Soll der Hausarzt eigentlich das „Haus“ behalten?

Der „Best Point of Service“ soll gefunden werden. In etwa 95% bis 99% aller Krankheitsfälle, die ja anfangs der Patient und nicht ein Arzt definiert, ist und bleibt es der Hausarzt – wenigstens theoretisch – Eine launig-traurige Betrachtung!

Wird die Rolle richtig definiert, gehört es, neben der Unterscheidung zwischen Harmlosem und potentiell Gefährlichem und der Motivierung des Patienten, Therapien einzuhalten, zu den wichtigen Aufgaben des Hausarztes, die beunruhigenden Wehwehchen zu erklären und zu beruhigen, dass alles wieder wird. Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen sind dabei gutes Zureden, das Abwarten und das Beobachten.

Die meisten Sonderleistungen die in den 14 Honorarkatalogen der Krankenkassen (viele davon sind online abrufbar) zu finden sind, sind dabei eher unpraktisch, ja unbrauchbar. Diese Kataloge sind etwas für Fachärzte. Es kommt also nicht von ungefähr, dass 2010 der durchschnittliche Umsatz pro E-Card-Konsultation beim Hausarzt 14,23 Euro beträgt, während der Facharzt 44,20 Euro erreicht (errechnet von der ÖÄK, in den Unterlagen zum Ambulanzmodell – bei mir bestellbar).

Will ein Hausarzt von seiner Tätigkeit leben (und zwar ohne das Zusatzeinkommen einer Hausapotheke, über das ja nur ein Viertel der Kassenhausärzte verfügt), wird er auf Masse spielen müssen  -was echt schlecht für ein Hausarztsystem ist.

Aber weil es so ist wie es ist, ist es logisch, dass ein durchschnittlicher Hausarzt 16.000 E–Card-Konsultationen pro Jahr abarbeitet. Da nehmen sich die 8.700 E-Card-Konsultationen beim Facharzt richtig bescheiden aus.

Umgerechnet auf ein Arbeitsjahr mit 212 Arbeitstagen (das entspricht der Arbeitszeit eines normalen Angestellten) hat ein Hausarzt täglich 75 Patienten zu betreuen. Gut, dass wohl ein großer Teil der Patienten den Arzt nicht sieht, sondern die Rezepte von der Sprechstundenhilfe verlängert werden. Anders ist so eine Arbeitsbelastung nicht zu bewältigen.

Eine durchschnittliche Ordination muss, damit ein Hausarzt ohne Hausapotheke etwa 3.000 bis 3.500 Euro netto pro Monat, 14mal pro Jahr bei 5 Wochen Urlaub und zwei Wochen Krankenstand und einer 40 Stunden-Woche, verdient, 150 Euro Umsatz pro Stunde machen. Solange das Wartezimmer gut gefüllt ist, es also zwischen den Patienten keine Leerläufe gibt und die Ordination 8 Stunden täglich geöffnet hat, ist das machbar – natürlich nur, wenn man pro Patient nur wenige Minuten Zeit benötigt, um ihn wieder los zu werden.

Ist das unser Bild des Hausarztes? Ist das die gewünschte Realität? Und, ist es nicht logisch, dass die Ambulanzen voll von Selbstzuweisern sind?

Ein wesentlicher und immer wichtiger werdender Teil der ambulanten Primärversorgung ist die mobile medizinische Versorgung – also Hausbesuche.

Dieses Wissen ist alles andere als neu. Ein funktionierendes Primary Health Care – das ja vom Gesetzgeber jetzt aufgebaut werden soll –  arbeitet nicht nur nach dem biologischen Krankheitsbegriff, es hat viel mehr das bio-psycho-soziale Krankheitsbild zu berücksichtigen. Anders ausgedrückt, der Patienten muss in seiner Lebenswirklichkeit erfasst werden – und die ist nun einmal nicht das Wartezimmer.

Wie fördert nun das aktuelle System diese mobile Versorgung?

Um Hausbesuche zu machen, muss man Wege zurücklegen – und glücklicherweise wird das auch bezahlt: im Schnitt mit  90 Cent pro Auto-km. Zieht man das amtliche Kilometergeld, das für die Erhaltung der Fahrzeugs gebraucht wird, ab, kennt man den Umsatz des Arztes durch Sitzen im Auto – und das sind dann je nach Krankenkasse, zwischen 20 und 70 Cent pro gefahrenem Kilometer.

Weil gerade Fasching war, rechnen wir das mal um.

Will man die 150 Euro Umsatz pro Stunde erreichen (in der Ordination ist das ja machbar, Hausbesuche sind wirtschaftlich also nur interessant, wenn sie ähnlich Umsatzstark sein können, es also nicht zu Opportunitätskosten kommt), dann sollte man schon ordentlich Gas geben.

Tagsüber wäre in der Steiermark eine Geschwindigkeit von 732 km/h nötig, das ist sicher ein Ausreißer – oder doch nicht? In Oberösterreich wären 613 km/h und  in Niederösterreich 423 km/h angebracht. Tirol ist mit 319 km/h richtig moderat – wohl wegen der kurvigen Bergstraßen.

Nächtens dürfen die Ärzte dann ein bisschen bummeln – in der Steiermark reichen 288 km/h in Tirol gar nur 161 km/h.

Dafür muss man in Tirol gut zu Fuß sein. Dort wo man nicht mit dem Auto hinkommt, kann man Gehzeiten verrechnen – und wenn man es schafft mit 84 km/h mutig durch die Bergwelt zu stapfen, dann erreicht man seinen Zielumsatz. In anderen Bundesländern geht es schon fast menschlich zu, aber unter 40 km/h (das sind die 100m in 9 Sekunden) sollte man trotzdem nirgends fallen, sonst wird der Hausbesuch ein Verlustgeschäft.

Zum Patienten zu kommen und trotzdem davon leben zu können, ist mit den heutigen Transportmitteln und unter den gegebenen Strassenbedingungen schon sehr sehr schwer – vielleicht ist ja dann der Hausbesuch lukrativ und kompensiert die Verluste durch An- und Abfahrt.

