Das Krankenhaus Nord – stationär vor ambulant?

   Wieder einmal verwirren die Zahlen des KH Nord. Und diesmal zeigen sie, welche Gefahren dadurch für den Patienten entstehen.

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   Werner Steinböck ist jetzt seit einem Jahr Verwaltungsdirektor des KH Nord. Als er im Februar 2019 vor der Untersuchungskommission aussagen musste, war er aber nicht nur als solcher dort, sondern auch als ehemaliger Controller des KAV. Als Controller sah er sich als „Bedarfsdecker“ und hält sehr reflektiert fest, dass ein Spital Leistungen erbringen muss, um einen Bedarf zu decken, etwaige Einsparungen dürfen nicht durch Leistungskürzungen entstehen. Deswegen ist Leistungsplanung wichtig.

   Dann wird er nach den Leistungen, die er heute als Verwaltungsdirektor mit den einzelnen Abteilungen in Leistungs- und Zielvereinbarungen gießt, genauer befragt. Seinen Angaben nach, rechnet er mit 46.000 stationären Patienten. Also genau der Zahl, die seit 2012 verlautbart wird.

   Historisch betrachtet waren es einst nur 40.000 Patienten. Vermutlich wurde die Zahl der Patienten nicht dem Bedarf nach festgelegt, sondern über die Zahl der geplanten Betten und Abteilungen. Als die Politik diese mehr oder weniger freihändig beschlossen hat, dauerte eine Spitalsbehandlung eben so und so lange, und daher reichten die Betten für 40.000 Patienten. Um 2012 begann man sich mit der Betriebsorganisation zu beschäftigen und stellte fest, die Verweildauer ist gesunken. Weil eben politisch die Zahl der Betten den Bedarf bestimmt und nicht umgekehrt, wurden 46.000 Patienten daraus. Das ist leicht nachrechenbar.

   Doch sind nun in diesen Patienten auch jene eingerechnet, die tagesklinisch betreut werden sollen? Und da antwortet Steinböck mit ja – und erzeugt ein Problem. Um das zu verstehen, muss man wissen, wie sehr tagesklinische Patienten die durchschnittliche Verweildauer beeinflussen. Ein Beispiel. Etwa 15 Prozent der Chirurgie-Patienten werden tagesklinisch behandelt; 85 Prozent liegen länger. Rechnet man nur diese, ist deren durchschnittliche Verweildauer 4,1 Tage, rechnet man aber alle Patienten, sinkt sie auf 3,5 Tage.

   Diese Unterscheidung hat große Wirkung. Wenn man die heutige Verweildauer, angepasst an die Fächerstruktur des KH Nord heranzieht, zeigt sich, dass die Betten für etwa 46.000 vollstationäre Patienten ausreichen. Rechnet man jedoch die tagesklinischen Patienten ein, reichen sie für 57.000 Patienten. Oder im Umkehrschluss, wenn diese 46.000 Patienten wirklich inklusive tagesklinischer Patienten sind, bräuchte man nicht 785 Betten, sondern nur 643.

Und genau hier beginnt das Problem für Patienten und Steuerzahler. Es ist sehr schwer vorstellbar, dass Abteilungen in den Leistungs- und Zielvereinbarungen mit dem Verwaltungsdirektor leere Betten planen. Und so werden wohl die Ambulanzen zu Akquisitionsschienen, um aus eigentlich ambulanten Patienten stationäre zu machen. Und weil in der Notfallaufnahme jeden Tag im Schnitt 700 Patienten und in den Terminambulanzen an jedem Werktag 1000 Patienten behandelt werden, wird es nicht schwerfallen, Betten zu füllen, um Vorgaben einzuhalten. Und so wird Fehlplanung nicht nur teuer, sondern auch schädlich, denn egal wie toll das KH Nord auch sein soll, Spitalskeime wird es auch dort geben.

„Wiener Zeitung“ vom 14.03.2019 

Fehlsteuerung und Fehlbelegung

Obwohl wir viele Krankenhäuser haben, werden echte Notfälle immer schwieriger versorgt werden können – dank der Fehlsteuerung und der Reformverweigerung.

