Scheinheiligkeit in der Zwei-Klassen-Medizin

Österreicher leben auf einer Insel der Seligen und mögen keine Veränderungen. Dafür akzeptieren sie auch allerhand Scheinheiligkeit.

HR Dr. P, Beamter i.R. und Bezieher einer stattlichen Pension, hat eine Zusatzversicherung. Jetzt braucht er eine Hüfte und wähnt sich ob seiner Beziehungen und seiner Zusatzversicherung in guter Position, sowohl Spital als auch Zeitpunkt der Operation aussuchen zu können.

Tja – darf er das überhaupt? Dem geschriebenen Gesetz nach natürlich nicht. Aber was sind die hierzulande schon wert?

Rechtlich erlaubt eine Zusatzversicherung gar nichts, außer ein bisschen Luxus und die Möglichkeit, sich den Arzt im Spital auszusuchen.

Wie schaut es aber mit dem ungeschriebenen Gesetz aus? Immerhin gilt ja nicht einmal die Verfassung in ihrer geschriebenen Form, sondern nur die „Realverfassung“. Also gelten vermutlich auch „Realgesetze“.

1,1 Millionen Österreicher haben eine Zusatzversicherung. Von ihren Beiträgen werden an Ärzte in öffentlichen Spitälern jährlich 500 Millionen Euro als Honorare ausbezahlt. Bedeutet, dass jeder Spitalsarzt monatlich etwa 900 Euro netto (bei 14 Gehältern) zusätzliches Einkommen hat. Von seinem eigentlichen Arbeitgeber, meist Ländern, erhält er etwa 2.900 Euro. Zählen wir zusammen, verdient er – wohlgemerkt, vom Turnus- bis zum Primararzt – etwa 3.750 Euro netto – ein Viertel davon aus einer „Zusatzbeschäftigung“.

Aber, die Zusatzgelder werden nicht gleichmäßig verteilt. Der Chef kriegt am meisten, der Turnusarzt am wenigsten.

Nehmen wir eine Abteilung mit 20 Ärzten. Wären die Gelder normal verteilt (was keiner weiß), würden dort etwa 250.000 Euro zusätzlich und netto ausbezahlt. 60 Prozent behält der Primar – macht ein monatliches Zusatzbrot von 10.700 Euro. Das ist fast drei (!) mal mehr, als ihm sein eigentlicher Arbeitgeber bezahlt! 36,5 Prozent werden an die 12 Fach- und Assistenzärzte ausbezahlt – als drei Prozent pro Nase (hier gibt es je nach Alter und Funktion erhebliche Differenzen): sind pro Monat 540 Euro netto und knapp 20 Prozent des Einkommens. Die verbleibenden 3,5 Prozent teilen sich die sieben Turnusärzte; ergibt vielleicht 100 Euro; die machen sich gegenüber den 2.000 Euro Normaleinkommen (inklusiver Überstunden und Nachtdienste) richtig bescheiden aus.

Der Chef bezieht also in einem politisch dominierten System, dass offiziell eine Zwei-Klassen-Medizin weder sieht noch will, analog zum Bonussystem der Bankenwelt, ein „erfolgsabhängiges“ Einkommen. Warum? Ganz einfach, weil man ihm öffentlich nicht mehr zahlen will! Anders ausgedrückt, hat die Politik, nur um sich die vielen Spitäler leisten zu können, über die letzten Jahrzehnte es zugelassen, ja gefördert, dass Primarärzte danach trachten, zusätzliche Gelder zu lukrieren – von denen ja auch die Spitäler etwa 250 Millionen Euro erhalten.

Und jetzt überlegen wir. Wird der Primar an der Idee der „Ein-Klassen-Medizin“ fest- und die Gesetze einhalten und seine Abteilung so führen, dass jeder „gleich“ behandelt wird? Welche Hilfe erhält er dabei von der Politik – oder wird ein idealistischer, gesetzestreuer Primar nicht eher von ihr abgestraft?

Und wenn die Zwei-Klassen-Medizin dann öffentlich diskutiert wird, erzählt uns die Politik irgendetwas über Gesetze und schimpft auf böse neoliberale Versicherungen und geldgierige Ärzte. Aber das wahrlich Schlimme daran ist, dass 80 Prozent der Bevölkerung von dieser Scheinheiligkeit wissen und sich nicht darüber aufregen; denn: „Solange der Österreicher noch Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht.“ (Beethoven)

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer verhindert eigentlich eine echte Gesundheitsreform?