Und ja, das geht, allerdings nur, wenn Besuche (Umsatz etwa 28 Euro) schnell erledigt sind – also Fieber- und  Blutdruck messen geht sich aus, Abhören muss man schnell, reden sollte man nicht zu lange. Dauert ein Hausbesuch länger als 8 Minuten wird er zum Verlustgeschäft. Rechnet man jetzt die Zeitverluste durch An- und Abfahrt ab, wird wohl nur ein superschneller Kurzauftritt möglich sein. Und unter uns –  Sooooo wichtig kann Blutdruckmessen auch wieder nicht sein, Abhören wird sowieso allgemein überschätzt, und dass das Reden mit Patienten was nützt, dafür gibt es keinerlei Evidenz (Sarkasmusfalle!).

Am Wochenende und an Feiertagen liegt der Umsatz mit knapp über 30 Euro pro Hausbesuch etwas höher – das ist gut, dann kann man sich ein paar Sekunden länger mit dem Patienten beschäftigen, oder hat Zeit seinem Ehepartner zu erklären, dass man jetzt leider nicht mit den Kindern weiter spielen kann. Und wenn man nachts ausrückt, dann hat man, dank des durchschnittlichen Honorars von 50 Euro auch noch Zeit sich anzuziehen, ohne gleich Verluste zu machen.

Recht eindeutige Belege dafür, dass Hausärzte angehalten werden, ihre Rolle als Primärversorger wahrzunehmen – also darauf zu schauen, dass Patienten so selten wie möglich durch das Gesundheitssystem wandern und wenn dann nur in die Hausarztordination – sind heutzutage nicht zu finden. Sieht man von der intrinsischen Motivation der Hausärzte ab (und Gott sein Dank ist die enorm groß), fördern die externen Bedingungen eher das rasche Versenden der Patienten zu Fachärzten und Spitalsambulanzen, und geben dem Patienten soviel Anreize wie möglich, diese selbst aufzusuchen – ohne den Hausarzt vorher zu belästigen.

Will man also den theoretischen „Best Point of Service“ (wieder) haben, wird man sich einiges einfallen lassen müssen: die Zahl der behandelten Patienten pro Tag und Arzt muss auf 30 sinken, Hausbesuche zu allen Tages und Nachtzeiten müssen lukrativer sein, als in der Ordination auf Patienten zu warten – und dort sollte der finanzielle Anreiz so sein, dass Patienten Termine kriegen, statt Wartezeiten in kauf zu nehmen.

All das wären Forderungen, die für die Versorgung sinnvoll wären, aber aktuell nicht gehört werden. Stattdessen besteht die Forderung nach 1000 neuen KassenFACHärzten – Faschingsscherz?

 

Die machtpolitischen Abgründe der wahlärztlichen Versorgung

(Lesezeit 4 Min.) Wahlärzte gibt es NUR in Österreich, und das hat keinen rationalen Grund, sondern einen handfesten machtpolitischen.

Richtig begonnen hat es im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen. Da wurde seitens der EU festgestellt, dass wir zu viele Pflicht-Krankenkassen haben, die ein Monopolrecht haben festzulegen, was eine ausreichende medizinische Versorgung für ihre Pflicht-Versicherten ist, und zur Deckung dieses festgelegten Bedarfs exklusiv mit der Ärztekammer verhandeln, wie denn dieser zu decken sei: der berühmte Gesamtvertrag samt Stellenplan, der genau festlegt, wo welcher Arzt welche Ordination betreiben darf. Anders ausgedrückt, es ist in Österreich nicht möglich, sich einfach als Kassenarzt niederzulassen und eine Nachfrage zu bedienen, sondern wer was arbeitet ist abhängig davon, dass die Kammer (Pflichtmitgliedschaft für Ärzte) mit den Kassen (Pflichtmitgliedschaft für Bürger) eine Planstelle vorsieht. In Deutschland, dass ja auch sehr viele Krankenkassen hat, und zum Zeitpunkt unseres EU-Beitritts ebenfalls noch ein Pflichtversicherungssystem hatte, war es im Gegensatz jedem Arzt möglich sich überall niederzulassen, weil die Kassen eine Kontrahierungszwang hatten, also jedem Arzt einen Kassenvertrag geben mussten.

Unser System, dass weder Patienten noch Ärzten „(Wahl-)Freiheit“ gibt, passte nicht ins liberale EU Bild, daher sollten wir entweder die 21 Kassen zusammenlegen (max. 9, also pro Bundesland eine), oder aber die Wahlfreiheit bei den Kassen zulassen (also die Pflichtversicherung abschaffen), oder aber das Kassenplanstellenwesen liberalisieren.

Dieses Ansinnen hat Chaos ausgelöst, schließlich darf sich in dem Bereich nix ändern. Die Ärztekammer hat ohne die Planstellen-Verhandlungshoheit deutlich weniger Macht, und die Kassen würden als liebgewonnene Parteivorfeldorganisationen und Pfründe verloren gehen, und zudem würde es zu einer Konkurrenz im „eigenen Haus“kommen – schließlich gehören die meisten Kassen ja bestimmten Teilgewerkschaften oder Gewerkschaftsteilen, die eines eint, eine FSG-Führung.

Am Österreichischen Pflicht-Pflicht-System, dass allen ein angenehmes, konkurrenzloses Leben ermöglicht zu rütteln kam nicht in Frage – eine Lösung musste gefunden werden.

In der Folge hat man dann die EU überzeugt, dass unser System ja gar nicht sooo vermonopolisiert und verpflichtend ist, weil ja die Wahlfreiheit durch Wahlärzte garantiert ist.

Dank des Wahlarztsystems können Patienten sich die Ärzte unabhängig des Stellenplans aussuchen, und Ärzte ohne Kassenvertrag überall niederlassen. Wahlärzte gab es zwar schon sehr lange, allerdings eben immer nur als Randphänomen (ihre Rolle war auf Leistungen außerhalb des öffentlichen Systems ausgelegt – z.B.: Homöopathie), auf das nun politisch zurückgegriffen wird. Damit gab sich die EU vorerst zufrieden.

Das Problem mit den Wahlärzten war jedoch, dass sie, sollten die Kassen ihre gesetzliche Verpflichtung (normiert im ASVG) wahrnehmen, kaum einen Markt gehabt hätten. Das Gesetzt sieht nämlich vor, dass jedem Versicherten wenigsten zwei Kassenärzte (und zwar für jede der 21 Krankenkassen und für jede der duzenden Facharztrichtung) in akzeptabler Entfernung zur Verfügung stehen muss. Gäbe es tatsächlich so viele niedergelassene Kassenärzte, Wahlärzte hätten keine Chance gehabt.

