Konkretisierung der Gesundheitsreform – COPD

Durch die Reform soll die Institutionenorientierung (Spitalsstandorte und Kassenplanstellen) zugunsten einer integrierten Versorgung überwunden werden: Patienten sollen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle– genannt: „Best Point of Service“- behandelt werden. Wo das ist, wird nicht dekretiert, sondern ist dezentral, auf Ebene der Versorgungsregionen des ÖSG – davon gibt es 32 – festzulegen.

Die ambulante Versorgung ist der stationären vorzuziehen– das bedeutet, dass die ambulante Versorgung durch Spitalsambulanzen und Kassen(fach)ärzte bedarfsorientiert auf-, aus- und umgebaut wird. Gruppenpraxen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. So soll auf Sicht eine fachärztliche Versorgung gewährleistet werden, die nicht nur Ballungsräume bevorzugt. An den Abbau von Hausärzten denkt definitiv niemand –im Gegenteil.

Zentral werden Rahmenziele aufgestellt, anhand derer der Aufbau der integrierten Versorgung gemessen werden kann. Dezentral – also in den 32 Versorgungsregionen – sind diese unter Berücksichtigung der regionalen und spezifischen Besonderheiten zu konkretisieren. Es sind keine „zentralistischen“ Diktate, angedacht, sondern praxis- bzw. wirkungsorientierte Rahmenvorgaben.

Die Reform klingt abstrakt! Stimmt – und wie könnte das konkret aussehen?

Betrachten wir Patienten mit COPD

Prävalenz

Die Prävalenz der COPD ist nicht leicht festzustellen. Hintergrund dafür ist die bis vor kurzem fehlende Klassifizierung der Krankheit, aber auch das nicht klare Risikomodell.

Seit der „Globalen Initiative für chronisch obstruktive Lungenerkrankungen“ (GOLD) der WHO liegen Klassifikationen vor, die es ermöglichen, Prävalenzuntersuchungen durchzuführen. In der internationalen Untersuchung „Burden of Lung Disease” (BOLD), wurden epidemiologische Studien durchgeführt, die auf der GOLD-Klassifikation aufbauen. In Österreich wurden diese Beobachtungen[1] in Salzburg durchgeführt.

Für GOLD-1 und höher wurde eine Prävalenz, bezogen auf die Bevölkerung über 40 Jahre von 26,1% gefunden, ein Wert, der international plausibel ist. Auf Österreich hochgerechnet würde das bedeuten, dass über eine Million Österreicher bereits an COPD erkrankt sind. Allerdings, sind etwa 630.000 Patienten dem GOLD-1 Stadium zuzurechnen. Der Krankheitswert von GOLD-1 ist jedoch nicht klar, da hier die anderen Parameter der Diagnose (neben der für GOLD ausschlaggebenden pathologisch veränderten Lungenfunktion sind klinische Symptome, Komorbidität, Auftreten von Exacerbationen pathognomisch) nicht berücksichtig werden.

Für die etwa 440.000 Patienten mit GOLD-2 und höher (Prävalenz 10,7% der 40+ Bevölkerung) ist jedoch bereits ein Krankheitswert (und damit Versorgungsbedarf) zu unterstellen.

 COPD Prävalenz

 

 

Versorgung

Es ist weitgehend unbekannt, wie COPD-Patienten bei uns versorgt werden. Wesentlich für diese Situation ist, dass Patienten über sehr lange Zeit im ambulanten Bereich versorgt werden, dort jedoch keinerlei Aufzeichnungen existieren.

Seit kurzer Zeit werden Anstrengungen[2] unternommen, aus den Abrechnungsdaten der Krankenkassen Versorgungswissenschaftliche Daten zu generieren. Bisher jedoch mit sehr mäßigem Erfolg: der Versuch[3] beispielsweise, aus dem Medikamentenverbrauch zu schließen, wie viel COPD-Patienten in Behandlung stehen, ergab, dass etwa 40.000 Patienten behandelt werden. Das wären nicht einmal 10% der Patienten ab GOLD-2. Wenn das stimmt, dann haben wir eine massive Unterversorgung und Unterbehandlung.

