationen, Erblindungen und lebenslange Dialysen vermieden werden könnten. Sogar innerhalb der Ärztekammer ist das nicht nachvollziehbar. Ändert aber nichts, der Vorstand hat entschieden, das Programm ist tot.

Nun, das eigentlich Schlimme dabei ist, dass wirklich ein paar Funktionäre entscheiden können, was für die Bevölkerung gut ist. Man stelle sich vor, dass hinter den maßgeblichen Funktionären der Niederösterreichischen Ärztekammer gerade einmal 1400 Ärzte stehen – so viele Stimmen konnten sie bei der letzten Kammerwahl auf sich vereinigen. Und diese paar Funktionäre entscheiden, was für die 1,4 Millionen Niederösterreicher gut ist. Kein legitimierter Volksvertreter kann daran was ändern, ja nicht einmal die Kassen können es. Dass die Bevölkerung dank des Pflichtversicherungssystems nicht aussteigen und sich anderen, vernünftigeren Partner zuwenden kann ist nur mehr das Tüpfelchen auf dem i.

Es ist erschreckend, wie sich einige Sozialpartner mittlerweile aufführen und sich dabei vollkommen sicher fühlen können.

Warum ich eigentlich noch wählen gehen soll, das ist die Frage. Real entscheiden doch ohnehin Personen, die sich jedem Plebiszit entziehen?

Dieser Artikel wurde im November 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Etwas ganz anderes

Weil sich sowieso niemand mehr wirklich auskennt, einmal etwas, ganz abseits der österreichischen Akut-Reform-Diskussions-Wahnsinnigkeiten.

Vor langer langer Zeit (1978), weit weit weg, im tiefsten Kasachstan, in einem Ort, der heute Almati heißt, hat die Welt beschlossen, Gesundheitssysteme neu und besser zu organisieren. Festgehalten wurde das in einer WHO-Deklaration, die Österreich natürlich auch unterschrieben hat.

Da stehen so schöne Dinge drinnen wie: „Das Volk hat das Recht und die Pflicht, gemeinsam wie individuell, in der Planung und der Umsetzung der Gesundheitsversorgung eingebunden zu sein“, aber auch so praktische wie: „Primary Health Care (Anm.: ein Ausdruck, den man hierzulande kaum kennt und sperrig als Primärversorgungsbereich übersetzt) behandelt die wesentlichen Gesundheitsprobleme der Bevölkerung, indem es entsprechende Leistungen der Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention, Heilung und Rehabilitation zu den Menschen bringt.“

Weil es sich gerade trifft, und die Leiterin des Departments of General Practice an der School of Population Health in Auckland, Ngaire Kerse auf Besuch in Graz, ist, will ich das Thema aufgreifen.

Allgemeinmediziner, also Hausärzte, sind das Rückgrad der Primärversorgung. Sie sollten, so die Idealvorstellung seit dreißig Jahren, die Angelpunkte sein, um die sich Teams aus Pflegekräften, Hebammen, Sozialarbeiter etc. bilden, die die Gesundheitsversorgung zum Patienten bringen. Um so ein Hausarzt sein zu können, muss man gut für diese Aufgaben ausgebildet werden. So was geht nur, wenn man den Hausarzt als eigenständiges Fach sieht.

Aber hierzulande kann man nach drei Jahren Spritzendienst im Krankenhaus Hausarzt werden, ohne jemals eine Ordination von innen gesehen zu haben. Es gibt in ganz Österreich gerade einmal drei Professoren für Allgemeinmedizin. Seit 1950 sind ganze 25 wissenschaftliche Arbeiten von österreichischen Allgemeinmedizinern (davon 20 im Inland) erschienen und selbst das Gesundheitsministerium ist gegen eine rasche Etablierung des Hausarztes als Facharzt.

Zum Vergleich: Neuseeland hat für 4 Millionen Einwohner gleich sechs Universitätsinstitute für Allgemeinmedizin. Am Institut von Frau Prof. Kerse arbeiten sechs Professoren Vollzeit. Allein dieses Department publiziert jährlich mehr als 60 Artikel in internationalen Journalen. Die Ausbildung von Allgemeinmedizinern in Neuseeland beinhaltet zwölf verpflichtende Wochen während des Studiums, einen zweijährigen Spitalsturnus und danach 12 verpflichtende Monate in speziellen allgemeinmedizinischen Lehrpraxen. Für den endgültigen Abschluss sind dann noch zwei supervidierte Jahre in eigenständiger Praxis notwendig.

Im neuseeländischen Primärversorgungsbereich kooperieren mit den gut ausgebildeten Hausärzten ebenso gut ausgebildete Krankenschwestern (practice nurses, community nurses, familiy health nurses, district nurses, diabetes nurses, etc.).

In der WHO-Deklaration steht auch drinnen: „Alle Regierungen sollen nationale Strategien und Umsetzungspläne entwickeln, um Primary Helath Care als Teil einer umfassenden Gesundheitsversorgung zu etablieren und zu stärken.“

Und um was dreht sich die Diskussion seit vielen Jahren bei uns? Um Kassenverträge und Spitalsreformen. Und immer öfter werden diese Diskussionen nicht einmal mehr öffentlich geführt. Warum auch, nur weil die WHO gemeint hat, dass das Volk das Recht und die Pflicht hat, in der Planung und Umsetzung der Gesundheitsversorgung eingebunden zu sein?

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.