Wie also schafft man den für die EU dringend nötigen „Markt“ für Wahlärzte. Nun, die Folge war, dass die Kassenstellen (MIT Zustimmung der Ärztekammer, die sich jetzt heftig darüber aufregt) konsequent verringert wurden (d.h.: statt mit dem demographischen Bedarf mitzuwachsen, blieb die Zahle der Kassenstellen gleich), ohne jedoch zuzugeben, dass es dabei zu einer Unterversorgung gekommen ist –  mal ganz abgesehen, dass dem gesetzlichen Auftrag von zwei Kassenärzten in der Nähe ohnehin nie entsprochen wurde.

Und es ist ganz klar, dass in der Folge Wahlärzte immer häufiger neben den zugedachten Aufgaben, nämlich die Nachfrage für nicht durch das System gedeckte Leistungen zu decken, auch für die öffentliche Versorgung wichtig wurden.

Eine Unterversorgung, die durch Wahlärzte gedeckt wird, ist aber gesetzlich nicht vorgesehen. Aber wenn keine Unterversorgung festgestellt wird, dann gibt es ja auch keine!- oder?

Und daher wurde nie erhoben, welche Versorgungswirksamkeit Wahlärzte für Kassenpatienten entfalten, mehr noch, in den offiziellen Bedarfsprüfungen wurden Wahlärzte, um deren Bedeutungslosigkeit für das öffentliche Versorgungssystem „beweisen“ zu können, willkürlich mit etwa 5% der Versorgungswirksamkeit angesetzt, die ein Kassenarzt für das öffentliche System erbringt. Das bedeutet, dass es 20 Wahlärzte braucht, um die Arbeit eines Kassenarztes zu erbringen – was natürlich lächerlich ist. Sogar in der neuen offiziellen Ärztebedarfsstudie, die ja aus politischen Gründen Jahre lang verschleppt wurde, stieg die zugestandene Versorgungswirksamkeit auf 8% oder (nicht bis!) 17%, je nachdem, ob man einen Ärztemangel rauslesen will oder nicht – valide Zahlen über die reale Versorgungswirksamkeit gibt es nicht und darf es natürlich auch nicht geben!

Dass die Realität anders war und ist, ist unerheblich, dass die Zahl der Kassenärzte pro Einwohner seit 2000 kontinuierlich sinkt egal und dass die Arbeitsbelastung der Kassenärzte wegen der demographischen Entwicklung steigt belanglos. Wichtig war und ist nur, dass alle Kassen und der Stellenplan erhalten bleiben.

Nun, seit Oktober 2012 liegt eine Studie vor die belegt, wie wichtig Wahlärzte für die Versorgung sind. Und das müsste Konsequenzen haben.

Sollten nämlich Gesetze wichtig sein (was zu bezweifeln ist), müsste die Studie dazu führen, dass es zum Ausbau von Kassenstellen kommt. Dagegen sind aber viele in den Ärztekammern, weil so der gedeckelte Kuchen der Kassen ja auf mehr aufgeteilt werden müsste. Sollte es zum Ausbau der Kassenstellen kommen, dann nur, wenn die Kassen zusätzliches Geld erhalten.

Das ist aber nicht so einfach. Wollte man den Kassen mehr Geld geben (beispielsweise durch Erhöhung der Beiträge, oder Verbreiterung der Beitragsgrundlagen – Höchstbemessungrundlage aufheben), werden nach jetziger Gesetzeslage die Spitäler, dank einer Vereinbarung aus dem Jahr 1997, die auch jetzt wieder verlängert wurde. jedenfalls die Hälfte davon abkriegen. Ein bedarfsgerechter Ausbau der Kassenstellen würde uns Steuer- und Beitragszahler daher immer doppelt soviel kosten, als nötig, weil wir gleichzeitig auch Geld in die Spitäler stecken müssten, in die wir aber im internationalen Vergleich ohnehin schon viel zu viel stecken.

Es sind viele gordische Knoten, die es zu zerschlagen gelte, will man wirklich was ändern! Und so sind sich irgendwie alle einig, dass es so wie es ist, nicht weiter geht, aber keiner an der Situation was ändern darf ….

Es sind die Konsequenzen der politischen Lügen, die hier ein Gewirr an gegenseitigen Abhängigkeiten geschaffen haben und uns nachhaltig Lähmen. Jedenfalls bin ich gespannt, wie man jetzt mit der Studie umgeht- vermutlich wie mit all den anderen auch – weglegen, vergessen und dann weiterwursteln– vielleicht aber kommt die EU langsam drauf, dass wir seit vielen Jahren gefakte Daten liefern! Dann könnte es was werden

Abo-Literaturservice: Unterlagen zur Gesundheitsreform 2012

Enthalten sind alle mir zugänglichen Unterlagen zur Gesundheitsreform 2012, v.a. die beiden 15a-Vereinbarungen samt Erläuterungen. Einige Gesetzesvorlagen sind bereist auf den Weg gebracht – hier ein link ins Parlament zum Thema Zielsteuerung, und hier ein link ins Parlament zum Thema Organisation und Finanzierung

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Die Gesundheitsreform 2012 – eine Analyse

Auch wenn die Variante vom 27.9.2012 gegenüber der Endvariante – dazwischen liegen Monate politische Verhandlungen, an deren Ende Texte statt klarer und gesetzesfähiger immer unschärfer und unverbindlicher klingen – im Sinne der Versorgungsforschung deutlich besser war, das was rausgekommen ist, kann ernsthaft Grundlage einer echten Reform darstellen.

Die allgemeine Stoßrichtung

Wesentliche Aussage ist, dass unsere Versorgung zielorientiert gestaltet werden soll, wobei Ziele patientenorientiert aufzustellen sind und die Institutionen- Orientierung (also im Wesentlichen Spitalsstandorte und Kassenordinationen) einer integrierten Versorgung weichen soll. Patienten sollen dort behandelt werden, wo es richtig ist, und nicht dort wo gerade eine Gesundheitseinrichtung steht oder/und offen hat („Best Point of Service“).

Messgrößen und Zielwerte sind zu entwickeln und zu implementieren, die die Patientenorientierung sowohl in Ergebnissen, Strukturen und Prozessen messen sollen – es soll also transparent werden, ob der Patient zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhält.