Etwa 250.000 (etwa 60% der Patienten ab GOLD-2;) Österreicher geben an, laut ihrem Arzt an chronischer Bronchitis, Emphysem oder COPD zu leiden. Die Differenz zwischen selbstreferierter Diagnose und Epidemiologie von fast 200.000 Patienten kann entweder eine Unterversorgung, im Sinne eine unzureichenden Erfassung der Patienten aufzeigen – will man diese erreichen, würde das ein strukturiertes Screening-Programm erfordern – oder aber auch auf schlechte Information der Patienten hinweisen -letzteres würde bedeuten, dass Awareness-Kampagnen gestartet werden müssten (wie sie ja aktuell auch durchgeführt werden). Wie man sieht, kann ein Datensatz zwei völlig unterschiedliche Maßnahmen verlangen (Screening-Programm :: Awareness-Kampagnen), will man was gegen die bestehende Differenz unternehmen; und man sieht wie wesentlich Versorgungswissenschaft ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

COPD Differenz

 

Klar ist jedoch, dass es sehr wichtig ist, die Versorgungs- und Behandlungssituation von COPD-Patienten zu kennen, da COPD un- oder insuffizient behandelt eine chronisch- progressive Krankheit ist, ABER, es eben für jede Phase der Krankheit Behandlungsoptionen und vor allem evidenzbasierte Primär-, Sekundär- und Tertiärpräventive Maßnahmen gibt. Ohne das Wissen um die Versorgungs- und Behandlungssituation ist es unmöglich, die Ressourcen an der richtigen Stelle vorzuhalten, was im Grunde dann bedeutet, dass Menschen unnötig und verhinderbar leiden und sterben, und das zu überhöhten Kosten,

Um diese bedarfsgerechte Ressourcenverteilung vorzunehmen werden in vielen Ländern[4][5]  Versorgungsstandards und Versorgungsprogramme[6] (von DMP bis hin zu palliativen Versorgungskonzepten) durchgeführt. Wesentlicher Teil fast aller dieser Programme ist ein niederschwelliger und engmaschiger Kontakt zwischen Betroffenen und primärer, multiprofessionell integrierter Krankenversorgung (Primary Health Care!). Die integrierte Versorgung verfolgt vor allem sekundärpräventive Ziele, Selbstmanagementtraining und die Integration rehabilitativer (tertiärpräventiver) Elemente in die Primärversorgung. Um diese Programme qualitätsgesichert umzusetzen sind in der Regel regelmäßige Fortbildungen aller GDA (international werden für COPD-Patienten auch viele nicht-ärztliche Gesundheitsprofessionen engesetzt) verpflichtend. All das gibt es für Österreich nicht, oder wenigstens nicht standardisiert.

Ungeachtet der enormen Wichtigkeit der Rehabilitation, bzw. Tertiärprävention für die Progression der Krankheit[7], dürfte auch das Rehabilitationsangebot[8] massiv unterdimensioniert sein. Aktuell erhalten nur etwa 2.800 COPD-Patienten, das sind etwa 10% aller Spitalsaufnahmen mit Hauptdiagnose COPD, eine stationäre Rehabilitation. Ein Angebot für ambulante Reha seitens der Sozialversicherungen existiert praktisch nicht, obwohl deren Wirksamkeit sogar für österreichische Patienten nachgewiesen wurde[9]. Und leider ist festzuhalten, dass es auch so gut wie keine (strukturierten) Rehabilitationsangebote in den Spitälern oder Zuhause gibt, wie sie in vielen Ländern[10] üblich – weil eben Rehabilitation (für NICHT-Pensionisten Sache der PV und nicht der für die Versorgung in Spitälern bzw. Zuhause zuständigen Krankenkassen oder Länder ist – wieder einmal leiden vor allem chronisch kranke Patienten an der heillosen Kompetenz-Zersplitterung unseres Systems.

Und da es nun weder Versorgungsdaten im ambulanten Kurativen, noch im Rehabilitations-Bereich gibt, bleibt nur jener Indikator, den die OECD als wichtig ansieht, um die Qualität der Versorgung zu messen: die Spitalshäufigkeit (Die Mortalitätsdatenbank, die ebenfalls Aussagen über die Versorgungssituation ergeben könnte, ist wegen der mit der Krankheit verbundenen Komorbiditäten solange nicht aussagekräftig, solange es keine Morbiditätsregister gibt).

