Die machtpolitischen Abgründe der wahlärztlichen Versorgung

(Lesezeit 4 Min.) Wahlärzte gibt es NUR in Österreich, und das hat keinen rationalen Grund, sondern einen handfesten machtpolitischen.

Richtig begonnen hat es im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen. Da wurde seitens der EU festgestellt, dass wir zu viele Pflicht-Krankenkassen haben, die ein Monopolrecht haben festzulegen, was eine ausreichende medizinische Versorgung für ihre Pflicht-Versicherten ist, und zur Deckung dieses festgelegten Bedarfs exklusiv mit der Ärztekammer verhandeln, wie denn dieser zu decken sei: der berühmte Gesamtvertrag samt Stellenplan, der genau festlegt, wo welcher Arzt welche Ordination betreiben darf. Anders ausgedrückt, es ist in Österreich nicht möglich, sich einfach als Kassenarzt niederzulassen und eine Nachfrage zu bedienen, sondern wer was arbeitet ist abhängig davon, dass die Kammer (Pflichtmitgliedschaft für Ärzte) mit den Kassen (Pflichtmitgliedschaft für Bürger) eine Planstelle vorsieht. In Deutschland, dass ja auch sehr viele Krankenkassen hat, und zum Zeitpunkt unseres EU-Beitritts ebenfalls noch ein Pflichtversicherungssystem hatte, war es im Gegensatz jedem Arzt möglich sich überall niederzulassen, weil die Kassen eine Kontrahierungszwang hatten, also jedem Arzt einen Kassenvertrag geben mussten.

Unser System, dass weder Patienten noch Ärzten „(Wahl-)Freiheit“ gibt, passte nicht ins liberale EU Bild, daher sollten wir entweder die 21 Kassen zusammenlegen (max. 9, also pro Bundesland eine), oder aber die Wahlfreiheit bei den Kassen zulassen (also die Pflichtversicherung abschaffen), oder aber das Kassenplanstellenwesen liberalisieren.

Dieses Ansinnen hat Chaos ausgelöst, schließlich darf sich in dem Bereich nix ändern. Die Ärztekammer hat ohne die Planstellen-Verhandlungshoheit deutlich weniger Macht, und die Kassen würden als liebgewonnene Parteivorfeldorganisationen und Pfründe verloren gehen, und zudem würde es zu einer Konkurrenz im „eigenen Haus“kommen – schließlich gehören die meisten Kassen ja bestimmten Teilgewerkschaften oder Gewerkschaftsteilen, die eines eint, eine FSG-Führung.

Am Österreichischen Pflicht-Pflicht-System, dass allen ein angenehmes, konkurrenzloses Leben ermöglicht zu rütteln kam nicht in Frage – eine Lösung musste gefunden werden.

In der Folge hat man dann die EU überzeugt, dass unser System ja gar nicht sooo vermonopolisiert und verpflichtend ist, weil ja die Wahlfreiheit durch Wahlärzte garantiert ist.

Dank des Wahlarztsystems können Patienten sich die Ärzte unabhängig des Stellenplans aussuchen, und Ärzte ohne Kassenvertrag überall niederlassen. Wahlärzte gab es zwar schon sehr lange, allerdings eben immer nur als Randphänomen (ihre Rolle war auf Leistungen außerhalb des öffentlichen Systems ausgelegt – z.B.: Homöopathie), auf das nun politisch zurückgegriffen wird. Damit gab sich die EU vorerst zufrieden.

Das Problem mit den Wahlärzten war jedoch, dass sie, sollten die Kassen ihre gesetzliche Verpflichtung (normiert im ASVG) wahrnehmen, kaum einen Markt gehabt hätten. Das Gesetzt sieht nämlich vor, dass jedem Versicherten wenigsten zwei Kassenärzte (und zwar für jede der 21 Krankenkassen und für jede der duzenden Facharztrichtung) in akzeptabler Entfernung zur Verfügung stehen muss. Gäbe es tatsächlich so viele niedergelassene Kassenärzte, Wahlärzte hätten keine Chance gehabt.