Rahmenziele werden zwar zentral aufgestellt, aber sie sind dezentral unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten zu konkretisieren. Es sind definitiv keine „zentralistischen“ Diktate. Dezentral bedeutet übrigens auf Ebene der Versorgungsregionen (VR) des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖSG), und davon gibt es 32. Es ist also jedes Bundesland weiter unterteilt – das sollte dezentral genug sein.

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Die Konkretisierung der Gesundheitsreform – chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Durch die Gesundheitsreform sollen Patienten zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle– genannt: „Best Point of Service“- behandelt werden.

Die Institutionenorientierung (Spitalsstandorte und Kassenplanstellen) soll zugunsten einer integrierten Versorgung beendet werden: Patienten sollen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle– genannt: „Best Point of Service“ – behandelt werden. Wo das ist, wird nicht dekretiert, sondern ist dezentral, auf Ebene der Versorgungsregionen (VR) des ÖSG (hier der letzte Verhandlungsstand) – davon gibt es 32 – festzulegen.

Die ambulante Versorgung ist der stationären vorzuziehen– das bedeutet, dass die ambulante Versorgung durch Spitalsambulanzen und Kassen(fach)ärzte bedarfsorientiert auf-, aus- und umgebaut wird. Gruppenpraxen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. So soll auf Sicht eine fachärztliche Versorgung gewährleistet werden, die nicht nur Ballungsräume bevorzugt. An den Abbau von Hausärzten denkt definitiv niemand –im Gegenteil.

Was die Zielorientierung betrifft, die beim Aufbau der integrierten Versorgung ebenfalls vereinbart ist, werden zentral Rahmenziele aufgestellt, die dezentral – also wieder in den 32 VR – unter Berücksichtigung regionale Besonderheiten zu konkretisieren sind. Es sind keine „zentralistischen“ Diktate, sondern praxis- bzw. wirkungsorientierte Rahmenvorgaben angedacht.

 Klingt abstrakt! Stimmt – und wie könnte das konkret aussehen?

Betrachten wir Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen CED (Collitis Ulcerosa und Morbus Crohn)

 Etwa 40.000 Menschen leiden daran – und sie leiden wirklich. Abgesehen von regelmäßigen kolikartigen Schmerzen und blutigen Durchfällen, müssen sie lebenslang Medikamente mit heftigen Nebenwirkungen einnehmen, werden oft operiert, erkranken häufig an Dickdarmkrebs (Krebsangst!) und verlieren wegen oftmaliger Krankenstände ihre Arbeit, wenn sie denn überhaupt eine finden. Die Lebensqualität ist erheblich eingeschränkt.

Neben dem individuellen Leid, ist ihre Versorgung zudem sehr teuer. Alleine die direkten Kosten liegen mindestens bei etwa 4.000 Euro pro Jahr (zusätzlich zu den „normalen Kosten“). Indirekte Kosten, etwa durch Arbeitslosigkeit, verdoppeln diesen Wert rasch.

 Um diesen Patienten nachhaltig helfen zu können, ist es nötig, sie lebenslang medizinisch gut zu begleiten; Blut und Nierenfunktion müssen regel- und routinemäßig kontrolliert werden, die Knochendichte muss beobachtet werden, die Patienten müssen sich regelmäßig Darmspiegelungen im Rahmen eines Krebs-Früherkennungsprogramms unterziehen, sie müssen psychologische begleitet werden, sie müssen immer und immer wieder motiviert werden, ihre Medikamenten auch wirklich zu nehmen, die verordnete Diät einzuhalten und die empfohlenen Arztbesuche wahrzunehmen. Und schließlich brauchen sie Hilfe zur Selbsthilfe.

Das muss alles Teil eines ernstzunehmenden Versorgungskonzeptes sein. Wenn Patienten so, eben integriert, versorgt werden, erhöht sich deren Lebensqualität und senkt für das System die Kosten.

 Bei uns funktioniert das eher schlecht, wie man an der Häufigkeit der Spitalsaufnahmen, die international als (ein) Qualitätsindikator für integrierte Versorgung dient, erkennt.

Zwar sind die Zahlen vorsichtig zu verwenden, aber in Österreich muss ein Patient im Schnitt alle 4,4 Jahre stationär versorgt werden. In Italien beispielsweise ist es nur alle 7 Jahre nötig – es ist Verbesserungspotential vorhanden.

 Gehen wir davon aus, dass die Politik es diesmal ernst meint, und mit dieser Reform nicht wieder nur einen Papiertiger beschlossen hat, dann stehen am Anfang Ziele, die bis 30. Juni 2013 auf Bundesebene, im sogenannten Bundes-Zielsteuerungsvertrag, beschlossen werden müssen.

Bundesziel: Senken der Spitalsaufenthalte bei CED bis 2016 auf im Schnitt alle 6 Jahre (entspricht einer Reduktion der Hospitlalisierungsrate von derzeit 23% auf 17% der Prävalenz).

Dieses Bundesziel muss nun dezentral konkretisiert werden – und das ist wichtig.

Betrachtet man nämlich die Bundesländer einzeln, wird klar, wo die Versorgung (gemessen an mehrtägigen Spitalsaufnahmen) besser, wo schlechter funktioniert.

 Im Burgenland müssen unsere Patienten alle 1,6 Jahre stationär behandelt werden (das entspricht einer Hospitlalisierungsrate von 61% der Prävalenz – oder anders ausgedrückt, fast zwei von drei Burgenländern, die an CED leiden, müssen einmal pro Jahr mehrtägig in einem österreichischen Spital versorgt werden).

Ganz anders im „besten“ Bundesland, Tirol, dort sind es nur alle 7,1 Jahre (Hospitlalisierungsrate 14%); Wien ist mit 6,5 Jahre (15%) ähnlich gut, Oberösterreich mit 3,5 Jahre (28%) dafür wieder schlechter.

Praktisch jedes Land muss eigenen Ziele und Maßnahmen setzen, und das könnte so aussehen:

Landesziel für die Versorgungsregion XY: Reduktion von Spitalsaufenthalten bei Patienten mit CED von X% der Prävalenz durch Implementierung ambulanter Versorgungskonzepte.

