Verantwortungs- und folgenlose Gesundheitspolitik

1969, also vor 44 Jahren, hat die WHO kritisiert, dass unser Gesundheitssystem zu wenig „zentralistisch“ ist. Die Bundesregierung, deren Amtssitz sich in Wien befindet und daher sogar von Regierungsmitgliedern, wenn sie aus anderen Bundesländern kommen, gerne als „die Wiener“ tituliert wird,  hat keine Möglichkeit, in die Spitalslandschaft einzugreifen, damit Spitäler Teil eines umfassenden Planes der Gesundheitspflege werden  – mit willkürlichen und der Qualität abträglichen Folgen. Das Spitalsproblem ist also alles andere als neu oder unbekannt.

Seither wurde enorm viel unternommen, um diese Willkür einzufangen.

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Das Gerede über die Spitalsreform

Die Spitalsreform dreht sich seit Jahrzehnten um die gleichen Themen, die konsequenzlos nicht nur be- sondern meist auch zerredet werden. Auch diesmal?

1997, nach zehnjähriger Vorbereitung, wurde die Spitalsfinanzierung reformiert – mit dem Ziel, die hohe (verglichen mit heute allerdings um 30 Prozent niedrigere!) Zahl an Spitalsaufnahmen zu reduzieren und Kosten transparent darzustellen. Das ging schief, wie eine politisch zurückgehaltene Evaluierung ergab.

Ab 2000 wurde eine Reform der Planung vorbereitet, mit dem Ziel, der regional inhomogenen Versorgungssituation und der seit der Finanzierungsreform sprunghaft steigenden Zahl an Aufnahmen zu begegnen. Statt Standorte und Betten, sollten Leistungen geplant werden, um die Strukturen (Standorte und Betten) dem Bedarf anzupassen. Mehr als drei Jahre dauerten die politischen Vorgespräche bevor mit konkreten Arbeiten begonnen wurde.

Als diese Mitte 2005 fertig waren, war die Politik, trotz jahrelanger Vorbereitung, ständiger Arbeitsgruppen, regelmäßiger Arbeitsfortschrittberichte an die Politik und Projektkosten in Millionenhöhe, mit den Ergebnissen nicht einverstanden; innerhalb kürzester Zeit wurden Kaugummiparagraphen erfunden. Zwar haben sich nach außen alle darauf verständigt, dass Strukturen bedarfsorientiert sein müssen, aber mit Hilfe dieser Paragraphen konnte man für alles „Ausnahmeregelungen“ finden.

Als Anfang 2006 der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG), das Produkt dieser jahrelangen Arbeiten, von Ländern, Sozialversicherungen und Bund in der Bundesgesundheitskommission – die ja auch diesmal wieder bestimmend sein soll – in Kraft gesetzt wurde, war vom ursprünglichen Vorhaben wenig übrig, und das was blieb, musste, weil ohne Sanktionsmechanismen, nicht Realität werden.

Als im Dezember 2010, mit mehrjähriger Verspätung, endlich auch Niederösterreich mit der im ÖSG vorgeschriebenen regionalen Planung fertig war, konnte jeder, der sich auskennt, sehen, dass doch nur wieder Standorte und Betten wichtig waren. Und um diese zu schützen, wurde (fast) österreichweit auf die „Planer“ solange „Druck“ ausgeübt, bis deren Berechnungen das ergaben, was die Politik wünscht. „Schönrechnen“ ist überall Unart; warum das bei der Heeresreform so große Wellen schlägt?

All das und viel mehr führt nicht dazu, zu glauben, dass die jetzige Spitalsreform was wird. Auch dass ein Zeitplan existiert, heißt nichts. Denn solche haben es sogar schon in Gesetze hinein geschafft – allerdings ohne, dass irgendwer sie gehalten hätte; ohne Sanktionen sind diese doch nur Makulatur.

Und trotzdem, es könnte diesmal anders sein. Einerseits ist da der Hauptverband mit seiner schonungslosen Fehleranalyse. Fehlerbewusstsein bei wichtigen Playern ist immer gute Basis für echte Reformen. Aber noch wichtiger scheint, dass die neue Führung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, medial völlig unbemerkt, erstaunliches formuliert. Dort will man in den eigenen Reihen nach Möglichkeiten suchen, Spitalsaufnahmen zu reduzieren, zum Beispiel durch den Ausbau der Hausarztbetreuung. Und ganz offen wird festgehalten (und damit zugegeben), dass das bloße Hin- und Herschieben von Leistungen und Kosten zwischen Spital und niedergelassenem Bereich nicht im Sinne der Versicherten sein kann. Einfach toll!

