Aussitzen – das gesundheitspolitische Credo

Nichts ist älter als die Zeitung von Gestern, nichts fürchten Politiker mehr als die Zeitung von Morgen – und so geht es darum, bis übermorgen durchzutauchen!

Wer erinnert sich an die Todesfälle, über die in einem vermutlich illegal unter Verschluss gehaltenen Qualitätsbericht zu lesen war; der aber durch das Enthüllungsbuch „Verschlusssache Medizin“ (Langbein 2009) bekannt wurde? Niemand; obwohl sich das Buch zig-tausend Mal verkauft hat, damals alle Zeitungen voll waren und sogar im Fernsehen diskutiert wurden.

Die Konsequenzen? Der Prüfarzt, der diese Qualitätsmängel im Auftrag des Landes Niederösterreich (im Wege ihr gehörender Unternehmungen) entdeckt und zu Papier gebracht hat, wurde gekündigt. Das war’s!

Die Staatsanwaltschaft, immerhin handelte es sich m. E. um Offizialdelikte (Körperverletzung, gewerbsmäßiger schwerer Betrug), die in diesem Buch beschrieben wurden, blieb stumm, kein Primararzt wurde zu Verantwortung gezogen, der oberste medizinische Vorgesetzte Dr. Griessner, der persönlich an der Unterdrückung des Berichts beteiligt war, fährt weiter mit Chauffeur auf Steuerkosten herum und der zuständige Landesrat Wolfgang Sobotka – naja, der darf offenbar eh alles!

Warum blieb das ohne echte Konsequenzen? Und das in einer Welt, wo andere wegen unkorrekter Dissertationen ihre Ämter verlieren?

Man muss aber gar nicht über Tote reden, um festzustellen, wie konsequenz-, nein, verantwortungslos die Gesundheitspolitik ist.

Nehmen wir den Österreichischen Krankenanstalten Plan ÖKAP 2001 (eine vom Bund erlassene, für Länder angeblich verbindliche Planungsgrundlage). Dieser ÖKAP wurde zwischen 1997 und 2001 verhandelt, mit dem Ziel der Umsetzung bis 2005. Großartig waren die Medienberichte über diese „Reform“. Als es 2005 darum ging, festzustellen, was davon Realität wurde, war nichts zu finden. Und als ein (mit Steuern bezahlter) Evaluierungsbericht auch noch genau das ergab, beschlossen die Ländervertreter denselben unter Verschluss zu halten – und zwar so streng, dass er nur elektronisch, auf einem gesperrten Server, mit je einem Passwort pro Bundesland, verfügbar war. Und weil 2001 ohnehin so weit zurücklag, und sich niemand erinnern konnte, wurde 2006 einfach eine neue Reform proklamiert – mit beinah dem gleichen, jubelnden Wortlaut wie 2001 – einst jubelte Staatssekretär Reinhard Waneck, diesmal Bundesministerin Maria Rauch-Kallat. Tja, und wenn ich den entsprechenden Rechnungshofbericht vom April 2010 über die Umsetzung der letzten Reform lese, dann war es auch diesmal nur Show!

Konsequenzen? Null! Und warum?

Medien, gerade, wenn sie wie heute von Presseförderung und Werbeeinschaltungen der öffentlichen Hand (sei es direkt, oder eben indirekt über Firmen, die hauptsächlich von Aufträgen aus Politikerhänden leben) abhängen, können einfach nicht in der Vergangenheit wühlen und ein Thema so lange spielen, bis es Konsequenzen gibt. Noch dazu in der undurchschaubaren Gesundheitspolitik, in der es sehr leicht ist, zu tarnen und zu täuschen. Also weiß jeder Politiker, egal wie schlimm oder gar kriminell seine Handlungen sind – er muss nur abwarten.

Jetzt stehen wieder Reformen an, beginnend in der Steiermark, Oberösterreich und Wien; und sie klingen wirklich groß (für hiesige Verhältnisse – im Norden Europas würde man dazu höchstens Anpassung sagen). Warum sollten sie diesmal den Boden berühren? So ganz ohne funktionierende Kontrolle! Wo doch klar ist, dass „nur Zwang und Not, nicht geschriebene Verträge und Verpflichtungen den Herrscher dazu treiben, sein Wort zu halten“ (Macchiavelli).