Diese Konzepte (hier z.B. aus UK) müssen entwickelt werden – von Selbsthilfegruppen über den Hausarzt bis zum spezialisierten Facharzt müssen Anlaufstellen (Best Point of Service) definiert werden, die aktuelle Versorgungswirksamkeit der ambulanten Einrichtungen ist zu durchleuchten, um Defizite feststellen und dann auch auszugleichen, die Leistungsspektren müssen abgestimmt werden, Fortbildungskonzepte für Ärzte und Patienten müssen entworfen werden, Betreuungskonzepte, z.B.: via e-Health, müssen entwickelt und auch implementiert werden. Und damit alle Einrichtung so zusammenspielen, dass der Patient integriert versorgt und wirklich zum „Best Point of Service“ geleitet wird, müssen die Leistungsanreize abgestimmt werden.

Und um das hier klar festzuhalten, solche Versorgungskonzepte werden nicht auf Ebene der VR möglich sein, sondern müssen bis auf Bezirksebene individuell entwickelt werden.

All das muss schließlich in den Landes-Zielsteuerungsvertrag mit dem Bund, abzuschließen am 30. September 2013 eingearbeitet und danach abgearbeitet werden.

So könnte die Reform konkret aussehen. Aber das ist sehr viel echte Arbeit, weit weg vom Glamour der „großen Politik“. Ob unsere Entscheidungsträger dafür bereit sind?

Warum Österreichs Ärzte streiken („Die Zeit“ 24.Jänner 2013)

Als der Ministerrat in der zweiten Jänner-Woche die heftig umkämpfte Gesundheitsreform absegnete, schlossen in Oberösterreich 1200 Ärzte ihre Ordinationen aus Protest. Weiterhin verteufelt die Standesvertretung der Mediziner den Maßnahmenkatalog als »Totspar-Reform«. Zwar hat nach der 1,5 Millionen Euro teuren Kampagne im vergangenen Dezember der Kampf gegen den vorerst zaghaften Umbau des Gesundheitssystems etwas an Kraft verloren, befriedet sind die Kritiker allerdings nicht.

Ziel der Reform ist es, künftig die Versorgung rund um Patienten und nicht mehr rund um Spitalsstandorte und Kassenordinationen zu organisieren. Patienten sollen dort behandelt werden, wo es richtig ist, und nicht mehr dort, wo gerade eine medizinische Einrichtung offen hat.

Es soll nach Jahrzehnten der politischen Diskussion das Prinzip »ambulant vor stationär« umgesetzt werden und es sollen Gruppenpraxen gegründet werden, die sich am Versorgungsbedarf und nicht an Finanzregeln orientieren. Es soll weiters ein System fixiert werden, bei dem das Geld der Leistung folgt und das dafür sorgt, dass Finanzmittel aus der stationären in die ambulante Versorgung fliessen.

All das und noch mehr sind jahrelange Forderungen der Ärztekammer, die dazu führen können, die Versorgung zu verbessern. Gleichzeitig sollen so die Kosten pro Patient gesenkt werden – ein Ziel, das zu erreichen bisher daran gescheitert ist, dass Länder und Kassen eher gegeneinander, als miteinander gearbeitet haben.

Warum wehrt sich also die Ärztekammer dagegen? Hat sie vielleicht recht, dass durch die Reform das System kaputtgespart wird?

Wenn bis 2020 elf Milliarden Euro eingespart werden, so erklärt der oberösterreichische Ärztekammerpräsident Dr. Peter Niedermoser, so »bedeutet das, dass man alle Krankenhäuser ein Jahr lang schließen müsste«.

Ein Blick in das Zahlenwerk zeigt allerdings, dass bis 2020 Mehrausgaben von 42 Milliarden Euro geplant sind – damit könnte man ein Jahr lang vier mal so viele Spitäler finanziere, wie heute. Die Reform ist, was Einsparungen betrifft, alles andere als ambitioniert. Hinter den fehlenden tatsächlichen Einsparungen steht vermutlich die politische Idee, gar keine größere Strukturreform durchzuführen – das stünde nämlich den Erwartungen der Ärztekammer diametral entgegen. Es ist kein augenscheinlicher Grund auszumachen, warum die Kammer dermaßen aggressiv Widerstand leistet. Warum also?

Das eigentliche Motiv für den hinhaltenden Protest liegt in einem anderen Effekt der Reform: Sie schränkt die Verhandlungsmacht der Ärztekammer, was die Vergabe von Kassenverträgen betrifft, erheblich ein. Bisher konnten ausschließlich Ärztekammer und Kassen gemeinsam beschließen, wo ein Kassenarzt ordinieren darf; zukünftig sollen nun Länder und Kassen gemeinsam den Versorgungsbedarf feststellen und die Infrastruktur dem Ergebnis entsprechend ausrichten. Die Ärztekammer kann also nicht mehr im gewohnten Ausmaß mitreden, wo eine Einzelordination oder eine Gruppenpraxis steht.

Das mag wenig dramatisch klingen, hat aber zwei Auswirkungen. Einerseits verlieren die Funktionäre der Ärztekammern viel an Macht, denn bisher galt ein einfache Gleichung: Ohne Kammer kein Kassenvertrag, ohne Kassenvertrag keine Kassen-Ordination und daher keine Versorgung auf Krankenschein. Auf dieser Formel baute die Macht der Ärztekammer in der Gesundheitspolitik aber auch gegenüber ihren Mitgliedern. Jetzt, da die Monopolverhandlungsmacht beendet werden könnte, zerbröselt diese Logik.

Sie mutet allerdings seit Jahren eigenartig an. Schließlich sollte die Kammer alle 41.000 Ärzte vertreten, und nicht nur jene etwa 8 000, die über einen Kassenvertrag verfügen. Betrachtet man die Situation der etwa 4 000 Hausärzte, entsteht der Eindruck, die Kammer vertrete eigentlich nur Fachärzte mit Kassenvertrag. Diesen geht es nämlich auch im internationalen Vergleich hervorragend.

Daraus ergibt sich die zweite Konsequenz der Reform: All jene Kassen-Fachärzte, die in Regionen mit hoher Facharztdichte arbeiten – also vor allem in Ballungsräumen und an Spitalsstandorten – können nicht mehr damit rechnen, dass ihre Ordinationen in der jetzigen Form über die eigene Pensionierung hinaus benötigt werden. Damit fällt aber die Möglichkeit weg, die eigene Ordinationen lukrativ an einen Nachfolger zu verkaufen, oder wie es eigentlich heißt, »ablösen« zu lassen. Diese Ordinationen könnten ohne den Vertragsautomatismus nahezu wertlos werden.