Wie in einem Feudalsystem werden Pfründe verteidigt und eine patientenorientierte Reform des Gesundheitssystems seit Jahrzehnten verhindert.

Schattenspiele waren in den letzten Tagen zu beobachten. Neben dem nicht einmal wahrgenommenem Aufstand der Jungärzte, die sich endlich (!) Gehör für eine bessere Ausbildung schaffen wollen, waren da noch die Kassensanierung und die Ärzte-GmbHs. Und inhaltlich, wenn auch mit deutlich geringerem medialen Interesse, wurde vom Hauptverband der „Masterplan Gesundheit“ für den Herbst in Aussicht gestellt; darin enthalten, die Ideen einer Spitalsreform und die Finanzierung aus einem Topf.

Der Herbst wurde aus zwei Gründen gewählt: erstens weil zuerst einmal alle (pseudo)streiten müssen, bevor sie verhandeln können. Und zweitens ist da noch der Finanzausgleich, der zwar erst 2013 aufgeschnürt werden sollte, doch die Länder so pleite sind, dass sie nach den Wahlen an ein Aufschnüren denken. Ob der „Masterplan Gesundheit“ auch die überfällige Kassenreform bedeutet, ist unklar – wahrscheinlich geht es jedoch nur um unser Geld, das neu verteilt und neu beschafft werden soll; also, ob Steuer- oder Beitragserhöhungen kommen. An eine echte Reform denkt wohl kaum wer.

Vielleicht ist es Zeit zu fragen, warum seit 40 Jahren keine echte Reform stattfindet und sie immer unwahrscheinlicher wird.

Ich behaupte, dass es immer mehr „Systemerhalter“ gibt, die einen Lebensstandard erreicht haben, den sie unter „normalen“ Umständen nicht erreicht hätten, sei es was ihr Einkommen, oder aber ihre Macht betrifft. Es sind die gesetzlichen Monopole, die sie dort hin gebracht haben und nicht Qualifikation oder der Bedarf nach ihrer Arbeitskraft.

Da wären einmal die Kassen-Obmänner und deren Stellvertreter, deren Jobs nur durch das komplizierte System entstehen. Eine Reform würde sie arbeits- und machtlos machen. Selbst viele der leitenden Angestellten in den 21 Krankenkassen sitzen vermutlich an Positionen, die weniger mit ihrer Kompetenz als mehr mit ihrem gewerkschaftlichen Hintergrund zu tun haben. Auch in Kammern, allen voran in Ärztekammern, definieren sich viele nur durch die Verworrenheit der Kompetenzstrukturen. Auf Seiten der Länder und Gemeinden gibt es haufenweise Mitarbeiter, die nur benötigt werden, weil es so viele Krankenhäuser gibt, an denen nur festgehalten wird, weil sie Spielwiesen für politische Postenbesetzung sind, von der Verwaltung angefangen bis hin zur Verteilung von Mediziner-Ausbildungsplätzen. Selbst bei den Primarärzten scheint es so, dass viel ihren Job nicht haben, weil sie die bestgeeigneten, sondern weil sie die politisch bestvernetzten sind.

Am Ende sind es aber trotzdem nicht mehr als vielleicht zwei tausend Personen, die bei einer echten Reform Position und Einfluss verlieren. Was ist das schon im Verhältnis zu den zehntausenden, deren Jobs durch die Wirtschaftskrise auf Dauer vernichtet wurden? Gar nichts! Alle anderen fast 500.000 Menschen, die für die Patienten und nicht das System arbeiten, würden bei einer echten Reform weiter benötigt, auch wenn die da oben so tun, als ob Kündigungslawinen drohten – ein reines Machtspiel. Denn, wenn man diese paar Tausend genauer betrachtet, dann stehen sie ganz oben in der Nahrungskette. Und dort werden sie alles tun, nur um eine Reform zu verhindern, die das Ende ihrer Macht bedeutet.

Und wer die Medien beobachtet, kann diese Spiel sacht erkennen. Denn warum berichten alle über Ärzte-GmbHs und Kassensanierung, niemand aber über das für Patienten wichtigere Thema der Ausbildung der Jungärzte?

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wie viel verdienen Ärzte wirklich?