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Österreich braucht mehr Spitäler

Tief im dunklen Norden Europas, in einem Land, in dem blonde Wilde hausen, spielt sich vor unseren Augen eine menschliche Katastrophe ab.

In Dänemark hat man der darbenden Bevölkerung die schlechte medizinische Versorgung noch verschlechtert. Tausende und Abertausende werden qualvoll sterben, die Wirtschaft restlos zusammenbrechen und die Bevölkerung wird verelenden. Denn man hat entschieden, 20 der 40 Spitäler (wir haben etwa 160) für immer zu schließen. Für 200.000 bis 400.000 Einwohner wird es nur noch ein Spital geben. Unerträglich – und die Welt schaut tatenlos zu.

Auch wenn unsere Gesundheitspolitiker auf Dänemark angesprochen so oder noch schwarzmalerischer reagieren dürften, eintreten wird das wohl nicht.

Mit nur 5,5 Millionen Einwohnern beträgt das dänische BIP 309 Milliarden US-Dollar. Bei uns (über 8 Millionen) sind es 385 Milliarden. Auch die dänische Arbeitslosigkeit liegt unter unserer. Zudem ist Dänemark, glaubt man dem Human Development Index der UNO, höher entwickelt als Österreich. Und als ob das nicht reicht: Ein 65-Jähriger hat dort fast doppelt so viele gesunde Lebensjahre vor sich wie bei uns – und dabei geben die weniger Geld aus. Wie machen die das nur mit so wenigen Spitälern?

Aber zurück nach Österreich. Da hat Landesrat Wolfgang Sobotka von Niederösterreich wieder einmal kundgetan, dass er Baden und Mödling – Synonyme für Verschwendung und Unsinn in der Spitalslandschaft – erhalten muss, weil ihm das Gesetz keine Wahl lässt. Und wieder einmal zitiert er das Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz, das für 50.000 bis 90.000 Einwohner eine Standardkrankenanstalt (die einfachste Spitalsvariante mit zumindest Innerer Medizin und Chirurgie) verlangt. Nachdem er das nun zum wiederholten Mal tut, muss auch ich einsehen, dass er nur gesetzestreu sein will. Immerhin ist er als Landesrat und sogar Landeshauptmann-Stellvertreter auf die Verfassung vereidigt und verpflichtet, die Gesetze zu halten.

Daher ist es dringend an der Zeit, dass die Politik gesetzeskonform neue Spitäler errichtet. Denn das Spital in Mödling hat ein Einzugsgebiet von 188.000 Einwohnern. Man braucht dort also nicht nur eines, nein sogar drei Spitäler und in Baden mindestens zwei. Eigentlich muss im Einzugsgebiet von fast jedem niederösterreichischen Spital ein zusätzliches errichtet werden.

Aber nicht nur die Niederösterreicher sind mit eklatanten Gesetzesbrüchen ihrer Obrigkeit konfrontiert. Mit Vöcklabruck, Steyr und Wels reiht sich Oberösterreich in die Schar der Gesetzesbrecher. Die Vorarlberger Autoritäten lassen rund um Bregenz die Menschen ungesetzlich im Regen stehen und in Kärnten sind es die Regionen rund um Villach und Spittal; in Tirol ist es die Schwazer Bevölkerung und in der Steiermark die Gegend rund um Judenburg. Aber am buntesten treiben es die Wiener. In Floridsdorf steht fast 300.000 Einwohnern nur ein winzig kleines Spital zur Verfügung – grässlich! Und die Liste ist sicher nicht vollständig.

Also, liebe Politiker, nehmt euch ein Beispiel an den niederösterreichischen Regenten: Dort wird wenigstens versucht, Gesetze – wer macht die überhaupt? – zu befolgen. Wenn ihr schon keine Behinderten einstellt, dann baut doch wenigstens Spitäler!

Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum Politiker einfach so Unwahrheiten und Stuss verbreiten können – und das nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder –, ohne dass es Konsequenzen gibt. Ob man beim nächsten Mal vielleicht ein paar dänische Gesundheitspolitiker wählen kann?

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Hoffnungsloses Spitalswesen

Es ist schon ein Wahnsinn, wie fest die Klammer der Landesfürsten ist. Es gibt wohl keine Lösung außer einem Crash! Und der wird vielen ernsthaft schaden.