Wahrscheinlich haben solche Ordinationsinhaber ihre Funktionäre dazu gedrängt, diese Reform möglichst scheitern zu lassen – so sie nicht sogar selbst Funktionäre sind, da die für die Funktionärstätigkeit nötige Zeit vor allem Kassen-Fachärzte aufbringen können.

Alternativ zu diesem Macht- und Profitstreben einzelner wäre es allerdings auch möglich, dass maßgebliche Funktionäre tatsächlich glauben, das derzeitige System müsse so bleiben wie es ist, obwohl die Lebenserwartung des gesunden Teils der Bevölkerung im Vergleich mit Großbritannien etwa um fünf Jahre geringer, die Diabetiker-Sterblichkeit dreimal höher und die Zahl kaputter Zähne bei Zwölfjährigen doppelt so hoch ist – und das bei deutlich höheren Kosten.

 

Erschienen 24.Jänner 2013; Die Zeit 

Ärztekammer: Schachmatt 2013

Glaubt man der Ärztekammer ist nach der angedachten Reform fast alles (jedenfalls Ärzte, Spitäler, Medikamente etc.) weg.

Ärztekammerkampagne

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Glaubt man mir, ist das einzig was weg ist, die Kammer.

Statt ihre Hausaufgaben zu erledigen, prügeln Ärztekämmerer mit schlafwandlerischer Sicherheit immer die „falschen“. Strategisches Handeln im Sinne aller ihrer 41.000 Mitglieder, und nicht nur der etwa 7.500 Kassenärzte (wenn man die Situation der Hausärzte kennt, nur der etwa 3.500 Kassenfachärzte) ist nicht gerade ihre Stärke.

Denn was an der angedachten Reform führt denn zu diesen Rundumschlägen, und warum erinnert es so frappant an den 2007 /2008, als die letzte 15a-Vereinbarung anstand.

 Stöger Kettensäge

 

Es geht nicht um 11 Mrd.€ „Einsparungen“, denn die sind bezogen auf die, im Betrachtungszeitraum über 230 Mrd.€ öffentliche Ausgaben für die Gesundheitsversorgung nur eine, noch dazu virtuelle, Marginalität. Virtuell vor allem deswegen, weil es im gleichen Zeitraum statt echter Einsparungen Mehrausgaben von 42 Mrd.€ geben wird. Es geht auch nicht darum, dass dieses Mal – wie jedes Mal – geheim verhandelt wurde. Nein, es geht darum dass durch die Reform Länder und Kassen, endlich gemeinsam und nicht gegeneinander arbeiten wollen. Das heißt aber, dass die streng geheimen Mauscheleien und Tauscheleien zwischen Ärztekammern und Kassen ein Ende finden werden.

Und das passt nicht zum anachronistischen Selbstverständnis der Ärztekammer, die ihre Macht nur darin vermutet, kollektive Kassenverträge zu verhandeln.

Hätten die Ärztevertreter 2007, aber wenigstens seither, besonnener agiert, Kassen und Länder hätten weniger Chancen aber auch Notwendigkeit  für so eine Reform. Doch anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, hat sich die Kammer darauf konzentriert, Strukturreformen mit durchsichtiger Polemik im Keim zu ersticken – abgestützt durch ihre gesetzlich gesicherte Verhandlungsmacht, die die Politik jetzt brechen will.

War diese Strategie wenigstens für Ärzte gut? Ganz im Gegenteil. Die Kämmerer werden innerhalb der Ärzteschaft immer weniger ernst genommen, weil brisante Themen rund um den ärztlichen Beruf seit Jahren links liegen. Weder die mangelhafte Ausbildungsqualität im Turnus (es gibt übrigens fast doppelt so viele Turnus– wie Kassenfachärzte!), noch die Tatsache, dass das Ärztearbeitszeitgesetz (es gibt fast sieben Mal so viele Spitals- wie Kassenfachärzte) seit jeher systematisch gebrochen wird, war bislang eine angemessene Reaktion wert; interessant, neben der englischen, war es nur die Österreichische Ärztekammer, die bei der EU Einspruch gegen die Begrenzung der Arbeitszeit auf 48 Stunde pro Woche eingelegt hat.

Lange hat die Kammer darauf gesetzt, dass die aus dem Gesetz erwachsende Macht ewig halten wird. Sei es aus Angst vor der eigenen Qualität, sei es aus anderen irrigen Meinungen heraus, hat sie es nicht geschafft, zu erkennen, was ihre eigentliche Aufgabe ist und woraus sie ihre Macht  entwickeln sollte – aus der Gestaltung der Arbeitssituation aller Ärzte. Ob jetzt die Zeit reicht, das Ruder so herumzuwerfen, um wieder ein echter Partner in der Gesundheitspolitik zu werden, das wird sich zeigen. Für das Gesundheitssystem wäre es wünschenswert.

 

PS.: Falls dem p.t. Leser dieser Artikel bekannt vorkommt, er ist zum überwiegenden Teil einem Rezeptblock aus dem Jahre 2008 entnommen – ein Eigenplagiat! Und Beweis für Trägheit und Unfähigkeit unserer Gesundheitspolitik.

Wie im falschen Film – OÖ Ärztekammer über „geheime Gesundheitsreform“ Oktober 2012

Die Oberösterreichische Ärztekammer „informierte“ ihre Ärzte letzte Woche via Rundschreiben über die Gesundheitsreform, und das klingt so

Auszüge (Literatur beim Rezeptblog) :

„… worum es der Politik mit der geplanten Gesundheitsreform wirklich geht: Um massive Einsparungen auf dem Rücken der Patienten, um exorbitante Kostensenkungen auf dem Rücken der Ärzte und um eine zentrale Steuerung des Gesamtsystems durch anonyme Gesundheitsbürokraten unter Ausschaltung der bisherigen Gesundheitssystempartner. Kurz: es geht um die totale Verstaatlichung des Gesundheitssystems ohne Rücksicht auf Verluste.“ […]