Es ist unter der Woche, vormittags, als ein sichtlich kranker Mitt-Fünfziger mit blassem Gesicht und stechenden Schmerzen vom Hals bis zum Kreuz die Ambulanz eines großen Wiener Spitals betritt. Rasch erkennen die Ärzte die Situation: Der Mann hat ein Aortenaneurysma. So eine Diagnose ist ein Alptraum, denn in der Innenschicht der Hauptschlagader hat sich ein Riss gebildet, durch den sich nun das Blut in die Wand der Ader wühlt und sie so spaltet. Der hohe Druck führt dazu, dass die so verdünnte Wand sich immer stärker dehnt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie platzt. Passiert das, dann verblutet der Patient innerhalb kürzester Zeit. Die einzige Chance ist eine Not-Operation, die so groß und schwer ist, dass man, wenn man überlebt, postoperativ auf eine Intensivabteilung muss.

Wiewohl ein großes Spital, ist es für so eine Operation nicht ausgerüstet, also beginnen die Ärzte zu telefonieren. Doch in ganz Wien will den Patienten niemand haben. Die OPs seien alle belegt oder es sei kein Intensivbett frei! Man beginnt außerhalb zu suchen – und wird fündig in St. Pölten. Jetzt noch rasch einen Hubschrauber bestellt und alles wird gut! Falsch! Denn bei der Flugrettung erfährt man, dass alle Hubschrauber besetzt sind, frühestens in 70 Minuten wird einer frei! Soviel Zeit ist nicht, also legt man den Mann in eine Rettung und fährt mit Blaulicht nach Niederösterreich.

Was aus dem Mann geworden ist, weiß ich nicht. Aber verwundert hat mich das alles schon. Wie wahrscheinlich ist es, dass in ganz Wien kein OP oder Intensivbett für solche Notfälle frei ist? Rechnerisch gering. Wir sind gut ausgestattet mit OPs und verglichen mit anderen Ländern haben wir viele Intensivbetten. Gut, es war Vormittag, und nachdem unsere OPs nur vormittags benützt werden, ist klar, dass dann alle im Vollbetrieb sind – hauptsächlich mit geplanten Routineeingriffen. Aber warum war kein Hubschrauber frei?

Was ist passiert? Es kommen eigentlich nur zwei Erklärungen in Frage. Die erste ist zynisch. Sie würde bedeuten, dass so schwere Patienten, wenn möglich, abgelehnt werden. Das will ich ausschließen. Die zweite Erklärung ist aber nicht viel besser.

Durch das Finanzierungssystem geraten die Häuser immer mehr unter Druck. Statt Kapazitäten für Notfälle frei zu halten, müssen sie danach trachten, möglichst voll zu sein. Leere Betten, vor allem auf Intensivabteilungen, kosten nur und bringen nichts. Also „stopft“ man rein, was geht – ob nötig oder nicht.

Und wie ist das mit der Rettung? Ähnlich! Auch hier wird es für die Betreiber immer schwieriger, Hubschrauber herumstehen zu lassen. Da fliegt man dann schon lieber jede Bagatelle. Wenn dann wirklich ein Notfall auftaucht, braucht es niemanden wundern, wenn kein Hubschrauber frei ist.

Und so erklärt sich alles. Obwohl eigentlich genug Kapazitäten da wären, sind diese für Notfälle immer schwieriger zu erhalten. Skurrilerweise würde eine Erhöhung gar nichts bringen. Mehr Intensivbetten oder Hubschrauber würden nur dazu führen, dass die „Fehlbelegung“ zunimmt, weil die Preise sinken und so die Betreiber zwingen, die Auslastung weiter zu erhöhen; das geht aber nur mit planbaren Patienten, nicht mit Notfällen.

Helfen würde eine Änderung der Finanzierung und das wiederum geht nur, wenn die Kompetenzen endlich klarer strukturiert werden – weil das aber nicht passiert, sind die ersten „Opfer“ der Reformverweigerung echte Notfälle.

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer nicht entscheidet, für den wird entschieden!

Der Wunsch, ärztliche Entscheidungen wieder den Ärzten zu überlassen – und nicht den Ökonomen – ist zu spüren! Allerdings nur halbherzig.