Sie fahren von Wien nach Pinkafeld. Dabei kreuzen Sie mehrere Landesgrenzen. Zuerst kommen Sie nach Niederösterreich, dann in die Steiermark um schließlich im Burgendland Ihr Ziel zu erreichen.

Stellen Sie sich vor, die Straßenverkehrsordnung (StVO) würde überall anders sein. In Wien dürften Sie erst ab November Winterreifen haben, in Niederösterreich sind sie, wenn Sie auf Straßen unterwegs sind, die höher als 500 Meter liegen, bereits ab Oktober Pflicht, im Burgenland hingegen sind sie bis 15. November überhaupt verboten, um Straßen zu schonen. Mit diesen Vorschriften würden Sie auf der Fahrt Wien-Pinkafeld wenigstens einmal Reifen wechseln müssen. Auf den Autobahnen würden (durch die ASFINAG mit Bundesgeldern) riesige Parkplätze errichtet und jeder würde fluchen, weil es für jeden ein Leichtes wäre, den Schwachsinn zu entlarven. Deswegen gibt es nur eine StVO für ganz Österreich.

In den Spitälern ist das anders. Da gibt es – weil eben nicht so leicht als Schwachsinn erkennbar und weil Landesfürsten mit gigantischen PR-Maschinerien den Untertanen einreden, dass alle sterben, wenn es eine Reform gibt – in jedem Bundesland ein eigenes Spitalsgesetz. Ein niederösterreichischer Patient ist – so die Argumente – von einem oberösterreichischen, steirischen oder gar Tiroler zu unterscheiden. Jeder braucht seine lokal colorierte Behandlung.

Vielleicht liegen deswegen Oberösterreicher auch gleich um ein Viertel häufiger im Spital als Steirer. Aber selbst innerhalb eines Bundeslandes sind Unterschiede zu finden. Mostviertler sind wohl kränker als ihre Nachbarn im Industrieviertel – oder liegen wenigstens um 25 Prozent öfter im Spital. Medizinisch betrachtet ist das nicht erklärbar, außer vielleicht, man macht gesunde Menschen krank, um sie in Spitäler stecken zu können – so was klingt aber abwegig, oder?

Und dann kam er, der Vorschlag, der alles bereinigen helfen könnte, der Vernunft in diesen populistischen und Menschenleben gefährdenden Wahnsinn bringen könnte. Es soll nur mehr ein Gesetz geben und bezahlt wird nicht mehr die örtlich geweckte Begehrlichkeit nach einem Spital, sondern die Qualität der Versorgung in einer Region; und es war gerade der eher reformunwillige Gesundheitsminister Alois Stöger, der ihn machte.

Ein skurriler Vorschlag, setzt er doch voraus, dass nebst Verfassungsänderung, die Länder zustimmen. Zwar wurde er von allen – nicht nur allen Experten, sondern auch geschlossen von der Opposition – gelobt, aber die Antwort der Fürsten ließ nicht lange warten.

Allen voran „E.P. von Niederösterreich“. Er verhandle nicht mit Ministern (lat. Diener). Seine Ansprechpartner seien Kanzler und Vizekanzler. Und sein, für die Spitäler zuständiger, Vasall „W.S. von Waidhofen“ lässt wissen, dass das wohl nur ein Rülpser war und der Minister ein unerträglicher Dilettant sei, der nicht einmal die Zahlen kenne. Außerdem sei die hiesige Verwaltung die beste, was man darin sehen möge, „dass sich der Gesamtaufwand im letzten Jahr um nur 0,88 Prozent erhöht hat“ (Übrigens und wahrheitsgemäß: 2009 sind dort die Kosten um mehr als 5 Prozent gestiegen, bei praktisch Null Inflation und einem Schrumpfen des BIP um über drei Prozent; damit wird das ohnehin schon riesenhafte Defizit 2010 um zusätzliche 150 Millionen explodieren!)

Ehrlich, ich glaube nicht, dass es eine Reform gibt! Ich hoffe nur, dass der Kollaps nicht all zu viel Schaden anrichtet.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ländliche Polemik in der Spitalsplanung

Rasend war der Zorn der Länder, als von Bundespolitikern Ideen zur Spitalsreform – politisch unprofessionell – ventiliert wurden.