Dass Ärzte gut verdienen ist ein Gerücht. Die meisten verdienen mittelmäßig und wenn man ihren Stundenlohn errechnen würde, wenig.

„Was wird ein Arzt verdienen? – na so sechs bis sieben Tausend!“ „Brutto?“ „Nana, schon netto!“ Wenn man so hineinhört in die Stammtischrunden, dann kann man erahnen, was Ärzte verdienen – oder auch nicht, denn die Zahlen sprechen etwas anderes.

Beginnen wir bei den niedergelassenen Ärzten. Laut den offiziellen Angaben kann man davon ausgehen, dass Allgemeinmediziner, von denen es etwa 5500 gibt, rund 3.500 Euro im Monat netto verdienen (auf 14 Mal im Jahr gerechnet). Wie lange sie dafür arbeiten müssen, kann man nicht sagen. Wer sich umhört, wird erfahren, dass das unter 50 Wochenstunden wohl kaum möglich ist.

Den etwa 5000 Fachärzten geht es da schon besser. Ihr Einkommen liegt bei 5.500 Euro. Ein Einkommen, das man aber erst nach einer jahrzehntelangen Ausbildung erreicht. Sie sind die „Bestverdiener“ im niedergelassenen Bereich und der „volksgemeinten“ Höhe am nächsten.

Kommen wir zu den Spitalsärzten. An der untersten Stufe stehen 6000 Turnusärzte. Meist wird behauptet, sie werden ja noch ausgebildet und daher schlecht bezahlt. Ich meine, die Turnuszeit ist eine Fortbildung und keine Ausbildung; die endet nämlich mit der Universität. Keiner käme auf die Idee zu sagen, Gesellen dürften nicht viel verdienen, weil sie erst als Meister fertig ausgebildet sind. Wie auch immer, Turnusärzte kommen – inklusive aller Zulagen, Klassegelder und Bezahlungen für Wochenend- und Nachtdienste – auf 2.000 Euro netto. Dafür arbeiten sie etwa 70 Stunden in der Woche. Also fast doppelt so lange wie ein „normaler“ Mensch.

Ihre „fertig ausgebildeten“ 12000 Kollegen, die Oberärzte, sind besser dran. Zwar ändert sich die Arbeitszeit kaum, aber ihr Gehalt. Mit etwa 3000 Euro inklusive allem, also auch den Klassegeldern, denen man ja mystische Höhen zuspricht, sind sie aber weit weg von den 6.000 Euro, die ihnen das Volk zudenkt.

Mit fast 9.000 Euro netto verdienen eigentlich nur Primarärzte richtig gut. Es gibt zwar nicht einmal 1000 von Ihnen, aber sie prägen das Bild des „reichen“ Arztes. Dass diese Primarärzte für 9 Milliarden Euro verantwortlich sind, sollte man nicht vergessen, wenn man über ihre Gehälter spricht. Nur wenn sie gut bezahlt werden, kann man erwarten, dass sie gute Arbeit leisten. Skurril ist daher die Tatsache, dass ihr Einkommen nicht aus ihrem eigentlichen Job kommt. Die Hälfte bis zwei Drittel des Einkommens bestehen aus Klassegeldern. Also eigentlich Geldern, die mit Ihrer Leitungsaufgabe nichts zu tun haben; ein eigenartiges „Honorierungssystem“.

In Summe werden in den Statistiken etwa 32000 Ärzte erfasst und haben ein Nettoeinkommen von 3.300 Euro pro Monat. Da es aber offiziell 38000 Ärzte gibt, fehlt uns eine Gruppe. Denn, rund 6000 Ärzte werden zwar in den Ärztelisten geführt, aber in keiner Einkommensstatistik erfasst. Diese Ärzte leben von Vertretungsjobs, Notfallarzttätigkeiten oder Ähnlichem. Was sie dort verdienen reicht wohl höchstens als Nebenverdienst.

Aber wie ist so eine Fehleinschätzung in der Bevölkerung zu erklären. Mit einem Vollzeitjob verdient man rund 1.400 Euro netto. Nicht eingerechnet ist der „Pfusch“. Nimmt man an, dass etwa ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung sein Einkommen verbessert, dann landet man bei einem Nettoeinkommen von 2.900 Euro. Ein Arzt, so würde ich das interpretieren, dürfte der Volksmeinung nach ruhig doppelt so viel verdienen, also 6.000 Euro. Alleine, es entspricht nicht der Realität.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.