 COPD Spitalsaufnahmen

 

 

Dass Irland über Österreich liegt, hängt damit zusammen, dass die Reahbilitation von COPD-Patienten im Spital angeboten wird. Das gleiche gilt auch für Dänemark.

 

Der Bundes-Ziel-Steuerungsvertrag

Der einzige aktuell zur Verfügung stehende Parameter ist also die Hospitalisierungsrate, auf den sich die, bis 30. Juni 2013 im sogenannten Bundes-Ziel-Steuerungsvertrag zu beschließenden Ziele, die bis 2016 erreichbar sein sollen, beziehen könnten. Und da die Ziele ohnehin an internationaler Vergleichbarkeit orientiert sein sollen, ist es möglich, diese am OECD-Ergebnisparameter für die Versorgung von COPD-Patienten auszurichten. Das könnte so aussehen:

 

Bundesziele „Verbesserung der Versorgung von COPD-Patienten“:

  • Senken der Spitalsaufenthalte von COPD-Patienten entsprechend den OECD- Definitionen bis 2016 von derzeit etwa 300 auf 200 pro 100.000 Einwohner. Die Reduktion ist primär durch Rehabilitative bzw. Tertiär-präventive Maßnahmen zu erzielen, die primär jenen Patienten angeboten werden, die einen Spitalsaufenthalt wegen COPD oder einer Begleiterkrankung hatten.
  • Für jede der 32 Versorgungsregionen sind Statistiken über entsprechende Spitalsaufenthalte zu publizieren.
  • Die Homepage, samt der darin enthaltenen Dokumente der GOLD-Initiative (http://www.goldcopd.org/) ist zu übersetzen
  • Eine Beratungsstelle ist vorzuhalten, die zu Versorgungsfragen, insbesondere zu Präventions- bzw. Rehabilitationsprogrammen, aus den Versorgungsregionen eine Literaturrecherche durchführt und einen „Kurz-HTA-Bericht“ erstellt

 

Der Landes-Zielsteuerungsvertrag

Dieses Bundesziel muss dezentral konkretisiert werden. Betrachtet man die Bundesländer einzeln, wird klar, dass die Versorgung (gemessen an Spitalsaufnahmen) unterschiedlich gut funktioniert (Bei dieser Statistik handelt es sich ausschließlich um Patienten mit der Hauptdiagnose COPD. COPD als Nebendiagnose – etwa 70.000 zusätzliche Aufnahmen – sind NICHT berücksichtigt).

COPD Spitalsentlassungen Länder

 

Um tertiäre Präventions- bzw. Rehabilitationsprogramme für Patienten nachhaltig umsetzen zu können, muss gesichert sein, dass jeder COPD-Patient, wenigstens aber ab GOLD 2 persönlich und individuell geführt wird. Der Patient muss ausführlich über seine Krankheit unterrichtet werden und bescheid wissen, woran er leidet, und welche medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapien zur Verfügung stehen, und wie sich sein Lebensstil auf sein Leben auswirken kann/wird  – keine Selbstverständlichkeit in Österreich.

Und weil für diese Führungs-, Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit ein enger Arztkontakt nötig ist, nehmen Hausärzte die zentrale Rolle in der Versorgung ein. Allerdings können sie diese nur ausfüllen, wenn sie der COPD genug Aufmerksamkeit schenken und ausreichend Wissen vorhanden ist – auch das leider keine Selbstverständlichkeit.

Aber selbst wenn der Hausarzt über ausreichend Aufmerksamkeit und Kompetenz verfügt, einen COPD-Patienten zu führen, wird es das nur dann können, wenn

1. das Spital für COPD-Patienten spezialisierte Entlassungsprogramme hat, die eine rasches Eintreten in eine Rehabilitationsprozess unter Einbindung des betreuenden Hausarztes erlaubt, und

2. ausreichend Reahbilitationsangebote zur Verfügung stehen.

