Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem – ein Text zum Verständnis

(Lesezeit 10 Min.) In der gesundheitspolitischen Diskussion, genauer in der realen Situation besteht ein erhebliches Sprachgewirr. So wird beispielsweise gerne behauptet, wir hätten das beste Gesundheitssystem (GS) der Welt und argumentiert das dann mit den Erfolgen der onkologischen Medizin oder den angeblich geringen Wartezeiten auf einzelne Therapien etc.. Abgesehen, dass die meisten dieser Aussage arbiträrer Natur, oder maximal als Einzelerfahrung zu werten sind, werden hier Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem in der Regel willkürlich vermischt.

Grundsätzlich gilt aber, dass die Behandlung eines Patienten nicht automatisch etwas mit seiner Versorgung zu tun haben muss, und noch viel weniger mit dem Gesundheitssystem. Daher können Behandlungserfolge auch nicht unmittelbar der Versorgung und schon gar nicht dem Gesundheitssystem zugesprochen werden. Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung sind verschiedene Ebenen, die, wiewohl systemisch miteinander verknüpft, eigenen Regelmäßigkeiten unterliegen.

Interessant, politisch betrachtet aber logisch, sind die Grenzen dieser Ebenen dann klarer, wenn es um negative Nachrichten geht. Wenn im Rahmen eine Behandlung etwas schief läuft, also ein Misserfolg vorliegt, halten sich meist bereits die Verantwortlichen auf der Versorgungsebene, ganz klar aber jene der Systemebene als unbeteiligte schuldlos. Üblicherweise ist ein Spitalsarzt selbst schuld (auch wenn es juristisch anders aussieht) und nicht das Spital und schon gar nicht das Bundesland. Analog im niedergelassenen Bereich. Dort wird es nie zur Schuldhaftigkeit der Kassen oder in weiterer Folge des Gesundheitsministeriums als Aufsichtsbehörde kommen, wenn eine Behandlung erfolglos blieb.

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Die Arzt-Patienten-Beziehung – eine sensible Größe

Die Gesundheitsversorgung ist dazu da, die Gesundheit des einzelnen Patienten zu verbessern. Das ist das einzige Ziel eines Gesundheitssystems!

Man ruft beim Arzt an und kriegt einen Termin in zwei Monaten. Dann ist man dort und wartet stundenlang. Eine Spitalsambulanz erspart zwar nicht das Warten, aber wenigstens die Terminvereinbarung – und wahrscheinlich das lästige Wandern von einem Arzt zum anderen. Dass es so ist, wie es ist, da kann der Arzt kaum etwas dafür. Schuld daran ist das System. Dafür ist der Arzt aber nicht verantwortlich. Er lebt nur darin, wie auch der Patient.

Man muss festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem System und der Versorgung. Die Versorgung ist das, was beim Patienten ankommt, das System ist der Rahmen, in dem dies ermöglicht wird. Ändert sich der Patient, dann ändert sich der Versorgungsbedarf. Will man die Versorgung gewährleisten, muss man das System anpassen. Es gibt kein Gesundheitssystem, dass nicht immer wieder reformiert werden müsste. Wer an ein jahrzehntelang gutes System glaubt, der verkennt schlicht die Realität!

Die wesentliche „Stellgröße“ in der Versorgung (von der Prävention bis zur Pflege) ist die Arzt-Patienten-Beziehung. Und die bewegt sich in gigantischen Dimensionen.

In Österreich finden bei den Kassenärzten 80 Mio. Patientenbesuche statt. Laut den Sozialversicherungen sind 40 Mio. davon Erstkontakte, also Besuche, die zustande kommen, weil der Patienten, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus zum Arzt geht. Die anderen 40 Mio. sind sogenannte Folgeordinationen, also im Wesentlichen Besuche, die dazu dienen, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und/oder den Patienten „gesund“ zu schreiben. Neben den Kassenärzten gibt es die Wahl- und Privatärzte. Dort finden, so vermutet man, etwa 20 Mio. Patientenkontakte statt. In den Spitalsambulanzen werden pro Jahr 5 Mio. Patienten behandelt, die etwa 15 Mio. Mal dort erscheinen. 1,5 Mio Patienten werden 2,5 Mio. Mal im Krankenhaus aufgenommen. Dabei „verliegen“ sie 16 Mio. Tage und sehen den Arzt täglich zwei Mal.

Anhand dieser astronomisch wirkenden Zahlen kann man erahnen, welche zentrale Rolle der Arzt spielt. Andererseits muss man sich bewusst sein, dass es in der Arzt-Patienten-Beziehung auch den Patienten gibt. Viele Reformen konzentrieren sich zu stark auf den Arzt. Das ist historisch gewachsen. Einerseits ist es sehr schwierig, Patienten zu organisieren, andererseits verhindern der Wissensvorsprung und das hohe Sozialprestige des Arztes, dass der Patient in dieser Beziehung auf gleicher Augenhöhe erkannt würde. Zudem besteht seit langem die Befürchtung, dass Patienten, wenn man sie zu „wichtig“ nimmt, immer mehr Versorgung wollen. Der Patient will aber gar nicht mehr Versorgung, er will nur mehr Gesundheit! Letztlich darf man nicht vergessen, dass der wichtigste, vielleicht einzige Grund für ein Gesundheitssystem der ist, für Patienten eine bessere Gesundheit zu ermöglichen, als dies ohne System möglich wäre. Das sollten sich Kassen, Länder und besonders Ärztekammern merken!

Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die zentrale Stellgröße. 80% aller Ressourcen werden durch diese besondere Beziehung gesteuert. Wenn das Vertrauen der Patienten einerseits oder die Motivation der Ärzte andererseits auch nur ein bisschen sinkt, dann hat das sofort riesige Auswirkungen. Jede Gesundheitsreform, die es nicht schafft, die Arzt-Patienten-Beziehung positiv zu beeinflussen oder diese gar stört, wird die Qualität reduzieren, die Kosten erhöhen und ihr Ziel verfehlen.

Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.