Wenn Oberösterreich Schule macht und die Ärztekammer noch aus ihrem Schmollwinkel heraus käme, dann wären vielleicht sogar die Länder, denen glücklicherweise das Wasser bis zum Hals steht, besiegbar – und dann könnten es wirklich so sein, dass dem Reden echte Reformen folgen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Frohbotschaft der Gesundheitsstatistik

Erstmals seit zwei Jahrzehnten soll die Zahl der spitalsversorgten Patienten 2009 rückläufig gewesen sein.

Der Rückgang der Spitalspatienten ist zwar nur sehr sehr gering, man spricht von 0,2 Prozent oder etwa 5.000 Fällen, aber manche, sehr wenige, hoffen trotzdem, darin eine Trendwende erkennen zu können.

Nun, abgesehen, dass simples Zählen wenig sagt – ist die Zahl der Patienten gesamt, also unabhängig, ob bei niedergelassenen Ärzten oder im Spital versorgt, vielleicht rückläufig und so der Anteil der Spitalspatienten gleich geblieben? Sind die Zahlen mit den Vorjahren vergleichbar, haben doch immerhin sehr viele Spitäler „virtuell fusioniert“ um K.O.-Kriterien (Fallzahlen!) zu umgehen und damit die komplizierten und sehr fragilen Patientenzählmethoden irritiert? Gehen mehr Patienten in Privatspitäler, die bei dieser Rechnung nicht mitgerechnet werden? Wie viele Abteilungen und Spitäler wurden zur Konjunkturbelebung 2009 umgebaut und konnte daher nicht im Vollbetrieb arbeiten? Und so weiter … – gab es so etwas bereits 2005. Damals sank die Zahl sogar etwas mehr und es gab echten Anlass an eine Trendwende zu glauben; wurde doch der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG), der dem explosionsartigen Wachstum der Spitalspatienten seit Einführung des leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF)-Systems 1997 Einhalt gebieten sollte, beschlossen. Aber die damalige Beobachtung erwies sich als nicht nachhaltig. Im Gegenteil, 2006 sprangen die Zahlen mit einem Satz wieder nach oben.

Betrachtet man den Zeitverlauf seit 1996, sieht man auch 2000, zwar keinen echten Rückgang aber eine „Wachstumsdämpfung“; von der nicht wirklich bekannt ist, wieso sie stattfand. Und, warum die Zahl 2001 wieder raufschnellte, ist ebenfalls unerforscht.

Wenn jetzt die Zahl wieder einmal „sinkt“, dann ist das wohl ebenfalls nur eines jener unerklärlichen Phänomene, die mit Regional-, Landtags- oder sonstigen Wahlen oder Änderungen in der Finanzierung oder Vertragsabschlüssen zwischen Ärztekammern und Krankenkassen oder unterschiedlich ausgeprägten Grippeepidemien oder Warnungen vor Menschenansammlungen wegen der Grippe oder sonst irgend etwas zusammenhängen. Vielleicht ist es diesmal auch die Finanzkrise oder aber auch das Wetter am 28. August, wer weiß?

Wirklich belegen kann man nichts, nicht nur, weil es niemanden wirklich interessiert, sondern auch weil das Spitalswesen nicht einheitlich ist.

Während in Oberösterreich die Aufnahmen auch 2009 steigen, sinken sie in Kärnten schon seit 2004 kontinuierlich. Bezogen auf die Wohnbevölkerung zählen wir in Oberösterreich 30 Aufnahmen pro 100 Einwohner, Kärnten liegt mit 26 im Österreichschnitt, in Wien sind es 24, und die Steiermark, weil sie für die onkologische Versorgung einen speziellen Deal mit der Krankenkasse hat, kommt gar mit nur 23 aus.

Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die Zahl der Spitalspatienten nicht unendlich vergrößerbar sein kann. Früher oder später muss sich auch in Österreich die Spitalshäufigkeit irgendeinem Wert annähern, der nicht überschritten werden kann. Wenn wir bedenken, dass die Deutschen mit 21, die Schweizer mit 15, die Niederländer gar nur mit etwa 11 Aufnahmen pro 100 Einwohner auskommen, liegen wir mit unseren 26 ohnehin jenseits von Gut und Böse. Wohin soll denn diese Zahl noch wachsen?

