Die E-Medikation und ihr politischer Hintergrund

Die E-Medikation hätte viel Potential gehabt. Aber sie ist zwischen die Fronten geraten und wird dort entweder verenden oder zum Krüppel geschossen.

Das Dilemma begann 2004, als der EuGH überlegte, ob Österreich Internetapotheken verbieten darf, um die Monopole der Apotheken zu schützen. Die EU erlaubt so was nur unter qualitativen Aspekten. Tja, und das war das Problem: Die persönliche Beratung, die jene Qualität darstellen sollte, wurde durch Mystery-Shoppingtouren nicht gerade ins „richtige“ Licht gerückt. Um die Privilegien zu retten, kam der Gedanke auf, die Beratungsleistung zu intensivieren. Der „Arzneimittel-Sicherheitsgurt“ (AMSG) wurde geboren.

Apotheker legten für Patienten persönliche und in allen Apotheken abrufbare Datenbanken an. Darin wurden alle Medikamente erfasst, egal ob von verschiedenen Ärzten verschrieben oder rezeptfrei selbst gekauft. Jede Apotheke hat so eine vollständige Medikamentenliste für jeden Patienten per Knopfdruck. Und statt nur einfach eine Liste vorzuhalten, wollten (mussten) sie auch über unerwünschte Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Eignung des Medikaments und anderes mehr „informieren“. Nach außen, insbesondere Richtung EU, wurde das als Patientensicherheit verkauft, die nur durch persönliche Beratung möglich ist.

Dass die Ärzte aufgeschrien haben war klar und auch zu Recht. Denn damit wird in die Behandlungshoheit eingegriffen. Nicht jede unerwünschte Nebenwirkung ist auch eine unerwartete, und wenn Apotheker Patienten durch nicht-ärztliche Informationen verwirren, dann kann das schaden. Die Idee, mit dem AMSG unerwünschte Zwischenfälle zu vermeiden, wurde zudem im Rahmen eines Pilotprojektes ins Reich der Theorie verbannt.

Aber der Zug war abgefahren. Die Politik nahm dieses Projekt auf; hauptsächlich wohl deswegen, weil sie endlich etwas hatte, was sie mit der „elektronischen Gesundheitsakte“ (ELGA) – einer never ending story aus dem letzten Jahrtausend – verknüpfen konnte.

Und so wurde der Hauptverband mit der Umsetzung der E-Medikation – so heißt das nun – beauftragt. Der war alles andere als abgeneigt. Einerseits haben die Apotheker versprochen, Millionen Euro einzusparen, andererseits könnte endlich auch genau kontrolliert werden, welcher Arzt welche Patienten wie behandelt.

Kontrolle, die ist der Ärztekammer ein Dorn im Auge. Jegliche externe Kontrolle ist Majestätsbeleidigung; und hier dämmert gleich eine Doppelte heran: Transparente Medikation und eine „Eintrittspforte“ für die ELGA, dem ultimativen Kontrollinstrument, das verhindert werden muss. Als der erste Modellversuch aber nicht mehr zu verhindern war, wurden dann die Argumente richtig hanebüchen: Die Software der E-Medikation wurde vom Hauptverband nicht gesetzeskonform eingekauft. Daher muss der Modellversuch im Sinne der Patientensicherheit sofort gestoppt werden – Äh? Lächerlich – aber eben symptomatisch für den Kleinkrieg in unserem Gesundheitssystem!

Die E-Medikation hätte viel Potential gehabt. Zwar nicht bei der Vermeidung von Nebenwirkungen oder beim Sparen, aber bei der Vermeidung unzuverlässiger Medikamentenanamnesen. Millionen von ärztlichen Arbeitsstunden gehen drauf, nur um zu erfragen, welche Medikamente der Patient nimmt. Genau dort wäre die E-Medikation wirklich hilfreich! Jetzt aber werden all die Ärzte, die täglich den Medikamentenlisten der Patienten nachlaufen, es weiter tun; denn egal welche Kompromisse in diesem Machtkampf gefunden werden, eine verlässliche, patientenbezogene, auf Knopfdruck erhältliche Medikamentenliste kommt nicht mehr heraus.