Schließen Sie die Augen! Sie sind zehn Jahre alt und haben entsetzliche Bauchschmerzen. Der Blinddarm muss raus. Glücklicherweise ist alles früh festgestellt worden und der Operateur entscheidet, den Blinddarm endoskopisch, also mit Knopflochchirurgie, zu entfernen. Am zweiten Tag kommt der Arzt und sagt: „Sie sind gesund, sie können gehen“. Doch nein! Unmittelbar nach dem Arzt kommt der Krankenhausverwalter, ein Ökonom, und sagt: „Sie müssen bleiben, weil wir noch ein bisschen an Ihnen verdienen wollen.“ Der Arzt, der daneben steht, fällt dem Ökonomen jetzt nicht ins Wort und weist ihn zu Recht – nein, er gibt dem Ökonomen spontan recht.

Wachen Sie jetzt auf und lassen sich erklären, welchen Schwachsinn Sie geträumt haben.

Das Spitalswesen hierzulande wird von einem wenig vernünftigen System finanziert – der leistungsorientierten Krankenanstalten-Finanzierung (LKF). Es pauschaliert Leistungen, was Bezahlung als auch Aufenthaltsdauer betrifft. Beides wird von Statistikern berechnet, die Daten dafür werden in Referenzspitälern erhoben. Ökonomen haben hier nichts zu sagen. Die Einnahmen aus den Pauschalen decken längst nicht mehr die Kosten. Würden Ökonomen das Sagen haben, würden Sie versuchen, Kosten zu vermeiden. Gott sei Dank, haben Sie das aber nicht.

Für eine endoskopische Blinddarmentfernung gibt das System drei bis sieben Tage Aufenthaltsdauer an. Vom LKF her könnte man also ohne „Einnahmenverluste“ am dritten Tag entlassen, medizinisch noch früher. Unsere Kinder „dürfen“ aber durchschnittlich fünf Tage liegen. Offenbar ist nicht der Ökonom an der späten Entlassung Schuld, sondern doch eher wer anderer.

Vielleicht ist der Blinddarm ein schlechtes Beispiel. Schauen wir uns die Curretage oder die Konisation an. Zwei Eingriffe, die viele Frauen kennen – Männer nicht. Dafür liegen sie zwei Tage im Spital. Bezahlt wird vom System aber auch die ambulante Versorgung und sogar deutlich besser. Allein die Patientinnen würden so die Betten nicht belegen. Wer also legt die Patientinnen auf die Station? Der Ökonom? Vielleicht muss man an dieser Stelle festhalten, dass österreichweit die gynäkologischen Abteilungen nicht einmal mehr zu zwei Drittel ausgelastet sind. Viele Abteilungen müssten längst gesperrt sein, wenn die Ökonomen das Sagen hätten; und zwar ohne Qualitätsverlust. Manche behaupten sogar, mit Qualitätssteigerung – aber das sind besondere Wirrköpfe.

Wenn also Ökonomen nicht schuld sind, sondern doch Ärzte, warum ist das so? Schwierig! Ich bleibe dabei, dass Primarärzte darauf achten, Ihre Abteilungen auszulasten. Immerhin sind Betten der einzige Maßstab für die Personalzumessung, und Klassebetten sind mit einem fixen Schlüssel an die Zahl der Abteilungsbetten gebunden. Zwei wichtige Argumente.

Und um klar zu stellen. Krankenhäuser sind auch in Österreich infektiös. Es ist daher nicht ihre Aufgabe, Sicherheit und Geborgenheit vorzutäuschen. Noch dazu um einen Preis, für den man in einer geborgeneren Versorgungseinrichtung – den eigenen vier Wänden – viel mehr Patienten kompetent betreuen könnte – auf Kosten des Systems!

Ja, es wäre wichtig, dass die Entscheidung, wie und wo behandelt und wann entlassen wird, wieder zu einer ärztlichen wird. Allerdings reicht es nicht aus, das zu fordern. Man muss es tun, jeden Tag! Und keinesfalls darf man sich als Arzt hinter irgendwelchen Ökonomen verstecken – sie sind nur Sündenböcke für die eigenen Sünden.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Muss es wirklich immer so lang sein?