Also ist die Hoffnung auf eine Trendwende noch verfrüht. Aber, dass diese gesehen wird, zeigt auch, dass die Hoffnung auf eine Gesundheitsreform, die eine wirklich ist, noch nicht tot ist.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ja, ja, die Länder

Die Länder zeigen machtbewusst Hauptverband und Gesundheitsminister die kalte Schulter – obwohl ihre Spitalsplanung kein Ruhmesblatt ist.

Vor 40 Jahren, als Fernseher noch schwarz-weiß flimmerten, schrieb die Weltgesundheitsorganisation über unser Spitalswesen u.a. folgendes: (1) Spitalsplanung ist nicht Teil eines umfassenden Planes der Gesundheitspflege. (2) Die Bundesregierung hat keine Kompetenzen, verbindliche Weisungen zu erteilen.

In der ersten Kritik steckt der unverändert andauernde Wahnsinn, dass die Spitäler sich ohne Abstimmung mit niedergelassenen Ärzten, Pflegebereich oder Rehabilitation entwickeln. Statt, wie üblich, den Hausarzt als Lotsen einzusetzen, der für und mit dem Patienten darauf achtet, dass die richtige Leistung zur richtigen Zeit am richtigen Ort erbracht wird, dreht sich bei uns alles um Spitäler, die jedoch nicht Sonnen sind, sondern schwarze Löcher, deren gefräßige Gravitation Jahr für Jahr zunimmt.

Die zweite Kritik ist das bis heute wohlbekannte Phänomen, dass Länder machen, was sie wollen. Mit der Folge, dass Spitäler, ja einzelne Abteilungen nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten nachkommen, sondern persönlichen Eitelkeiten dienen. Denken wir an die Peinlichkeiten rund um die Chirurgien in Bad Aussee und Mürzzuschlag, das traurige Schauspiel um die Geburtshilfe in Mittersill, die Kasperliade um die Oberösterreichische Spitalsreform, die endlose Geschichte von Kitzbühl, die Doppelgleisigkeiten in Kittsee und Hainburg etc. Alles Beweise, dass eine, auf Länderebene angesiedelte Planung kaum mit Vernunft zu tun hat.

Und es nimmt kein Ende. Obwohl eines DER Argumente für einen Herzkatheter in Waidhofen/Ybbs (NÖ) die Versorgung der Region Steyr (OÖ) war, bekommt Steyr jetzt auch einen Herzkatheter; mit der Folge, dass beide Einrichtungen so wenige Fälle haben werden, dass die Qualität nicht stimmen wird (oder, was für Patienten schlimmer wäre, aber zu befürchten ist, die Fälle „künstlich“ erhöht werden). Landesgrenzen überschreitendes Denken ist kein Thema, besonders wenn Wahlen vor der Tür stehen – und dank neun Ländern, einem Bund, einer EU sowie Arbeiter- und Wirtschaftskammer stehen immer Wahlen an.

Der Österreichische Strukturplan Gesundheit wollte mit seiner Leistungsangebotsplanung diesem Spiel um Betten und Abteilungen ein Ende setzen. Zwischen 2000 und 2005 wurde verhandelt. Der faule Kompromiss über den ursprünglichen Plan hatte unter Naiven, wie mich, die Hoffnung genährt, dass der traurige Rest zu leben beginnt, und die Länder den Spitälern Versorgungsaufträge rund um definierte Leistungen erteilen. Doch wie schauen diese (gesetzlich vorgeschriebenen) regionalen Pläne aus? Soweit es sie überhaupt gibt, geht es wieder nur um Standorte, Betten und Abteilungen. Von einer Abstimmung mit der Rehabilitation, der Pflege oder den niedergelassenen Ärzten ganz zu schweigen.

Jetzt greift der Hauptverbandschef Dr. Schelling das Thema auf und möchte von der einrichtungsorientierten zur patientenorientierten Bedarfsplanung kommen; mutig und richtig. Doch wie regieren die Länder? Zum Gipfel letzter Woche entsenden sie Referenten! Was für ein Fauxpas. Stellen wir uns vor, der Papst lädt ein und Österreich lässt sich von einem Sekretär vertreten!