„Gerade auch die bisherige Geheimhaltung der Pläne sowie die Geschwindigkeit, die die ansonsten träge Politik und Staatsverwaltung bei der gesetzlichen Umsetzung dieser Maßnahmen an den Tag legt (Anm. Termin steht seit 2007 fest und sogar im Regierungsprogramm), zeigt klar auf, dass hier auch die Überrumpelung der Patienten aber auch der Leistungserbringer im Gesundheitswesen versucht wird. Bevor Widerstand organisierbar ist, soll bereits alles über die Bühne sein. Es gilt daher, jetzt aufzustehen und ein klares und deutliches Signal zu setzen, dass sich die Ärzte und die ärztliche Standesvertretung nicht überrumpeln lassen, [..]. Wir wollen und werden daher mit allen uns zur Verfügung stehenden Mittel, die Bevölkerung auf die bisher geheim gehaltenen Pläne und Maßnahmen aufmerksam machen, wir werden die damit verbundenen negativen Konsequenzen […] in aller Deutlichkeit in der Öffentlichkeit publik machen. […] Wir werden die Verstaatlichung und Verbürokratisierung des Gesundheitswesens auf allen Ebenen bekämpfen. Und wir lassen uns als Ärzteschaft nicht unserer Mitspracherechte bei der Gestaltung des Gesundheitssystems berauben.“ [..]

„Um diese Ziele zu erreichen, ist jedoch Widerstand, rasch, gezielt und unter vollem Einsatz aller Oö. Ärztinnen und Ärzte notwendig. Wir brauchen daher jeden einzelnen Arzt, um mit voller Kraft gegenüber der Gesundheitspolitik auftreten zu können. Denn jetzt geht es ums Ganze, […] … wenn notwendig, werden wir auch vor Kampfmaßnahmen nicht zurückschrecken […].“

Danach interpretiert die Ärztekammer detailliert die „wichtigsten und einschneidendsten“ Reformvorschläge – da ich diese auch kenne, will ich festhalten, diese Interpretationen sind nicht nachvollziehbar. Aber, es geht ja wohl eher um Agitation, denn um Information, was man auch aus solchen Aussagen schließen kann:

„Nach dem Willen der sog. „Gesundheitsreformer“ sollen alle wesentlichen Entscheidungen im Gesundheitswesen von der „Zentrale Wien“ aus gesteuert werden. […] „D.h. nicht der Patient, nicht der ärztliche Sachverstand und auch nicht medizinische Notwendigkeiten entscheiden über die Leistungserbringung, sondern nichtärztliche Bürokraten am grünen Tisch in Wien.“

Na bumm! man möchte meinen, ein paar totalitäre Wiener wollen eine Diktatur errichten und die Ärztekammer der Rettungsanker der Demokratie ist.

Was kann man daraus lernen:

(1) es ist in einer Demokratie blöd, Gesundheitsreformen hinter verschlossenen Türe vorzubereiten

(2) es ist noch blöder, die Interpretationshoheit „geheimer Gesundheitsreformen“ der Ärztekammer zu überlassen.

Die österreichische Finanzierung aus einer Hand – und die Dänische Lösung

Der Streit zwischen Kassen und Ländern über die „Finanzierung aus einer Hand“ lässt vermuten, dass die Entscheidungsträger nicht wissen (wollen), wovon sie reden.

Unter Finanzierung aus einer Hand versteht die Welt, dass in einer definierten Region alle Leistungen der Prävention, Akutbehandlung, Rehabilitation, Pflege und Palliation/Hopiz aus einer Hand bezahlt werden, damit sie vernünftig aufeinander abgestimmt werden können. Aber bei uns dreht sich alles darum, die Finanzströme der niedergelassenen Ärzte und Spitäler, also die der Krankenkassen und der Länder virtuell zusammenzuführen. Es geht also nur darum, die Akutbehandlung aus einer Hand zu bezahlen, alles andere ist nicht einmal angedacht.

Schauen wir mal wie das die Dänen handhaben.

Vorweg, die Dänen geben aktuell etwa gleich viel aus, wie wir, die gesunde Lebenserwartung der 65+Bevölkerung liegt mit 12 Jahren aber um etwa fünf Jahre über der unsrigen (7 Jahre), und das bei ungefähr dem gleichen HDI. Das steuerfinanzierte System garantiert allen (= 100%) 5,4 Millionen Dänen freien Zugang zu allen Leistungen des Systems, begonnen bei der Prävention über die Pflege – zu der auch Heimhilfen für jene gehören, die mit den Aktivitäten des täglichen Lebens Probleme haben – bis hin zu Palliativversorgung. Man könnte viel über die Infrastruktur schreiben, aber nur soviel: gibt es in Dänemark pro einer Million Einwohner aktuell etwa acht und demnächst (eine Reform ist im Gange) nicht einmal mehr vier Spitäler, sind es bei uns über 20 und alle mit Standortgarantien, dafür haben sie um 40 Prozent mehr Hausärzte und ein gut ausgebautes Hausarztmodell – von dem wir eben nur reden.

Organisiert ist das ganze über 98 kleine Versorgungsregionen, die für alle wohnortnah erbringbaren Leistungen, von der Prävention bis zur Palliativversorgung, zuständig (inklusive Finanzverantwortung) sind. Diese Regionen werden nicht von Experten geführt, sondern, als Ausdruck eines solidarischen Systems, von demokratisch legitimierten Politikern.

Früher waren diese Regionen auch direkt für Spitäler zuständig. Das hat sich nicht bewährt, weil so Spitäler erhalten wurden, die wegen der damit verbundenen Kleinräumigkeit des Einzugsgebiets nicht jene Spezialisierung erreichen konnten, die für eine qualitativ hochwertige Versorgung nötig ist (für uns ein etwas skurriler Gedanke, da es „früher“ 40 statt 20 Spitäler gab, wir haben hierzulande etwa 180!). Deswegen wurden die dezentralen Versorgungsregionen zu fünf Versorgungszonen, samt selbständiger Verwaltung zusammengefasst, die nun für Planung, Finanzierung und Betrieb der Spitäler zuständig sind. Zwar sind diese Versorgungszonen politisch den Versorgungsregionen unterstellt, Spitäler können, oder sollen künftig, nicht mehr regionalpolitische Bedürfnisse befriedigen. Das wird viel tagespolitischen Sprengstoff nehmen.

Also, wieviele Hände finden wir in Dänemark, einem Land, das nach allen Parametern, die wir so messen, wirklich und nicht nur behauptet über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt verfügt? Genau! 98 Hände, von denen aber eben jede einzelne dezentral demokratisch legitimiert ist und in der anvertrauten Versorgungsregion für die Organisation aller benötigten präventiven, diagnostischen, therapeutischen, rehabilitativen, pflegenden oder palliativen Leistungen zuständig und endverantwortlich (auch finanziell) ist.