Zwar wissen wir nichts, über die Versorgungssituation, aber, es ist anzunehmen, dass es ein Fülle von Initiativen gibt, COPD-Patienten trotz restriktiver Finanzierung durch die öffentlichen Kassen, in Trainingsgruppen, oder Nordic-Walking-Gruppen etc. auch außerhalb des „regelfinanzierten“ Rehabilitationsbetriebes zu betreuen. Diese Art der eigeninitiativen Betreuung hat jedoch den großen Nachteil, dass sie vor allem die Ungleichheit auf Grund sozioökonomischer Faktoren erhöht, ein Problem, dass generell im Bereich der Prävention vorliegt. Nichts desto trotz, sollten dezentral diese regionalen Initiativen als Kristallisationspunkte herangezogen werden, um ein Netz an ambulanten, wohnortnahen Rehabilitationsangeboten aufzubauen.

Es sollten also dezentrale Versorgungskonzepte in denen regionale Initiativen berücksichtigt werden, detailliert ausgearbeitet und in 9 Landes-Zielsteuerungsverträgen, abzuschließen mit dem Bund am 30. September 2013, eingearbeitet werden.

Landesziel für die Versorgungsregion (z.B.): 72: Tirol West: „Verbesserung der Versorgung von COPD -Patienten“:

  • Reduktion der Spitalsaufenthalte von COPD-Patienten um 50% durch Rehabilitative bzw. Tertiär-präventive Massnahmen

Maßnahmen: …(wer, was, wann, wo, mit welchen Ressourcen)

Ziele: … (wie wird gemessen)

  • 100% der COPD-Patienten, die aus dem Spital wegen einer Exacerbation der COPD, oder einer Begleiterkrankung entlassen wurden und Rehabilitationspotential haben, sind einem individuell angepassten, stationären und/oder ambulanten Rehabilitationsprogramm zugeführt

Maßnahmen: …(wer, was, wann, wo, mit welchen Ressourcen)

Ziele: … (wie wird gemessen)

  • Alle COPD-Patienten, die an GOLD 2 und höher leiden sind auf Bezirksebene erfasst und einem betreuenden Hausarzt (dezentrales Einschreibemodell) zugeordnet

Maßnahmen: …(wer, was, wann, wo, mit welchen Ressourcen)

Ziele: … (wie wird gemessen)

  • Die Landesärztekammer führt Fortbildungssprogrammen für Mitarbeiter ALLER Gesundheitsberufe, die in der COPD-Versorgung tätig sind, durch und errichtet Qualitätszirkel

Maßnahmen: …(wer, was, wann, wo, mit welchen Ressourcen)

Ziele: … (wie wird gemessen)

  • Die Ziele und Maßnahmen sind evidenzbasiert und orientieren sich an international erprobten Vorbildern

 

So könnte die Reform konkret für COPD-Patienten aussehen. Aber das ist sehr viel echte Arbeit, weit weg vom Glamour der „großen Politik“. Ob unsere Entscheidungsträger dafür bereit sind?

 



[1] CHEST; 131/1/ 2007; Schirnhofer et al.;“COPD Prevalence in Salzburg, Austria; Results From the Burden of Obstructive Lung Disease (BOLD) Study“

[2] Prävalenz der Chronisch Obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) in Österreich; Holger Gothe 2012

[3] Statistische Evaluation der Medikamentendaten –Cut-off Bestimmung für COPD; Peter Filzmoser 2012

[4] Quality standard for chronic obstructive pulmonary disease (NICE; July 2011)

[5] Departement of Health; 2011: „An Outcomes Strategy for  Chronic Obstructive  Pulmonary Disease (COPD)  and Asthma in England“

[6] Respiratory Medicine (2009) 103, 670-691; K Lemmens et al.: „ A systematic review of integrated use of diseasemanagement interventions in asthma and COPD“

[7] Cochrane Database Syst Rev. 2011 Oct 5;(10); Puhan et al.: ”Pulmonary rehabilitation following exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease”;

[8] Rehabilitationsplan 2012 GÖG Im Auftrag des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, Sept. 2012

[9] Wiener klinische Wochenschrift;March 2009, Volume 121, Issue 5-6, pp 189-195; H.Ralf: „Der Effekt von einem Jahr ambulanter pneumologischer Rehabilitation auf Patienten mit COPD“

[10] „An International Comparison of COPD Care in Europe; Results of the First European COPD Audit! European Respiratory Society; First edition 2012