Es ist mir ja peinlich, weil ich Anhänger eines dezentralisierten, steuerfinanzierten Systems in der Hand gewählter Volksvertreter bin – aber ich glaube fast nicht mehr daran, dass je ein Bundesland jene Größe entwickelt, ein Gesundheitssystem zum Wohl der Bevölkerung zu entwerfen oder zu leiten.

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Outlaws der Gesundheitspolitik

Gesetzte sind dazu da, sie zu befolgen oder zu übertreten – oder, wenn man sie selbst macht, einfach zu ignorieren.

Wer falsch parkt, kriegt einen Strafzettel – man hat ein Gesetz übertreten. Das ist normal, für die meisten jedenfalls.

Gehen wir zurück ins Jahr 2000. Das Jahr war in der Gesundheitspolitik besonders. Nach langen Verhandlungen haben sich die hohen Politiker der Länder und des Bundes geeinigt, die Gesundheitsplanung komplett neu zu gestaltet.

Bis dahin gab es den Österreichischen Krankenanstalten Plan (ÖKAP). Darin enthalten waren alle Krankenhäuser mit einer fixierten Anzahl an Betten. Die Zahl wurde einerseits wissenschaftlich errechnet, andererseits politisch verhandelt. Ziel war es, die stationäre Versorgung – und ausschließlich diese – in einen vernünftigen Rahmen zu bringen. Nun gut, um die Wahrheit zu sagen, an den ÖKAP hat sich sowieso niemand gehalten. Jedes Bundesland, ja beinah jedes einzelne Krankenhaus, hat trotzdem gemacht was es wollte – meist wider die Vernunft. Und wenn was nicht ÖKAP-konform war, dann hat man die Politik losgeschickt, um den ÖKAP umschreiben zu lassen. Einmal wurde der ÖKAP sogar evaluiert. Das Ergebnis war so desaströs, dass man sich hinter verschlossenen Türen geeinigt hat, einfach so zu tun, als ob es das gar nicht gäbe – muss ja keiner wissen, dass man sich an die eigenen Pläne nicht hält.

Aber ab 2000 wird alles anders. Ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Gesundheitsplanung ist eingeleitet worden: Die herkömmliche Planung wird durch eine gemeinsame, einheitliche, auf der bedarfsorientierten Leistungsangebotsplanung basierende Rahmenplanung aller Teilbereiche abgelöst. Die Planung umfasst so die stationäre UND ambulante Versorgung, die Rehabilitation und sogar ein bisschen die Pflege. Sie plant auch nicht mehr Betten, sondern soll vom Patienten ausgehend jene Leistungen planen, die man braucht, um eine gute Versorgung zu erreichen. Die Leistungen selbst dürfen nur erbracht werden, wenn man dafür auch bestimmte Qualitätskriterien erfüllen kann. Somit soll die Planung erstmals das gesamte Gesundheitswesen quantitativ und qualitativ umfassen.

Unzählige Arbeitgruppen haben getagt und Projekte wurden gestartet. In einem fünfjährigen Prozess, der so zwei, drei Millionen Euro gekostet haben dürfte, wurde der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) entwickelt. In der Endphase – so ab Mitte 2005 – jagt eine Sitzung die andere. Die Politik – obwohl in den gesamten Prozess eingebunden – hat am Ende noch jede Menge Änderungswünsche parat und oft auch wider jede Vernunft durchgesetzt. Wie auch immer, mit großem Pomp wurde die Gesundheitsreform 2005 beschlossen und als großer Wurf verkauft. Jedes Bundesland hat in seinen Landesgesetzen festgelegt, das der ÖSG geltendes Recht ist.

Heute, 2008, schaut man nach, was denn umgesetzt wurde. Und sieh da, kaum etwas. Obwohl Gesetz, ist die Planung der Teilbereiche nicht aufeinander abgestimmt; Länder machen weiter die Krankenhäuser, die Kassen die niedergelassenen Ärzte, der Hauptverband die Rehabilitation und die Pflege – naja, darüber ein Wort zu verlieren ist unnötig. Qualitätskriterien, ebenfalls Gesetz, werden nicht eingehalten. Oder kennen Sie Krankenhäuser bzw. Abteilungen, die, weil sie die zur Aufrechterhaltung der Qualität nötigen Fallzahlen – z.B. bei Geburten – nicht erreichten, geschlossen wurden?

So endet wieder ein Kapitel. Und wir harren dem nächsten Gesundheitsreform-Gesetz, das auch wieder nicht umgesetzt wird – Gesetze gelten halt nur für Parksünder.

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.