Wie also schafft man den für die EU dringend nötigen „Markt“ für Wahlärzte. Nun, die Folge war, dass die Kassenstellen (MIT Zustimmung der Ärztekammer, die sich jetzt heftig darüber aufregt) konsequent verringert wurden (d.h.: statt mit dem demographischen Bedarf mitzuwachsen, blieb die Zahle der Kassenstellen gleich), ohne jedoch zuzugeben, dass es dabei zu einer Unterversorgung gekommen ist –  mal ganz abgesehen, dass dem gesetzlichen Auftrag von zwei Kassenärzten in der Nähe ohnehin nie entsprochen wurde.

Und es ist ganz klar, dass in der Folge Wahlärzte immer häufiger neben den zugedachten Aufgaben, nämlich die Nachfrage für nicht durch das System gedeckte Leistungen zu decken, auch für die öffentliche Versorgung wichtig wurden.

Eine Unterversorgung, die durch Wahlärzte gedeckt wird, ist aber gesetzlich nicht vorgesehen. Aber wenn keine Unterversorgung festgestellt wird, dann gibt es ja auch keine!- oder?

Und daher wurde nie erhoben, welche Versorgungswirksamkeit Wahlärzte für Kassenpatienten entfalten, mehr noch, in den offiziellen Bedarfsprüfungen wurden Wahlärzte, um deren Bedeutungslosigkeit für das öffentliche Versorgungssystem „beweisen“ zu können, willkürlich mit etwa 5% der Versorgungswirksamkeit angesetzt, die ein Kassenarzt für das öffentliche System erbringt. Das bedeutet, dass es 20 Wahlärzte braucht, um die Arbeit eines Kassenarztes zu erbringen – was natürlich lächerlich ist. Sogar in der neuen offiziellen Ärztebedarfsstudie, die ja aus politischen Gründen Jahre lang verschleppt wurde, stieg die zugestandene Versorgungswirksamkeit auf 8% oder (nicht bis!) 17%, je nachdem, ob man einen Ärztemangel rauslesen will oder nicht – valide Zahlen über die reale Versorgungswirksamkeit gibt es nicht und darf es natürlich auch nicht geben!

Dass die Realität anders war und ist, ist unerheblich, dass die Zahl der Kassenärzte pro Einwohner seit 2000 kontinuierlich sinkt egal und dass die Arbeitsbelastung der Kassenärzte wegen der demographischen Entwicklung steigt belanglos. Wichtig war und ist nur, dass alle Kassen und der Stellenplan erhalten bleiben.

Nun, seit Oktober 2012 liegt eine Studie vor die belegt, wie wichtig Wahlärzte für die Versorgung sind. Und das müsste Konsequenzen haben.

Sollten nämlich Gesetze wichtig sein (was zu bezweifeln ist), müsste die Studie dazu führen, dass es zum Ausbau von Kassenstellen kommt. Dagegen sind aber viele in den Ärztekammern, weil so der gedeckelte Kuchen der Kassen ja auf mehr aufgeteilt werden müsste. Sollte es zum Ausbau der Kassenstellen kommen, dann nur, wenn die Kassen zusätzliches Geld erhalten.

Das ist aber nicht so einfach. Wollte man den Kassen mehr Geld geben (beispielsweise durch Erhöhung der Beiträge, oder Verbreiterung der Beitragsgrundlagen – Höchstbemessungrundlage aufheben), werden nach jetziger Gesetzeslage die Spitäler, dank einer Vereinbarung aus dem Jahr 1997, die auch jetzt wieder verlängert wurde. jedenfalls die Hälfte davon abkriegen. Ein bedarfsgerechter Ausbau der Kassenstellen würde uns Steuer- und Beitragszahler daher immer doppelt soviel kosten, als nötig, weil wir gleichzeitig auch Geld in die Spitäler stecken müssten, in die wir aber im internationalen Vergleich ohnehin schon viel zu viel stecken.

Es sind viele gordische Knoten, die es zu zerschlagen gelte, will man wirklich was ändern! Und so sind sich irgendwie alle einig, dass es so wie es ist, nicht weiter geht, aber keiner an der Situation was ändern darf ….

Es sind die Konsequenzen der politischen Lügen, die hier ein Gewirr an gegenseitigen Abhängigkeiten geschaffen haben und uns nachhaltig Lähmen. Jedenfalls bin ich gespannt, wie man jetzt mit der Studie umgeht- vermutlich wie mit all den anderen auch – weglegen, vergessen und dann weiterwursteln– vielleicht aber kommt die EU langsam drauf, dass wir seit vielen Jahren gefakte Daten liefern! Dann könnte es was werden