Das nennt man Finanzierung aus einer Hand!

Begründeter Zweifel an Gesundheitsreform

Länder und Kassen wollen über virtuelle Budgets gemeinsam Verantwortung tragen. Dazu werfen sie virtuell ihr Geld zusammen und realisieren damit gemeinsam jene Versorgungskonzepte, die für Patienten das Beste sind – und teilt dann die Kosten untereinander auf. Soweit so gut, aber real?

Wir wissen, dass es dank der abstrusen Kompetenzverteilung zwischen Kassen und Ländern zu Ineffizienzen kommt, unter anderem darin abzulesen, dass wir die weltweit höchste Krankenhaushäufigkeit haben – und das kostet eben, obwohl es nicht viel bringt.

Das führt dazu, dass es, wenn es wirklich eine gemeinsame Vorgehensweise gibt, bei steigender Versorgungsqualität (auch wenn das viele nicht glauben wollen) zu Einsparungen kommt Und genau da beginnen die Probleme, wie wir von den „virtuellen Budgets“ der Reformpoolprojekte wissen

Ist es nur ein geringes, wenn auch nicht zu unterschätzendes Problem, Kosten zu verteilen, ist die Verteilung der Einsparungen bis dato nicht möglich gewesen. Da pocht jede Seite darauf, dass sie es ist, die sie realisiert hat  Und da diese Einsparungen hinkünftig im gemeinsamen, virtuellen Topf, als echtes Geld übrig bleiben, ist Streit programmiert. Es braucht schon einen gewaltigen Paradigmenwechsel in den Köpfen der Entscheidungsträger diesen Streit zu umgehen. Schauen wir, ob es Anzeichen gibt, dass dieser gemeinsame Wille wirklich existiert.

In Salzburg wurde 2002, als es schien, dass es endlich zu einem bedarfsgerechten Ausbau der palliativen Versorgung kommt, vom Roten Kreuz ein Hospiz errichtet. Allerdings blieb vieles politisches Lippenbekenntnis. Selbst als es 2005 zu einem Konsens  zwischen Bund, Ländern und Kassen kam, den Ausbau entsprechend einem ÖBIG-Bericht voranzutreiben, blieben Fortschritte mager, vor allem im extramuralen (Kassen) Bereich.

Ende 2012, wird das Hospiz in Salzburg seine Pforten schließen – einfach, weil es pleite geht.

Ein Tag kostet im Hospiz etwa 430€. Die Krankenkasse übernehmen davon 51€, das Land 80€. Der Patient selbst steuerte 170€ (!) pro Tag (!) bei, den Rest von 130€ schoss das Rote Kreuz über Spenden und Überschüsse aus anderen Bereichen bei – und diese fallen hinkünftig weg. Damit ist das Haus pleite.

Das bedeutet, die öffentliche Hand trägt nicht einmal ein Drittel der Kosten, dafür gibt es einen Selbstbehalt von 40%. Und was die 51€ der Kassen betrifft, die decken lt. Angaben des Trägers nur etwas mehr als die Hälfte der anfallenden medizinischen Kosten.

Und so werden die Patienten nach dem Schließen des Hospizes wohl in ein Spital ausweichen müssen.

Dort werden aktuell pro Tag auf einer Palliativ-Station etwa 400€ aus dem LKF-System rückerstattet. Ein geringer Wert, der kaum die echten Kosten deckt und so für Spitalsbetreiber unattraktiv ist. Zudem sind die intramuralen Kapazitäten so ausgelegt, dass sie nur ausreichen, wenn die extramuralen entsprechend dem Plan ausgebaut sind. Fehlen diese, sind die intramuralen zu eng bemessen. Es werden daher nicht alle, vielleicht sogar nur wenige der jetzigen Patienten auf einer Palliativ-Station landen. Die anderen kommen auf andere, vor allem Interne Abteilungen.

Studien weisen klar aus, dass bei massiv sinkender Lebensqualität, die Versorgung sterbender Patienten auf normalen Abteilungen enorm teuer ist: so genau ist das nicht berechenbar, aber mit 800€ bis 1.000€ pro Tag liegt man sicher nicht falsch. Das hängt damit zusammen, dass diese weit weg sind von einem Bio-Psycho-Sozialen Ansatz. Dort gelten biologische Krankheitsbilder mit der Absicht der Heilung –oft koste es, was es wolle. Und das ist halt ganz was anderes, als eine palliative Versorgung – und sehr viel teurer.

Nun, das wissend, muss man sich die Frage stellen, warum können Kassen und Land keinen gemeinsamen Weg finden, eine Versorgung, und zwar OHNE Selbstbehalte, zu ermöglichen, die für Patienten einen enormen Zugewinn an Lebensqualität bedeuten und Steuer- und Beitragszahlern billiger kommt?

Und die antwort ist einfach! Wenn das Hospiz geschlossen wird, sparen sich die Kassen jene 180.000€ die sie jetzt schon nicht zahlen „müssten“, und die Länder sind nicht abgeneigt mehr Patienten in Spitälern zu versorgen, weil sie diese ja erhalten wollen. Und da politisch und finanziell eine Interne attraktiver ist, als eine „Sterbe-Abteilung“ werden diese Kapazitäten auch nicht ausgebaut. Umso mehr, als es ja Aufgabe der Kassen wäre, die extramuralen Kapazitäten auszubauen. Und wenn beiden das Geld ausgeht, dann müssen halt Einnahmen erhöht werden, also der Bund gefälligst für mehr Geld sorgen.

Und genau dieses, tief verwurzelte Jahrzehnte alte Denken, dass sich so klar an diesem Salzburger Hospiz kristallisiert *), soll mit der Reform beendet sein? Ganz ehrlich, ich glaube es nicht

 

*)aber nicht nur dort, ähnliches findet ja auch gerade mit der ambulanten Alkohol-Entzugstherapie im Anton-Proksch-Institut statt, wo die Wiener Gebietskrankenkasse nicht bereit ist mehr als 32,87€ pro Quartal (!) zu bezahlen. Damit ist die intensive ambulante Betreuung der Patienten schlicht nicht finanzierbar– aber die stationäre, die zahlt dann eh wieder das Land