Dieser Artikel wurde im Juli 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Versteckspiel oder Verschwörungstheorie

Rund um das Hauptverbands-Papier erleben wir ein bravouröses Medien-Spiel. Damit ist das besser als beim letzten Mal; und Machiavelli lässt grüßen!

Immer mehr „sickert“ durch. Vor zwei Wochen war es die Sache mit den Kassenarztstellen. Diese sollten nur nachbesetzt werden, wenn Leistungen nicht durch Spitalsambulanzen erbracht werden können. Die Reaktionen waren interne Proteste und ein sofortiges Dementi: „So war das nie gemeint!“ Komisch, wenn Kassen sparen wollen, dann kann das nur bedeuten, Stellen zu streichen – Was kann man da missverstehen?

Die Frage bleibt, warum ist das durchgesickert? Betrachten wir es so:

Das wohl einzige Thema, dass Ärzte direkt betroffen hätte, wurde „rausgespielt“. Der so provozierte Widerstand gab – je nach Stärke – die Möglichkeit, diesen Punkt anzupassen.

Dann erhält letzter Woche „Der Standard“ – bekannt für seine kritische Haltung gegenüber neoliberalen Strömungen – das Papier zugespielt. Darin wird dargestellt, welche Summen man sich sparen kann, wenn man auf Generika umsteigt. Außerdem sollen die Preise sinken, wenn man Pharmaunternehmen Werbung verbietet. Und weil’s so schön ist, sollen Apothekenaufschläge gekürzt werden. Das mit den Kassenarztstellen ist bereits entschärft.

Mal sehen, wie der Vorschlag ankommt? Dann ein Rückschlag. Statt wie erwartet, wird nicht auf die „bösen“ Geschäftemacher eingeschlagen, sondern – deswegen ist „Der Standard“ ja eine Qualitätszeitung – differenziert berichtet. Mehr noch, in einem Folgeartikel lässt man einen Experten (mich) und die Industrie zu Wort kommen, die die dargestellten Einsparungen nicht nachvollziehen können und „Werbeverbote“ an kommunistische Ideen erinnern.

Aber das Spiel geht weiter. Jetzt erhalten mehrer Zeitungen das Papier gleichzeitig. Im „Kurier“ erreicht man damit sogar die Seite eins der Wochenendausgabe. Welche Version der Kurier hat, ist unbekannt. Berichtet wird zwar noch immer über Einsparungen bei den Medikamenten (keine Euro-Angaben mehr – merkwürdig!), aber jetzt liegt der Spin auf Patientenorientierung: weniger Rezeptgebühr und längere Öffnungszeiten bei niedergelassenen Ärzten. Der Bericht ist also anders als alle anderen! Was soll man davon halten?

Egal! Bei allem, was man bisher zu wissen glaubt, eines ist sicher: Reformiert wird wenig und gespart nur bei den Medikamenten. Das ist schon beeindruckend. Kein unabhängiger Experte hätte hier jemals ein so großes Potential gesehen, dass damit das System gerettet werden könnte. Man sollte nicht vergessen, dass die Medikamentenkosten mit gerade 13 Prozent der Gesundheitsausgaben EU-weit unterdurchschnittlich sind, und auch die Preise selbst unter dem EU-Schnitt liegen. Und was das senken der Apothekerspannen betrifft, wird das großen Apotheken in zentraler Lage vermutlich egal sein, aber in der Peripherie wird das existenzbedrohend – zur Freude der ärztlichen Hausapotheken, die damit ihre eigenen Existenzen festigen?

Damit komme ich zum Schluss: Alle, die nicht mitverhandeln durften (alle außer Ärztekammer und Kassen) sind die Blöden; das Floriani-Prinzip in Reinkultur. Draußen, außerhalb der Welt, die Gesetze beschließen und dank Gewaltmonopol exekutieren kann, wäre ein Vertrag zuungunsten Dritter schlicht unwirksam. Aber hier? Wo sich Kämmerer und Gewerkschaften bester Kontakte zur Legislative erfreuen?

PS.: Der letzte Vorschlag, die Packungsgrößen zu senken ist übrigens eine versteckte Erhöhung der Selbstbehalte, weil für die gleiche Menge an Tabletten öfter Rezeptgebühr anfällt! Aber Patienten haben ja auch nicht mitverhandelt.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.