Heere Ziele und Schachfiguren

Die Argumente im Gesundheitssystem werden immer skurriler. Fast hat man den Eindruck, gezielte Desinformation wird eingesetzt, um Monopole zu halten.

Die Ziele eines solidarischen Gesundheitssystems sind heer – beinah pathetisch. Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit werden angestrebt, der Patient soll sich der Qualität sicher sein können und dabei zufrieden sein. Auch ohne Politik sind diese Ziele voll von inneren Widersprüchen.

Betrachten wir beispielsweise „Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit bei gesicherter Qualität“. Wer in der Nähe einer großen Klinik mit breitem Angebot lebt, wird immer einen leichteren Zugang zu hochqualitativer Versorgung haben. Soll er, im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit, nun höhere Beiträge zahlen, als die, die weit entfernt wohnen? Oder sollen wir überall große Kliniken errichten? Wenn aber hinter jedem Busch solche Kliniken stehen, was ist dann mit der gesicherten Qualität? In peripheren Lagen ist bei geringen Fallzahlen ein breites, qualitativ gesichertes Angebot nicht möglich.

Alternativ dazu – und das wäre das einzig logische – dürfte nur mehr eine hausärztliche Minimalversorgung angeboten werden. Die kann man noch am besten regional gerecht aufteilen und so für alle den gleichen Zugang gewähren. Was darüber hinausgeht, müsste dann dem einzelnen überlassen werden. Denn, sobald auch die Facharztversorgung angeboten wird, werden wir feststellen, dass Ballungszentren bevorzugt werden.

Ich behaupte, kein System der Welt schafft es, diese hochtrabenden Ziele zu erreichen. Real muss es ständig Kompromisse geben. Wo Kompromisse nötig sind, ist aber Politik nötig, und die verliert sich dann in populistischen Entscheidungen. Verständlich, ist doch nur die Patientenzufriedenheit für Wahlen wichtig.

Das treibt skurrile Blüten. So wurden Studienergebnisse (nicht die Studie) veröffentlicht, die feststellen, dass 98 Prozent der Bevölkerung mit der Versorgung zufrieden sind. Genauer geschaut, waren nur die 15- bis 65-Jährigen so zufrieden. Dort, wo Menschen wirklich oft mit der Versorgung in Kontakt kommen, also ab 65, dort wurde nichts publiziert!

Die meisten anderen Umfragen sind daher auch selbstgestrickt und unwissenschaftlich. Und die Zustimmungswerte liegen stets jenseits der 95 Prozent!

Und weil man alle anderen Ziele nicht mehr verfolgt, muss man diese durch Propaganda ersetzen. Von oben herab wird der Bevölkerung erklärt, dass alle alles überall auf allerhöchstem Niveau kriegen – gratis! Und um diese Lüge zu stützen, werden Patienten zunehmend auch zur Qualität befragt. Einer Umfrage unter Patienten zufolge sollen 80 Prozent der niedergelassenen Ärzte gut oder sehr gut sein! Können Patienten, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Arzt stehen, die Qualität wirklich beurteilen? Ich halte das alles für einen Missbrauch des Patienten zu taktischen Zwecken.

Und als ob das nicht reicht, gibt es neuerdings eine andere Beweisführung: Wenn unser System nicht so toll wäre, dann würden die Österreicher im Urlaub keine Rückholversicherung abschließen! Wäre das wirklich ein Maß, dann dürften US-Amerikaner auf Österreichurlaub eigentlich keine solche Versicherung haben.

Wer lange genug schönfärbt, erzieht die Patienten zu unmündigen Konsumenten, die dankbar annehmen, was man ihnen vorsetzt. Durch diese paternalistisch-monopolistische Desinformation schaltet man aber die einzigen Instrumente aus, die als Korrektiv dienen könnten – Demokratie und Wettbewerb. Und am Ende steht ein System, dass nicht nur immer teurer wird, sondern auch immer schlechtere Qualität liefert.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.