Am lautesten war wohl der für „seine“ Spitäler zuständige NÖ-Finanzlandesrat W. Sobotka. Er erklärte Bundespolitiker zu Dilettanten, denen man Spitalsplanung nicht überlassen darf. Immerhin kennen die ja nicht einmal die Gesetzte, als da wären: 90 Prozent der Bevölkerung müssen innerhalb von 30 Minuten Fahrzeit (Individualverkehr!) ein Spital erreichen können, und für ein Einzugsgebiet von 50 bis 90 Tausend Einwohner ist jedenfalls ein Spital mit Abteilungen für Chirurgie und Innere Medizin vorzuhalten. Damit kann kein Spital geschlossen werden. Das ist natürlich falsch.

Seit Jahren hat der Landesrat eine theoretisch optimierte Standortwahl in der Schublade (oder weggeworfen), die, wenn man es voraussetzungslos darauf anlegte, die Erreichbarkeit mit acht Standorten garantiert; 27 braucht man dazu nicht. Aber vielleicht werden die 30 Minuten mit dem Ochsenkarren und nicht dem Auto berechnet. Und wie schaut es mit den Einzugsgebieten aus? Nicht besser. Neun der 27 Spitäler haben ein Einzugsgebiet unter 50.000 Einwohner. Eine gesetzliche Forderung besteht also nicht.

Ebenso falsch ist, dass NÖ gar nicht „so viele“ Spitäler und Betten hat. Und um das zu belegen, wurde eine „Studie“ angefertigt, derzufolge die Dichte an Spitälern und Betten unter dem Bundes-Schnitt läge. Was (absichtlich?) verschwiegen wird, ist, dass ein Viertel der Niederösterreicher in anderen Bundesländern behandelt werden. Korrekterweise müsste man die Abziehen – und dann ist man wieder auf dem Bundes-Schnitt.

Wenn man genauer schaut, sieht man aber, wie willkürlich Spitalsplanung ist. Während im bevölkerungsreichen nördlichen Industrieviertel die Spitalshäufigkeit niedrig ist, weil die Hälfte der Patienten nach Wien geschickt wird, ist sie in dem mit Spitälern überreich ausgestatteten Mostviertel gleich 14 Prozent über dem Bundes-Schnitt. Ob das damit zu tun hat, dass dort der Wahlkreis des Finanzlandesrates liegt?

Aber mit Polemik ist Niederösterreich nicht alleine – da sind alle Bundesländer gleich. Und überall wird Unterversorgung skandiert, wenn Spitäler schließen. Ein Blick in die EU macht sicher, dass das falsch ist. Werden bei uns pro 100 Einwohner etwa 30 Aufnahmen gezählt, kommt Deutschland, an zweiter Stelle, mit 20, die EU mit 17 aus.

Wäre die Diskussion ehrlich und sachlich, gäbe es keinen Grund, alle Spitäler zu halten. Und damit ja niemand auf eine sachliche Ebene (herab oder hinauf?) steigen kann, hat man den alles stechenden Trumpf gleich am Anfang gezogen: Arbeitsplatzsicherung!

Nicht grundlos betont die WHO seit den 1980er immer wieder, dass aus beschäftigungspolitischen Gründen Spitäler keinesfalls erhalten werden sollten. Es gilt als bewiesen, dass so die Qualität sinkt. Trotzdem halten Landespolitiker fest: zehntausende verlören ihre Arbeit, wenn eine Spitalsreform kommt!

Aber das stimmt auch nicht, denn bei der derzeitigen demographischen Veränderung ist es schlicht unmöglich, auf tausende Arbeitskräfte zu verzichten – die Arbeit ist da und wird nicht weniger. Nur wie und wo sie erbracht wird, das könnte sich ändern.

Und da liegt auch der Grund – welcher Politiker will schon den direkten Einfluss auf tausende Mitarbeiter verlieren. So wie im Mittelalter die Macht eines Fürsten in der Zahl seiner leibeigenen Bauern gewogen wurde, ist es heute die Zahl der Spitalsmitarbeiter. Eine Spitalsreform würde diese Zahl schrumpfen lassen. Und das geht gar nicht.

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.