Wären Politiker entscheidungsfreudiger und Ärzte ehrlicher, müssten Patienten rund 50 Millionen Euro pro Jahr weniger aus der eigenen Tasche bezahlen.

Stellen Sie sich vor, Sie müssen wegen einer Star-Operation ins Spital. Wären Sie irgendwo in Europa, würden Sie in der Früh ins Krankenhaus gehen und am Abend nach Hause. In Österreich bleiben Sie drei Tage im Spital! Stellen Sie sich vor, Sie brauchen eine Gallenblasenoperation. Wären Sie irgendwo in Europa, würden Sie mit einem Spitalsaufenthalt von drei Tagen rechnen. In Österreich sind es sieben! Solche Beispiele gäbe es noch viele. Am Ende kommen fünf Millionen Krankenhaustage zustande, die eigentlich nicht nötig wären. Abgesehen davon, dass das der Allgemeinheit Kosten in Milliardenhöhe aufbürdet, müssen Patienten dafür aus der eigenen Tasche rund 50 Millionen Euro bezahlen – den sogenannten „Verpflegskostenbeitrag“.

Dass wir Weltmeister im Spitalsliegen sind, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Warum wir es sind, diese Frage ist schon interessanter. Einmal ehrlich, hat der Patient wirklich eine Chance weniger im Spital zu liegen? Der Durchschnittsösterreicher hat weder Medizin studiert, noch kennt er sich mit Fragen der Versorgungsqualität aus. Das eine – so zumindest die Theorie – sollten doch die Ärzte am besten können, das zweite ist eigentlich Aufgabe der Länder. Beide betonen aber, dass alles zum Besten ist. Wer bleibt sonst übrig, um Patienten vor zu langen Spitalsaufenthalten zu bewahren? Nein, der Patient ist sicher kein selbstgemachter Weltmeister, sondern nimmt nur an, dass Ärzte und Politiker ihren Job gut machen. Wenn man aber ein bisschen genauer schaut, dann erkennt man rasch, dass es nicht so ist.

Auf der einen Seite sind da die Primarärzte. Das wichtigste Argument in der Frage der eigenen Existenzsicherung ist selbst im 21. Jahrhundert nicht der Patient, sondern noch immer die Anzahl der ausgelasteten Betten. Kurze Liegedauer oder gar ambulante Versorgung würde die Zahl der ausgelasteten Betten sinken lassen und so die eigene Existenz gefährden. Aber noch wesentlicher als die Betten, sind die Einnahmen aus den Klasseversicherungen. Wegen komplizierter verfassungsrechtlicher Bestimmungen sind die sogenannten Klassegelder noch immer weitgehend an die Länge des Spitalsaufenthalts gebunden. Je kürzer Patienten liegen, desto geringer diese Zusatzeinnahmen. Und um die Klasse-Patienten ja nicht auf den Geschmack kurzer Aufenthalte zu bringen, werden sicherheitshalber alle länger behalten.

Auf der anderen Seite stehen die Landespolitiker. Sie wären verpflichtet, die Krankenhaushäufigkeit und Liegedauer auf das medizinisch notwendige Maß zu minimieren. Würden sie diese Gesetzesvorschrift wirklich ernst nehmen, dann müssten sie Krankenhäuser sperren – und zwar viele. Damit würde sie aber ihre Spielwiesen verlieren. Auch wenn es zum Wohle des Patienten wäre, ist das eine Denkunmöglichkeit! Da ist es schon besser, man versteckt sich hinter den Primarärzten und behauptet wie sie, dass lange Aufenthalte notwendig sind (siehe oben).

Solange diese beiden Gruppen behaupten, dass lange Aufenthalte medizinisch begründet sind, wird es den Patienten schwer fallen, etwas anderes zu vermuten. Solange alles so bleibt wie es ist, werden sie dafür, angeblich zu ihrem eigenen Wohl, Jahr für Jahr Unsummen auf den Tisch legen. Und nur, dass es nicht zu Missverständnissen kommt, selbst wenn wir die oben beschriebenen fünf Millionen Krankenhaustage nicht mehr hätten, würden wir im europäischen Vergleich noch immer zum obersten Drittel der Spitalslieger gehören.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.